Eidyllia melica und Oden/Hymnen

Franz Guillimann

Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt/Kevin Bovier). Version: 10.02.2023.


Entstehungszeitraum: beide Werke werden nicht lange vor ihrem Erscheinen entstanden sein; die Eidyllia melica erschienen 1588, die Oden und Hymnen 1595.

Ausgaben: Eidyllia melica syncharistika virtute atque eruditione Dominis conspicuis Candidatis: cum ante d. V. Cal. Jul. in Acad. Diling. suprema in Philos. laurea condecorarentur honoris ergo inscripta, dicta, acclamata, Dillingen, Johannes Mayer, 1588, 9-10, 28, 30; Francisci Guillimanni odarum, sive hymnorum natalitiorum libri duo, Pruntrut, Johannes Faber, 1595, hier: S. 11-13.

Metren: drei alkäische Elfsilbler, gefolgt von einem Glykoneus (Ad egregium...M. Ioannem Lantz); daktylischer Hexameter (In diem inaugurationis); elegische Distichen (In Academiam); sapphische Zeile, iambischer Dimeter, phaläkischer Vers (Ode An die Hirten der Weihnacht).

 

Guillimanns Leben

Die hier präsentierten Eidyllia melica und Oden sind das Werk eines der frühesten schweizerischen Jesuitenschülers und lassen daher erkennen, welche Früchte die Unterrichtstätigkeit dieses Ordens trug. Der gebürtige Freiburger Franz Guillimann (* ca. 1568) war 1582-1584 einer der ersten Schüler des neugegründeten Kollegiums St. Michael. Auch seine weiteren Ausbildungsjahre verbrachte er an Lehranstalten, die im Sinne der katholischen Reform wirkten: 1584-1587 besuchte er das Collegium Helveticum in Mailand (das «Priesterseminar für die kath. Eidgenossenschaft, Graubünden, das Wallis und deren Untertanengebiete»), für das ihn der in Freiburg residierende Generalvikar des Bistums Lausanne, Peter Schneuwly, schon im Vorjahr an den Mailänder Erzbischof, Kardinal Karl Borromäus (Carlo Borromeo), empfohlen hatte. 1587-1589 studierte Guillimann Rhetorik und Philosophie an der von den Jesuiten geleitete Universität Dillingen. Diese verliess er noch vor der Erlangung eines akademischen Grades, vermutlich weil er diesen an der Sorbonne zu erlangen plante; der geplante Studienaufenthalt in Paris, den der Rat von Freiburg zu unterstützen bereit gewesen wäre, scheiterte jedoch an den damaligen unsicheren Verhältnissen in Frankreich. 1590-1595 wirkte Guillimann zunächst als Lehrer und sodann als Rektor der Lateinschule in Solothurn. Er übte diese Aufgabe, was die eigentliche Unterrichtstätigkeit anging, zur Zufriedenheit der Stadtväter aus; kleinere Unstimmigkeiten ergaben sich daraus, dass er seine Verpflichtungen vernachlässigte, bei bestimmten Anlässen (etwa in der Kirche oder bei Prozessionen) einen Chorrock zu tragen und die Gesangsübungen der Chorknaben zu veranstalten. 1591 heiratete er Agnes Wiel †1610) aus Freiburg im Breisgau und erhielt 1592 auf seinen Antrag hin das Solothurner Bürgerrecht. In diesen Zeitraum fallen auch einige kleinere poetische Veröffentlichungen. Politische Gründe führten 1594 zu ersten Unstimmigkeiten mit dem Rat und 1595 zu Guillimanns Entlassung und Ausweisung: Er hatte hinsichtlich der innenpolitischen Konflikte in Frankreich Neigungen zum spanischen König Philipp II., dem französischen Adelsgeschlecht der Guise und der von diesem dominierten katholischen Liga erkennen lassen, während die Solothurner Regierung den (mittlerweile zum Katholizismus konvertierten) französischen König Heinrich IV. favorisierte. Ausschlaggebend für Guillimanns Ausweisung war es schliesslich, dass er Heinrich IV. öffentlich für die Massnahmen kritisierte, die dieser gegen den Jesuitenorden veranstaltete, nachdem ein ehemaliger Jesuitenschüler ein Attentat auf ihn verübt hatte. Guillimann, selbst Jesuitenzögling, wurde also gewissermassen Opfer seiner Solidarität mit seinen früheren Lehrern. 1595-1605 arbeitete er in Luzern als Sekretär des spanischen Botschafters Alfonso Casati. Kurz vor oder kurz nach zu Beginn dieser Tätigkeit erschienen die auf diesem Portal von uns präsentierten Oden, die er dem Botschafter widmete. Seine Stellung als Sekretär und Begleiter eines Diplomaten ermöglichte ihm Begegnungen mit interessanten Persönlichkeiten, und sie führte ihn auf Reisen, die er auch zu Studienzwecken nutzte. In diesem Zeitraum publizierte er in seiner Heimatstadt Freiburg 1598 seine erste historiographische Arbeit, die auf sorgfältiger Quellenarbeit beruhenden De rebus Helvetiorum sive antiquitatum Libri V über die Schweizer Geschichte bis 1315. Dieses Geschichtswerk verfasste er in bewusster Konkurrenz zur reformierten Geschichtsbetrachtung der Historiker Josias Simler und Johannes Stumpf. Ausserdem war Guillimann auch in dieser Periode noch poetisch produktiv.

Da das Werk über die Schweizergeschichte nicht die von Guillimann erhoffte Aufnahme fand, widmete er sich anschliessend der Geschichte der Habsburger. 1605 erschien in Mailand seine Habsburgiaca sive de antiqua et vera origine domus Austriae; im gleichen Jahr zog er in das damals vorderösterreichische Freiburg im Breisgau. Kaiser Rudolf II. setzte ihm eine jährliche Pension von 200 Gulden aus und machte ihn 1606 zum Professor für Geschichte an der dortigen Universität. Guillimann war der erste Lehrstuhlinhaber in Freiburg i. Br., der nur für dieses Fach zuständig war. Aus seiner nicht ausschliesslich, aber in besonderem Masse auf die Habsburger konzentrierten Forschungstätigkeit in jener Zeit heben wir nur hervor, dass er in einem Brief vom 27. März an Melchior Goldast den schweizerischen Nationalhelden Wilhelm Tell als eine legendäre Erfindung bezeichnete. Bei seinen Studien und deren Veröffentlichung wurde Guillimann von der höchst mangelhaften materiellen und finanziellen Unterstützung durch die zuständigen Stellen empfindlich behindert und konnte nur einige kleinere Arbeiten publizieren. 1611 heiratete Guillimann ein zweites Mal (der Name dieser Frau ist nicht bekannt). In seiner letzten Lebenszeit beschäftigten ihn Pläne zur Gründung einer Druckerei, die er wohl auch tatsächlich einrichtete. Am 14. Oktober 1612 verstarb er in Freiburg i. Br. als kranker, überarbeiteter und verschuldeter Mann. Das Schicksal seiner Hinterbliebenen muss man als traurig bezeichnen. Der Versuch, einen Teil seiner hinterlassenen Manuskripte zu veröffentlichen, scheiterte vor allem am Tode des damit beauftragten Gelehrten im Jahr 1620 und den Zeitumständen im beginnenden dreissigjährigen Krieg.

 

Guillimann als Dichter

Auf Guillimanns teils sehr umfangreichen historischen Werke, die sich durch einen sorgfältigen lateinischen Stil auszeichneten, können wir hier nicht weiter eingehen. Hier interessieren uns nur seine Gedichte. Seine erste poetische Publikation waren die während seiner Dillinger Universitätszeit veröffentlichten Eidyllia Melica. Das (die ausserhalb der Seitenzählung stehende Titelei abgerechnet) dreissig Seiten umfassende Bändchen umfasst hauptsächlich sechzehn Oden (S. 1-27): die erste preist die Philosophie, die restlichen fünfzehn die vierzehn Studienkollegen Guillimanns, die 1588 den Titel eines Baccalaureus erhielten (einer von ihnen wird zweier Gedichte gewürdigt). Wir bieten als Beispiel eine der kürzeren Oden, die fünfte an Johannes Lantz aus Nonnenbach. Den Abschluss des Bändchens (S. 28-30) bilden einige Epigramme verschiedenen Inhalts. Zwei davon nehmen wir hier ebenfalls auf als Beispiel für die Schüler- bzw. Studentendichtung, die im Umkreis jesuitischer Bildungseinrichtungen entstand. Das nötige Rüstzeug für seine poetische Produktion – wie für seine literarische Tätigkeit insgesamt – hatte der Schweizer Jesuitenschüler Guillimann zumindest teilweise auch in seiner Heimatstadt Freiburg im Üchtland erworben.

Da diese rhetorisch schwungvollen und mythologisch überladenen poetischen Produkte des zwanzigjährigen Guillimann in vielem noch einen recht schülerhaften Eindruck machen, gehen wir auf sie nicht detailliert ein. Stattdessen wollen wir auch noch eines seiner reiferen Werke zu seinem Recht kommen lassen. Wir präsentieren daher auch eine der Oden, die Guillimann wohl zum grössten Teil – wie oben bereits erwähnt – noch während seiner Solothurner Zeit verfasste (bis März 1595) und im späteren Verlauf des Jahres in Pruntrut (dem Residenzort der Basler Fürstbischöfe) erscheinen liess (Odarum, sive hymnorum natalitiorum libri duo), als er selbst entweder schon in Luzern als Sekretär des königlich-spanischen Gesandten tätig war oder zumindest kurz vor Antritt dieser Stelle stand. Wir gehen dabei zunächst auf die Sammlung als Ganzes ein und wenden uns dann exemplarisch der Ode 1,3 zu.

 

Aufbau und Inhalt der Sammlung

Die Odensammlung lässt eine Orientierung am liturgischen Jahr erkennen, konkret am Weihnachtsfestkreis vom 25. Dezember bis Mariä Lichtmess (2. Februar). Auf ein Widmungsgedicht an den königlich-spanischen Gesandten Alfonso Casati – in dieser Widmung manifestiert sich Guillimanns Dankbarkeit gegenüber seinem neuen Dienstherren– folgt die erste Ode, ein Einleitungsgedicht Ad Chelyn (der Dichter spricht zu seiner Leier). Die Oden 1,2-10 lassen sich chronologisch den Festtagen vom 25. Dezember (Weihnachten) bis 31. Dezember (St. Silvester) zuordnen (zum Beispiel St. Stefan am 26. Dezember oder der heilige Thomas von Canterbury am 29. Dezember). Das zweite Odenbuch setzt mit dem Fest der Beschneidung Jesu (1. Januar ein); die folgenden neun Oden sind neben dem Fest der Epiphanie (Dreikönig; 6. Januar) Heiligenfesten des Monats Januar gewidmet (darunter auch ein besonders für die Schweiz bedeutsamer Heilige: der heilige Meinrad von Einsiedeln). Ode 2,11 ist dann dem Fest Mariä Lichtmess gewidmet, mit dem im traditionellen liturgischen Kalender der Weihnachtsfestkreis endet. Den Abschluss bilden je eine Ode an den Stammvater bzw. die Stammmutter der Menschheit (Adam und Eva) und an die drei theologischen bzw. christlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe (Oden 2,12-16).

 

Aufbau und Inhalt der Ode 1,3 (Ad Pastores)

Die Ode «An die Hirten» besteht aus 18 Strophen zu je drei Versen. Sie setzt ein mit einer Anrede der Hirten, die ehrenvoll als Relikte des vergangenen Goldenen Zeitalters charakterisiert werden (V.1-3). Diese Identifikation wird im Folgenden gedanklich entfaltet; das Goldene Zeitalter wird unter Aufbietung einiger aus der antiken Dichtung entnommenen bzw. an sie angelehnten Topoi näher geschildert als eine Zeit, in der noch Treu und Redlichkeit auf der Erde herrschten und die Erde den Menschen Nahrung spendete, ohne dass Bemühungen ihrerseits erforderlich waren (V. 4-15). Dann kommt der Dichter auf die Botschaft der Engels (nuntius) an die Hirten zu sprechen (V. 16-20). Noch vor Erreichen des Endes der siebenten Strophe leitet er über zu einem Lobpreis der Weihnacht (V. 20: O NOX), die mehrfach direkt angesprochen wird; sie ist eine Nacht, die vom Licht beherrscht wird (V. 20-24) und eine Nacht, deren Lob niemand hinreichend zu rühmen vermag (V. 25-30). Dann wird in Form einer indirekten Frage ausgeführt, was diese Nacht eigentlich so besonders macht: sie schenkt der Welt den von den Propheten verheissenen Gottessohn (V. 31-33; 33: Summi Progeniem parentis offers?). Die beiden folgenden Strophen erläutern, worin dessen Bedeutung besteht (V. 34-39): Er eröffnet den Menschen den Zugang zu den Chören der Himmlischen und erneuert das Antlitz aller Dinge. In einer gedanklichen Kreisbewegung kehrt der Dichter zum Lob der Nacht zurück (V. 40-42). Dann spricht er, wie zu Beginn, die Hirten an und fordert sie auf, sich rasch zum göttlichen Kind und zu seiner Mutter aufzumachen (V. 43-47). Dieses Kind ist wie die Angesprochenen ein Hirte, der oberste Hirte (V. 48-49) – ein Gedanke, der durch das Enjambement zwischen V. 48 und 49 noch besonders betont wird. Es wird die heiliggemäss lebenden Menschen in den Himmel führen (V. 49-51), dessen Beschreibung in ihrer Bildsprache an die Worte über das Goldene Zeitalter zu Beginn des Gedichts anknüpft und an antike Vorstellungen über die Götterwelt gemahnt (V. 50-51: Nektar und Ambrosia); der Ruhm des Knaben und auch der Ruhm der Hirten der Weihnacht wird nie vergehen (V. 52-54).

Indem Guillimanns Gedicht von Hirten handelt, weist es Einflüsse der Bukolik auf, was für solche Weihnachtsgedichte nicht unüblich ist. Wie in den liturgischen Texten des Weihnachtsfestes, so spielt auch in dieser Ode Lichtmetaphorik eine grosse Rolle (V. 21-24). Berücksichtigung findet in metaphorischer Weise auch der aus den Kirchenvätern vertraute Gedanke des admirabile (oder: sacrum) commercium, dem sich in der Weihnacht ereignenden wunderbaren Austauschs zwischen göttlicher und menschlicher Natur, indem der Gottessohn Mensch wird und so umgekehrt den Menschen ermöglicht, Anteil am göttlichen Leben zu erlangen; in unserem Gedicht wird der Gedanke so formuliert: Der Sohn des höchsten Vaters vertauscht die Erde mit dem Himmel und gibt den Menschen die Möglichkeit, in den Himmel zu gelangen (V. 34-36). Dagegen verzichtet Guillimann auf eine ausführlich ausgemalte Krippenszenerie, die sich ja inhaltlich angeboten hätte.

 

Weitere poetische Werke Guillimanns

Direkt auf das poetische Erstlingswerk der Eidylla melica folgten noch vor den Oden drei Gelegenheitsgedichte: ein Gamelium musicum anlässlich einer Hochzeit, ein Genethliacum Syncharisticum anlässlich der Geburt des Sohnes eines Freundes, eine Monodia anlässlich eines Todesfalls und ein Gratulationsgedicht an den päpstlichen Legaten Ottavio Paravicini anlässlich seiner Kardinalserhebung. Nach den Oden veröffentlichte Guillimann noch ein Preisgedicht auf Erzherzog Albrecht von Österreich, eine Sammlung von Lobliedern auf die Apostel «im pindarischen Stil und mit pindarischen Metren». Ausserdem erschienen von Guillimann eine kleine Sammlung von Elegien und – vermutlich erst posthum – ein kleines Gedicht, das mit den Begriffen aliquid (etwas) und nihil (nichts) ein Wortspiel aufführt. Ungedruckt blieben vier lateinische Strophen auf Erzherzog Albrecht, ein Geburtstagsgedicht für Pater Christopher Hartmann, Bibliothekar des Klosters Einsiedeln, und ein weiteres Gedicht zu dessen Namenstag. Verloren sind zwei weitere Werke namens Martyrica und Pindarica Poësis.

Die lateinischen Gedichte Franz Guillimanns haben bislang nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen gebührt; eine moderne Edition erscheint als dringendes Desiderat.

 

Bibliographie

Feller, R., Bonjour, E., «Franz Guillimann ca. 1568-1612», in: Dies., Geschichtsschreibung der Schweiz: vom Spätmittelalter zur Neuzeit, Bd. 1, Basel, Helbing und Lichtenhahn, 21979, 292-295.

Kälin, J., «Franz Guillimann. Ein Freiburger Historiker von der Wende des XVI. Jahrhunderts», Freiburger Geschichtsblätter 11 (1905), 1-223.

Rolle, M.: «Guillimann, Franz», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 23.11.2005, übersetzt aus dem Französischen. Onlineversion, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/018692/2005-11-23/.

Vasella, O. «Guillimann, Franz», Neue Deutsche Biographie 7 (1966), 299-300, Onlineversion, https://www.deutsche-biographie.de/pnd128480009.html#ndbcontent.

Wyß, G. v., «Guillimann, Franz», Allgemeine Deutsche Biographie 10 (1879), 107-111, Onlineversion, https://www.deutsche-biographie.de/pnd128480009.html#adbcontent.