Der christliche Cato Censorius

Theodor Beza

Einführung: Kevin Bovier (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 12.02.2025.


Entstehungszeitraum: Das Werk war im Frühjahr 1591 abgeschlossen, wurde aber vor seinem Druck im Herbst 1591 noch einmal überarbeitet (s. die untenstehende Einleitung). In der Ausgabe von 1597 wurden drei Gedichte hinzugefügt.

Ausgaben zu Lebzeiten des Verfassers: Th. Beza, Cato Censorius christianus, Genf, Jean II de Tournes, 1591; Poemata varia, Genf, Henri II Estienne, 1597, 234-245; Poemata varia omnia, Genf, Jacob Stoer, 1599, fol. 135ro-141ro.

Ausgabe mit französischer Versübersetzung: S. Goulart, Sententiae quaedam ex Senecae epistolis excerptae et singulis tetrastichis expressae a Ioanne Iacomoto Barrensi. Quatrains tirez des epistres de Senecque traduits du latin de Iean Iaquemot de Bar le Duc, par S. G. S.; ausquels a esté adiousté le Censeur Chrestien imité du latin de M. Th. D. B. par ledit S. G. S., Genf, für François Le Febvre, 1608, 49-68.

Moderne Ausgabe mit englischer Übersetzung: K. M. Summers, Morality After Calvin: Theodore Beza’s Christian Censor and Reformed Ethics, New York, Oxford University Press, 2017, 82-83, 93, 119, 128-129, 139-140, 143-144, 193-194, 196-197, 214-215, 245-246, 248, 251, 270-271, 276, 296-297, 312-313, 323-324, 355-356.

Metren: elegische Distichen, jambische Trimeter, jambische Senare, phaläkische Hendekasyllaben.

 

Leben und Werk des Theodor Beza

Theodor Beza war mehr als nur die rechte Hand und der Nachfolger des Reformators Johannes Calvin: Als Pfarrer, Exeget, Theologe und Polemiker, aber auch als Lehrer und Dichter war er eine der wichtigsten Figuren der Reformation und der humanistischen Literatur. Beza wurde am 24. Juni 1519 in Vézelay in Burgund geboren. Er wurde von Melchior Wolmar in die humanistischen Wissenschaften eingeführt, der auch einen entscheidenden Einfluss auf seine spätere Entscheidung für die Reformation hatte. Wolmars Unterricht führte dazu, dass der Junge die griechischen und lateinischen Klassiker in sich aufsaugte, wie Beza selbst später in der Widmungsepistel zu seiner Confessio Christianae fidei, die er seinem ehemaligen Lehrer dedizierte, bezeugte:

Hoc enim vere possum affirmare nullum esse nobilem vel Graecum vel Latinum scriptorem quem ego intra septennium quo apud te vixi non degustarim, nullam ex liberalioribus illis disciplinis, ne iurisprudentia quidem excepta, cuius saltem elementa te praeceptore non didicerim.

Es gibt keinen berühmten griechischen oder lateinischen Schriftsteller, den ich in den sieben Jahren, die ich mit Dir verbracht habe, nicht gekostet habe, und es gibt keine einzige freie Disziplin, ganz zu schweigen von der Rechtswissenschaft, die ich nicht zumindest in Grundzügen unter Deiner Anleitung gelernt habe.

Der junge Burgunder schloss im Alter von 20 Jahren sein Jurastudium in Orleans ab und führte danach ein komfortables Leben als Gelehrter in Paris, wie seine Poemata belegen, die erstmals 1548 bei dem Drucker Josse Bade erschienen. Dieses Jahr spielte in seinem Leben eine entscheidende Rolle: Beza wurde schwer krank, stellte sich selbst in Frage und machte sich die reformierte Lehre zu eigen. Diese Entscheidung zwang ihn, Frankreich zu verlassen, da das Pariser Parlament ihn wegen Ketzerei verurteilte und einen Teil seines Besitzes beschlagnahmte. Er flüchtete nach Genf, wo Calvin seine heimlich geschlossene Ehe mit Claudine Denosse (†1588) einsegnete. Beza fand Arbeit an der Akademie in Lausanne, wo er ab 1549 Griechisch unterrichtete. Von 1552 bis 1554 war er auch Rektor dieser Institution. Als wichtiger Schüler Calvins war er mit den Berner Behörden (die das Waadtland seit 1536 regierten) in der Frage der Beziehungen zwischen Staat und Kirche nicht einverstanden und trat schliesslich 1558 zurück. Nach seiner Rückkehr nach Genf hielt er Griechischkurse ab und wurde nach der Gründung der Akademie (1559) deren erster Rektor. Nach Calvins Tod übernahm er dessen Lehrstuhl für Theologie. Beza betätigte sich auch diplomatisch in Deutschland als Gesandter bei den Lutheranern (1557-1558) und vor allem in Frankreich, wo er die Hugenotten beim Kolloquium von Poissy (1561) vertrat. Seine engen Beziehungen zu den wichtigsten protestantischen Fürsten (Jeanne d’Albret, die Condés, Heinrich von Navarra) garantierten den Einfluss Genfs auf die Hugenotten. Er leitete die Synode von La Rochelle (1571), deren Ergebnis ein für die protestantischen Kirchen in Frankreich massgebliches Glaubensbekenntnis war. Beza unterhielt auch ausgezeichnete Beziehungen zu dem Reformator Heinrich Bullinger, was dazu führte, dass Genf seine Verbindungen zu den protestantischen Orten der Eidgenossenschaft aufrechterhalten konnte. Das lange und produktive Leben des Theodor Beza fand sein Ende durch seinen Tod am 13. Oktober 1605.

Neben den bereits erwähnten und oft neu aufgelegten Poemata verfasste Beza unzählige Schriften, die hier nicht erschöpfend aufgeführt werden sollen. Sein Lebenswerk ist zweifellos seine griechisch-lateinische Ausgabe des Neuen Testaments mit seinen Anmerkungen, die er regelmässig überarbeitete und die zu seinen Lebzeiten fünfmal herausgegeben wurde (das erste Mal 1558 und das letzte Mal 1598). Beza verteidigte die reformierten Positionen, insbesondere die von Calvin, in zahlreichen Abhandlungen und polemischen Werken zu verschiedenen Themen (Prädestination, Abendmahl, Kirchenzucht...). Er reagierte auch auf das Massaker der Bartholomäusnacht, indem er eine Abhandlung über die Tyrannei, De iure magistratuum (1574), verfasste. Wie Béatrice Nicollier feststellt, war Beza ein vielseitiger Autor, und seine reformatorische Tätigkeit hinderte ihn nicht daran, literarische Werke zu veröffentlichen, z. B. seine französische Tragödie Abraham sacrifiant (1550), die später von Jean Jaquemot ins Lateinische übersetzt wurde, seine lateinische Übersetzung der Psalmen und seine Psalmenübersetzung in französische Verse, die er als Ergänzung zu Clément Marots Werk anfertigte. Er war als Verfasser einer Lebensbeschreibung Calvins auch als Biograph tätig, zudem auch als Historiker, indem er die Geschichte der reformierten Kirchen in Frankreich nachzeichnete.

 

Der Cato Censorius christianus

Das Werk, das wir hier vorstellen, der Cato Censorius christianus, zeugt von der doppelten Tätigkeit des Theodor Beza als Pfarrer und Dichter. Im Gegensatz zu den Iuvenilia ist diese Gedichtsammlung ein Werk der Reife, was sich in dem moralisierenden Ton des Autors und dem letzten Gedicht über das Alter widerspiegelt. Da der Sammlung weder ein Vorwort noch eine Widmung vorangestellt ist, wissen wir nicht genau, was Beza dazu veranlasste, diese Gedichte zu verfassen.

Aufgrund eines Briefwechsels zwischen Beza und dem Basler Antistes Johann Jakob Grynaeus gehen die Herausgeber von Bezas Korrespondenz davon aus, dass es 1591 zwei Drucke des Cato gab, einen im Frühjahr und einen mit Korrekturen versehenen im Herbst. Grynaeus schrieb am 20./30. April 1591: «Wir werden unsere Meinung über die Schrift, von der Du gesagt hast, dass Du sie uns geschickt hast, äussern, wenn deine Drucker sie nach ihrer Rückkehr haben erscheinen lassen. Ich sehe, dass Polanus und Pithou es eifrig wünschen.» Grynaeus gibt nicht an, von welcher Schrift er spricht, aber der Cato ist das einzige unveröffentlichte Werk Bezas, das in diesem Jahr gedruckt wurde. Dennoch musste Beza einige Korrekturen vornehmen, wie sein Brief an Grynaeus vom 9./19. Oktober 1591 andeutet: «Ich sende dir erneut meine Bagatellen, in denen ich gerade einige Fehler bemerkt habe, die ich nun korrigiert habe.» Der Messkatalog berichtet, dass der Cato im Herbst 1591 auf der Frankfurter Messe vorgestellt wurde.

Der Cato wurde später um drei weitere Gedichte erweitert und zusammen mit den Poemata 1597 und 1599 neu aufgelegt. In ihrer endgültigen Fassung enthält die Sammlung 21 lateinische Gedichte von Beza und ein griechisches Gedicht von Isaac Casaubon, bei dem es sich um eine Übersetzung von Bezas Gedicht gegen die Ehebrecher handelt, von insgesamt 251 Versen. Die Art des Metrums variiert von Gedicht zu Gedicht. Wir veröffentlichen hier alle Gedichte, wie sie in der Ausgabe von 1599 (bis auf wenige Details), der letzten zu Lebzeiten Bezas gedruckten Ausgabe, erscheinen, und weisen in den Fussnoten auf die Varianten hin.

Der Titel der Sammlung bezieht sich auf Cato den Älteren, auch bekannt als der Zensor, ein Politiker im republikanischen Rom, der für seine strenge Moral berühmt war. Im Fall von Baza steht die strenge Sittenprüfung natürlich in einem christlichen Kontext (wie das Adjektiv christianus im Titel andeutet). Die Wiedergewinnung Catos in diesem Werk bedeutet jedoch nicht, dass Beza den Römer bewunderte, dessen Laster er in seinem Kommentar zum biblischen Buch Hiob aufzeigt:

Sic Catones ebriosissimi fuerunt et maximi foeneratores, quorum etiam unus uxorem suam locat, alius vero vel prorsus furiosus vel magnanimitatis gloriam affectans moritur ἀυτόχειρ. […] Illud autem omnino fatendum est peccata fuisse illa omnia, quum quicquid ex fide non sit peccatum esse pronuntiet Spiritus Sanctus, non tamen, ut quae directe contra legem naturae et honestatem fiunt.

So waren die Catonen die schlimmsten Trunkenbolde und die grössten Wucherer; einer von ihnen vermietete sogar seine Frau, während ein anderer, der völlig verrückt war oder nach ruhmreicher Grösse strebte, durch seine eigene Hand starb. […] Man muss aber bekennen, dass alles dies Sünde gewesen ist, da der Heilige Geist erklärt, dass alles, was nicht aus dem Glauben kommt, eine Sünde ist, auch wenn es das nicht in dem Masse war war wie direkte Verstösse gegen das Gesetz der Natur und die Ehrbarkeiten.

In seiner Verkleidung als «christlicher Cato» wendet sich Beza an ganz bestimmte Arten von Sündern oder an Kategorien von Menschen, die Sünden begehen können. Einige Sünden sind miteinander verbunden, wie Stolz und Ehrgeiz, Faulheit und Leichtsinn, Ehebruch und Unzucht, Geiz und Neid, Wucher und unrechtmässig erworbene Güter, Lüge, Meineid und Blasphemie. In anderen Gedichten werden Philosophen, Theologen, Jesuiten und «Epikureer» an den Pranger gestellt, die sich alle dadurch schuldig gemacht haben, dass sie das göttliche Wort auf die eine oder andere Weise verdrehen. Das abschliessende Gedicht über das Alter hingegen befasst sich nicht mit einer bestimmten Sünde, sondern stellt eine Art existentielle Bilanz dar, die dem göttlichen Urteil vorausgeht.

Die übergreifende Botschaft des christlichen Zensors ist, dass Gott keine unreinen Sünder an seiner Seite dulden wird und dass auch die Natur die Sünde ablehnt. Sünder müssen darüber hinaus aus der menschlichen Gesellschaft verbannt werden, da sie eine Gefahr für diese darstellen. Beza argumentiert, dass sich die Sünder selbst die Tore zur Hölle öffnen, indem sie die von Gott in der Schöpfung festgelegten Grenzen und Prinzipien ignorieren oder ablehnen. Jeder Sünder erhält eine Strafe, die seiner Sünde angemessen ist: Wie die schlimmsten Verbrecher in der griechischen Mythologie werden sie dessen beraubt, was sie am meisten lieben.

 

Rezeption

Wir haben oben gesehen, dass einige Freunde Bezas (Grynaeus, Polanus und Pithou) das Erscheinen seines Buches mit Ungeduld erwarteten. Die erste Reaktion auf die Veröffentlichung kommt jedoch von einem anderen Korrespondenten des Theodor Beza, dem französischen Juristen und Staatsmann Philippe de Fresne-Canaye (1551-1610), der ihm am 20. und 30. September 1591 aus Frankfurt a. M. schrieb: «Je vous remercie, Monsieur, de vostre Cato. Vous n’avez jamais rien fait de plus digne de vous» («Ich danke Ihnen, mein Herr, für Ihren Cato. Sie haben noch nie etwas geschaffen, was Ihrer mehr würdig wäre»). Im gleichen Jahr würdigte der Pastor Jean Jaquemot in seinen Lyrica Beza und bezog sich auf dessen Gedicht gegen die Neidhammel:

Maiorem invidia te petat invidus,

Ceu cygnum obstreperis vocibus anseres,

Et ceu quum rabidis Lunam ululatibus

Nocturnus canis impetit.

Du, der du grösser bist als der Neid, der Neider greift dich an,

Wie die Gänse mit ihrem Geschrei den Gesang des Schwans übertönen,

Oder wie der Hund, der nachts gegen den Mond anstürmt

Mit seinem wütenden Gebell.

Einige Jahre nach dem Tod Bezas gab der Pastor und Polygraph Simon Goulart den Cato mit einer französischen Versübersetzung neu heraus. Damit machte er das Werk Bezas einem breiteren Publikum zugänglich. Hier ist zum Beispiel seine Übersetzung des Gedichts gegen die Ehebrecher:

Veux tu voir le monde à l’envers?

Saccage et renverse les villes.

Pour ce faire, racle les familles,

Et tant de mesnages divers.

Aboli le sainct mariage,

Et tu verras bien tost mourir

Le monde et les maisons perir,

Si l'adultere on ne saccage.

[Willst du die Welt auf den Kopf gestellt sehen?

Plündere und zerstöre die Städte.

Um das zu tun, vernichte die Familien,

Und so viele verschiedene Haushalte.

Schaffe die heilige Ehe ab,

Und du wirst bald sterben sehen

Die Welt und die Häuser verderben,

Wenn man den Ehebruch nicht beseitigt.]

Goulart lässt seiner Ausgabe und Übersetzung drei Reden in französischen Versen folgen, die «zur Nachahmung des christlichen Zensors» verfasst wurden und gegen «Profanität», «Atheismus» und «Unglauben» gerichtet sind.

Der flämische Humanist Janus Gruter veröffentlichte den Cato 1609 in seiner Anthologie der französischen Poeten.

Einigen Gedichten des Cato wurde ein besonders günstiges Geschick zuteil. Das Gedicht gegen die Ehebrecher wird in einer Sammlung, den Hieroglyphicorum collectanea ex veteribus et neotericis descripta, die die Hieroglyphica des italienischen Humanisten Pierio Valeriano begleiten, in der bei Paul Fellon erschienenen Lyoner Ausgabe von 1610 zitiert. Es erscheint ohne Autorennamen am Ende eines Abschnitts über den Ehebruch, in dem das Gedicht als «ein wohlgeformtes und elegantes Epigramm, das wir gerne wiedergeben» vorgestellt wird. Einige Jahrzehnte später finden sich die ersten vier Verse desselben Gedichts (wieder ohne Nennung des Autors) in dem Text De cognitione Dei et nostri des calvinistischen Theologen Johannes Clauberg, in dem dieser zu beweisen versucht, dass die Vielheit auf der Einheit beruht und von ihr abhängt. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Gedicht von Sylvanus Urban (Pseudonym des englischen Journalisten und Herausgebers Edward Cave) in The Gentleman's Magazine and Historical Chronicle zitiert, um Beza gegen den Vorwurf der Unmoral zu verteidigen (der entstanden war, weil er in seiner Jugend einige gewagte Gedichte geschrieben hatte).

Der spanische katholische Prälat Juan Caramuel y Lobkowitz (1606-1682) zitierte im zweiten Band seiner Theologiae moralis fundamentalis ein anderes Gedicht, das die Trunksucht anprangert, um die Frage zu beantworten, ob eine betrunkene Person als menschliches Wesen betrachtet werden sollte. Der zitierte Dichter wird als N. Nesexius bezeichnet, eine leichte Abwandlung eines von Beza verwendeten Künstlernamens (Nathanaël Nesekius).

Schliesslich findet sich das gleiche Gedicht Anfang des 19. Jahrhunderts im Essai sur l'ivrognerie des Arztes und Chirurgen Jean Lecœur, der es verwendet, um zu zeigen, dass Trunkenheit Wassersucht verursachen kann. Das Gedicht wird N. Nesckius zugeschrieben, einer weiteren Abwandlung des von Beza verwendeten Pseudonyms.

 

Bibliographie

Nicollier, B., «Beza, Theodor», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 30.09.2004, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011048/2004-09-30/.

Summers, K. M., Morality After Calvin: Theodore Beza's Christian Censor and Reformed Ethics, New York, Oxford University Press, 2017.