Das Martyrium der Heiligen Felix, Regula und Exuperantius
Heinrich Glarean
Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt). Version: 30.07.2023.
Entstehungszeitraum: Ende 1518 bis Mai 1519 (in Paris).
Ausgabe: Historia ecclesiastica, Bd. 8, hg. von J. H. Hottinger, Zürich, 1667, 1061-1077, hier: 1074-1075.
Felix, Regula und Exuperantius sind die drei Schutzpatrone der Stadt Zürich. Die Geschwister Felix und Regula werden zuerst in einer im 8. Jahrhundert von Florencius, einem alemannischen Priester in Zürich, verfassten Passio erwähnt. Sie sollen vor dem Martyrium der Thebäischen Legion, deren durchweg christliche Soldaten von dem Kaiser Maximian für ihre Verweigerung der heidnischen Opfer bestraft wurden, von Saint-Maurice nach Zürich geflohen sein, wo sie das Martyrium durch den christenverfolgenden Statthalter Decius erlitten. Nach ihrer Enthauptung sollen sie ihre Köpfe in die Hand genommen und auf diese Weise noch vierzig Schritte zurückgelegt haben. Sie gehören damit unter den legendären frühchristlichen Märtyrern zur Gruppe der Cephalophoren (Hauptträger). Im 13. Jahrhundert wurde die Gruppe durch den als Diener von Felix und Regula angesehenen Exuperantius zu einem Trio erweitert. Als Dreiergruppe begegnen die Heiligen auch in Glareans Wiedergabe der Legende. Als Grablege der Heiligen Felix und Regula gilt traditionell das Zürcher Grossmünster, als Hinrichtungsstätte die Wasserkirche. Mit dem Kult dieser Heiligen besass Zürich Anschluss an die gesamtschweizerische Verehrung der Märtyrer der Thebäischen Legion, der seit dem 13. Jahrhundert für die damalige Eidgenossenschaft eine identitätsstiftende Bedeutung besass (in vergleichbarer Weise stellte man auch zwischen den Solothurner Stadtheiligen Victor und Urs sowie der heiligen Verena von Zurzach und den als 10'000 Rittern verehrten Legionären Verbindungen her).
Die Reformation setzte der Verehrung der Reliquien der Heiligen Felix und Regula in Zürich ein Ende; als literarisches Sujet blieb ihre Geschichte aber auch danach noch erhalten. Als historische Glaubensvorbilder wurden die Heiligen auch im reformierten Zürich noch bis ins 18. Jahrhundert hin geehrt, als die rationalistische Aufklärungstheologie sich mit ihrer Legende kritisch beschäftigte; gerade in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gewannen die Heiligen wieder sehr grosse Bedeutung für das Selbstverständnis des reformierten Zürich, wobei auch Konkurrenz mit den katholischen Nachbargebieten eine Rolle spielte. Neben den schriftlichen Legendenfassungen waren besonders im zürcherischen Bereich bis ins 16. Jahrhunderte auch zahlreiche bildliche Darstellungen verbreitet, die sinnfällige Ausschnitte der Legende zeigten. Die Häupter von Felix und Regula sollen sich heute in der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul in Andermatt befinden. Ihr Gedenktag ist der 11. September.
Auf mögliche Quellen Glareans sowie sein detailliertes Verhältnis zu verschiedenen Versionen kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden, da dies Gegenstand einer eigenen Untersuchung wäre. Auch wenn hier nicht der gesamte Text der Glareanschen Legendenversion wiedergegeben werden kann, soll im Folgenden eine kurze Übersicht über Inhalt und Struktur des Werkes informieren (die Seitenangaben beziehen sich auf die Edition von Hottinger; eine Gliederung in Kapitel liegt bei diesem Text leider nicht vor).
1061-1063a: Widmungsbrief an Felix Frey, Propst der Kirche von Zürich.
1063b-1066a: Geschichte und Martyrium der Thebäischen Legion.
1066b-1067a: Vorstellung der drei Heiligen (ihre ägyptische Herkunft; Taufe in Rom etc.
1067b-1068a: Wanderung der Heiligen (Rhone; Furka; Uri; Glarus).
1068b-1069a: Die Heiligen kommen nach Zürich.
1069b-1070a: Der Statthalter Decius will die Heiligen gefangen nehmen lassen.
1070b: Die Heiligen stellen sich freiwillig.
1070c-1074a: Verhör durch den Statthalter (inklusive Folter); sie bleiben standhaft.
1074b-1075a: Der Märtyrertod der Heiligen.
1075b-1076a: Fortleben ihres Gedächtnisses und ihres Kultes.
1076a-1077: Die moralische/religiöse Botschaft der Geschichte.
In seinem Geleitschreiben an den Empfänger seiner Legendenversion, Felix Frey (den Propst der Kirche von Zürich), geht Glarean darauf ein, weshalb er eine Beschäftigung mit den drei Märtyrern für sinnvoll hält. Er betont, dass die christlichen Blutzeugen sehr gut als Tugendexempel dienen könnten. Er hebt ihre Geduld und ihren Glauben hervor. Er führt aus, er habe bei seiner Arbeit auf drei Dinge besonderen Wert gelegt. Erstens darauf, mithilfe von Verweisen auf antike Historiker die Geschichte der Märtyrer historisch einzuordnen. Zweitens darauf, die Heiligen als moralisch konform mit den sittlichen Postulaten der christlichen Religion darzustellen. Und drittens habe er entgegen einer verbreiteten Unsitte darauf geachtet, alle Orts- und Personennamen exakt anzugeben; dies sei für ihn ein Dienst an der historischen Wahrheit. Glarean beanspruchte also für seine literarische Behandlung des Legendenstoffes, dass sie auf soliden historischen Studien beruhe. Es ist bemerkenswert, dass der erste Herausgeber dieser Legendenversion, der reformierte Theologe J. H. Hottinger, Glarean bescheinigt, er habe die Geschichte «von später hinzugekommenen Fabeleien gereinigt», und somit Glareans eigenen Anspruch in gewisser Weise bestätigt.
Doch warum nahm Glarean diese Mühe eigentlich auf sich?
Glarean hatte 1518/1519 ganz konkrete Gründe, sich während seines Parisaufenthalts mit dieser Legende zu beschäftigen. Am 25. Oktober 1518 war durch den Tod ihres Inhabers eine der vierundzwanzig Chorherrenstellen am Zürcher Grossmünster freigeworden. Glareans Legendenversion, die er nach ihrer Fertigstellung an Felix Frey in seiner Eigenschaft als Propst der Kirche von Zürich, schickte, war Teil seiner erfolglosen Bewerbung um diese Pfründe (man scheint ihn in Zürich niemals ernsthaft in Betracht gezogen zu haben). Auch Briefe Glareans an Huldrych Zwingli, der seit Anfang des Jahres 1519 als Leutpriester des Grossmünsterstifts wirkte, belegen seinen Ehrgeiz, die Chorherrenstelle zu erlangen. Ihm teilte er am 15. Mai die Fertigstellung seiner Legendenversion mit. Ihn erwähnt er auch lobend in dem Begleitschreiben, mit dem er das fertige Werk an Felix Frey schickte, als «höchstgebildeten Mann und hervorragenden Theologen».
Glarean erinnert in einer der hier aufgenommenen Passagen seiner Legendenversion daran, dass der Pariser Heilige Dionysius wie Felix und Regula ebenfalls nach seiner Enthauptung mit seinem Kopf unter dem Arm noch eine grössere Strecke zurückgelegt haben soll; man wird dies als eine seinem Parisaufenthalt zur Abfassungszeit geschuldete Reminiszenz betrachten dürfen. Bemerkenswert ist, wie Glarean sich der Frage, welchen Martern die Heiligen ausgesetzt waren, mit den Methoden historischer Kritik annimmt. Rädern schliesst er aus, da es bei den Römern nicht üblich gewesen sei. So stellt der gelehrte Humanist Glarean seine altertumswissenschaftlichen Kenntnisse gleichsam in den Dienst der heiligen Zürcher Patrone, deren Legende er nacherzählt – und in den Dienst seiner Bewerbung um eine vakante Chorherrenstelle.
Bibliographie
Chicoteau, M., The Journey to Martyrdom of Saints Felix and Regula, circa 300 A.D.: A Study of Sources and Significance, Brisbane, Ferguson, 1984.
Etter, H. F. (Hg.), Die Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula Legenden, Reliquien, Geschichte und ihre Botschaft im Licht moderner Forschung, Zürich, Hochbauamt der Stadt Zürich/Büro für Archäologie, 1988.
Fritzsche, O. F., Glarean. Sein Leben und seine Schriften, Frauenfeld, Huber, 1890.
Hébert, M., «Les martyrs céphalophores Euchaire, Elophe et Libaire», Revue de l’Université de Bruxelles 19 (1914), 301-326.
Maissen, Th., «Die Stadtpatrone Felix und Regula. Das Fortleben einer Thebäerlegende im reformierten Zürich», in: D. R. Bauer/K. Herbers/G. Signori (Hgg.), Patriotische Heilige. Beiträge zur Konstruktion religiöser und politischer Identitäten in der Vormoderne, Stuttgart, Steiner, 2007, 211-227.
Ramer, C., Felix, Regula und Exuperantius: Ikonographie der Stifts- und Stadtheiligen Zürichs, Zürich, Leemann, 1973.
Stadler, H., «Felix und Regula», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 15.12.2008, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010200/2008-12-15/.
Zangger, A., «Thebäische Legion», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 20.03.2015, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010228/2015-03-20/.
Vgl. z. B. Stadler (2008).
Begriff geprägt von Hébert (1914).
Vgl. z. B. Stadler (2008).
Zu dieser hier skizzierten Entwicklung s. umfassender Maissen (2007); zur Rolle der Aufklärungstheologie: 222-223; zur «Renaissance» der Heiligen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts: 216-220; speziell zur Konkurrenz mit den Katholiken: 217.
Eine gute Übersicht über die Ikonographie mit Bildbeispielen bietet Ramer (1973). Zu den verschiedenen Darstellungstypen s. ebd., 6-8. Zum reformationsbedingten bildlichen Traditionsabbruch (mit Ausnahmen wie der Darstellung der Heiligen auf dem Zürcher Stadtsiegel) vgl. ebd., 8.
Zur Legende s. die einschlägigen Passagen bei Etter (1988); Stadler (2008). Zumindest erwähnt sei hier aber die stark verbreitete Version der 1508 bis 1516 entstandenen Schweizer Chronik von Heinrich Brennwald; diese ist nachzulesen in: R. Luginbühl (Hg.), Heinrich Brennwalds Schweizerchronik, Bd. 1, Basel, Basler Buch- und Antiquariatshandlung, 1908, 74-81. Zu Brennwald und seiner Chronik s. B. Wiggenhauser, «Brennwald, Heinrich», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 15.11.2005, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/018691/2005-11-15/. Eine umfassende Übersicht über schriftliche Fassungen der Legende (vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit) bei Chicoteau (1984), 5-6.
Historia ecclesiastica, Bd. 8, 1062. Und wirklich zitiert er zum Beispiel Beginn der Legende (ebd., 1064) die Historiker Eusebius und Eutrop.
Historia ecclesiastica, Bd. 8, 1061: ab adnatis fabulis emuscavit (er hat sie von den hinzugewachsenen Fabeln gereinigt).