Conrad Gessner aus Zürich

Übersetzung (Deutsch)

Übersetzung: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Kevin Bovier)


Conrad Gessner aus Zürich, der Kompilator dieser Bibliothek (in seinem 28. Jahr und im Jahre des Heils 1544): Über ihren vielfältigen Nutzen und seinen universellen Plan für ihre mühevolle Erarbeitung wird in der Vorrede sofort ausführlich gesprochen und unter anderem gesagt, dass ich nicht einmal die Schriftsteller von geringster Bedeutung mit Schweigen zu übergehen beschlossen habe: Kein Buch ist nämlich so schlecht, dass es nicht irgendwann irgendwie nützt; was auch Plinius so sah. Es gibt ein nicht unberühmtes Sprichwort, dass manchmal auch ein Dummkopf oder Küchengärtner etwas Sinnvolles sagt. Wer weiss nicht, dass ein ganz hervorragender Dichter immer wieder zu sagen pflegte, er sammele Gold aus dem Unrat des Ennius? Aus diesem Grunde habe ich auch etwas über mich selbst und meine Schriften sagen wollen. Mag man mir nämlich, wie es einst den Ägineten und Megarensern ein Orakel antwortete, nicht der dritte oder vierte, ja schliesslich nicht einmal der zwölfte Platz zuweisen werden, wird man mir, hoffe ich, wenigstens ein Platz innerhalb der untersten Sitzbänke mitsamt der so grossen Plebs der Schriftsteller übriglassen, damit ich nicht als Pechvogel mit jenen [den Ägineten und Megarensern] gemeinsam die Schlussworte des Orakels auf mich beziehen muss: «Weder ernstgenommen, noch mitgezählt zu werden». Und Beispiele lassen mich nicht im Stich: Hieronymus, Gennadius, Honorius, Siegbert und Johannes Trithemius haben die Ergebnisse ihrer Nachtwachen in Schriftstellerkatalogen, die sie kirchliche nennen, eingefügt, freilich an letzter Stelle, wie es die chronologische Reihenfolge mit sich brachte; mir weist diesen Platz hier notwendigerweise die alphabetische Rangordnung zu. Auch der heilige Augustinus hat über sein Leben und seine Schriften die Bücher der Confessiones und Retractationes herausgegeben, und Claudius Galenus ein kleines Werk über seine eigenen Bücher und ein anderes über die Reihenfolge seiner Bücher. Aber es wäre vielleicht besser von mir gewesen, über so grosse Autoren zu schweigen und einfach mit der ersten Entschuldigung zufrieden zu sein, damit mir keiner vorwirft, dass ein Mensch von so geringer Gelehrsamkeit in ungerechtfertigter Weise jene als Beispiele vorschützt. Aber damit es nicht den Anschein hat, dass ich zu ausführlich bei mir verweile und ohne Zurückhaltung von mir selbst spreche (angeborene Scham beschränkt nämlich die Rede, mangelnde Zurückhaltung bringt sie hervor) werde ich nichts weiter vorausschicken; und ich würde dies zu Beginn nicht tun wollen, wenn ich Hoffnung gehabt hätte, dass manche meiner Leser verstehen würden, dass manchmal das Stillschweigen als Anzeichen von Zurückhaltung und Mass den Platz eines Vorworts einnimmt.

Meine Lehrer als Knabe und Jugendlicher in meiner Heimat waren hochberühmte Männer: Oswald Myconius, Theodor Bibliander, Petrus Dasypodius, Johann Jakob Amman, der Leiter unseres Gymnasiums, und Rudolf Collinus. Von diesen Lehrern bin ich vom Elementarunterricht bis zu einer mittelmässigen Kenntnis beider Sprachen hin unterrichtet worden, besonders von dem hochgelehrten Mann Ammann, der mich ganze drei Jahre mit ausserordentlicher Freigiebigkeit in seinem Hause gratis wie ein Familienmitglied beherbergt und unterrichtet hat. Hierauf, nach dem Tode meines Vaters, der uns während seines Lebens mit beständiger Arbeit ernährt hatte und der seinen vielen Kindern nur ein beschränktes Erbe hinterliess, litt ich einige Zeit lang unter Wassersucht, reiste aber bald, nachdem meine Gesundheit durch Gottes Hilfe wiederhergestellt worden war, nach Strassburg (weil mir in meiner Heimat Mäzene für meine Studien fehlten), wo ich einige Monate lang nicht ohne gute Resultate in den edlen Wissenschaften dem überaus guten Mann seligen Angedenkens, Wolfgang Capito, diente; dann kehrte ich in die Heimat zurück und wurde durch ein öffentliches Stipendium gefördert; zusammen mit Johannes Fries, der wie ein Bruder zu mir war, ging ich nach Frankreich und arbeitete ein Jahr lang in Bourges als Lehrer (das Stipendium entsprach nämlich nicht den für Studien in den freien Wissenschaften notwendigen Ausgaben) und habe mir anscheinend, indem ich dort andere lehrte, selbst am meisten genutzt; denn es gab fast keine Zeit ohne Beschäftigung, in der ich nicht dazu verpflichtet gewesen wäre, lateinische oder griechische Autoren zu lesen.

Im folgenden Jahr kam ich nach Paris, um meine Arbeit ungehemmter den Wissenschaften zu widmen; dazu trieb mich der Ruhm jener Stadt und ihrer Akademie; aber ich weiss nicht, weshalb – teils war meine Armut schuld, teils meine freiwillige Nachlässigkeit (ich war nämlich kaum achtzehn geworden; dieses Lebensalter kümmert sich wenig um sich selbst, wenn ihm ein Ratgeber oder Aufmunterer fehlt) – ich ging den mir angenehmen Studien nach, wie ich seit meinem Knabenalter gewohnt war, kümmerte mich sehr wenig um die Philosophie und die ernsteren Künste und las mir ohne ein bestimmtes Ziel verschiedene Autoren durch, griechische und römische, Historiker, Dichter, Ärzte, Philologen, manchmal auch Dialektiker und Rhetoren, wobei ich manchmal viele Passagen übersprang und nur wenige Bücher ganz durchlas, um nur furch die Abwechslung und Vielseitigkeit der Lektüre meinen Geist zu streicheln; das ist heute für sehr viele ein Hindernis, das verhindert, dass sie Fortschritte machen. Deshalb schreibe ich dies auch mit grösserer Aufmerksamkeit über mich, um durch mein Beispiel eine Warnung zu geben, wie schädlich es ist, wenn man junge Leute sich selbst und ihrem eigenen Willen überlässt, ohne dass ein Phoinix da ist, der sie zu wiederholten Malen ermuntert und lehrt, wie jener seinen Achill: «Ein Sprecher von Worten zu sein und ein Täter von Werken.» Nachdrücklich muss man jene tadeln, die, um Geld zu sparen, keine Pädagogen anstellen für die jungen Leute, die sie zur Ausbildung ihrer Begabung an einen anderen Ort schicken; das ist ein grösserer Schaden als man ihn in wenigen Worten ausdrücken könnte. Ihr aber, ihr trefflichen jungen Männer, deren Unternehmungen daheim ein beschränktes Vermögen entgegensteht, ermahne und ermuntere ich: Sucht häufig gebildete Männer auf, tut nichts ohne ihre Ratschläge, hört denen zu, die Vorträge halten, vertraut in nichts auf Euren eigenen Geist, zieht Eure häuslichen Lektüren nicht den Professoren vor; das ist nämlich in jeder Hinsicht ein deutlicher Schaden für Eure Studien, den Ihr in Eurem Lebensalter noch nicht erkennt.

Ich kehre zu mir zurück. Nachdem ich aus Frankreich nach Strassburg zurückgekehrt war, wurde ich in die Heimat zurückgerufen; ich gehorchte und wenig später, nachdem ich noch zur Unzeit eine Frau geheiratet hatte, wurde ich in den Winkel einer öffentlichen Schule hinabgeschleudert und lehrte eine Zeit lang einen guten Teil des Tages Knaben die Grundzüge der Grammatik; mein Stipendium war inzwischen sehr gering, so dass mir keine Hoffnung aufschien, mich ausreichend ernähren zu können; deshalb schaute ich mir in meinen Mussestunden die Bücher der Ärzte an; hierauf, als ich mich auf jede mir mögliche Weise aus meiner misslichen Lage befreit hatte, begab ich mich nach Basel, um weitere Fortschritte zu machen, wobei mir unsere Kirchenvorsteher das gleiche Stipendium zugestanden, das ich vorher genoss; es konnte mir dennoch auch dort den Freiraum für ein Medizinstudium nicht verschaffen, und deshalb habe ich das Griechisch-Lateinisches Wörterbuch auf Grundlage des Lexikons des Favorinus aus Camerino (das bei den Griechen das weitaus umfangreichste ist) so sehr erweitert, dass es in ihm nichts gibt, was ich nicht mit einzigartiger Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt hinzugefügt hätte; auch wenn der Drucker nur einen kleinen Teil meiner Zusätze angefügt hat (was ohne mein Wissen geschah), bis das ganze Werk im Jahre 1537 herauskam. Ob aber der Drucker so viel Urteilssinn und Gelehrsamkeit für sich in Anspruch nahm, dass er manches mit Fleiss selektierte oder er für die Veröffentlichung an einem anderen Termin reservieren wollte, damit es ihm nicht zu einem anderen Zeitpunkt an einem Vorwand fehle, einen erweiterten Band zu veröffentlichen, kann ich nicht leicht sagen; und er selbst starb nicht lange nach dem Druck meines Buches. Es schmerzt mich jedenfalls sehr, dass meine Arbeit so nachlässig behandelt worden ist. Es gab aber auch später Leute (die sich gelehrte Männer zu sein schienen), die vieles als gleichsam überflüssig getilgt haben, besonders griechische Übersetzungen; vielleicht weil sie den Verdacht hatten, dass etwas von mir stammte und es deshalb nicht billigten, obwohl gänzlich alles aus Favorinus von Camerino oder, was das Gleiche ist, aus Hesychios, der Suda und verschiedenen griechischen Kommentaren hinzugefügt worden war, worauf der Drucker aber in seiner Vorrede den Leser nicht hingewiesen hat, damit er nicht den Anschein erwecke, denen nachteilig werden zu wollen, die zur selben Zeit in Basel das grosse Lexikon des Favorinus druckten. Aber weil sowohl jener Drucker als auch die anderen, die noch mehr zu entfernen wagten, gestorben sind, werde ich nicht mehr Worte über diese Angelegenheit machen.

Schon war für mich ein Jahr in Basel vergangen, und plötzlich bot sich mir die Gelegenheit, das Griechische in Lausanne am Genfersee zu unterrichten, wobei mir der erhabene Rat von Bern ein grosszügiges Stipendium gewährte. Dort habe ich also drei Jahre gelehrt und lebte sehr angenehm in Gesellschaft gelehrter und frommer Menschen: Pierre Viret, Béat Comte, Imbert als Professor des Griechischen und Johannes Ribit, der mir nachfolgte, und in freundschaftlichen Beziehungen zu anderen. Aber da sich mein Geist seit dem Knabenalter zum Medizinstudium hinneigte (seit ich ein kleines Kind war, unterrichtete mich nämlich mein bedeutender Onkel mütterlicherseits, einst Priester in Zürich und nicht unerfahren in der Medizin, besonders in der Pflanzenheilkunde) und ich mich immer in meinen Mussestunden gerne mit medizinischen Büchern beschäftigt hatte und meine Studienpatrone, die in Zürich den Stipendien vorstehen, mich zu noch grösserem Eifer angetrieben hatten, beschloss ich das in der Medizin hochberühmte Montpellier zu besuchen. Als ich Lausanne verlassen hatte und dorthin kam, fand ich unter den gelehrteren Ärzten keinen, der mich als Gast in sein Haus aufnahm (ich hoffte nämlich weniger aus den öffentlichen Vorlesungen als aus häuslichem Umgang Gelehrsamkeit zu gewinnen); deshalb verweilte ich dort nicht lange und kehrte, in der Anatomie und der Pflanzengeschichte etwas besser unterrichtet, nach Deutschland zurück; in Basel verlieh man mir die Insignien eines Arztes und ich kehrte in die Heimat zurück, wo ich nun im Rahmen meiner Fähigkeiten junge Leute in der Naturphilosophie unterrichte.