Zwei Briefe: An Bernhardin Bentz (gegen die Wiedertäufer) und an Heinrich Bullinger (über den Papst als Antichristen)

Joachim Vadian

Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt/Kevin Bovier). Version: 10.02.2023.


Entstehungszeitraum: der Brief an Bentz wurde 1530 geschrieben (vor dem 9. November), der an Bullinger am 18. April 1536.

Handschriften (Autographen):

  • Brief an Bentz: KBSG, VadSlg Ms 50, hier fol. 31 ro; 40 ro; 56 vo; 57 ro-58 ro (Ausschnitte aus dem Brief an Bentz; der gesamte Brief umfasst fol. 31-60),
  • Brief an Bullinger: Staatsarchiv Zürich, E. II, 338.1375 ro-vo (digitalisiert hier: https://www.bullinger-digital.ch/letter/10839).

Ausgaben: der Brief an Bentz ist ediert in Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Zweiter Band. Ostschweiz, hg. von H. Fast, Zürich, Theologischer Verlag Zürich, 1973, 440-450 [Nr. 542; Ausschnitte; hier: S. 440; 442-443; 446; 447]; der an Bullinger findet sich in: Vadianische Briefsammlung, Bd. 5 (1531-1540), hg. von E. Arbenz/H. Wartmann, St. Gallen, Fehrʼsche Buchhandlung, 1903, 324-325, Nr. 887.

 

Im Folgenden bieten wir aus Vadians Korrespondenz zwei Briefe – den ersten in Ausschnitten, den zweiten, kürzeren, vollständig –, die von Vadians Auseinandersetzung mit zwei sehr unterschiedlichen religiösen Feindparteien zeugen. Im ersten (unvollendeten) Brief an den Pfarrer Bernhardin Bentz in Marbach nimmt Vadian ausführlich die Wiedertäufer in den Blick, die ursprünglich aus der Zürcher Reformation heraus entstanden waren, mittlerweile aber als gefährliche Schwarmgeister angesehen wurden. Seinen Namen (auch: Täufer oder Anabaptisten) erhielt dieser radikale Zweig der Reformation aufgrund seiner Ablehnung der Kindertaufe und seine Praxis der Erwachsenentaufe, die unter den damaligen Umständen eine erneute Taufe der bereits als Säuglinge getauften Mitglieder der Bewegung nach sich zog. Das Täufertum ist wesentlich durch einen radikalen reformatorischen Impetus und einen dezidierten Antiklerikalismus bestimmt, wobei auf ihn auch Elemente spätmittelalterlicher Frömmigkeitsbewegungen und des Humanismus einwirkten. Auch die sozialen Unruhen, die im Bauernkrieg von 1525 kulminierten, trugen zu seiner Attraktivität bei, bot es doch jenen eine Alternative, die sich in ihrer Sehnsucht nach radikalen Reformen von Luther oder Zwingli enttäuscht sahen.

Als Gründungsakt des schweizerischen Täufertums ist die Wiedertaufe einiger ehemaliger Freunde und Anhänger Zwinglis in Zürich am 21. Januar 1525 anzusehen. Dieses Zürcher Täufertum verbreitete sich in diversen anderen Gebieten (Ostschweiz, Graubünden, Süddeutschland, Bern, Elsass), wobei es teilweise mit verwandten Bewegungen verschmolz. Innerhalb der Schweizer Täufer spielte ab 1527 die Gruppe der «Schweizer Brüder» eine wichtige Rolle, die sich durch die «Schleitheimer Artikel» konstituierte. Sie vertraten ein entschieden dualistisches Weltbild, äusserten radikale Kritik an den bestehenden sozialen, politischen und religiösen Verhältnissen und zogen sich bewusst aus dem gesellschaftlichen Leben zurück (unter anderem verweigerten sie den Eid und den Kriegsdienst).

Spätestens seit dem Reichstag von Speyer 1529 und dessen Wiedertäufermandat wurden die Täufer sowohl in den katholischen als auch in den protestantischen Territorien verfolgt. Gerade in Zürich wurde ihnen schon vorher mit Repressionen begegnet. Auch in St. Gallen hatte man ab etwa 1524 mit der Täuferproblematik zu kämpfen. Vadian war davon nicht nur amtlich, sondern auch privat betroffen, da einer der prominentesten Mitglieder der Täuferbewegung, Konrad Grebel, sein Schwager war. Vadians Verhältnis zur Täuferbewegung machte eine Entwicklung durch; hatte er 1525 die (von den Täufern praktizierte) Glaubenstaufe noch als legitim empfunden, so liess er sich 1525 von Briefen Zwinglis umstimmen.

Mit Rückendeckung durch Zwingli setzte sich Vadian gegen die Täufer ein; zu Pfingsten 1525 beteiligte er sich an seiner theologischen Disputation, in deren Folge den Täufern ihre Tauf- und Abendmahlspraxis untersagt wurde. Besonders auch unter seinem Einfluss verfolgte die st. gallische Obrigkeit eine energische, aber geduldige Politik gegen die Täufer, deren Bewegung nach einem Höhepunkt ihrer Aktivitäten im Winter 1525/26 aufgrund ihrer überspannten Verhaltensweise deutlich an Kraft verlor. Dies ist als Hintergrund zu unserem Brief mitzudenken. Er zeigt, dass sie «im Appenzellerland und im Rheinland» noch immer einen von Vadian negativ beurteilten Einfluss ausübten. Davon unabhängig lässt sich festhalten, dass auch viele Täufer (unter ihnen auch Mitglieder der Elite), die sich infolge der Haltung der Obrigkeit wieder in die reformierte Kirche von St. Gallen einfügten, in ihren Haltungen vom Täufertum geprägt blieben. Erwähnt sei, dass Vadian noch einmal im Jahr 1532 in St. Gallen an einer theologischen Disputation teilnahm, die das Auftreten des gewesenen Konstanzer Kaplans und Täufers Hans Marquart nötig gemacht hatte; darüber existiert ein ausführlicher, wenn auch unvollendeter Bericht aus Vadians eigener Feder.

Vadians Kritik an den Täufern entpuppt sich auch als das eigentliche Hauptthema des hier als erstes präsentierten Briefes, der im Kontext einer Epidemie («Englischer Schweiss») 1530 entstand. Das Schreiben soll seinem Korrespondenzpartner nachweisen, dass es einem Christen erlaubt ist (ja sogar geboten ist), vor der Seuche zu fliehen, die gerade in Marbach wütet. In diesem Zusammenhang bringt er die Gegenposition, man dürfe nicht vor der Krankheit fliehen, sondern müsse vor Ort ausharren, in Verbindung mit der Täufergemeinde und den von ihm an ihr wahrgenommenen theologischen Irrtümern. Besonders beklagt er in diesem Zusammenhang ihr falsches Verständnis von Ergebung in Gottes Willen und menschlicher Eigenverantwortung, die in Fatalismus und einer irritierenden, übertriebenen Todesverachtung mündet, wie er selbst bei der öffentlichen Hinrichtung eines Täufers gesehen hatte. Dessen idealistische Todesbereitschaft im Dienste einer für Vadian irrigen Sache hat diesen sichtlich beeindruckt und irritiert. Vadian ist sich bei seiner Kritik an den Täufern bewusst, dass zwischen ihren Übertreibungen der Täufer und dem authentischen Christentum, wie er es versteht, durchaus eine innere Nähe besteht (doch gerade die, darf man ergänzen, macht das Wirken der Täufer so gefährlich). Auch mit Hinblick auf andere Aspekte der Täuferlehre macht er deutlich, dass sie in seinen Augen die öffentliche Ordnung gefährdet. Seine Ausführungen sind ein wichtiges Zeugnis intellektueller Kritik an einer christlichen Sekte, deren Überzeugungen von der der Mehrheitsgesellschaft deutlich abwichen und daher als Bedrohung wahrgenommen wurden. Die Schilderung der Hinrichtung des ungenannten Wiedertäufers in St. Gallen für seine Überzeugungen erinnert uns unliebsam und mit Nachdruck daran, dass religiöse Toleranz im Zeitalter des schweizerischen Humanismus sehr eng bemessene Grenzen hatte (das Faktum der Hinrichtung an sich stört Vadian überhaupt nicht). Die moderne Kritik hat herausgestellt, dass Vadian «das Täufertum nur nach dessen Schattenseiten» beurteilte; ein Defizit, das er freilich mit den übrigen Reformatoren geteilt habe.

Der zweite Brief – ein Gratulationsbrief an Heinrich Bullinger von 1536 zu dessen eben erschienenem Kommentar zu mehreren Apostelbriefen – nimmt die alte Papstkirche in den Blick, welche die Reformatoren nun seit schon fast zwanzig Jahren bekämpfen. Vadian hofft, dass Bullingers Kommentar zum zweiten Brief an die Thessaloniker zur Verbreitung der Erkenntnis beitragen wird, dass der Papst der Antichrist ist und damit eine Publikationslücke an qualifizierter Papstkritik füllt – es ist ein interessanter Aspekt des Schreibens, dass Vadian Luthers berühmt-berüchtigte vulkanische Ausbrüche gegen das Papsttum offensichtlich als ungeeignetes Mittel ansieht. Eine Nebenüberlegung gilt einem vermuteten Zerwürfnis zwischen Papst Paul III. und Kaiser Karl V., das letzteren vielleicht auf die protestantische Seite ziehen könnte; hier wird deutlich, wie trügerisch Mutmassungen selbst über die unmittelbare Zukunft sein können. Im Übrigen zeugt dieser Brief vom respektvollen Umgang zwischen zwei Gelehrten – und vielleicht von einem gewissen Hang Vadians zum Selbstlob, da er sich zumindest als Motivator einen Anteil an Bullingers Leistung zuschreiben möchte.

Ein Textbeispiel für Bullingers publizistische Tätigkeit im Sinne der Reformation und gegen den Katholizismus bieten wir an anderer Stelle: Ausschnitte aus seiner Predigtsammlung Sermonum Decades.

 

Bibliographie

Für Quellentexte über das schweizerische Täufertum verweisen wir auf das vierbändige Editionsprojekt Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz: Bd. 1 (Zürich), hg. von L. v. Muralt/W. Schmid, Zürich, Hirzel, 1952; Bd. 2 (Ostschweiz), hg. von H. Fast, Zürich, Theologischer Verlag Zürich, 1973; Bd. 3 (Aargau, Bern, Solothurn), hg. von M. Haas, Zürich, Theologischer Verlag Zürich, 2008; Bd. 4 (Drei Täufergespräche), Zürich, Theologischer Verlag Zürich, 1974.

Bonorand, C., «Joachim Vadian und die Täufer», Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 11 (1953), 43-72.

Bonorand, C., «Eine unbekannte Schrift Vadians gegen die Täufer», Theologische Zeitschrift 8 (1952), 315-317.

Fast, H., «Die Sonderstellung der Täufer in St. Gallen und Appenzell», Zwingliana 11 (1960), 223-240.

Fast, H., «Konrad Grebel. Das Testament am Kreuz», in: H.-J. Goertz (Hg.), Radikale Reformatoren. 21 biographische Skizzen von Thomas Müntzer bis Paracelsus, München, C. H. Beck, 1978, 103-114.

Goertz, H.-J., Die Täufer. Geschichte und Deutung, München, C. H. Beck, 21988.

Jecker, H., «Täufer», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 14.08.2012, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011421/2012-08-14/.

Näf, W., Vadian und seine Stadt Gallen, Zweiter Band: 1518 bis 1551. Bürgermeister und Reformator, St. Gallen, Fehr’sche Buchhandlung, 1957.