Die Verfolgung der Locarner

Taddeo Duno

Einführung: David Amherdt (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 18.02.2025


Entstehungszeitraum: terminus ad quem ist das Jahr 1602 (angegeben im Titel der autographen Handschrift).

Handschriften: Zürich, Staatsarchiv, W I 20, Nr 72,1, fol. 1ro-11vo; Zürich, Zentralbibliothek, Ms S 197, fol. 33-44 (unvollständige Abschrift).

Übersetzungen: eine deutsche Übersetzung liegt in verschiedenen Handschriften vor, von denen eine dem Autograph beigeben ist; eine andere dieser Übersetzungen wurde ohne erklärende Anmerkungen herausgegeben von Ernst (1949); eine Übersetzung eines Abschnitts findet sich in Braune-Krickau (2003), 238-243. Italienische Übersetzungen liegen vor von K. Benrath (Duno [1882]) und von R. da Bedano in Chenou (1971).

 

Taddeo Duno (1523-1613) stammte aus einer Adelsfamilie aus Locarno. Er studierte Medizin und die artes liberales in Basel und Pavia. Im Jahr 1549 nahm er neben Giovanni Beccaria an der Disputation von Locarno (5. August 1549) teil, bei der er den reformierten Glauben verteidigte. Er praktizierte als Arzt in Asso (Como) und ab 1553 in Locarno, einer gemeinen Herrschaft der Eidgenossen. Im November 1554 zwang die Tagsatzung von Baden diejenigen, die sich weigerten, dem reformierten Glauben abzuschwören, Locarno zu verlassen. Am 3. März 1555 verliess Duno zusammen mit etwa 100 anderen Locarnern die Stadt und liess sich in Zürich nieder, wo er weiterhin als Arzt praktizierte und Werke über die Beobachtung der Natur und epidemiologischer Erscheinungen (De respiratione contra Galenum, 1588) sowie über den Zusammenhang zwischen Meteorologie und dem Ausbruch von Krankheiten (Epistolae medicinales, 1592) veröffentlichte. Ausserdem übersetzte er historische, theologische und medizinische Werke ins Lateinische.

1602 vollendete er seinen Bericht über die Verfolgung der Locarner mit dem Titel De persequutione adversus Locarnenses mota deque exilio religionis causa illis irrogato historia brevis et vera («Kurzer und wahrheitsgemässer Bericht über die Verfolgung der Locarner und das Exil, das ihnen aus religiösen Gründen auferlegt wurde»). Dieser Bericht fällt zwar sehr günstig aus für die Locarner, ihren reformierten Glauben und das sie aufnehmende Zürich, aber er ist dennoch objektiv und ohne Hass oder Leidenschaft verfasst. Laut einer Angabe in seinem Titel deckt der Bericht den Zeitraum von 1540 bis 1555 und darüber hinaus bis 1602 ab – in Wirklichkeit ist das letzte berichtete Ereignis die Pest, die 1584 in Locarno wütete, und 1602 ist unzweifelhaft das Jahr, in dem Duno seinen Bericht vollendete.

Duno beginnt damit, die verhängnisvollen Irrwege der katholischen Religion, der «Hure Babylon», anzuprangern, die viele Protestanten ins Exil gezwungen hat, die Duno in einer beeindruckenden Liste aufzählt (u. a. Petrus Martyr Vermigli, Bernardino Ochino und Celio Secondo Curione; Kap. 1-2). Dann berichtet er über die reformierte Bewegung in Lugano, die von Giovanni Beccaria angeführt wurde und an der Duno selbst aktiv beteiligt war (Kap. 3 und 4, die wir hier veröffentlichen). Er berichtet über die Disputation von Locarno (5. August 1549), die für die Protestanten ungünstig ausging, über die Verhaftung und unmittelbar danach über die Freilassung Beccarias (Kap. 5-8). Duno hielt sich danach einige Zeit in Asso auf, wo er von der Inquisition verfolgt wurde, bevor er nach Locarno zurückkehrte (Kap. 9). Die Protestanten in Locarno praktizieren ihre Religion weiterhin im Geheimen (Kap. 10). Die Tagsatzung von Baden (1554) befiehlt denjenigen, die sich weigern, zur katholischen Religion zurückzukehren, ins Exil zu gehen, und entsendet Delegierte, die ihre Beschlüsse umsetzen sollen (Kap. 12, das wir hier veröffentlichen, sowie Kap. 13). Duno erzählt dann die Geschichte eines reformierten Locarners, der verfolgt und enthauptet wurde (Kap. 14-16). Dann berichtet er von dem Zögern der zukünftigen Exilanten, wohin sie gehen sollten (sie dachten zunächst an Graubünden), von ihren Verhandlungen mit den Zürcher Behörden und ihre Entscheidung, nach Zürich zu gehen, von ihrer Abreise aus Locarno (am 3. März 1555), von ihrem zweimonatigen Aufenthalt in Roveredo und schliesslich von ihrer Ankunft (am 12. Mai) und ihre Integration in der Stadt (Kap. 17-20, die wir hier veröffentlichen). Duno beschreibt dann eine schreckliche Überschwemmung in Locarno im September 1556, die er als Strafe für die Verbannung der Protestanten interpretiert (Kap. 21-24). Dieser Katastrophe folgte eine weitere: eine Pest, die sich viel später, im Jahr 1584, ereignete (Kap. 24, das wir hier veröffentlichen). Der Bericht endet abrupt mit der Aufforderung, Gott zu fürchten, auf sein Wort zu hören und gerecht zu leben, um die Vergebung der Sünden zu erlangen (Kap. 25).

 

Bibliographie

Braune-Krickau, B., «Flüchtlingspolitik im Zeitalter der Glaubensspaltung. Aus dem Bericht des Taddeo Duno über die Vertreibung und Übersiedlung der Locarner nach Zürich (1602)», in: Stotz, P./Vitali, D. (Hgg.), Turicensia Latina. Lateinische Texte zur Geschichte Zürichs aus Altertum, Mittelalter und Neuzeit, Zürich, Neue Zürcher Zeitung, 2003, 236-243.

Ceschi, R., «L’esilio dei Locarnesi», in: R. Ceschi (Hg.), Contrade cisalpine. Momenti di storia della Svizzera italiana dai tempi remoti al 1803, Locarno, Dado, 1987, 63-75.

Chenou, A., «Taddeo Duno et la Réforme à Locarno», Archivio Storico Ticinese 47 (1971), 236-294.

Crivelli, P., «Duno, Taddeo», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 04.08.2004, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010112/2004-08-04/.

Duno, T., Esilio dei Locarnesi (Anno 1556). Racconto originale di Taddeo Duno, scritto a Zurigo nell’anno 1602 e tradotto e pubblicato a Firenze nell’anno 1873 per la prima volta dal dott. Karl Benrath, Bâle, Ferdinand Riehm, 1882 (traduction déjà publiée dans La rivista christiana 1 (1873), p. 156-172; à nouveau publiée à Bellinzone, Leinz & Vescovi, 1883).

Ernst, F., «Taddeo Dunos Bericht über die Auswanderung der protestantischen Locarner nach Zürich in einer deutschen Übersetzung des 17. Jahrhunderts», Zwingliana 9/2 (1949), 89-104.

Meyer, F., La comunità riformata di Locarno e il suo esilio a Zurigo nel XVI secolo, Rome, Edizioni di storia e letteratura, 2005. [Übersetzung von Die evangelische Gemeinde in Locarno, ihre Auswanderung nach Zürich und ihre weitern Schicksale. Ein Beitrag zur Geschichte der Schweiz im sechszehnten Jahrhundert. Nach bisher meist unbenutzten handschriftlichen Quellen, Zürich, S. Höhr, 1836].

Pfister, R., Um des Glaubens willen: die evangelischen Flüchtlinge von Locarno und ihre Aufnahme zu Zürich im Jahre 1555, Zollikon/Zürich, Evang. Verl., 1955.

Quaranta, A., La rete di scambi epistolari fra medici italiani e di lingua tedesca nel XVI secolo: libertà di ricerca, circolazione del sapere et esperienze confessionali, 2016, Dissertation, online zugänglich, http://eprints-phd.biblio.unitn.it/1655/1/Tesi_Dottorato_A._Quaranta.pdf ou https://core.ac.uk/download/pdf/35317634.pdf.

Salzmann, C., «Taddeo Duno, eine biographische Studie», Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 85 (1940), 337-344.