Fünfzig Predigten (Sermonum decades quinque)
Heinrich Bullinger
Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt/Kevin Bovier). Version: 10.02.2023.
Entstehungszeitraum: Die Dekaden entstanden zwischen 1549 und 1551; der von uns präsentierte Widmungsbrief zur fünften Dekade entstand für deren erstmalige Veröffentlichung 1551; der präsentierte Text aus der Sakramentenpredigt entstammt dagegen einer Abhandlung, die Bullinger bereits 1545 abgeschlossen hatte (vgl. unsere Einführung).
Ausgaben: Sermonum Decades quinque, de potissimis Christianae religionis capitibus in tres tomos digestae, authore Heinrycho Bullinger, ecclesiae Tigurinae ministro, Zürich, Christoph Froschauer, 1552, hier: fol. 267vo und fol. 332ro-vo; eine moderne Ausgabe dieser Edition von 1552 besorgte Peter Opitz im Rahmen der Werkausgabe Bullingers (Zürich, Theologischer Verlag Zürich, 2008).
Die Dekaden, fünfzig zunächst zwischen 1549 und 1552 in Zürich erschienene Lehrpredigten, geordnet in fünf Büchern mit je zehn Predigten, sind Bullingers umfangreiches theologisches Hauptwerk. Er behandelt darin die Hauptpunkte des christlichen Glaubens gemäss der reformierten Lehre. Ungeachtet des notwendig zu grossen Teilen neuartigen Inhalts stellte er sich mit diesem Werk bewusst in die Nachfolge der mittelalterlichen Predigtliteratur. Ob die in den Dekaden vorliegenden Texte (ganz oder zumindest teilweise) von Bullinger auch als mündliche Predigt vorgetragen wurden, lässt sich nicht sicher feststellen. Gerade die späteren Predigten, die länger ausfallen und mehr gelehrte Zitate aufweisen, scheinen aber primär für ein Lesepublikum konzipiert zu sein. Speziell die Sakramentspredigten der fünften Dekade, aus denen der von uns präsentierte Ausschnitt stammt, wurden von Bullinger bereits zu einem früheren Zeitpunkt als Abhandlung verfasst und erst später in diese Predigtsammlung eingefügt; ungefähr zeitgleich erschien die Abhandlung in ihrer ursprünglichen Form in London.
Die Dekaden waren zunächst primär für die Bedürfnisse der Zürcher reformierten Kirche bestimmt. Im Laufe seiner Arbeit verfolgte Bullinger aber immer mehr das Ziel einer weitreichenderen Wirkung. Die dritte und vierte Dekade widmete Bullinger dem als überzeugten Protestanten bekannten englischen König Eduard VI. Die fünfte widmete er ebenfalls einem politisch einflussreichen Engländer, wie die hier präsentierten Ausschnitte aus dem Widmungsbrief zu dieser Dekade zeigen. Das ist kein Zufall. Bullinger bemühte sich seit 1535 intensiv um Kontakte zur Insel, als er über den in Basel wirkenden Gelehrten Simon Grynaeus einen Kontakt zu Erzbischof Thomas Cranmer von Canterbury herstellte; wenig später trafen die ersten vier jungen Engländer in Zürich ein, die den Protestantismus dort und in einigen anderen prominenten Orten besichtigten. Von da an unterhielt Bullinger bis zu seinem Lebensende enge Beziehungen zu England und pflegte engen Kontakt zu protestantischen Religionsflüchtlinge von dort (1539 nach Erlass der «Sechs Artikel» durch Heinrich VIII. und 1553 bis 1558 unter der Herrschaft der katholischen Königin Maria).
Der Widmungsträger der 1551 zunächst einzeln und 1552 im Rahmen einer Gesamtausgabe der Predigten erscheinenden fünften Dekade, der englische Adelige Henry Grey drängte als Mitglied des königlichen Privy Council unter dem englischen König Eduard VI. (1547-1553), dem jungen, gelehrten, doch kränklichen und zu einem frühen Tode bestimmten Nachfolger Heinrichs VIII., auf weitergehende protestantische Reformen in England, wie sie unter diesem König tatsächlich erfolgten (während Heinrich sich zwar zum Oberhaupt der englischen Kirche erklärt hatte, ansonsten aber an der katholischen Glaubensdoktrin grundsätzlich festgehalten hatte). Dieses Engagement prädestinierte Henry Grey für Bullinger als Widmungsträger. Er ist der Vater von Lady Jane Grey, der protestantischen «Neuntagekönigin» (oder auch «Dreizehntagekönigin»), die im Juli 1553 im Kampf um die Thronfolge Eduards VI. der katholischen Tudor-Königin Maria I. (1553-1558) unterlag. Nachdem die zunächst verschonten Greys Anfang 1554 die Wyatt-Verschwörung gegen Maria unterstützt hatten, wurde Jane am 12. Februar 1554 im Tower von London enthauptet; ihr Vater folgte ihr am 23. Februar. Bullinger hat diese Vorgänge natürlich wahrgenommen und teilweise auch in seinem Diarium zum Jahre 1554 schriftlich festgehalten.
Bullinger und Grey standen auch abseits dieses Widmungsschreibens in regem brieflichem Austausch. Unser erstes, dieser Widmung entnommenes, Textbeispiel zeigt somit schön die internationale Vernetzung und das globale Denken des schweizerischen Reformators, der auch an den kirchlichen Entwicklungen in anderen Ländern regen Anteil nahm. Besondere Erwähnung verdient in unserem Textbeispiel seine ablehnende Haltung gegenüber dem katholischen Reformkonzil von Trient, in dem er nur einen römisch-päpstlichen Versuch zu erkennen vermag, die in den von der Reformation erfassten Gebieten eingetretenen Veränderungen wieder rückgängig zu machen.
Bullingers Predigtsammlung fand im gesamten protestantischen Europa – und nicht zuletzt in England – weite Verbreitung und wurde auch in die Landessprachen übersetzt. Die erste deutsche Ausgabe veröffentlichte der Reformator Johannes Haller 1558 in Bern unter dem Titel Haußbuch. Unser zweites Textbeispiel stammt aus der sechsten Predigt der fünften Dekade (über die Sakramente) und enthält einen Angriff auf die katholische Eucharistielehre. Bullinger vertritt hier die bei den Zürcher Reformatoren übliche rein symbolische Auffassung des Abendmahls (die sie, beiläufig erwähnt, nicht nur von der traditionellen Papstkirche, sondern auch von den Lutheranern trennte). Mit diesem Textbeispiel soll daran erinnert werden, dass der heute auch unter protestantischen Theologen nur noch wenig rezipierte Bullinger zu den bekannteste und meistgelesenen theologischen Autoren seiner Zeit gehörte. Und daran, dass Bullinger unzweifelhaft einen Anteil an der Entwicklung der anglikanischen Kirche hatte. 1586 befahl der Erzbischof von Canterbury, John Whitgift, dem niederen Klerus das Studium der Dekaden, das durch eine Prüfung nachgewiesen werden musste.
Als Kontrastlektüre zu diesen Texten des Reformators Bullinger empfehlen sich die auf diesem Portal ebenfalls präsentierten Ausführungen des katholischen Reformers Canisius zum Fronleichnamsfest.
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