Theologie und religiöse Literatur
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Johannes Altus
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Theodor Bibliander
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Heinrich Bullinger
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Petrus Canisius
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Durich Chiampell
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Dossier: Theodor Biblianders Auseinandersetzung mit dem Islam im Kontext der Türkenbedrohung
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Erasmus von Rotterdam
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Johannes Fabricius Montanus
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Conrad Gessner
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Heinrich Glarean
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Jakob Gretser
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Franz Guillimann
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Rudolf Gwalther
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Nicolaus Hagaeus
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Ludwig Lavater
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Conrad Lycosthenes
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Jost von Meggen
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Joachim Opser
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Heinrich Pantaleon
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Valentin Tschudi
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Joachim Vadian
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Ulrich Zwingli
Autor(en): Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt/Kevin Bovier). Version: 10.02.2023.
Das Zeitalter des Schweizer Humanismus ist auch das Zeitalter der Reformation und der katholischen Reform. Gerade die Schweizer Reformation hat eine grosse internationale Ausstrahlung gehabt. Man darf festhalten, dass im Wesentlichen alle auf diesem Portal vertretenen Autoren an theologischen und religiösen Fragen mehr oder weniger intensiv Anteil nahmen (die einzige signifikante Ausnahme ist der religiös offensichtlich indifferente Simon Lemnius). Gerade am Schweizer Humanismus zeigt sich somit gut, dass eine Gleichsetzung von Humanismus und Säkularisierung gemäss dem Burckhardtschen «Renaissance-Mythos» ein Irrweg ist. Die Verbindungen zwischen Humanismus und Reformation – oder noch grundsätzlicher: zwischen Humanismus und Christentum – sind schon seit langem ausführlich traktierte Forschungsfragen, ebenso wie das Wesen und die Eigenständigkeit der schweizerischen Reformation, ihr genaues Verhältnis zu Luthers Reformation oder die inneren Einigungsbestrebungen der schweizerischen Reformierten. Bei den auf diesem Portal versammelten Schweizer Humanisten begegnet immer wieder die Personalunion zwischen Humanismus und einem mittels theologischer und/oder seelsorglicher Tätigkeiten engagiert gelebten reformierten Christentum; man kann sie als typisch für den schweizerischen Humanismus bezeichnen. Ulrich Zwingli und Joachim Vadian gehörten sogar zu den grossen Protagonisten der reformierten Bewegung (wobei der Zwinglianismus sogar eine internationale Ausstrahlung hatte). Von den prominenten Humanisten dieser Generation blieb nur eine Minderheit der alten Kirche treu: Heinrich Glarean ist dafür das wichtigste Beispiel. Die Universität Basel, die einzige der Eidgenossenschaft, ging zum reformierten Bekenntnis über (auch wenn man dort katholischen Studenten gegenüber grundsätzlich offen blieb); in Zürich, Bern, Lausanne und andernorts wurden universitätsähnliche Akademien gegründet, die primär der Ausbildung des reformierten Predigernachwuchses dienten und zu diesem Zweck notwendigerweise auch humanistische Bildungsinhalte integrierten. Das höhere Bildungswesen der katholischen Orte blieb demgegenüber mehrere Jahrzehnte hindurch unterentwickelt. Erst mit dem Eintreffen der Jesuiten entwickelte sich ab dem Ende des 16. Jahrhunderts ein konkurrenzfähiger Schulbetrieb, der eine neue Generation katholischer Intellektueller wie Franz Guillimann hervorbrachte.
Es ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend, dass viele der auf diesem Portal vertretenen Autoren auch als theologische Schriftsteller in einschlägigen Gattungen (wie z. B. der Predigt) tätig waren oder in den diversen literarischen Gattungen Texte schufen, deren Inhalt wesentlich von der Botschaft des Christentums und/oder dem konfessionellen Streit der Epoche inspiriert ist. Es ergibt sich aus diesen Vorbemerkungen, dass im Folgenden auch inhaltlich einschlägige Texte zur Sprache kommen, die andernorts auf diesem Portal stärker unter dem Gesichtspunkt ihrer jeweiligen Gattungszugehörigkeit (etwa Drama oder elegisches Gedicht) betrachtet werden.
Das Portal bietet Texte, die unmittelbar der theologischen Lehre und der pastoralen Praxis entspringen und für sie bestimmt sind. Dazu gehören, wie bereits erwähnt, naturgemäss Predigten, wie sie in den Sermonum Decades Heinrich Bullingers vorliegen (wobei manche Predigten, wie auch das hier ausgewählte Beispiel einer Sakramentspredigt, mehr den Charakter einer theologischen Abhandlung haben). Hierher gehören auch die Anmerkungen zu den Evangelienlesungen von Petrus Canisius, die dieser Jesuit in seiner Freiburger Zeit als Hilfsmittel für die katholische Glaubensverkündigung verfasste. Beide Texte werfen auch ein Licht auf die Kontroversen zwischen der katholischen und der reformierten Konfession; Bullingers Werk erinnert durch seine Widmung an hochrangige Persönlichkeiten in England an die internationale Ausstrahlung der Zürcher Reformation, mit Canisius begegnet man dem Mitglied einer international tätigen Ordensgemeinschaft, die den Zusammenhang zwischen der katholischen Schweiz und der katholischen Universalkirche sicherstellen half. Wie christliche Dogmatik und humanistische Interessen miteinander kollidieren konnten, beleuchtet ein anderer Text, der Verkündigungszwecken dienen sollte: ein Ausschnitt aus Zwinglis Expositio Christianae Fidei, in dem er sich fest davon überzeigt zeigt, dass Gott bestimmten grossen Gestalten der heidnischen Antike die ewige Seligkeit geschenkt habe; unser Dossier zu diesem Text enthält zudem eine beschwichtigende und zwei ablehnende Reaktionen, die sein Provokationspotential deutlich machen. Die Schrift De Providentia des Johannes Fabricius Montanus behandelt in Dialogform (dem Vorbild eines Cicero, aber auch eines Augustinus folgend) ein gedanklich anspruchsvolles theologisches Grundproblem. Ebenfalls von theologischen Überlegungen geht der Zürcher Theologe Ludwig Lavater in seinem «Gespensterbuch» De spectris aus, dass leichtgläubigen Gespensterglauben ebenso bekämpft wie die katholische Lehre vom Fegefeuer, seinerseits aber von der Prämisse ausgeht, dass es Gespenster tatsächlich gibt; das erkennbare Bestreben nach einer dämonologischen Systematik verschwindet allerdings bisweilen hinter den mit erkennbarer Erzählfreude ausgebreiteten Beispielen und Fallstudien.
Zum Signum der Epoche gehörte nicht nur der innerchristliche Streit, sondern auch die stark empfundene Bedrohung durch das osmanische Reich, das heisst durch eine islamische Grossmacht. Theodor Bibliander setzte sich als Gelehrter in seiner Türkenschrift und vor allem mit seiner von weiteren einschlägigen Texten begleiteten Koranübersetzung intensiv mit der fremden Religion auseinander; Ausschnitte aus beiden Werken finden sich auf diesem Portal in einem eigenen Dossier.
Eine Sonderrolle nimmt die auf diesem Portal präsentierte lateinische Übersetzung des Kappelerliedes von Zwingli ein, die vermutlich dem Johannes Fabricius Montanus zuzuschreiben ist. Das Kappelerlied präsentiert sich auch in dieser ungewohnten Form als bewegendes Zeugnis von Zwinglis reformierter Glaubensüberzeugung.
Die bisher genannten Texte kann man als theologische oder religiöse Literatur im engeren Sinne bezeichnen; die christliche Literatur auf diesem Portal umfasst indes auch Werke oratorischen und poetischen Charakters, deren äussere Form eindeutig humanistische Einflüsse aufweist. Stofflich greifen diese auf zwei Quellen zurück: Heiligenlegenden und die Heilige Schrift. Eindeutig noch der vorreformatorischen Zeit gehört Arbogast Strubs mit Verseinlagen versehene Wiener Universitätsrede auf die heilige Ursula und ihre Gefährtinnen an. Dies gilt auch für die entsprechenden frühen Gedichte des Heinrich Glarean (Gedicht über die Entstehung des Kartäuserordens, Ode auf den heiligen Bischof Theodul); daneben schuf er auch eine Prosaneufassung der Legende der Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula. Diese genossen ungeachtet der zwinglianischen Ablehnung von Heiligenverehrung und Reliquienkult als Glaubenszeugen auch im reformierten Zürich Wertschätzung, was etwa in einem Auszug aus dem Epithalamion des zeitweise in dieser Stadt weilenden Deutschen Johannes Altus für die Hochzeit seines Freundes Johannes Fabricius Montanus deutlich wird, der das Martyrium der Heiligen ausführlich behandelt. Wesentlich stärker prägten Heiligenlegenden die literarische Produktion in der katholischen Schweiz. Jakob Gretsers Bruder-Klausen-Spiel steht auf diesem Portal repräsentativ für die demonstrative Wiederbelebung der Heiligenverehrung durch das Jesuitentheater. Auf der reformierten Seite entwickelte sich dagegen das Bibeldrama, für das wir mehrere Beispiele bieten, die ihren Stoff teils dem Alten (Rudolf Gwalthers comoedia sacra Nabal), teils dem Neuen Testament (der Philargirus des Heinrich Pantaleon) entnehmen. Gwalther betätigte sich zudem mit seiner Monomachie über den Kampf zwischen David und Goliath auch in der Gattung des Bibelepos. Seine als Bildaufschriften gedachten Gedichte auf die Porträts bedeutender Zürcher Reformatoren, die ein englischer Protestant in Auftrag gegeben hatte, machen deutlich, dass bei aller Ablehnung der Heiligenverehrung auch die reformierte Gemeinschaft das Gedächtnis ihrer grossen Männer ehrte. Der Jesuitenschüler Franz Guillimann wiederum kombiniert in seinen am liturgischen Weihnachtfestkreis orientierten Oden und Hymnen biblische Themen und Heiligenlegenden (unser Beispiel, eine Ode zum Weihnachtfest, gehört der ersten Kategorie an). Mit ihm nähert man sich bereits dem Barockzeitalter.
Der christliche Glauben im Allgemeinen und theologische Streitfragen im Speziellen prägten die Epoche und fanden so naturgemäss auch in die Briefe Eingang, die man sich damals schrieb. Als Ausdruck christlicher Gesinnung präsentieren sich etwa das erste und das zweite Beileidsschreiben des Heinrich Glarean an seinen Freund Ägidius Tschudi anlässlich des Todes von dessen Frau. Um konkrete konfessionelle Probleme geht es in zwei Briefen des Joachim Vadian: der erste beschäftigt sich mit der (von Vadian vehement abgelehnten) Täuferbewegung, der zweite bringt den Antikatholizismus des St. Galler Reformators zum Ausdruck (der Papst ist für ihn der Antichrist). Conrad Gessners Brief an den Lyoner Botaniker Jacques Joseph Dalèchamps, mit dem er den zum Katholizismus Übergetretenen ins reformierte Bekenntnis zurückzuführen versuchte, greift gleichsam auf privater Ebene die grossen theologischen Streiftragen der Epoche auf. Persönliche Glaubensüberzeugungen finden im Übrigen natürlich auch in den autobiographischen und biographischen Schriften der Epoche ihren Niederschlag; hingewiesen sei hier beispielshalber auf den Bericht des Johannes Kessler über Vadians Sterbestunde, der diesen als bis zum Ende mustergültigen reformierten Christenmenschen präsentiert. Briefliteratur und Biographie bzw. Autobiographie deshalb pauschal als religiöse Literatur zu bezeichnen, hiesse freilich diesen Begriff zu überdehnen. Dass aus den religiösen Konflikten der Epoche folgenschwere Auseinandersetzungen resultierten, ist bekannt (im Schweizer Kontext darf man diesbezüglich besonders an die Kappeler Kriege denken) und entsprechend den jeweiligen örtlichen Mehrheitsverhältnissen konnten sich die Anhänger der unterlegenen Konfession unter mehr oder weniger unbehaglichen Umständen wiederfinden (Katholiken in Zürich, Reformierte in Schwyz etc.). Auch wenn in gemischtkonfessionellen Gebieten und den gemeinen Herrschaften sich letztlich aus pragmatischen Gründen eine Koexistenz durchsetzte, war die Idee religiöser Toleranz dem Zeitalter grundsätzlich fremd. Für manche, wie den ehemaligen katholischen Priester Jodocus Molitor aus Zug, bedeutete dies, dass sie ihre Heimat verlassen mussten; er lobt in einem seiner Gedichte in verschlüsselter Form die in Zug verbliebenen Protestanten, die ihren Glauben heimlich leben müssen.
Besonders starken Verfolgungen waren kleinere religiöse Gruppen ausgesetzt, die sich aus oder neben der Reformation herausgebildet hatten und von Katholiken und Reformierten gleichermassen abgelehnt wurden: hier ist in erster Linie an die bereits oben erwähnten Täufer zu denken, ferner aber auch an die Vertreter antitrinitarischer Strömungen.
Neben dem christlichen Bekenntnis in seinen diversen Ausfächerungen gab es auf dem Gebiet der Schweiz in der frühen Neuzeit auch das Judentum; allerdings war die jüdische Präsenz stark eingeschränkt, was einen merklichen Kontrast zu den Verhältnissen in anderen Teilen des Heiligen Römischen Reiches darstellt. In der neulateinischen Literatur der Schweizer Humanisten des 16. Jahrhunderts, die das Thema dieses Portals ist, spielt das Judentum keine erwähnenswerte Rolle und muss hier daher unberücksichtigt bleiben.
Bibliographie
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Springer, C. P. E., «The Reformation», in: Philip Ford u. a. (Hgg.), Encyclopedia of the Neo-Latin World, Leiden/Boston, Brill, 2014, 747-757.
Vischer, L./Schenker, L./Dellsperger, R., Ökumenische Kirchengeschichte der Schweiz, Freiburg i.Ü./Basel, Paulusverlag/Friedrich Reinhardt, 1994.