Philargyrus

Petrus Dasypodius

Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt/Kevin Bovier). Version: 10.02.2023.


Entstehungsdatum: 1530.

Ausgabe: Philargyrus Comoedia. Lusus adolescentiae Petri Dasypodii ante annos abhinc triginta quinque scriptus, nunc vero castigatus, auctus, et typis primum excusus, Strassburg, s. n., 1565, hier: fol. [Aiv]vo, Ciiivo.

Metrum: jambische Senare.

 

Petrus Dasypodius – sein ursprünglicher deutscher Name ist unbekannt – wurde um 1490 in oder in der Nähe von Frauenfeld (Kanton Thurgau) geboren. Er wurde 1520 Kaplan in seiner Heimatstadt, 1530 dortselbst reformierter Prediger und Schulmeister. Zwischen 1527 und 1529 unterrichtete er auf Zwinglis Veranlassung an der Fraumünsterschule in Zürich die klassischen Sprachen. Die Niederlage von Kappel zwang ihn 1531 ins Exil. 1533 übertrug ihm Martin Bucer die Direktion der Lateinschule im ehemaligen Karmeliterkloster von Strassburg. Ab 1538 unterrichtete Dasypodius die höheren Klassen eines renommierte Strassburger Gymnasiums (Schola Argentoratensis) in Latein und Griechisch. 1540 wurde er Kanonikus des St. Thomasstifts, 1551 dessen Dekan. Er verstarb am 28. Februar 1559 in Strassburg. Seine wichtigste Leistung und Frucht seiner pädagogischen Tätigkeit ist ein Dictionarium Latinogermanicum, ein alphabetisch und etymologisch angelegtes lateinisch-deutsches Schulwörterbuch. Daneben verfasste Dasypodius unter anderem auch die Schulkomödie Philargyrus (1530, in verbesserter und vermehrter Gestalt 1565 posthum erstmals im Druck erschienen), aus der wir hier einen Ausschnitt bieten.

Die handelnden Figuren des Stücks sind: Plutus (der personifizierte Reichtum; Πλοῦτος), Philargyrus (der Herr, wörtlich «der Habgierige», griechisch: φιλάργυρος), Sophronius (sein Sklave; sein Name ist abgeleitet von σώφρων, «klug»), Misoponus (ein Schuldner; wörtlich der «Mühsalhasser», μισόπονος), Aletes (ἀλήτης, «der Herumirrende», ein Wanderer), Tlemo (ein Kaufmann; τλήμων heisst «ausdauernd, kühn»), Penia (die personifizierte Armut; griechisch: Πενία). Die Figuren tragen also jeweils sprechende, aus dem Griechischen abgeleitete Namen, die sie weniger als Individuen, denn als Typen erscheinen lassen.

Die Handlung des Stücks in seiner Gesamtheit ist (in einer bewusst knappen Zusammenfassung) folgende (auf eine weitere Aufschlüsselung in Einzelszenen wird mit Rücksicht auf bessere Verständlichkeit und Übersichtlichkeit verzichtet):

Erster Akt: Der Reichtum tritt auf und klagt, dass er so oft seine Wohnstatt verändern muss. Er ist blind. Philargyrus verehrt den Reichtum, gönnt sich selbst aber keinen Genuss. Sein Sklave Sophronius opponiert vergeblich gegen diese Haltung. Der Sklave soll den Schuldner Misoponus holen.

Zweiter Akt: Philargyrus verlangt von Misoponus Zahlung. Der ist aber zahlungsunfähig. Der Habgierige nimmt ihm als Pfand seinen Mantel (pallium) weg. Misoponus klagt in einem Monolog. Er klagt auch dem vorbeikommenden Aletes sein Leid.

Dritter Akt: Tlemo möchte von Philargyrus endlich bezahlt werden, doch der schützt Armut vor. Tlemo stellt ihm vor Augen, dass er das Geld dringend braucht – vergeblich. Tlemo wird zornig, doch Sophronius beruhigt ihn. Er will den Geizhals eines Besseren belehren.

Vierter Akt: Misoponus und Tlemo wollen gemeinsam gegen Philargyrus prozessieren. Auftritt der Penia, die sich über ihre Unbeliebtheit beklagt. Sie trifft Sophronius. Er bittet seinen Herrn Philargyrus vergeblich, der Alten zu helfen.

Fünfter Akt: Sophronius kündigt seinem Herrn den Gehorsam auf, weil er Hunger leide und hält ihm seine an diesem Tag begangenen Untaten vor. Er macht ihn auf die Gefahr aufmerksam, die von Tlemo und Misoponus, die Philargyrus erzürnt hat, ausgeht. Gegen das Versprechen einer Verhaltensbesserung sagt er ihm Rettung zu. Dann besänftigt er Tlemo und Misoponus, als sie tatsächlich vorbeikommen. Philargyrus erfüllt sein Versprechen, gibt dem einen seinen Mantel zurück und zahlt seine Schulden beim anderen. Seinem hungrigen Sklaven gibt er ein grosszügiges Geldgeschenk.

Die Akte 1 bis 4 schliessen jeweils mit einem kurzen Chorlied (deren einfache Melodie jeweils in Notenschrift angegeben wird), das die Botschaft des Stücks variiert (sinngemäss: Reichtum ist nicht alles und kann Probleme mit sich bringen). Darunter verdient nur das Chorlied des zweiten Aktes besondere Erwähnung, denn es wird zur Melodie von Zwinglis Kappeler Lied gesungen (eine lateinische Übersetzung dieses Liedes bieten wir an anderer Stelle).

In dem hier ebenfalls präsentierten Prolog zu seiner Komödie erinnert Dasypodius an die Aulularia des Plautus und deren Protagonisten, den Geizhals Euclio; er stellt damit die Handlung seines Stückes bewusst in eine klassische Traditionslinie. Auch eine Figur wie die des gewitzten Sklaven ist der antiken Komödie entnommen (wo sie zum Standardrepertoire gehört, nicht nur in der Aulularia). An solche Vorbilder reicht Dasypodius freilich nicht heran. Der Philargyrus des Dasypodius ist mässig unterhaltsam, sein Humor ist höchstens «mildly amusing», und er gehört sicher nicht zu den grossen Leistungen der komischen Dichtung. Seiner Bestimmung als Schulkomödie wird er aber – wohl gerade auch im Hinblick auf jüngere Schüler – vollauf gerecht. Die Handlung ist sehr einfach verständlich, die Akte sind kurz, eine Aufführung kann nicht allzu lange dauern. Positiv ausgedrückt ist das Stück einfach und plastisch, negativ ausgedrückt allzu simpel konstruiert und grobschlächtig. Als Beispielpartie haben wir die Schlussszene des Stücks ausgewählt. Auffällig ist im Vergleich zu den antiken Komödien sicher auch der Verzicht auf menschliche Frauenfiguren (die Penia ist ja in erster Linie die Persinfikation eines abstrakten Begriffes) oder gar eine Liebeshandlung; dass Dasypodius sich dabei von pädagogischen und moralischen Erwägungen leiten liess, liegt auf der Hand.

 

Bibliographie

Claes, F., Bibliographisches Verzeichnis der deutschen Vokabulare und Wörterbücher, gedruckt bis 1600, Hildesheim/New York, Olms, 1977.

Hartmann, A., «Dasypodius, Petrus», Neue Deutsche Biographie 3 (1957), 520, Onlineversion, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118523856.html#ndbcontent.

Hartweg, F., «Petrus Dasypodius. Un lexicographe suisse fait école à Strasbourg», Etudes germaniques 50 (1995), 397-412.

West, J., Lexical Innovation in Dasypodius’ Dictionary, Berlin/New York, De Gruyter, 1989.

Wetekamp, S., Petrus Dasypodius, Dictionarium latinogermanicum et vice versa (1535): Untersuchungen zum Wortschatz, Göppingen, Kümmerle, 1980.