Über die Vorsehung

Johannes Fabricius Montanus

Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt/Kevin Bovier). Version: 10.02.2023.


Entstehungszeitraum: Die zeitgeschichtlichen Exkurse zu Ereignissen der Jahre 1560-61 (vgl. Text 1) markieren den terminus post quem, der Erscheinungstermin im Jahre 1563 den terminus ante quem.

Ausgabe: De providentia divina liber, a Ioanne Fabricio Montano cive Tigurino Curiae Rhaetorum conscriptus, [Zürich], [s.n.], 1563, fol. 3vo-5ro, 40ro-42vo, 73ro-74vo.

 

1563 veröffentlichte Montanus (unzweifelhaft in Zürich) einen De Providentia divina liber, einen 75 Folios umfassenden Dialog zwischen «Theocritus» (Montanus selbst) und «Polycarpus» (Johann Pontisella). Ihm vorangestellt ist ein als Vorwort dienender Brief des Montanus aus Chur an seinen Schwiegervater Rudolf Ambühl. Darin gibt Montanus zum einen indirekt zu erkennen, dass er sich in Graubünden, fernab der Zentren geistigen Lebens, nicht wohlfühlt. Zum anderen erklärt er, warum er, auch wenn er kein grosser Theologe sei, es gewagt habe, sich mit dem Thema der Vorsehung zu beschäftigen (fol. 2Aro). Sein Werk habe er nicht für hundertprozentige Theologen (absoluti theologi) geschrieben, sondern für Menschen, die Schlichtheit und Klarheit schätzen, sowie zur Erbauung politisch tätiger Menschen, die immerzu dem blinden Geschick ausgesetzt seien (fol. 2Avo). Ausführlich begründet er, warum er sein Werk dem Collinus widmet, dem er bei dieser Gelegenheit reichlich Lob spendet; ausserdem habe er beim Verfassen auch andere (teils namentlich genannte) Verwandte im Sinn gehabt, und auch die künftigen Nachkommen der Familie, die er dadurch anstacheln wolle, vergleichbare Arbeiten auf sich zu nehmen (fol. A2vo-A3ro).

Darauf folgt der Abdruck eines kürzeren, gleichfalls in Chur verfassten Briefes aus der Feder des bedeutenden Graubündner Reformators Philipp Gallitius (fol. A2vo-A3vo), in dem dieser dem Verfasser Montanus als einem hochgeschätzten Kollegen zu seiner hier vorgelegten Leistung gratuliert.

Die Szenerie des folgenden Dialogs ist ein gemeinsamer Spaziergang der beiden Gesprächspartner ausserhalb der Stadtmauer (als Ort darf man wohl Chur, die damalige Wirkungsstätte des Fabricius Montanus, annehmen). Bevor der Dialog zu seinem eigentlichen Thema kommt, findet ein Austausch über das politisch-religiöse Zeitgeschehen statt. Montanus beschäftigte sich damals sehr mit dem 1562 in Trient zu seiner dritten Sitzung zusammengetretenen katholische Reformkonzil, gegen das er eine Schrift verfasste: eine Rede, dass kein wahrer Christ an dieser Versammlung teilnehmen dürfe (Basel, Oporin, 1562). Wenig überraschend, findet es auch in diesem Dialog Erwähnung. Wir präsentieren die Passage, in der Theocritus seinem Gesprächspartner triumphierend berichtet, wie die englische Königin eine Einladung zum Tridentinischen Konzil spöttisch ausgeschlagen hatte (Text 1); zuvor hatte er Vergleichbares auch schon von deutschen Fürsten berichtet. Neben England werden in Text 1 auch die Verhältnisse in Schottland betrachtet. Auf diese von uns präsentierten Textstellen folgt im Dialog noch ein Austausch über die Zustände in Polen und Frankreich.

Die vielgestaltige Argumentation des inhaltlichen Hauptteils des Dialogs entzieht sich einer einfachen Zusammenfassung, und es kann hier zudem nur ein geringer Teil des Texts präsentiert werden. Der Hauptgedanke des Dialogs ist jedenfalls, dass alles, selbst Unglücke und Katastrophen jeder Art, am Ende dem Guten dient, und dass alles von der göttlichen Vorsehung bestimmt wird. Was die hier nicht vertretenen Textpartien angeht, so sei hervorgehoben, dass Polycarpus (=Pontisella) an fünf Stellen jeweils Passagen aus einem Hexametergedicht über das Schöpfungswerk Gottes zitiert (Hexaemeron). Auch wenn sich in der Fiktion des Dialogs Polycarpus/Pontisella zu deren Verfasser erklärt, stammen die Verse wohl von Montanus selbst.

In Text 2 wird ein Aspekt dieser Schrift deutlich: ihre starke Ausrichtung an der Heiligen Schrift, die bei einem protestantischen Pastor wie Fabricius Montanus nicht überraschen kann. Es ist sehr schön, zu beobachten, wie er (bzw. seine Theocritus-persona) von der Betrachtung von Bibelstellen zu einem autobiographischen Exkurs über ein Ereignis in seinem eigenen Leben ausholt: Als Knabe war er in einen Brunnen gefallen und hatte diesen Unfall unbeschadet überstanden. Seine Mutter hatte ihn gelehrt, darin eine Manifestation der gütigen Vorsehung Gottes zu sehen, und der Dialog zeigt, dass er ihrer Mahnung treu geblieben war.

Im Schlussteil des Dialogs (ab fol. 60vo) suchen die beiden Gesprächspartner nach ihrem anstrengenden Gedankenaustausch über die Vorsehung den Schatten eines Baumes auf und unterhalten sich, während die sie begleitenden Knaben (pueri) auf ihr Geheiss hin Pflanzen und Wurzeln sammeln, über botanische Fragen und schliesslich über gemeinsame Wanderungen in die Alpen, die sie in den Vorjahren unternommen hatten. Wir präsentieren daraus (Text 3) eine Passage, in der die Schönheiten der Gebirgslandschaft hervorgehoben werden, in der sich die Grösse ihres göttlichen Schöpfers manifestiert; zudem wird in einem durchaus utilitaristischen Sinne aufgezählt, was für praktische Güter das Gebirge den Menschen in Gestalt heilkräftiger Kräuter zur Verfügung stelllt. Anschliessend erinnern sich Theocritus und Polycarpus daran, wie letzterer und einer seiner Freunde bei einer solchen Wanderung einmal einer Bärin mit zwei Jungtieren begegnet waren; eine gefährliche Situation, die sie unbeschadet überstanden hatten. Auch diese Passage fügt sich gut zum Thema des Dialogs, ohne dass dies noch deutlich ausgesprochen werden muss. Im Kontext des Werkes ist es klar, dass sowohl im äusseren Erscheinungsbild des Gebirges und seiner vielfältigen Nützlichkeit als auch in dem glimpflichen Ausgang des Bärenabenteuers wiederum Beweise für die Macht und Wirkung der göttlichen Vorsehung liegen.