Nabal

Rudolf Gwalther

Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt/Kevin Bovier). Version: 10.02.2023.


Entstehungszeitraum: terminus ante quem ist die Publikation im Jahre 1549. 

Handschrift (Autograph): Zentralbibliothek Zürich, ms A 140, 11, fol. 133-164.

Ausgaben: Rodolphi Gualtheri Tigurini Comoedia sacra, quae inscribitur Nabal, desumpta ex I. Samuelis XXV. Cap. nunc primum conscripta & aedita, s.l.n.d. [Zürich, Froschauer, 1549]; S. Giovanoli, Rudolf Gwalthers «Nabal». Ein Zürcher Drama aus dem 16. Jahrhundert, Bonn, Bouvier Verlag H. Grundmann, 1979.

Metrum: jambische Senare (Dramentext); im Prolog alternierend jambischer Senar und Dimeter.

 

Das Stück

Die biblische Vorlage von Gwalthers 1549 erschienenem Drama Nabal ist 1 Sam 25: Nabal (was auf Hebräisch so viel wie «Tor/Narr» heisst) ist ein reicher, in Maon ansässiger Viehzüchter mit Besitz in Karmel, der mit der sehr hübschen und klugen Abigail verheiratet ist. Der junge David, der sich vor mit seinen Leuten vor den Nachstellungen König Sauls in Sicherheit gebracht hat, bittet Nabal um Unterstützung durch Nahrungsmittel, die ihm dieser in beleidigender Weise verweigert. Als David mit seinen Männern gegen Nabal zieht, um ihn zu bestrafen, kommt ihm Abigail entgegen, die von einem Diener alles erfahren hat. Sie bringt Nahrungsmittel mit und überzeugt David durch eine umfängliche Rede, sich nicht mit Blut zu beflecken, indem er Rache an dem dummen Nabal nimmt. David dankt ihr dafür. Als Abigail nach Hause kommt, hält Nabal gerade ein königliches Gastmahl und ist betrunken. Am Morgen nach der durchzechten Nacht erzählt sie ihm, was geschehen ist (und in welcher Gefahr er geschwebt hat). «Und sein Herz erstarb innerlich und wurde wie ein Stein, und als zehn Tage vergangen waren, schlug der Herr Nabal, und er starb» (1 Sam 25,37-38). Als David dies erfährt, preist er Gott und hält durch Boten um Abigails Hand an. Sie folgt ihnen bereitwillig und wird Davids Gemahlin. Dass David daneben zur selben Zeit noch eine andere Frau hat (Ahinoam aus Jesreel), ist im alttestamentarischen Kontext nicht weiter verwunderlich (1 Sam 25,43: «und beide waren seine Ehefrauen»). Dennoch unterdrückt Gwalther diesen Aspekt in seinem Theaterstück, was den christlichen Sitten seiner Zeit entgegenkommt (und damit auch heute dem dadurch geprägten modernen Bild einer romantischen love story mehr entspricht).

Ein Grundgedanke des Stücks ist die imitatio Christi, in der sich sowohl der von Saul verfolgte David als auch die mit einem untauglichen Gatten Nabal geschlagene Abigail bewähren. Obwohl beide bis zu einem gewissen Punkte Opposition gegen ihre Unterdrücker üben (David hat sich mit seinen Mannen in die Einöde zurückgezogen, Abigail handelt Nabals Willen zuwider, indem sie David Nahrung bringt), vermeiden sie doch eine offene Revolte. Sie legen ihre Rettung sowie die Bestrafung des Übeltäters somit in die Hände des allmächtigen Gottes, der sie nicht im Stich lässt: Nabals Tod geschieht noch im Stück, und auch Saul wird, wie jeder Bibelleser weiss, seiner gerechten Strafe nicht entgehen (1 Sam 31, 1-6: er stürzt sich nach einer Niederlage gegen die Philister in sein Schwert).

Mit dem Aufgreifen eines alttestamentarischen Stoffes folgt Gwalther einem im Zürcher Theaterbetrieb seiner Zeit üblichem Trend. Bei allen Unterschieden im Einzelnen kommen die diversen Stücke dieser Gattung darin überein, dass in ihnen «Uebeltäter und Frevler von Gott schwer bestraft, fromme Menschen mit unerschütterlichem Glauben dagegen belohnt werden.»

Gwalther schickte sein Stück am 21. März 1550 an den St. Galler Humanisten und Reformator Joachim Vadian (1484-1551) und bat diesen um sein Urteil über dieses Werk, das er bescheidenheitstopisch abwertete und «als Frucht meiner bäuerischen Muse» (Musae meae agrestis fetum) bezeichnete; aus dem Schreiben geht auch hervor, dass eine Aufführung durch junge Leute aus der besseren Gesellschaft bereits zu diesem Zeitpunkt geplant gewesen, aber an (inhaltlich nicht weiter erläuterten) Widerständen gescheitert war. Vadian antwortete bereits am 26. März 1550 und lobte den Nabal; von seinen Betrachtungen zu diesem Stück ausgehend erklärte er, dass alttestamentliche Stoffe sich für eine poetische Adaptation grundsätzlich besser eigneten als das Neue Testament, denn dieses strahle durch sein eigenes Licht genug, die historischen Vorgänge im Alten Testament aber zeichneten sich durch ihren Reichtum an figurativen bzw. allegorischen Elementen aus, und bereits die Propheten hätten gedichtet. Am 1. August 1550 bedankte sich Gwalther zu Beginn eines Briefes an Vadian für dessen positives Urteil über den Nabal.

Eine Aufführung von Gwalthers Stück in seiner originalen Gestalt ist für Zürich am 27. September 1570 belegt (anlässlich der Einweihung des neuen Schulgebäudes der Grossmünsterschule); in Strassburg scheint das Stück 1562 und 1582 aufgeführt worden zu sein und man kann auch von Inszenierungen in Prag und Dänemark ausgehen. 1559 erschien eine freie volkstümliche deutsche (und gegenüber der Vorlage deutlich erweiterte) Bearbeitung in Knittelversen durch den Schaffhausener Humanisten Sebastian Grübel (1529-1595) und kam in Schaffhausen auch zur Aufführung. Weitere Übersetzungen erschienen in Danzig (Heinrich Möller, 1564) und Dresden.

 

Die Personen und die Sprache

Durch die Bibel vorgegeben sind Nabal und seine Frau Abigail; ferner David und seine Begleiter Abisaus und Ioab (Davids Neffe) sowie der Priester Abiathar. Nabal heisst auf Hebräisch so viel wie «Tor, Narr». Vielleicht auch von diesem sprechenden Namen hat sich Gwalther dazu anregen lassen, sich auch bei der Benennung der nicht durch die biblische Vorlage vorgegebenen Personen amüsante Wortspiele zu gestatten, die ein latein- und griechischkundiger Zuschauer/Leser ohne Schwierigkeiten versteht (während das Verständnis des Namens Nabal Hebräischkenntnisse voraussetzt): Gwalthers eigene Ergänzung sind der Parasit Glycologus (der Süsssprechende), der Koch Pyroptes (Feueraufseher), die Hausdiener Philoenus (der Weinliebhaber) und Opsokleptes (der Speisedieb); die Landdiener Georgus (Bauer) und Philoponus (der Mühen Liebende); der Ökonom bzw. Hausverwalter Spudaeus (der Eifrige); die Mägde Pornion (die Hure/das Hürchen) und Eulalia (die Schwatzhafte); Nabals Gäste Philoposius (der gerne Daliegende), Gastrodes (der Bäuchige), Eubulus (der Wohlratende) und Dysigamus (der in zwieträchtiger Ehe Lebende); Davids Offiziere Sphendonites (Schleuderer) und Ocymachus (der Raschkämpfende). Diese Namensgebung unterstreicht die stark typologische Figurengestaltung, die auch in den argumenta einzelner Szenen mehrfach betont wird (wenn es heisst, diese oder jene Person stelle einen bestimmten typus dar oder verhalte sich exemplarisch). Diese Namen illustrieren stets trefflich das Wesen dieser Figuren, wie es sich auch in ihrem Auftreten manifestiert. Die nicht der biblischen Vorlage entstammenden (und alle mehr oder weniger in ihrem Auftreten und schon durch ihren Namen komischen) Personen – Parasit, Gäste und Dienerschaft – sind unverkennbar durch entsprechende Vorbilder der römischen Komödie inspiriert, was für den entsprechend vorgebildeten Zuschauer/Leser einen Wiedererkennungseffekt mit sich bringt. In Nabal selbst sind Anklänge an die besonders durch Plautus bekannte miles gloriosus-Gestalt («der ruhmredige, bramarbasierende Soldat») erkennbar.

Zwei seiner Nebenfiguren übernimmt Gwalther aus bekannten zeitgenössischen Dramen: den Eubulus aus dem Acolastus des Gulielmus Gnapheus, und den Philoponus aus dem Hecastus des Georg Macropedius. Die insgesamt recht grosse Zahl von Akteuren lässt sich wohl als Charakteristikum von Schuldramen auffassen, bei denen möglichst vielen Schülern die Möglichkeit zur Mitwirkung geboten werden sollte.

Die in den Versen gebrauchte Sprache weist gelegentlich archaisierende Merkmale auf (auffällig z. B. heic statt hic oder die Konjunktivform perduit statt perdat), was als bewusste Nachahmung der römischen Komödie aufzufassen ist.

 

Die Gliederung

Der Aufbau der Handlung ist, kurzgefasst, folgender (aufgrund der besonderen Qualität dieses Stücks wird hier neben der Aktgliederung auch in die Einzelszenen aufgeschlüsselt):

Erster Akt

Erste Szene: Glycologus monologisiert und spottet über den reichen Nabal, dessen masslose Eitelkeit und Selbstverliebtheit er schamlos ausnutzt – Nabal tritt auf und klagt über seine tüchtige Frau, die ihn nach ihrem Vorbild formen möchte. – Glycologus schmeichelt ihm – Nabal erzählt ihm, dass er Saul geraten hat, seine dem David versprochene Tochter einem anderen Mann zu geben (er hofft, dass dieses Privileg einem seiner eigenen Verwandten zuteilwerden wird); er lädt Glycologus zum Essen ein; der soll die Vorbereitungen zum Mahl treffen.

Zweite Szene: der Koch und die Haussklave schimpfen über den neuen Gast Glycologus – der tritt auf und erteilt ihnen Anweisungen für das Essen. Er geht, die Diener murren, der Koch läutet die Arbeit ein.

Dritte Szene: David beklagt sich in einem längeren Dialog gegenüber dem Priester Abiathar über das Exil. Der Priester fordert ihn mehrfach auf, Gottvertrauen zu haben.

Vierte Szene: der Heerführer Ioab meldet, dass Davids Soldaten vor Hunger unruhig werden. Es droht eine allgemeine Desertion. Er rät, den nahebei wohnenden Nabal um Hilfe zu bitten, dem sie bereits verschiedene Dienste erwiesen haben. David stimmt zu, auch wenn Nabals Name ihn Übles ahnen lässt. Abiathar rät auch dazu.

Fünfte Szene: der Militärtribun Abisaus kommt hinzu und wird von David damit beauftragt, zu Nabal zu gehen. Abisaus äussert sich skeptisch über die Erfolgsaussichten. Abiathar ermahnt ihn, dass Gott alles zum Guten lenken wird. Abisaus geht. Die anderen kehren ins Lager zurück, um die Lage dort zu beruhigen.

 

Zweiter Akt

Erste Szene: zwei Bauernsklaven Nabals unterhalten sich über sein Fest. Georgus ist neidisch auf die Reichen und hadert mit seinem Los. Philoponus fordert ihn auf geduldig zu sein und auf Gott zu vertrauen. Durch Nachfragen bringt er heraus, dass Georgus sich selbst nicht besser als die Reiche verhalten würde, wenn er nur die Gelegenheit dazu hätte.

Zweite Szene: Nabal tritt mit Glycologus auf; Philoposius und Gastrodes kommen hinzu. Sie plaudern über das gestrige Trinkgelage und seine Folgeerscheinungen.

Dritte Szene: Abisaus, Sphendonites und Ocymachus kommen als Davids Gesandte in Nabals Haus. Sie klagen über das Soldatenleben.

Vierte Szene: Sie bitten Nabal um Hilfe; der beleidigt sie und weist sie rüde ab.

Fünfte Szene: Nabal und seine Gäste. Zu ihnen gesellen sich noch Eubulus (dem die ganze Zecherei ehrlich zuwider ist und der sich lieber vernünftig beschäftigen würde, sowie Dysgamus, der nur kommt, weil ihn seine böse Frau aus dem Haus treibt). Glycologus stellt ihnen die exquisiten neuen Speisen vor, die er hat bereite lassen. Das Mahl beginnt. Eubulus mahnt zur Mässigung; die anderen geniessen einfach.

 

Dritter Akt

Erste Szene: David und seine Gefährten besprechen das Vorgefallene. David beschliesst schweren Herzens eine militärische Strafaktion gegen Nabal.

Zweite Szene: Fortsetzung des Gastmahls bei Nabal. Der will Dysigamus weiter zum Trinken nötigen, obwohl der nicht mehr kann. Eubulus tadelt Nabal und sie streiten; als Gastrodes zur Deeskalation einen kleinen Spaziergang vorschlägt, wird deutlich, dass Nabal sich vor Trunkenheit nicht mehr auf den Beinen halten kann. Nabal denkt kurz beunruhigt an David; Glycologus beruhigt ihn und überredet ihn, ein kleines Nickerchen zu machen.

Dritte Szene: der Bauernsklave Philoponus hat von Davids Entschluss erfahren und kommt, um Nabal zu warnen; er klagt bei sich über das Los von Sklaven, die einem törichten Herren denen müssen.

Vierte Szene: Abigail tritt aus dem Haus und klagt in klugen und angemessenen Worten über ihr Los, mit einem stumpfsinnigen Mann verheiratet zu sein, um dessen Angelegenheiten sie sich nichtsdestoweniger treu kümmert und den sie nie öffentlich kritisiert. Philoponus tritt an sie heran und berichtet, was vorgefallen ist. Sie beginnt sich um die Angelegenheit zu kümmern.

Fünfte Szene: Monolog der Abigail, in dem sie beschliesst, mit Gottes Hilfe David durch Gaben zu besänftigen.

 

Vierter Akt

Erste Szene: David erteilt seinen Gefährten Anweisungen, wie das militärische Vorgehen aussehen soll.

Zweite Szene: Abigail und Philoponus treffen auf David und seine Gefährten. Sie überzeugt David in einer langen Rede, ihre Gaben anzunehmen und keine Rache an ihrem Mann zu üben, da dies seiner unwürdig wäre. David ist dankbar und bewundert sie. Die Gefahr ist gebannt.

Dritte Szene: Abigail erzählt ihrem betrunkenen Mann, was geschehen ist. Durch ihre Dialogführung bewirkt sie, dass er zahlreiche Antworten gibt, mit denen er seine Dummheit offenbart.

Vierte Szene: Dysigamus klagt in einem Monolog über seine schlimme Frau (im Kontrast kann man indirekt erkennen, wie trefflich Abigail ist).

Fünfte Szene: Spudaeus tritt heraus und berichtet Dysigamus, dass Nabal auf einmal schwer krank ist. Philoponus kommt auch heraus und berichtet von Nabals Tod. Alle drei sind sich einig, dass Trunkenheit ein grosses Übel ist.

 

Fünfter Akt

Erste Szene: David und der Priester Abiathar unterhalten sich über die Bestrafung Nabals durch Gott, die zeigt, dass man die Rache Gott überlassen soll. David teilt Abiathar seinen Entschluss mit, um Abigail zu werben; der Priester gibt ihm Ratschläge, wie er an die Sache herangehen soll.

Zweite Szene: Georgus hat von Philoponus erfahren, dass Nabal gestorben ist, und gibt seiner Freude in der gehässigsten Weise Ausdruck, obwohl Philoponus ihn ermahnt. Glycologus kommt vorbei; er wandert weiter, um sich einen neuen Patron zu suchen. Als er sich weigert, Georgus sein Gepäck zu zeigen, verprügelt ihn der. Philoponus tadelt ihn und zieht ihn zurück. Glycologus beklagt sein Los.

Dritte Szene: Abisaus und Ocymachus kommen zu Nabals Haus. Abisaus erklärt Ocymachus, dass sie als Werber für David kommen. Sie begegnen Spudaeus, der von Abigail den Auftrag erhalten hat, im Hauswesen für Ordnung zu sorgen. Er lässt sie nach kurzem Zögern ins Haus.

Vierte Szene: Die geschwätzige Sklavin Eulalia hat das Gespräch der Boten mit Abigail belauscht und teilt das gleich der mannstollen Pornion mit; die äussert sich böse und neidisch über ihre Herrin.

Fünfte Szene: Abisaus und Abigail gehen vors Haus, um sich auf den Weg zu David zu machen. Abisaus legt Abigail mit Verweis auf grosse Frauengestalten dar, dass sie richtig handelt. Er berichtet ihr von der göttlichen Hilfe, die David bereits vor Saul erhalten hat. Der ungeduldig gewordene David kommt ihnen selbst entgegen. Er empfängt seine Braut. Das Stück endet vor Beginn der Zeremonien, die nun folgen werden.

Die dramatische Klimax des Stücks liegt in der ersten Szene des vierten Akts (4,1), die Peripetie erfolgt in folgenden Szene (4,2); dies entspricht der Struktur der Stücke des Terenz.

 

Bibliographie

Best, T. W., Rezension zu: Giovanoli (1980), The German Quarterly 54 (1981), 502-504.

Caluori, R., «Rudolf Gwalther», Theaterlexikon der Schweiz, Bd. 1, 775, Onlineversion, http://tls.theaterwissenschaft.ch/wiki/Rudolf_Gwalther.

Giovanoli, S., Form und Funktion des Schuldramas im 16. Jahrhundert, Bonn, Herbert Grundmann, 1980.

Price, D., «Gender and Class in Early German Matrimonial Drama. An Interpretation of Paul Rebhun’s Die Hochzeit zu Cana and Rudolf Gwalthers Nabal», in: Words and Deeds, German Studies in Honor of Wolfgang M. Michael, New York u. a., Peter Lang, 1992.

Witkowska, M., Das neulateinische Schuldrama «Nabal» von Rudolf Gwalther und seine deutschen Fassungen, Bern/Frankfurt a. M., Peter Lang, 1987.