Epithalamion aus Anlass der Hochzeit von Johannes Fabricius Montanus und Katharina Stutz: Felix und Regula

Johannes Altus

Einführung: David Amherdt (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 10.02.2023.


Entstehungszeitraum: 1547, das Jahr der Eheschliessung des Johannes Fabricius Montanus.

Ausgaben: J. Fabricius Montanus, Poemata. Sylvarum liber unus […], Zürich, Gessner, 1556, 49-70, hier: 64-66; Amherdt (2018), 228-233.

Metrum: elegische Distichen.

 

1547 verfasste der Deutsche Johannes Altus ein Epithalamion von 538 Versen Umfang anlässlich der Heirat des Johannes Fabricius Montanus mit Katharina Stutz in Zürich. Was man über Altus weiss, ergibt sich im Wesentlichen aus dem Brief, der dem Gedicht vorangestellt ist. Er stammte aus der Stadt Frankenberg in Hessen und war ein Studienkollege Montanus an der Universität Marburg; er begleitete Montanus nach Zürich, wo er an seiner Hochzeit teilnahm und scheinbar auch einige Zeit lebte, bevor er sich zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Italien begab. Wahrscheinlich im Jahr 1551 verstarb er in Bologna. Ausser dem Hochzeitsgedicht für Fabricius Montanus verfasste Altus ein Gedicht mit dem Titel Carmen D. Joannis Alti Francobergensis in imaginem Bartholomei qui Tiguri anno 1552 vulgo vocabatur der gross Bartli, das uns nur in einer Handschrift vorliegt. Er scheint auch der Verfasser eines Gedichts über die Kaiserviten des Sueton zu sein. Altus gehörte ausserdem zu den von Aegidius Periander in seiner Germania gelobten Dichtern; dieser widmete ihm ein Distichon, in dem er seinen vorzeitigen Tod thematisiert. Der grosse deutsche neulateinische Dichter Petrus Lotichius, mit dem er eng befreundet war, widmete ihm drei Gedichte.

Das Epithalamion, das epische (Vergil) und elegische (Properz, Tibull, Ovid) Tonart miteinander kombiniert, erzählt die Geschichte von der Liebe auf den ersten Blick zwischen Montanus und Katharina Stutz bis zu ihrer Hochzeitsnacht, das heisst: von Cupido, dem Gott der Liebe, bis zu Hymen, dem Gott der Hochzeitsnacht, die beide in den Versen des Deutschen einen Auftritt haben. Mit den der Gattung eigentümlichen Elemente (Anrufung der Erato – der Muse, die für die Hochzeit und die erotische Poesie zuständig ist –, die Entstehung der gegenseitigen Liebe, das Lob der Brautleute, die Hochzeitszeremonie, das Fest, der Vollzug der Ehe) vermischen sich zahlreiche charakteristische Elemente der Liebesdichtung, besonders der elegischen Liebesdichtung (der Liebeskranke, der seiner Angebeteten den Hof macht etc.); sie werden von ganz verschiedenartigen Szenen und Überlegungen begleitet. Der Venus legt Altus zudem einen kleinen mythologischen Exkurs in den Mund, der die Schönheit der Zürcher Mädchen und den Mut der dortigen jungen Männer erklären soll. Das Gedicht ist auch ein wertvolles Zeugnis für den Ablauf einer Hochzeit im protestantischen Zürich; verschiedene Persönlichkeiten der Stadt, darunter etwa auch Heinrich Bullinger, werden erwähnt. Der Text klingt im Übrigen in seiner Gesamtheit wie eine Eloge auf die Stadt Zwinglis, die in der ganzen Welt bekannt ist, «vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang» (vgl. V. 308-309). Schliesslich berücksichtigt Altus auch die Götter (und eine Nymphe, Lotis), die das ganze Gedicht hindurch auf verschiedene Weise eingreifen: Bacchus, auf den Cupido eifersüchtig ist und der den Ehrenplatz am Anfang des Gedichts einnimmt; Cupido und Venus, die dafür sorgen, dass die zukünftigen Ehegatten sich ineinander verlieben; Juno, Pallas, Hymen, die Gottheiten des Flusses Limmat, darunter auch Limannus, die sich am Ufer des Flusses nahe der Kirche postieren, um an dem Schauspiel teilzunehmen; Ceres und Bacchus, die sich mit der Hochzeitsfeier beschäftigen.

Der Text erzählt – durch den Mund des Limannus, des Flussgottes der Limmat – die Geschichte der Märtyrer Felix und Regula, auf deren Kult die Kirche zurückgeht, in der die Hochzeit stattfand: die Zürcher Wasserkirche. Diese Geschichte präsentieren wir hier. Die hier dargebotene Version der Legende von Felix und Regula entspricht (allerdings mit einigen Ungenauigkeiten) der Legende, wie man sie im 16. Jahrhundert lesen konnte. Das älteste Zeugnis zu Felix und Regula ist die im 8. Jahrhundert von dem Priester Florencius verfasste Passio; später erblickten noch zahlreiche andere Versionen das Tageslicht, unter denen die bekannteste die in der Schweizer Chronik des Brennwald ist.

Limannus verortet das Martyrium zeitlich in der ersten Hälfte des 2. Jh. n. Chr. Was erzählt der Gott? Zur Zeit der römischen Kaiserherrschaft kam ein Geschwisterpaar von Theben aus nach Zürich, Felix und Regula (V. 385-398). Damals regierte in Zürich der Präfekt Decius, der Felix und Regula verfolgte, sie foltern und schliesslich enthaupten liess, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören wollten (V. 399-407). Nach ihrem Martyrium liess er Felix und Regula in die Wasser der Limmat werfen; an der Stelle, wo dies geschah, wurde 300 Jahre später (in der Mitte des 5. Jahrhunderts) eine Kirche zu ihren Ehren erbaut (408-413). Dieser Bericht folgt mehr oder weniger getreu der Legende der beiden Märtyrer, wie man sie im 16. Jahrhundert nachlesen konnte. Altus lässt allerdings ein wichtiges Detail der Legende aus, nämlich den Bericht, die beiden Märtyrer seien nach ihrer Enthauptung mit ihren Häuptern in den Händen noch vierzig Schritte bis zu dem Grab gelaufen, das sie selbst für sich ausgesucht hatten. Die Legende präzisiert ausserdem, dass das Martyrium zur Zeit der diokletianischen Christenverfolgung zu Beginn des 4. Jahrhunderts stattfand; Altus nähert sich dieser Zeitangabe nur sehr ungefähr, denn er spricht vom 2. Jahrhundert. Sehr ungefähr ist auch seine Datierung der Errichtung der Wasserkirche, die nicht im 5. Jahrhundert stattfand, wie Altus in V. 411 behauptet (er datiert sie 300 Jahre nach dem Martyrium), sondern im Jahr 1000. Schliesslich muss angemerkt werden, dass alle Angaben – sowohl des Altus als auch der Legende – bezüglich Decius und der Römerherrschaft in Zürich unwahrscheinlich sind. Im Jahr 293 war das Reich in Form einer Viererherrrschaft (Tetrarchie) aufgeteilt, und Constantius Chlorus, der Vater Konstantins, erhielt Gallien und Britannien; der Vicus Turicum (Zürich) gehörte also zu seinem Machtbereich. In seinem Territorium gab es keine systematische Verfolgung, und ausserdem gibt es keine Spuren von christlichem Leben im Zürich jener Zeit. Es gibt nicht den geringsten Hinweis auf ein mögliches Martyrium am Limmatufer. In der modernen Forschung gibt es die These, dass die Legende auf die Entdeckung eines aussergewöhnlichen Grabes im 8. Jahrhundert zurückgeht, und dass über diesem Grab im 9. Jahrhundert das Grossmünster errichtet wurde, das Zentrum des Kultes um die beiden Märtyrer.

 

Bibliographie

Fabricius Montanus, J., Poèmes latins. Introduction, édition, traduction et commentaire, hg. von D. Amherdt, Basel, Schwabe, 2018.

Stadler, H., «Felix und Regula», Dictionnaire historique de la Suisse, Onlineversion vom 15.12.2008, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010200/2008-12-15/.