Briefe von Freunden an Albrecht von Bonstetten über verschiedene Themen
Achatius Mornauer · Michael Christan · Niklaus von Wyle
Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt/Kevin Bovier). Version: 23.06.2023.
Entstehungsdaten: für Brief 1a: 30. September 1469; für Brief 1b: 3. Juli 1470; für Brief 1c: 1476 (?); für Brief 2: 1477 (?); für Brief 3a: 17. Juli (1473?); für Brief 3b: 3. Februar 1480.
Kopien: St. Gallen, Stiftsbibliothek, cod. 719, 173-280 (eine Hand, Ende des 15. Jh.; insgesamt 88 Briefe); cod. 1428 (eine dreifache Abschrift von cod. 719; 1428a: Anonymus, Ende 17./Anfang 18. Jh.; 1428b: Pater Konrad Scherer; 1428c: Pater Ildefons von Arx [1755-1833, Stiftsbibliothekar 1823-1833]).
Ausgabe: Albrecht von Bonstetten, Briefe und ausgewählte Schriften, hg. von A. Büchi, Basel, Adolf Geering, 1893, hier: 16-17 (Nr. 5); 18-19 (Nr. 7); 33 (Nr. 21); 63-64 (Nr. 48); 71-72 (Nr. 54); 101-102 (Nr. 81).
Die hier präsentierten Texte stellen uns ein Mitglied der ersten Generation der Schweizer Humanisten vor Augen. Albrecht von Bonstetten wurde 1442/43 in Uster (Kanton Zürich) geboren. Seine Eltern waren Kasper von Hohensax und seine Frau Elisabeth. Sein Onkel Gerold von Hohensax (†1480) war 1452-1469 Abt des Benediktinerklosters Einsiedeln (Kanton Schwyz), in das Albrecht 1454 oder etwas später auch selbst eintrat. Er absolvierte ein Studium der Artes liberales in Freiburg i. Br. (1466) und in Basel (bis 1468). Nach seiner Ernennung zum Dekan von Einsiedeln (1469) setzte er seine Studien (nun vor allem in Theologie und dem kanonischem Recht) 1471-1474 in Pavia fort und wurde 1474 in Einsiedeln zum Priester geweiht, wo er fortan seinen Wohnsitz hatte. Er hielt aber auch von Einsiedeln aus weiter engen Kontakt zur politischen und gelehrten Welt, wovon nicht zuletzt die erhaltenen Briefe an ihn Zeugnis ablegen. Ausser Briefen verschickte er auch Geschenke und konnte anlässlich von Wallfahrten oder der bei Einsiedeln stattfindenden eidgenössischen Tagsatzungen einflussreiche Freunde im Kloster willkommen heissen; ausserdem unternahm er auch selbst weiterhin Reisen (nicht zuletzt zu den Thermen von Baden (Kanton Aargau), die auch in einem der hier präsentierten Briefe an Bonstetten eine Rolle spielen). Zu seinen Freunden und Bekannten gehörten besonders die Herzöge von Mailand, aber auch der französische König Ludwig XI. und die römisch-deutschen Herrscher. Kaiser Friedrich III. ernannte ihn 1482 zum Hofpfalzgraf und Hofkaplan, Kaiser Maximilian I. machte ihn 1498 zum Doktor beider Rechte (utriusque iuris, das heisst des römischen und des kanonischen Rechts). Er verstarb um 1504/05 in Einsiedeln.
Bonstetten war als Schriftsteller in deutscher und lateinischer Sprache Tätigkeit; seine Werke sind einerseits der Geschichtsschreibung und der politischen Publizistik und andererseits dem Bereich der Hagiographie bzw. des religiösen Schrifttums zuzurechnen. Auf der einen Seite verdienen besondere Erwähnung seine Geschichte der Burgunderkriege (Germanica praelia Karoli quondam Burgundiae ducis et finis eius; 1477, lateinisch und deutsch), seine landeskundliche Darstellung der acht alten Orte (Superioris Germaniae confoederationis descriptio; 1479 in Latein und Deutsch abgeschlossen), eine Geschichte der Familie Habsburg (Historia domus Austriae, 1491; ein Jahr später von Bonstettens selbst ins Deutsche übersetzt) und eine Geschichte des Klosters Einsiedeln (1494). Auf der anderen Seite eine Biographie des (ihm persönlich bekannten) Niklaus von Flüe (1479, deutsch und lateinisch) und eine Legende der heiligen Ida (1481, lateinisch; dieses Werk soll Bonstetten selbst zum Druck gebracht haben, während die bisher erwähnten erst im 19. Jh. gedruckt wurden) sowie eine deutsche Vita des heiligen Meinrad (1490; nach dem Sommer 1494 in Nürnberg und 1496 in Basel gedruckt) und ein für Friedrich III. bestimmtes Marienbrevier (Septem Horae canonicae virgineae matris Mariae; 1493), für das der junge Humanist Jakob Locher (auch Philomusus genannt; 1471-1528) eine Praefatio in elegischen Distichen und einen Brief verfasste. Erwähnung verdient noch Bonstettens allegorische Jugendschrift De Iustitiae ceterarumque virtutum exilio («Über die Verbannung der Gerechtigkeit und der übrigen Tugenden»; 1470), da sie auch in den hier präsentierten Briefen eine Rolle spielt.
Im Codex 719 der Stiftsbibliothek von Sankt Gallen haben sich aus den Jahren zwischen 1465 und 1480 insgesamt 88 Briefe an Bonstetten in Abschrift erhalten, die einen interessanten Einblick in das Beziehungsgeflecht dieses Schweizer Frühhumanisten gewähren. Bonstettens Korrespondenzpartner stammten aus der Schweiz, Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien. Es finden sich darunter prominente Humanisten wie Francesco Filelfo und Niklaus von Wyle, einflussreiche politische Akteure aus Mailand und Venedig (darunter in Mailand der spätere Kardinal Ascanio Sforza und der venezianische Gesandte Albert ab Aucha) und wichtige Kleriker (z. B. der Augsburger Bischof Johann II. und Karl von Neuenburg, Erzbischof von Besançon).
Wir präsentieren aus diesem Corpus hier eine Auswahl von sechs Briefen und nehmen bei dieser Auswahl besonders den humanistischen bzw. gelehrten Aspekt von Bonstettens Wirken in den Blick: drei Briefe stammen von Niklaus von Wyle, einem der bedeutendsten deutschsprachigen Frühhumanisten, zwei von dem Konstanzer Kleriker und Humanisten Michael Christan, einer von dem im Dienste des Herzogs Sigismund von Tirol stehenden Brixener Kleriker Achatius Mornauer. Wir bieten den lateinischen Text der Briefedition von Büchi; die Interpunktion wurde dabei stellenweise modifiziert und die Orthographie modernisiert, ohne dass dies im Einzelnen angegeben wird.
Zu den Briefen im Einzelnen:
1a) Niklaus von Wyle bedankt sich für ein früheres Schreiben Bonstettens und lobt seinen Stil. Er hebt ihn aufgrund seiner Gelehrsamkeit weit über seine adeligen Standesgenossen, von deren Desinteresse an geistigen Fragen er ein dunkles Bild zeichnet. Er verspricht Bonstetten, ihm die eigene Bibliothek zur Verfügung zu stellen.
1b) Niklaus von Wyle berichtet über seine Präsenz bei einer Tagsatzung in Baden und stellt einen Besuch anlässlich einer Wallfahrt seines Dienstherrn nach Einsiedeln in Aussicht. Er dankt für eine Schrift Bonstettens, die ihm dieser zugeschickt hat und erzählt von seiner Lektüre zweier Werke des Enea Silvio Piccolomini, die er Bonstetten, wenn gewünscht, gerne zur Verfügung stellen würde. Er schlägt unabhängig von der erwähnten Wallfahrt einen gemeinsamen Badeaufenthalt in Baden vor und erwähnt seine Übersetzungstätigkeit.
1c) Dankesbrief für ein Schreiben Bonstettens und humorvoll-aufmunternde Bemerkungen über dessen kleine körperliche Statur.
2) Lobende Bemerkungen Achatius Mornauer über die seinem Herrn Herzog Sigismund von Bonstetten gewidmete Schrift über die Burgunderkriege. Er könne leider Bonstetten nicht zu der erhofften Pfründe verhelfen, habe ihm aber den Titel eines Kaplans verschaffen können.
3a) Michael Christan sendet Bonstetten seine Schrift «Über die Verbannung der Gerechtigkeit und der übrigen Tugenden» zurück und lobt sie sehr; auch er kontrastiert Bonstetten positiv mit dessen ungebildeten Standesgenossen.
3b) Michael Christan dankt Bonstetten für die Freundlichkeit, die er gegenüber trotz seiner mangelnden Würdigkeit gezeigt hat; er preist in diesem Zusammenhang Bonstettens literarische Leistungen und sein Arbeitsethos; er bekennt sich zum humanistischen Ruhmesstreben und preist Bonstetten, der sich bereits Ruhm erworben habe, der noch viele Jahre währen möge.
Die Kommunikationssituation variiert merklich in den drei Briefwechseln, denen diese Beispiele entstammen. Die Schreiben des Niklaus von Wyle präsentieren sich als Freundschaftsbriefe eines ebenbürtigen Mithumanisten, der den Einsiedler nicht nur preist, sondern auch zu verstehen gibt, dass er ihn zu fördern imstande ist (etwa indem er ihm in Brief 1a Zugriff auf die eigene Bibliothek verheisst). Im Rahmen einer solchen Kommunikation auf Augenhöhe können auch eher persönliche Mitteilungen gemacht werden (z. B. Brief 1b: Schwangerschaft der Tochter). Michael Christan dagegen gesteht Bonstetten in seinen beiden Briefen deutlich eine überlegene Stellung zu und hofft, durch seine Beziehung zu Bonstetten selbst bekannter zu werden. Das Schreiben des Achatius Mornauer dagegen zeigt uns Bonstetten selbst in der Rolle eines (in der Hauptsache erfolglosen) Bittstellers, der sich für die Dedikation eines literarische Werkes an einen Mächtigen eine kirchliche Pfründe erwartet hatte; es erinnert uns daran, dass die Humanisten mit solchen Widmungen an politisch Mächtige konkrete materielle Hoffnungen verbanden (wobei im speziellen Fall Bonstettens aufgrund seiner Herkunft und seiner komfortablen Position als Dekan und Konventuale des reichen und berühmten Klosters Einsiedeln im Gegensatz zu vielen anderen Humanisten natürlich keine wirkliche Bedürftigkeit vorlag).
Neben der Sammlung von 88 Briefen, der wir unsere Beispiele entnehmen, sind dreizehn weitere Schreiben an und von Bonstetten aus der Zeit zwischen 1478 und 1498 erhalten. Bonstettens Schreiben sind teilweise in deutscher Sprache abgefasst und richten sich z. B. an Sigismund von Tirol (Widmung der deutschsprachigen Version seiner Geschichte der Habsburger) oder den Rat der Stadt Nürnberg (anlässlich der Übersendung seiner Meinrad-Vita); unter den an ihn gerichteten Briefen findet sich hier etwa seine Ernennung zum Hofpfalzgrafen durch Kaiser Friedrich III. Diese Briefe sind ebenfalls von Büchi in einem Anhang zu seiner hier verwendeten Edition (s. oben) der Briefe veröffentlicht worden (S. 113-149).
Bibliographie
Büchi, A., Albrecht von Bonstetten. Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus in der Schweiz, Frauenfeld, Huber, 1889.
Büchi, A., «Vorwort», in: Albrecht von Bonstetten. Briefe und ausgewählte Schriften, hg. von A. Büchi, Basel, Adolf Geering, 1893, I-XI [=Büchi (1893a)].
Büchi, A., «Einleitung» [zu den Briefen], in: Albrecht von Bonstetten. Briefe und ausgewählte Schriften, hg. von A. Büchi, Basel, Adolf Geering, 1893, 3-10 [=Büchi (1893b)].
Fueglister, H., «Albrecht von Bonstetten», Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Auflage, Bd. 1 (1978), 176-179.
Hug, A., «Bonstetten, Albrecht von», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 12.02.2007, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011585/2007-02-12/.
Müller, H., Habit und Habitus. Mönche und Humanisten im Dialog, Tübingen, Mohr Siebeck, 2006, hier: 175-192.
Newald, R., «Bonstetten, Albert Freiherr von», Neue Deutsche Biographie 2 (1955), 450, Onlineversion, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119540940.html#ndbcontent.
Schweers, R., Albrecht von Bonstetten und die vorländische Historiographie zwischen Burgunder- und Schwabenkriegen, Münster u. a., Waxmann, 2005.