Briefliteratur
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Peter Falck
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Conrad Gessner
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Heinrich Glarean
- Brief an Aegidius Tschudi: Gespenstererscheinung und Russland
- Brief an Aegidius Tschudi: Heiraten, Politik, Religion und Literatur
- Brief an Oswald Myconius: Finanzielle Schwierigkeiten; Probleme mit seinen Schülern; Myconius und seine Frau
- Brief an Peter Gölin: Lebensrückblick und Freundschaftserklärung
- Erster Trostbrief an Aegidius Tschudi
- Zweiter Trostbrief an Aegidius Tschudi
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Joachim Vadian
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Niklaus von Wyle
Autor(en): David Amherdt, Clemens Schlip, Kevin Bovier. Version: 10.02.2023.
- Die lateinische Briefliteratur der Renaissance
- Die Briefliteratur in der Schweiz
- Der Inhalt der Briefe
- Das Schweizer Postwesen im 16. Jahrhundert
1. Die lateinische Briefliteratur der Renaissance
«Les lettres latines des humanistes et de leurs contemporains restent les monuments peut-être les plus intéressants» – «Die lateinischen Briefe der Humanisten und ihrer Zeitgenossen sind vielleicht die interessantesten Denkmäler» der Prosaliteratur. Ein grosser Teil dieser Interessantheit hängt damit zusammen, dass es sich um eine literarische Gattung mit einem extremen Variantenreichtum handelt, was jede Klassifikation schwierig macht.
So kann man zwischen echten Briefen (die wiederum privat oder für die Öffentlichkeit bestimmt sein können) und fiktiven Briefen (wie denen, die Petrarca an antike Autoren schrieb) unterscheiden; ausserdem zwischen Briefen in Prosa und in Versen verfassten Briefen (Briefen an die Nachwelt, Heroiden, Episteln nach Art des Horaz). Man kann die Briefe auch nach ihrem Inhalt klassifizieren: persönliche Briefe, Briefe über literarische Fragen, politische Briefe, philosophische Briefe, theologische Briefe, Trostbriefe, Briefe, die Reiseberichte oder die Biographie eines grossen Mannes enthalten etc. Ausserdem gibt es eine Menge von Briefen, die als Vorworte dienen bzw. Widmungsbriefen; sie sind fast schon eine Gattung für sich. Marc Fumaroli hat es schön ausgedrückt: Der Brief wurzele «dans l’infinité de l’homme lui-même» (in der Unendlichkeit des Menschen selbst).
Im Mittelalter entwickelte sich ein extrem strenges Regelwerk für die Kunst des Briefeschreibens. Vereinfacht betrachtet lebte die antike Epistolographie – und besonders der Privatbrief, der im Zentrum unserer Darstellung steht – dank Petrarca (1304-1374) wieder auf, der eine Handschrift entdeckte, die den Grossteil der Briefe Ciceros enthielt. Diese Wiedergeburt zieht sich durch die gesamte Renaissanceepoche hindurch, in der auch verschiedene Handbücher erschienen, die eine Definition des Briefes boten (besonders gemäss der antiken Tradition als eines sermo absentium, eines Gespräches unter Abwesenden) und verschiedene Arten von Briefen vorstellten. Der Brief ist als unvollkommener, aber notwendiger Ersatz für die mündliche Konversation für die Humanisten auch ein Zeichen sozialer Anerkennung und ein Mittel, um sich selbst in Szene zu setzen – man denke an die Briefe des Erasmus, die er zum Teil selbst veröffentlicht hat. Ausserdem muss man die Briefgattung in einer Zeit, die nicht über die heutigen Kommunikationsmöglichkeiten verfügte, auch «in der Rolle sehen, die heute Zeitungen haben oder eher noch literarische Monatszeitschriften». Der Brief ist in jedem Fall ein hervorragender Spiegel der intellektuellen Überfülle, durch welche sich die Res publica litterarum jener Epoche auszeichnete. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem persönlichen Stil, der zudem ein Zeichen für die sprachliche Meisterschaft des Briefeschreibers war, auch wenn man von der Gesprächssituation einer Unterhaltung zwischen zwei Abwesenden ausging – vereinfacht und in zwei Worten ausgedrückt, musste sich der Briefschreiber um eine neglegentia diligens bemühen, eine «sorgfältige Nachlässigkeit». Eine grosse Anzahl dieser Briefe sind im Übrigen mehr oder weniger explizit für eine Veröffentlichung bestimmt, was ihre Spontaneität natürlich einschränkte.
Das lateinische Briefcorpus der Renaissance hat einen enormen Umfang. Alle Humanisten, alle Gebildeten schrieben Briefe auf Latein (manchmal auch auf Griechisch), und sie schrieben viele davon. Tausende von Briefmanuskripten liegen in den europäischen Bibliotheken – tausende von anderen Briefen sind verlorengegangen. Manche sind zu Lebzeiten ihrer Autoren veröffentlicht worden, andere posthum. Und zahlreiche Briefeditionen, die modernen wissenschaftlichen Standards entsprechen, sind bereits erschienen oder im Erscheinen begriffen. Man denke zum Beispiel an laufende Editionsvorhaben wie das für die Korrespondenz des Martin Bucer (1491-1551); für die des Philipp Melanchthon (1497-1560), für die des Heinrich Bullinger (1504-1575) oder für die des Justus Lipsius (1547-1606). Aber auch andere Briefeschreiber sind besonders seit dem 19. Jahrhundert in den Genuss einer mehr oder weniger vollständigen Ausgabe ihrer Briefe gekommen.
Unter ihnen kann man als bekannte Persönlichkeiten etwa folgende erwähnen: Petrarca, den Vorläufer, der die Privatbriefe Ciceros entdeckte und selbst zahlreiche eigene Briefe veröffentlichte, Pier Paolo Vergerio (1370-1444), Guarino de Vérone (1374-1460), Francesco Filelfo (1398-1481), Aeneas Sylvius Piccolomini (Pius II.; 1405-1458), Lorenzo Valla (1407-1457), Angelo Poliziano (1454-1494), Johannes Reuchlin (1455-1522), Conrad Celtis (1459-1508), Guillaume Budé (1467-1540), Erasmus (1466/1467/1469-1536), Willibald Pirckheimer (1470-1530), Luther (1483-1546), Beatus Rhenanus (1485-1547) und Juan Luis Vivès (1493-1540). Wir merken an, dass einige dieser Humanisten nur auf Latein schrieben (z. B. Erasmus) und andere in Latein und in ihrer Muttersprache schrieben (z. B. Luther); diese Zweisprachigkeit gewinnt an Bedeutung, je mehr man sich dem 17. Jahrhundert nähert.
2. Die Briefliteratur in der Schweiz
Die Briefliteratur der Schweizer Humanisten des 16. Jahrhunderts enthüllt die Intensität ihrer Beziehungen untereinander, zeigt aber, was für ausgebreitete Beziehungen sie zu ihren ausländischen Kollegen in der Gelehrtenrepublik unterhielten. Wir präsentieren auf diesem Portal vor allem Beispiele aus den Korrespondenzen der sechs grossen Autoren, die wir als repräsentative Zentralgestalten des Schweizer Humanismus ausgewählt haben: Glarean, Vadian, Gessner, Fabricius Montanus, Gwalther und Lemnius; in ihren Briefen werden die extreme Bandbreite und innere Kraft der Briefliteratur jener Epoche deutlich.
Es wäre eine beschwerliche Aufgabe, eine Liste aller Briefschreiber zu erstellen, denn jeder Gebildete schrieb in jener Epoche Briefe. Wir beschränken uns hier auf einige Beispiele, besonders wichtige Korrespondenzen, die gerade in den Genuss einer Edition kommen oder schon mehr oder weniger systematisch ediert worden sind; die Briefe wurden nicht zwangsweise alle in Latein verfasst, sondern auch in den Volkssprachen. Wir erwähnen in diesem Sinne die gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von Emil Arbenz und Hermann Wartmann edierte umfangreiche Vadianische Briefsammlung (manche Briefe liegen auch in neueren Editionen von Briefen der Korrespondenzpartner Vadians vor), die Korrespondenz Heinrich Bullingers (ein laufendes Editionsprojekt), die des Kardinals Matthäus Schiner (1465-1522); die Zwinglis (1484-1531); ferner noch die Korrespondenz der Familie Amerbach und schliesslich auch die Sammlung der erhaltenen 88 Briefe an Albrecht von Bonstetten (1442/1443-1504-1505): Aus ihr präsentieren wir auf diesem Portal eine fünf Briefe umfassende Auswahl. Die von verschiedenen Absendern stammenden Schreiben gewähren einen Einblick in die Welt des Schweizer Frühhumanismus. Wir greifen dabei repräsentative Beispiele heraus, die mit Bonstettens sonstigen literarischen Werken in Zusammenhang stehen und/oder seine Stellung innerhalb der frühhumanistischen community illustrieren.
Wir haben den vielgestaltigen Charakter der Briefgattung unterstrichen, und besonders ihren Status als Grenzgattung zu anderen Gattungen. So stellt der Brief des Oswald Myconius, des künftigen Führers der Basler Kirche, an seinen Freund Ludwig Carinus eine veritable Biographie bzw. Vita des Reformators Ulrich Zwingli dar.
Briefe können ausserdem als programmatische Vorworte zu einem Traktat oder einer Ausgabe dienen, etwa im Falle der Widmungsepistel, die Heinrich Glarean an den polnischen Kirchenmann und Humanisten Johannes a Lasko schrieb, um ihm darzulegen, welche Absichten er mit seinem geographischen Handbuch verfolgt, oder im Falle der von ihm an den jungen Edelmann Karl von Wehingen adressierten Widmungsepistel, in der er diesem sein arithmetisches Handbuch inhaltlich vorstellt; diese beiden Widmungsschreiben werden auf dem Portal gemeinsam präsentiert. Erwähnt seien hier auch die Widmungsepisteln an Karl V. und seinen Bruder Ferdinand von Habsburg, die jeweils als Einleitungen dienen (die eine findet sich Glareans Anmerkungen zu Titus Livius, die andere in der Chronologia, die Glarean zu dem Werk dieses römischen Historikers erstellte). Ein anderes Beispiel ist der Brief Conrad Gessners an die Zürcher Autoritäten, in dem er seine gereinigte Ausgabe der Epigramme des Martial begründet und die Vorgehensweise erläutert, die er bei ihrer Erstellung verfolgt hatte. Gessner nutzte ausserdem die Veröffentlichung seines Libellus de lacte, um an den mit ihm befreundeten Arzt Jacob Vogel einen berühmt gewordenen Brief zu richten, in dem er die Bewunderung verdeutlicht, die ihm die Bergwelt einflösst. Auf die zahlreichen Briefe Ad lectores (oder Ad lectorem), die etlichen und ganz verschiedenartigen Werken vorangestellt sind, gehen wir hier nicht weiter ein.
Was die in Versen abgefassten fiktiven Briefe angeht, so erwähnen wir hier die Christlichen Heroiden Rudolf Gwalthers, eine am Vorbild der Heroiden Ovids orientierte Sammlung von Briefen, die Frauengestalten des Alten Testaments an ihre Gatten oder Liebhaber richten. Der Vollständigkeit halber erwähnen wir mit Blick auf die Gattung der an die Nachwelt (ad posteritatem) gerichteten autobiographischen epistula, deren massgebliches Modell Ovid ist (Trist. 4,10), noch die in Versen abgefasste Autobiographie des Johannes Fabricius Montanus, in der er sich dieser direkt an den Leser wendet.
Wir beschliessen diesen kurzen und notwendigerweise unvollständigen Rundgang durch die Schweizer Briefwelt mit einem Hinweis auf die Edition und deutsche Übersetzung einer von Johannes Fries veranstaltete Auswahl von Cicerobriefen (1562), die beweist (wenn ein solcher Beweis hier überhaupt noch nötig war), wie sehr man sich in der Renaissance für die Briefe des Altertums, und besonders für die Ciceros, interessierte.
3. Der Inhalt der Briefe
Was findet man in den Briefen der Schweizer Humanisten vor? Eine Menge verschiedener Themen und einige Gemeinplätze, die mit den Gattungskonventionen zusammenhängen. Die Briefschreiber selbst unterstreichen die Bedeutung der ars epistularis (Kunst des Briefeschreibens) und stellen heraus, dass für ihre Beherrschung das Studium der humanistischen Wissenschaften und das der literarischen Modelle (besonders Ciceros) unabdingbar ist. Ausserdem geht es häufig um praktische Probleme beim Schreiben und der Briefbeförderung durch Boten in einer Epoche, die eine Post im heutigen Sinne noch nicht kannte. Der Verfasser entschuldigt sich für Tintenkleckse, schlechtes Papier und seinen schlechten Stil, der eine Folge der hastigen Abfassung seines Briefes ist. Es kommt auch vor, dass die Briefe von Paketsendungen begleitet werden, die ihren Empfänger von Zeit zu Zeit später erreichen als vorgesehen, was für Unruhe sorgt und einen erneuten Briefwechsel provoziert.
Die Tonlage eines Briefs ist klarerweise sehr abhängig vom sozialen Status des Absenders bzw. Empfängers, wobei die Beziehungen zwischen den Korrespondenten komplex sein können: Bittet der Erste den zweiten um einen Dienst? Dankt er seinem Briefpartner für einen ihm erwiesenen Dienst? Will er seine Gunst gewinnen? Sind ihre Beziehungen zueinander professionell oder freundschaftlich oder beides zugleich? Es gibt da viele mögliche Varianten.
Was den Inhalt angeht, so behandelt man gerne Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, mögen sie von politischer, religiöser oder auch nur anekdotischer Relevanz sein; es geht auch um den Tod hochgestellter Persönlichkeiten, von Bekannten, Freunden, Verwandten oder anderen Personen. Die Briefgattung neigt ausserdem zu vertraulichen Nachrichten persönlicher Natur, was so weit geht, dass manche Autoren ihren Korrespondenten eine Miniautobiographie schicken. Sie sprechen von ihrem Gesundheitszustand, ihren Hoffnungen und den Trauerfällen, mit denen sie umgehen müssen; im letztgenannten Fall schickt der Briefpartner häufig als Antwort einen Beileidsbrief. Manche Briefschreiber machen auch Mitteilung über ihre schriftstellerischen Projekte und bitten ihren Korrespondenten, sie mit Material zu versorgen (Bücher, Pflanzen,…) oder einen von ihnen verfassten Text zu lesen. Man diskutiert über Möglichkeiten für eine persönliche Begegnung. In selteneren Fällen wundert man sich über ein sonderbares oder auffallendes Ereignis oder gibt sich einer Faszination durch die Natur hin.
Die konfessionellen Streitigkeiten, die erst der Erfolg der Reformation und dann der der katholischen Reform nach sich ziehen, bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Korrespondenzen: Neben den Nachrichten, die Glaubensbrüder untereinander über die Entwicklung der religiösen Ideen in der Schweiz und anderswo austauschen, kommt es auch vor, dass ein Autor, dem die Konversion eines Bekannten übel aufstösst, zur Feder greift, um ihn zu einer Revision seines Schritts zu bewegen.
Der Zustand der Heimat gehört ebenfalls zu den Themen, die den Schweizer Humanisten brennend unter den Nägeln lagen, besonders wenn es darum ging, ihr Vaterland gegen Angriffe von aussen zu verteidigen. Sendschreiben an zivile oder religiöse Autoritäten behandeln oft Fragen des Erziehungswesens, die den Intellektuellen sowohl auf katholischer wie auf reformierter Seite sehr wichtig sind. Die Widmungsbriefe, die den Werken der Humanisten vorangestellt sind, enthalten allgemeine Reflexionen über Wissensgebiete wie die Geographie, die Geschichte, die Poesie, die Philosophie, die Moral und andere Themen. Sie ermöglichen es dem Autor auch, seine Herangehensweise an sein Thema zu rechtfertigen und seine spezifische Sichtweise zu verteidigen.
4. Das Schweizer Postwesen im 16. Jahrhundert
Es erscheint sinnvoll, hier noch einige Worte zu den äusseren Voraussetzungen anzufügen, unter denen die schweizerischen Humanisten und ihre Zeitgenossen Briefe und andere Post versenden konnten. Im Folgenden wird kurz dargestellt, welche Ansätze zu einem Postwesen nach heutigen Massstäben in der Schweiz im 16. Jahrhundert bereits existierten; einige davon hatten sich bereits im Mittelalter herausgebildet. Die natürlich immer bestehende Möglichkeit, Briefe einem Freund oder Bekannten mitzugeben, bleibt dabei ebenso ausser Betracht wie Botensysteme, die Privatleuten grundsätzlich nicht offenstanden.
1. Die grossen Mönchsorden, besonders die Benediktinerabteien, verfügten über eigene Klosterboten, die (seit dem Hochmittelalter auch zu Pferde) als eine Art «ständige Nachrichtenverbindung» zwischen den einzelnen Ordensniederlassungen fungierten. Sie waren berechtigt, gegen eine Gebühr auch private Sendungen zu transportieren. Einem regelmässigen Betriebsplan «mit festen Routen und Laufzeiten» folgte dieses Botenwesen, das seine Bedeutung bis ins 17. Jahrhundert behielt, nicht.
2. Seit dem Hochmittelalter betätigten sich auch die von Universität zu Universität reisenden Studenten im Auftrag der Sorbonne als Messagers volants (fahrende Boten); das von ihnen genutzten Strassennetz verlief auch über das schweizerische Territorium. Schon im 14. und 15. Jahrhundert verlor dieses Botensystem aber an Bedeutung.
3. Auch die Zünfte beteiligten sich seit dem Spätmittelalter am Botenwesen und transportierten auch private Sendungen. Dies gilt besonders für die Metzger des süddeutschen Raumes (incl. der Schweiz), die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit viele unterschiedliche Viehmärkte zu besuchen hatten, in geringerem Masse auch für die Müller und andere Zünfte.
4. Seit dem 14. Jahrhundert sind in der Eidgenossenschaft und in den mit ihr verbündeten «zugewandten Orten» die «Standesläufer» bzw. «Standesboten» belegt. Auch dieses Nachrichtensystem folgte normalerweise – Kriegszeiten ausgenommen – keinem genauen Zeit- oder Streckenplan. Neben diesen Läuferboten wurden in dringenden Fällen manchmal auch Reitknechte eingesetzt. Die Standesboten, die für ihre amtlichen Gänge ein «Laufgeld» und für ihre Wartezeiten daheim und auswärts ein «Wartgeld» erhielten, fungierten als Amtsträger und offizielle Vertreter ihrer Auftraggeber und genossen auch in Kriegszeiten Immunität. Daher vertrauten auch Privatleute ihnen gerne gegen eine Gebühr und ein Trinkgeld ihre Post an. Die Behörden nahmen dies mit gewissen Einschränkungen hin: so war es den Boten untersagt, auf einem amtlichen Auftrag auch private Sendungen mitzuführen. Gelegentlich benötigten sie eine spezielle Erlaubnis, wenn sie in ihrer dienstfreien Zeit Aufträge von Privatleuten ausführen wollten (z. B. 1511: St. Gallen). Es ist belegt, dass Joachim Vadian für seine Korrespondenz mit Zwingli, Bullinger und anderen bevorzugt auf den St. Galler Stadtboten Alexius Knobloch zurückgriff. Dieser bediente sich eines leichten zweirädrigen Einspänners und war regelmässig zwischen St. Gallen und Zürich unterwegs. Infolge der Glaubensspaltung und der damit verbundenen Turbulenzen kam es sowohl innerhalb der reformierten wie auch innerhalb der katholischen Kantone zu einer Verstärkung des Botenwesens. Das Zentrum des katholischen Botenverkehrs, der auch die bedeutenden Klöster wie Einsiedeln oder St. Gallen und die Bischofssitze umfasste, lag in Luzern, wo der päpstliche Nuntius residierte.
Der Begriff «Post» ist seit dem Ende des 15. und dem Beginn des 16. Jh. in den Quellen greifbar und bezeichnet darin «die festen Botenlinien zwischen zwei Punkten mit Stationen für den Läuferwechsel und festen Laufzeiten». Die entscheidende Neuerung lag darin, dass nicht mehr ein Bote die gesamte Strecke absolvierte, sondern jeder am Ende einer kurzen Etappe seine Brieffelleisen an einen anderen, noch unverbrauchten Kollegen weitergab. Dies ermöglichte eine pausenlose Beförderung zur Tag- und Nachtzeit und beschleunigte so die Beförderung. In Mailand, Frankreich und dem heutigen Deutschland existierte eine solche berittene Post seit dem 15. Jahrhundert. In der Schweiz lassen sich derartige Postverbindungen für Bern im 17. Jahrhundert belegen; für das 16. Jahrhundert gibt es dort nur gelegentliche Andeutungen auf «postähnliche Läuferverbindungen», vor allem in Richtung Basel. In anderen Kantonen setzte der Wandel früher ein: Freiburg verfügte etwa schon 1587 über «eine feste Standesläuferpost mit Romont, Solothurn und Luzern».
5. Erstmals 1445 urkundlich belegt ist der «Fussacher Bote» bzw. «Lindauer Bote», eine regelmässig bediente Postlinie mit den Stationen Lindau-Fussach-Feldkirch-Vaduz-Luziensteig-Maienfeld-Chur-Reichenau-Thusis-Splügenpass-Chiavenna-Como-Mailand, die somit auch durch die Schweiz verlief. Diese Botenanstalt beförderte neben Handelswaren im engeren Sinne auch Briefe, Pakete und Reisende. Die vier Boten wurden von Lindau und Mailand ausgewählt und stammten stets aus Fussach; ein Grund dafür könnte gewesen sein, dass die katholischen Fussacher in Mailand lieber gesehen wurde als die protestantisch gewordenen Lindauer. Die Strecke zwischen Fussach und Lindau wurde mit dem Boot zurückgelegt, der Rest auf Wagen bzw. auf dem Pferd. Für die auf dem Landweg zurückgelegte Strecke Lindau-Mailand benötigte der wöchentlich verkehrende Bote unter normalen Umständen fünfeinhalb Tage, witterungsbedingt jedoch auch manchmal länger.
6. 1387 hatten St. Gallen und Nürnberg ein Handelsabkommen abgeschlossen und beschlossen, sich alle zwei Wochen Briefboten zu schicken, die auf einer festen Strecke und mit einem festen Zeitplan unterwegs waren (daher die Bezeichnung «Nürnberger Ordinari»). Seit dem 15. Jahrhundert beteiligten sich auch Händler und Handwerker aus anderen schweizerischen Städten an diesem Unternehmen (Schaffhausen, Zürich, Basel). Das Unternehmen wurde gewinnorientiert geführt und beförderte daher gerne gegen Gebühr auch private Sendungen. Dass der ursprünglich vereinbarte Zweiwochenrythmus tatsächlich eingehalten wurde, kann für ausgeschlossen gelten. Ab dem 16. Jahrhundert geriet das Unternehmen in eine Konkurrenz mit der von den Taxis (später Thurn und Taxis) geführten kaiserlichen Reichspost, die ihre Monopolansprüche auf Reichsgebiet schliesslich 1681 durchsetzen konnten.
7. Wahrscheinlich schon 1418 schufen St. Galler Kaufleute mit Unterstützung auswärtiger Handelspartner eine Botenlinie nach Lyon («Lyoner Ordinari»), die ab ungefähr 1500 tatsächlich regelmässig bedient wurde; durch den Anschluss dieser Linie an das Nürnberger Ordinari wurde eine Verbindung zwischen Süddeutschland und Südfrankreich über schweizerisches Territorium geschaffen. Der Verlauf der Reformation führte dazu, dass viele wichtige Zentren der Schweizer Reformierten (besonders Zürich und Genf) an dieser Poststrecke lagen. Bedeutung gewann die Verbindung nach Lyon auch durch den nach der Entdeckung Amerikas einsetzenden Transatlantik-Handel. Ab 1585 schufen die Gebrüder Peyer aus Schaffhausen als Konkurrenzunternehmen eine eigene Lyoner Ordinari-Verbindung. Die weiteren Entwicklungen bis zum Ende aller St. Galler Postunternehmungen am Ende des 17. Jahrhunderts können hier ausser Betracht bleiben.
Bibliographie
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Glomski, J., «Epistolary Writing», in: V. Moul (Hg.), A Guide to Neo-Latin Literature, Cambridge, Cambridge University Press, 2017, 255-271.
Gueudet, G., L’art de la lettre humaniste, Paris, Champion, 2004.
Henderson, J. R., «Humanist Letter Writing: Private Conversation or Public Forum?», in: T. Van Houdt u. a. (Hgg.), Self-Presentation and Social Identification. The Rhetoric and Pragmatics of Letter Writings in Early Modern Times, Leuven, Leuven University Press, 2002, 17-38.
IJsewijn, J., «Letters», in: D. Sacré/J. IJsewijn (Hgg.), Companion to Neo-Latin Studies, part II: Literary Linguistic Philological and Editorial Questions, Löwen, Leuven University Press, 1998, 218-228.
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Papy, J., «Letters», in: S. Knight/S. Tilg (Hgg.), The Oxford Handbook of Neo-Latin, Oxford, Oxford University Press, 2015, p. 167-182.
Vaillancourt, L., La lettre familière au XVIe siècle. Rhétorique humaniste de l’épistolaire, Paris, Champion, 2003.
Van Houdt. T. u. a. (Hgg.), Self-Presentation and Social Identification. The Rhetoric and Pragmatics of Letter Writings in Early Modern Times, Leuven, Leuven University Press, 2002.
Weiss, A., Die Post in der Schweiz. Ihre Geschichte durch 2000 Jahre, Stuttgart/Bern, Hallwag, 1987, 25-51.
Zur erhaltenen Korrespondenz Vadians s. R. Krauer, «Briefsammlung», [Appendix 6] in: R. Gamper, Joachim Vadian (1483/84-1551). Humanist, Arzt, Reformator, Politiker, Zürich, Chronos, 2017, 350-354 (zu den Editionen: 352-354).
Zum damaligen Postwesen s. weiter unten.
Dabei wird hier in erster Linie an die Ambassadorenpost des französischen Botschafters in Solothurn gedacht. Auch Bullinger und Zwingli griffen für ihre Briefe auf spezielle, besonders zuverlässige Boten zurück; s. dazu Weiss (1987), 45.