Anmerkungen zu den Evangelienlesungen

Petrus Canisius

Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt/Kevin Bovier). Version: 10.02.2023.


Entstehungszeit: wohl ab den späten 1580ern in Freiburg; terminus ante quem: 1591 (Drucklegung).

Ausgaben: Notae in evangelicas lectiones, quae per totum annum Dominicis diebus in Ecclesia Catholica recitantur. Opus ad pie meditandum ac simul ad precandum DEUM accomodatum, et nunc primum in lucem editum Authore R. P. Petro Canisio Societatis Iesu Doctore Theologo, Freiburg i. Ü., A. Gemperlin, 1591, hier: fol. 2ro; 2vo; 3vo-4ro; 5ro; 5vo; und p. 715-716; 717-718; S. Petrus Canisius, Meditationes seu notae in evangelicas lectiones, hg. von F. Streicher, Bd. 1: Meditationes de Dominicis, Tempus Adventus, Nativitatis Domini, Freiburg i. Br., Herder & Co, 1939, 5-6 und 10; Bd. 2: Meditationes de Dominicis, post Pentecosten cum notis, de templorum dedicatione, de solemnibus processionibus, de indictis populo indulgentis, München, Officina Salesiana, 1955, 60 und 62.

 

Der aus Nimwegen in den Niederlanden stammende Jesuit Petrus Canisius (1521-1597) war bereits 59 Jahre alt, als er am Abend des 10. Dezember 1580 gemeinsam mit dem päpstlichen Nuntius Giovanni Francesco Bonhomini (1536-1587) nach Freiburg kam. Obwohl er im Rahmen seiner Tätigkeit für die katholische Reform im Laufe der Jahre mehr als hundert europäische Städte besucht hatte, war die Schweiz Neuland für ihn. Sein Auftrag bestand in der Errichtung eines Kollegs für den höheren Unterricht, damit die katholische Jugend zu diesem Zwecke nicht mehr in die protestantischen Gebiete ausweichen musste. Am 18. Oktober 1582 nahm das Kolleg St. Michael seine Tätigkeit auf. Canisius beteiligte sich an Unterricht und Leitung der Einrichtung nicht mehr lange, sondern widmete sich der Seelsorge und seiner schriftstellerischen Arbeit. Letztere zielte darauf ab, im schwierigen Umfeld der zu grossen Teilen reformierten Schweiz die katholische Sache zu stärken und für sie zu werben.

Auf seine Anregung hin wurde 1585 vom Rat der Stadt ein Buchdrucker berufen, der aus Rottenburg am Neckar gebürtige, zuvor im Elsass und in Freiburg im Breisgau tätige Abraham Gemperlin (1550-1639). Da das Unternehmen sich im schweizerischen Freiburg finanziell nicht trug, zog Gemperlin 1593 nach Konstanz um, kehrte aber 1595 nach Freiburg zurück und betrieb das Geschäft nun gemeinsam mit Wilhelm Mäss (gest. 1619), dem er 1597 seine Anteile vollständig überliess. Hauptauftraggeber der Druckerei war das Jesuitenkolleg. Sie druckte also auch die Schriften, die Canisius in seiner schweizerischen Zeit – seinem letzten Lebensabschnitt – verfasste.

Canisius überarbeitete in seiner Freiburger Zeit zum einen Werke, deren Erstpublikation schon früher erfolgt war. So kam 1583 (in Ingolstadt, Lyon und Paris) eine verbesserte und zu einem Band zusammengefasste Edition seiner Schriften gegen die protestantischen Magdeburger Centurien (die erste Kirchengeschichte aus protestantischer Sicht) heraus. Auch erschienen in dieser Zeit an verschiedenen Druckorten über vierzig von Canisius permanent überarbeitete Neuausgaben seiner Summa doctrinae, seines «Grossen Katechismus», der 1555 zum ersten Mal erschienen war und dem 1556 ein «Kleinster Katechismus» (Catechismus minimus) für das einfache Volk und die Kinder und 1558 ein «Kleiner Katechismus» (Parvus catechismus Catholicorum) für den Gebrauch in den Lateinschulen gefolgt waren.

Als Neuschöpfungen lieferte Canisius in dieser Zeit Gebetbücher, unter denen das dem Prinzen Philipp von Bayern gewidmete Manuale Catholicorum von 1587 besondere Erwähnung verdient. Als Hommage an das von ihm geschätzte Gastland schrieb der Jesuit auf Deutsch mehrere volkstümliche Lebensbeschreibungen helvetischer Glaubensboten und Heiliger (z. B. Beat und Fridolin).

Unser Textbeispiel indes stammt aus den 1591 bei Gemperlin erschienenen Notae in evangelicas lectiones: Anmerkungen bzw. Meditationen zu den Evangelientexten der einzelnen Sonn- und hohen Feiertage, die besonders den Klerikern Anregungen und Stoff für ihre Predigten liefern sollten. Als Predigtlehrer besass Canisius eine unbestreitbare Expertise: alleine aus seiner Freiburger Zeit sind 300 Predigten im Manuskript erhalten. Eine systematische Exegese ist dabei in den Notae nicht angestrebt, wie Canisius selbst in der von uns präsentierten Passage aus seinem Widmungsbrief an Peter Schneuwly, die führende Gestalt des Freiburger Kirchenlebens, und andere Kleriker sagt. Ihm geht es vielmehr darum, einige Hauptpunkte hervorzuheben und eine primär emotionale, nicht intellektuelle Wirkung zu erzielen. Dabei griff er auch Punkte auf, die in den Konfessionsstreitigkeiten der Zeit eine grosse Rolle spielten: wenig überraschend ist dies auch in unserer ausgewählten Passage aus den Betrachtungen über das Fronleichnamsfest der Fall, da die Eucharistielehre ja ein wesentlicher Streitpunkt zwischen Katholiken und Protestanten war; alle Reformatoren lehnten dementsprechend gerade dieses Fest energisch ab.

Canisius pocht in seinen hier präsentierten Ausführungen auf ein korrektes sakramentales Verständnis; er bekennt sich zur katholischen Lehre von der Realpräsenz Christi in den gewandelten Gaben von Brot und Wein sowie zur Praxis der lateinischen Kirche, den Laien das Sakrament nur unter der Gestalt des Brotes zu reichen. Unsere Passage zeigt auch gut, welche enorme Bedeutung für Canisius die Autorität der Kirchenväter besass. Was seinen Stil angeht, so finden wir hier das Urteil eines frühen Canisius-Biographen bestätigt:

Et quamvis Canisius pigmenta Rhetorum et lenocinia verborum neglexerit, usus tamen est non incommodo barbarove genere dicendi (quale id aetatis passim per Theologos grassabatur), sed commodo et rebus, quas tractabat, accomodato, ut in ipso neglectu curiosae elegantiae honestus quidam orationis habitus cultusque appareret.

«Obwohl Canisius sich nicht um die Schminke der Rhetorik und um die Lockmittel schöner Worte kümmerte, hat er sich nicht einer unpassenden und unkultivierten Sprache bedient, wie sie damals unter den Theologen noch grassierte, sondern einer treffenden, den verhandelten Gegenständen angemessenen Sprache, so daß gerade im Verzicht auf vorlaute Eleganz eine gewisse Würde und Ausstattung dieser Sprache hervortrat.» (Übersetzung Rädle)

Dem Sonntags- und Feiertagsbuch folgte 1593 – ebenfalls bei Gemperlin – ein weiterer Band mit Notae in evangelicas lectiones, nämlich mit Anmerkungen bzw. Meditationen zu den Evangelien der Heiligenfeste; ihn widmete Canisius dem Rat der Stadt Freiburg. War im ersten Band von 1591 eine Weisung Peter Schneuwlys an den ihm untergegebenen Klerus abgedruckt gewesen, dem er den Kauf und das Studium des Buches befahl (auch sie ist wird von uns präsentiert), so findet sich im Band von 1593 sogar eine entsprechende Weisung des zuständigen Lausanner Bischofs.

Als Kontrastlektüre zu diesem Text des katholischen Reformers Canisius empfehlen sich die auf diesem Portal ebenfalls präsentierten Ausführungen zur Sakramentenlehre aus der Feder des Reformators Heinrich Bullinger.

 

Bibliographie

Bedouelle, G. u. a., «IX. Kapitel. Humanismus und Reformation», in: Geschichte des Kantons Freiburg, Bd. 1, Freiburg i. Ü., Kommission zur Publikation der Freiburger Kantonsgeschichte, 1981, 301-342.

Haub, R., Petrus Canisius und die Bedeutung seiner literarischen Tätigkeit für die Schweiz, Freiburger Geschichtsblätter 74 (1997), 23-69.

Jedin, H., «Canisius, Petrus», Neue Deutsche Biographie 3 (1957), 122-123, Online-Version, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118518836.html#ndbcontent.

Rädle, F., «Petrus Canisius als lateinischer Autor in seinem Verhältnis zum Humanismus», in: R. Berndt (Hg.), Petrus Canisius SJ (1521-1597). Humanist und Europäer, Berlin, Akademie Verlag, 2000, 155-168.

Vaucher, J., «Peter Schneuwly (1540-1597), Wegbereiter der Jesuiten», Freiburger Geschichtsblätter 74 (1997), 11-21.

Vicaire, M.-H., «X. Kapitel. Katholische Reform und Freiburgs Aussenpolitik im 16. Jahrhundert», in: Geschichte des Kantons Freiburg, Bd. 1, Freiburg i. Ü., Kommission zur Publikation der Freiburger Kantonsgeschichte, 1981, 343-375.