Theater
Autor(en): David Amherdt/Clemens Schlip. Version: 06.09.2023.
- Einführung
- Theaterproduktion der Schweizer Humanisten
- Ein Sprung in die Zukunft: das Jesuitentheater
- Schweizer Humanisten und Drucker als Herausgeber antiker und zeitgenössischer Stücke
1. Einführung
Das Theater gehört zu den Gattungen, die sich in der neulateinischen Literatur eher spät entwickelten. Es entstand zwar schon Ende des 14./Anfang des 15. Jahrhunderts in Italien, aber es gewann besonders im 16. Jahrhundert in Deutschland und den Niederlanden an Bedeutung, vor allem nach 1530: Hunderte Stücke wurden verfasst, allerdings wurde nicht alle davon auch im Druck veröffentlicht. Dieses Theater sollte mindestens bis zum Ende des 17. Jahrhunderts Bestand haben.
Das Humanistentheater ist vor allem ein Schul- oder Universitätstheater; bei den Autoren handelt es sich in der Mehrzahl um Professoren und Lehrer und bei den Schauspielern um Schüler oder Studenten; es war also ein Amateurtheater. Feste Theaterbauten gab es in dieser Epoche noch nicht. Die Stücke kamen daher in den Schulen, Akademien oder Universitäten anlässlich von Festen, Besuchen hochrangiger Persönlichkeiten und ähnlichen Anlässen zur Aufführung.
Das Theater sollte die Schüler zum praktischen Gebrauch der lateinischen Sprache führen und so das Ausbildungsniveau der betreffenden Bildungseinrichtung verdeutlichen, aber auch zu ihrer religiösen und moralischen Bildung beitragen (wie auch zu der der Zuschauerschaft). Mit Beginn der Reformation wurde das Theater auch zu einem bevorzugten Medium für Angriffe auf den jeweiligen konfessionellen Gegner.
Die grossen Vorbilder für diese Theaterproduktionen waren zum einen die bereits im Mittelalter bekannten Komödien des Terenz, die nicht zuletzt in der Schweiz im 16. Jahrhundert in zahlreichen Ausgaben auf den Markt kamen; zum anderen die Komödien des Plautus, von denen gut die Hälfte erst im 15. Jahrhundert entdeckt wurde und deren Einfluss geringer war als der des Terenz; und schliesslich die Tragödien Senecas, die vor Ende des 16. Jahrhunderts kaum Erfolge erzielten.
Alle diese klassischen Texte fanden als Klassenlektüre Verwendung und bildeten das Fundament der Theaterpraxis. Mit der zunehmenden Entdeckung und Übersetzung des griechischen Theaters diente auch dieses als Vorbild, wenn auch in geringerem Masse als sein lateinisches Pendant. Aristophanes wurde für die Komödie wichtig (ein Teil des Ploutos wurde im 15. Jahrhundert von Leonardo Bruni übersetzt; das Stück wurde in der Folge in der Renaissance viel übersetzt). Für die Tragödie wurden in der Reihenfolge ihrer Wiederentdeckung erst Euripides (den Erasmus glänzend übersetzte) und dann Sophokles und Aischylos bedeutend.
Faktisch setzte man zu Beginn des humanistischen Schulbetriebs zum Zwecke der Deklamationen und der theatralischen Aufführungen vor allem auf die klassischen römischer Komödien (in erster Linie den Terenz). Da ihr Inhalt zu sittlichen Bedenken angab, wurden diese zunehmend durch Eigenproduktionen ersetzt, die besonders ab ca. 1550 in grösster Anzahl vorliegen. In der äusseren Form blieb man von den antiken Vorbildern beeinflusst. Die «Prologe», die den Stücken in der Regel vorangestellt werden, folgen dem Vorbild der überliefertem Stücke des Plautus und des Terenz: Plautus ging in seinen Prologen auf den Inhalt des gleich beginnenden Stücks ein, während Terenz gegen seine Gegner im Literaturbetrieb polemisierte. Auch die argumenta (Argumente, d. h. kurze Inhaltsangaben), die ganzen Stücken oder auch (wie in Gwalthers Nabal) einzelnen Szenen vorangestellt werden, sind eine Folge des Plautus- und Terenzstudiums. Die deren Stücken in der handschriftlichen Überlieferung vorangestellten argumenta stammen freilich nicht von den antiken Dichtern selbst, sondern sind Hinzufügungen aus Spätantike und Mittelalter.
Im Vergleich zum Theater der Antike erschienen nun neue Helden auf der Bühne, die der klassischen Welt, der Bibel, der mittelalterlichen und der zeitgenössischen Geschichte entstammten: Caesar, Pompeius, Adam, Esther, Susanne, Judith, Christus, Richard III., Maria Stuart und viele andere. Neben Komödie und Tragödie gab es nun neue Gattungen und Untergattungen: Tragikomödien, Dialoge, ludi pastorales (Hirtenspiele), plausus mortis (Totentanz) etc.
Besonders im Norden – und hier vor allem in Deutschland und in den Niederlanden –entwickelte sich die Komödie mit Autoren wie dem Niederländer Georgius Macropedius (1487-1558; Aluta, Rebelles) und dem Deutschen Thomas Naogeorgus (1508-1563) mit seinen polemischen antikatholischen Stücken (Pammachius, Mercator). Was die Tragödie angeht, so kann man noch einen Vorläufer erwähnen, den Italiener Albertino Mussato (1261-1329) und sein Stück Ecerinis (1313); ferner den Franzosen Marc-Antoine Muret (1526-1585) und seinen Iulius Caesar; und den Schotten George Buchanan (1506-1582) und seinen Iephtes, der besonders von der Iphigenie auf Aulis des Euripides angeregt ist.
Im deutschsprachigen Raum traten zunächst Jakob Wimpheling mit der Komödie Stylpho (1480) und Johannes Kerckmeister mit der Komödie Codrus (1485) hervor. Diese Schulstücke ähneln jedoch mehr Dialogen als wirklichen Dramen. Johannes Reuchlin verfasste als erster deutscher Humanist eine Komödie (die Scaenica Progymnasmata von 1498, auch unter dem Namen Henno bekannt), die sich eng an die Tradition der römischen Palliata (das heisst konkret: der Stücke des Terenz und des Plautus, die in einem griechischen Milieu spielen) anschloss. Er übernahm von ihr die Aufteilung in (fünf) Akte und Szenen und wurde dadurch ein prägendes Vorbild. Der Niederländer Guilelmus Gnapheus folgte seinem Vorbild einer engen Orientierung an der römischen Komödie 1529 mit seinem Acolastus; er begründete damit zugleich einen neuen Komödientypus, die comoedia sacra, die diese Gattung in den Dienst christlicher Belehrung stellt.
2. Theaterproduktion der Schweizer Humanisten
Wenn es noch ein wenig bekanntes Feld der Schweizer Renaissanceliteratur gibt, dann ist es das Theater. Wir können im Folgenden natürlich keine vertiefte Studie anbieten, aber doch einige Hinweise, die es gestatten, sich eine erste Vorstellung von diesem Gebiet zu machen.
Wir beginnen diese kurze Einführung mit dem Gallus pugnans von Vadian, der 1514 in Wien veröffentlicht wurde: der Gallus, eine Farce, die eher Dialogform hat als die Form eines Theaterstücks (der Text ist nicht in Akte und Szenen gegliedert und besitzt keinerlei Regieanweisungen), setzt den Prozess der Hühner gegen die Hähne in Szene. Es ist ein literarisch sehr gepflegter Text, dessen Ziel es ist, den Gelehrten zu gefallen, aber auch dem Lesepublikum oder eventuellen Zuschauern. Es handelt sich zugleich um eine Satire: eine Satire über menschliche Mängel (Hühner und Hähne verhalten sich wie Menschen); und eine Satire über die unfruchtbaren Diskussionen der Scholastik.
1530 schrieb der aus Frauenfeld stammende Schweizer Humanist Peter Dasypodius (Hasenfratz) eine Komödie in lateinischen Versen für das Schultheater: Philargyrus, das heisst «der Geizige» (abgeleitet vom griechischen φιλάργυρος/philargyros). Dieses erst 1565 im Druck erschienene Stück, das mehr moralisiert als amüsiert und von einem Habgierigen handelt, der am Ende zum Philanthropen wird, ist vom Ploutos (Πλοῦτος = Reichtum) des Aristophanes inspiriert. Es entstand während der Lehrtätigkeit des Dasypodius in Frauenfeld, einige Jahre vor seiner Berufung nach Strassburg.
Ein merkwürdiges Werk stellt die Monachopornomachia des Simon Lemnius dar. 1538 hatte Lemnius satirische Epigramme veröffentlicht, die er dem Erzbischof von Mainz, Kardinal Albrecht von Brandenburg, widmete; das Werk versetzte Martin Luther in Zorn, der es von der Universität Wittenberg verwerfen liess. Einige Zeit später, im April 1539, liess Lemnius in Köln unter dem Pseudonym Lutius Pisaeus Iuvenalis die Monachopornomachia erscheinen, den Mönchshurenkrieg; der Titel war angeregt von der Batrachomyomachia (dem Froschmäusekrieg) des Homer. Dieses Stück bzw. diese Szenenfolge in elegischen Distichen führte obszöne Dialoge vor, die darauf abzielten, das Privatleben der Reformatoren Luther, Justus Jonas, Georg Palatin und ihrer Frauen ins Lächerliche zu ziehen. Das Werk endet mit einer Tirade des Chors der Babylonier (Babylonidum chorus) in phaläkischen Hendekasyllaben (eine Nachahmung Catulls). Wie Lothar Mundt feststellt, handelt es sich um ein präzedenzloses Werk in der neulateinischen Literatur, sowohl hinsichtlich des Themas als auch mit Blick auf Perspektive und Sprache.
Wie Dasypodius, so thematisierte auch Heinrich Pantaleon 1546 in einer fünfaktigen Komödie mit dem Titel Philargirus. Comoedia nova et sacra de Zachaeo […] die Habgier; er stellt darin die Bekehrung des habgierigen Zöllners Zachäus dar und geht auf die für den Protestantismus zentrale Rechtfertigungslehre ein. Die Handlung spielt sich vollständig im Hause des Zachäus ab. Wie ein kurzer dem Prolog vorangestellter Brief angibt, wurde das Stück 1546 zu Ehren des neuen Rektors der Universität, Martin Borrhaus, aufgeführt.
Der Basler Arzt Felix Platter (1536-1614) erwähnt diese Aufführung in seinem Tagebuch (Lebensbeschreibung); er fügt hinzu, dass bei dieser Gelegenheit noch zwei andere Stücke aufgeführt wurden. Eines handelte von der Auferstehung Christi und kann nicht mit Sicherheit identifiziert werden; das zweite mit dem Titel Hamanus ist zweifellos mit der gleichnamigen tragoedia nova des Thomas Naogeorgus (1508-1563) identisch, die 1543 in Leipzig veröffentlicht wurde und in der Tragödiensammlung enthalten ist, die 1547 bei Oporin erschien. Auch wenn wir bislang nur über wenige vertiefte Studien zum Theater in der Schweiz in der damaligen Zeit verfügen, so demonstriert dieses Basler Beispiel doch sehr gut die Bedeutung, die dramatischen Aufführungen im damaligen Schulbetrieb zukam. Platters Aufzeichnungen sind auch sonst für das Theaterwesen im Basel seiner Kindheit aufschlussreich. Er erwähnt für 1546 auch zwei mit grossem Aufwand organisierte deutschsprachige Aufführungen auf dem Korn- und dem Fischmarkt; zur Aufführung kamen das Stück Pauli Bekehrung des Valentin Boltz (1515-1560) bzw. die Susanna des Sixtus Birck (1501-1554); im Falle der Bekehrung übernahm der damals 26 Jahre alte spätere Bürgermeister Bonaventura von Brunn die Titelrolle und hundert Basler Bürger übernahmen Statistenrollen als Soldaten. Zudem erwähnt Platter seine eigene Beteiligung am Schultheater. So übernahm er in der Tragikomödie Hypocrisis des Wilhelm Gnaphaeus (1493-1568) die Rolle der Gratia (der Gnade) und musste dafür Mädchenkleider anlegen, die ihm zu gross waren. Die erwähnte grosse Aufführung der Bekehrung beeindruckte ihn und seine Kameraden derart, dass sie im Hof seines Vaterhauses das Stück für sich nachspielten, wie es ihnen im Gedächtnis geblieben war; Platter übernahm die Rolle des Herrgotts. Auch innerhalb des von seinem Vater Thomas Platter d. Ä. geführten Schülerpensionats wurde vor Gästen des Hauses Theater gespielt; Platter erwähnt namentlich eine lateinische Aufführung des ersten Akts des Phormio des Terenz; seine Erinnerungen machen deutlich, dass dergleichen für junge Schüler durchaus eine übergrosse Herausforderung sein konnte: Einer der Darsteller sollte nur zwei kurze Sätze äussern und versagte bei der Aufführung doch kläglich (aus Lampenfieber?), obwohl er tagelang geübt hatte.
Der bemerkenswerteste Repräsentant des Schweizer Theaters ist zweifellos Rudolf Gwalther, der 1549 seinen Nabal veröffentlichte, eine comoedia sacra, ein Schulstück, dessen Thema der biblischen Episode über Nabal entnommen ist, einen Mann, der in der Davidgeschichte vorkommt (1 Sam 25). Dieses Stück ist bemerkenswert durch seine exempelorientierte, typologische Figurengestaltung, die bei den beiden Hauptakteuren (David und Abigail, die Gattin des Nabal) deutlich darauf abzielt, dem Publikum vorbildliche christliche Verhaltensmassstäbe an die Hand zu geben. Besonders die starke Frauenpersönlichkeit der Abigail verdient Erwähnung. Gwalther ist auch der Autor eines kleinen, in Hexametern abgefassten Theaterstücks in vier Akten auf der Basis des ersten Iliasbuches; dieser Text ist über das handschriftliche Stadium nicht hinausgekommen und ist im Übrigen weitgehend eine Kompilation aus der wenige Jahre zuvor erschienen Iliasübersetzung des Eobanus Hessus. Sandro Giovanoli hat in seiner Studie über den Nabal und die Funktionen des Schultheaters zwanzig Tragödien aufgezählt, die von Zürcher Autoren zwischen 1529 und 1575 verfasst wurden; abgesehen vom Nabal alle in deutscher Sprache. Neun entnehmen ihren Stoff dem Alten Testament (Stücke über Hiob, Joseph, Absalon etc.), sechs dem Neuen Testament (Stücke über Lazarus, die Auferstehung etc.) und fünf sind Tragödien mit politischem oder patriotischem Inhalt (Stücke über Tell, Lukrezia und Brutus etc.). Abgesehen von Gwalther handelt es sich bei den Autoren um Heinrich Bullinger, Jakob Ruf (1505-1558), Jos Murer (1530-1580) und Georg Binder (1460-1538) – die Autoren einer gewissen Zahl von Stücken sind anonym geblieben. Dokumente in den Zürcher Archiven aus den Jahren 1540 und 1550 zeigen, dass es häufig vorkam, dass man Theaterstücke im schulischen Rahmen aufführte. Nur ein berühmtes Beispiel dafür: Am 1. Januar 1531 führte man den Ploutos des Aristophanes in der Originalsprache auf; zu den Schauspielern gehörten Conrad Gessner und Johannes Fries; Ulrich Zwingli (der wenige Monate später in der Schlacht bei Kappel fallen würde) hatte für diesen Anlass Musik komponiert. Es wurde bei dieser Gelegenheit auch das sechste Buch der Odyssee zur Aufführung gebracht, wohl in einer der oben erwähnten Ilias Gwalthers vergleichbaren dramatisierten Fassung; dies dürfte auch für die für das gleiche Jahr belegte Aufführung eines Buchs der Fasten des Ovid gelten.
Über fragmentarische Ansätze nicht hinaus kam Gwalthers Projekt eines Ludus foeminarum, einer «szenischen Selbstvorstellung von zwölf biblischen Frauengestalten» (elf alttestamentarischen sowie der Jungfrau Maria), die sich in ihren jeweiligen Einzelauftritten dem Publikum vorstellen und es über die Heilsgeschichte belehren sollten; Gwalther scheint diese Form literarischer Didaktik letztlich selbst für untauglich erachtet und das Unternehmen deshalb aufgegeben zu haben.
3. Ein Sprung in die Zukunft: das Jesuitentheater
Wir beschliessen diesen kurzen Überblick über das lateinische Theater der Renaissance mit einigen Worten über das Jesuitentheater. Die Ratio studiorum der Jesuiten (die endgültige Fassung stammt von 1599) wies der mündlichen Ausdrucksfähigkeit eine grosse Rolle zu und sah besonders auch die Rezitation einer Szene oder eines Dialogs in der Klasse (ohne szenischen Apparat) vor. Das Theater an sich aber war nicht Bestandteil des offiziellen Ausbildungsprogramms und wird in der Ratio studiorum nicht erwähnt. Ja, manche pädagogische Schriften jesuitischer Autoren offenbaren eher eine Opposition gegen das Theater, das sie massvoll zu gebrauchen empfehlen. Es hat allerdings den Anschein, dass auf diesem Gebiet in Wahrheit keine Mässigung geübt wurde, denn die Stücke, die an den Kollegien geschrieben und aufgeführt wurden, sind, wenn schon nicht unzählbar, so doch zumindest sehr zahlreich, und zwar in einem Ausmass, dass man davon sprechen kann, dass das Theater tatsächlich einen integralen Bestandteil im Selbstverständnis der Jesuitenschulen darstellte. Es stellte in jedem Fall ein wichtiges Bildungsmittel dar, sowohl im Hinblick auf die religiöse Erziehung als auch für die Ausbildung zum flüssigen praktischen Gebrauch des Lateinischen.
In der Anfangszeit des Jesuitentheaters spielte das Altertum eine dominante Rolle. Getreu dem humanistischen Geist (allerdings unter fast totaler Vernachlässigung der griechischen Literatur) begannen die Jesuiten damit, ihre Schüler in Latein vor allem Werke des Plautus (Aulularia, Curculio, etc.), aber auch die des Terenz aufführen zu lassen (die Adelphen), allerdings in einer von ihren profanen und rüpelhaften (und oft auch obszönen) Elementen befreiten Form. Sehr schnell aber genügte dieses enge Repertoire den humanistisch interessierten Jesuiten nicht mehr und sie verfassten ihre eigenen Stücke, meistens Heiligendramen, deren Geschichte hier nicht dargestellt werden kann. Dieses Interesse für das Theater und dieser Übergang vom Altertum zum Heiligendrama lässt sich auch am Freiburger Kolleg feststellen, das einer der Ausgangsorte der Expansion des Jesuitentheaters war, da es von 1584 bis 1590 eine grosse Anzahl von Stücken aufführte, deren Stoffe von antiken Autoren, der Heiligen Schrift und den Lebensbeschreibungen der Heiligen inspiriert waren. Das allererste Stück, das auf dem Liebfrauenplatz aufgeführt wurde war sehr innig mit dem Altertum verbunden, handelte es sich doch um eine dramatische Nachahmung des Timon des Lukian (welcher später auch den berühmten Timon of Athens Shakespeares inspirieren sollte) mit dem Titel Philoplutus (der Habgierige), ein Werk des jungen Humanioraprofessors Jakob Gretser (1562-1625), der zwischen 1584 und 1586 in Freiburg lehrte; von humanistischen Prinzipien durchdrungen und ein grosser Bewunderer des Altertums, sah er zwischen der Welt der Antike und dem Christentum keine grössere Unverträglichkeit. Dennoch wandte sich Gretser später von antiken Stoffen ab und beschränkte sich auf religiöse Stoffe, wozu beigetragen haben mag, dass seine Lukian-Adaptation beim Freiburger Publikum nur auf mässige Gegenliebe gestossen war. Er verfasste vierundzwanzig Stücke, von denen neun in Freiburg entstanden und fünf auch dort aufgeführt wurden. Von seinen geistlich ausgerichteten Stücken verdient besondere Erwähnung sein Drama über den populären Schweizer Heiligen Nikolaus von Flüe, das durch seine starke Betonung der katholischen Eucharistielehre wie auch durch die Umstände seiner Uraufführung – 1586, vor den in Luzern zum Abschluss eines Bündnisses versammelten Gesandten der katholisch gebliebenen eidgenössischen Orte – als paradigmatisch für den Geist der katholischen Reform (bzw. Gegenreformation) angesehen werden kann. Diese Wendung zu religiösen Stoffen lässt sich in Freiburg und andernorts generell feststellen, und ab 1590 herrschen religiöse Stoffe vor, besonders solche aus der Hagiographie.
4. Schweizer Humanisten und Drucker als Herausgeber antiker und zeitgenössischer Stücke
Die Schweizer Drucker des 16. Jahrhunderts waren besonders in Basel und Zürich sehr aktiv mit der Herausgabe grosser antiker Theaterautoren beschäftigt, denen man in der Renaissance nacheiferte, aber auch mit der Herausgabe von Stücken zeitgenössischer Autoren. Es kann hier keine erschöpfende Liste der in der Schweiz erschienenen Ausgaben geboten werden; wir beschränken uns hier auf einige Beispiele.
Terenz erhielt gewiss eine Vorzugsbehandlung. So kam es, dass der Basler Drucker Nicolas Brylinger ab 1540 ungefähr zehn Ausgaben der Komödien des Terenz veranstaltete, der auch in Zürich bei Christoph Froschauer (1552, 1561) und bei Andreas Gessner (1555) herausgegeben wurde. Plautus wurde in Basel 1523 von Andreas Cratander und 1535 von Johannes Herwagen herausgegeben (und 1538, 1552, 1558, 1568). Die Tragödien Senecas wurden ebenfalls in Basel 1529 von Heinrich Petri herausgegeben (und 1541, 1550, 1563).
Aristophanes wurde von Andreas Cratander 1532, 1542 und 1552 herausgebracht; 1539 (und später, 1542 und 1552) veröffentlichte die Basler Druckerei gleichfalls die lateinische Übersetzung des Aristophanes von Andreas Divus, die schon 1538 in Venedig bei Giacomo Pocatela erschienen war. Diese erste Gesamtübersetzung des Aristophanes spielte eine wichtige Rolle für das Bekanntwerden dieses Komikers.
Eine Ausgabe der Tragödien des Euripides erschien 1537 in Basel bei Johannes Herwagen (und 1544, 1551). Die von Erasmus verfasste lateinische Übersetzung der Hekuba und der Iphigenie auf Aulis erschien 1518, 1524 und 1530 in Basel bei Johannes Froben und 1522 bei Thomas Wolf. Eine lateinische Gesamtübersetzung des Euripides, die der Zürcher Rudolf Ambühl anfertigte, erschien 1541 bei Robert Winter; sie wurde in Bern bei Mathias Apiarius für Oporin 1550 nachgedruckt. 1558 erschien bei Oporin eine neue lateinische Übersetzung, die ihre Entstehung einer Lehrveranstaltung Philipp Melanchthons verdankte. Schliesslich kam 1562 in Basel bei Oporin die erste zweisprachige Gesamtausgabe der Tragödien des Euripides heraus. Was Sophokles angeht, so erschien 1558 in Basel bei Oporin eine Übersetzung seiner Tragödien aus der Feder Thomas Naogeorgus; 1556 war ebenfalls bei Oporin ein Kommentar zu seinem Werk von Joachim Camerarius herausgekommen. Schliesslich erschien 1555 wiederum bei Oporin die erste Gesamtübersetzung der Tragödien des Aischylos; 1559 erschien bei Oporin der Gefesselte Prometheus mit einem Kommentar von Mathias Garbitius.
Mehrere zeitgenössische neulateinische Stücke von ausländischen Autoren wurden auch von Schweizer Herausgebern veröffentlicht, die hauptsächlich in Basel sassen. Zu verschiedenen Zeitpunkten kamen einzelne Stücke heraus, vor allem in Basel oder in Zürich, z. B. 1538 die Susanna des Deutschen Sixt Birck (1501-1554) bei Froschauer in Zürich; 1539 bei Johannes Herwagen in Basel der Acolastus de filio prodigo des Niederländers Wilhelm de Volder (1493-1568), der Gnapheus genannt wurde; 1551 bei Oporin in Basel die Tragödie Hieremias des Thomas Naogeorgus (1508-1563); 1556 bei Johannes Oporin in Basel der Christus triumphans des John Foxe (1516-1587).
Aber man muss vor allem zwei Sammlungen erwähnen, die in Basler Offizinen erschienen. 1540 brachte der Basler Drucker Nicolas Brylinger eine Sammlung heraus, die aus zehn biblischen Komödien und Tragödien bestand, deren Verfasser zeitgenössische Autoren waren; dazu zählten zwei bereits erwähnte Stücke, die Susanna des Sixt Birck und der Acolastus von Volder, der Pammachius des Deutschen Thomas Naogeorgus sowie drei Stücke des Niederländers Georgius Macropedius (1487-1558): Hecastus, Bassarus und Andrisca. 1547 veröffentlichte Johannes Oporin in zwei Bänden eine Sammlung von sechszehn biblischen Stücken, von denen sich zwei schon in dem erwähnten Sammelband von 1540 fanden: die Susanna des Sixt Birck und der Ioseph des Niederländers Cornelius Crocus (ca. 1500-1550). Unter den hier neu aufgenommenen Stücken findet man die Isaaci immolatio des Deutschen Hieronymus Ziegler (1514-1562) und den Hamanus des Thomas Naogeorgus.
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