Geleitgedicht zur Helvetiae Descriptio

Joachim Vadian

Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt/Kevin Bovier)


Entstehungszeit: Das Gedicht dürft nicht lange vor seiner Veröffentlichung 1519 entstanden sein.

Editionen: H. Glareanus, Descriptio de situ Helvetiae, Basel, Froben, 1519, hier: 5-6; W. Näf, «Schweizerischer Humanismus. Zu Glareans Helvetiae Descriptio», Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 5 (1949), 186-198, hier: 196-198 (mit deutscher Übersetzung); H. Glareanus, Helvetiae Descriptio. Panegyricum, hg. von W. Näf, St. Gallen, Tschudy-Verlag, 1948, 94-97 (mit deutscher Übersetzung); U. Gaier, «Vadian und die Literatur des 16. Jahrhunderts», in: W. Wunderlich (Hg.), St. Gallen. Geschichte einer literarischen Kultur, St. Gallen, UVK Fachverlag für Wissenschaft und Studium, 1999, Bd. 2 (Quellen), 265-297, hier: 265-268 (mit deutscher Übersetzung).

Metrum: elegische Disticha.

 

1519 steuerte Vadian zu einer Ausgabe der Descriptio de situ Helvetiae des Heinrich Glarean ein 36 Verse (18 elegische Disticha) umfassendes Geleitgedicht bei, das als Adressaten die Schweiz im Titel trägt (Ad Helvetiam), die in dem Gedicht auch angesprochen wird. Die genannte Ausgabe der Descriptio enthält auch den Kommentar, den Oswald Myconius zu Glareans Werk verfasst hatte.

Vadian preist in seinem Gedicht die Schweiz dafür glücklich, dass sie nun nicht mehr nur militärische Leistung erzielt, sondern auch auf geistigem Gebiet Leistungsträger wie Glarean und Myconius vorweisen kann, die beide zum Ruhme der Schweiz (vor allem ihrer geschichtlichen Taten und ihrer Landschaft) beitragen und ihr als gute Patrioten so mit ihrer Arbeit dienen.

Das kleine Gedicht gliedert sich in folgender Weise:

1-2: Anrede; die Schweiz soll erkennen, was sie an Glarean hat
3-8: militärische Leistungen der Schweiz
9-14: die Schweiz besass bislang noch keinen Herold ihres Ruhms
15-18: Lob Glareans; sein Erscheinen und seine Leistung
19-24: für die Schweiz beginnt in literarischer Hinsicht ein goldenes Zeitalter
25-28: Lob des Myconius
29-36: Vorhersage/Ausblick; die moderne Schweiz wird die Reiche der Antike übertreffen

Besonders hervorgehoben ist in Vadians Gedicht zu Anfang und Ende der Gedanke, dass die Schweiz ein bemerkenswert enges Verhältnis zur Freiheit unterhält. Der Begriff der libertas rahmt das Gedicht sogar gleichsam ein (V. 1 und 36). Ein anderer Gedanke, der in dem Gedicht eine tragende Rolle spielt, ist der einer translatio imperii, das heisst: die Schweiz hat die Nachfolge früherer, untergegangener Reiche angetreten, besonders auch des Römerreiches (vgl. V. 31-36; daneben nennt er mehrere griechische Staaten und Karthago). Und sie ist ihnen nicht nur nachgefolgt: Nein, laut den Worten des Dichters übertrifft sie jene sogar noch. Ferner erwähnt der Dichter rühmend die militärischen Leistungen des Schweizervolkes (V. 3-8), lässt aber keinen Zweifel daran, dass erst Glareans poetische Leistung ihnen den richtigen Glanz und ein würdiges Angedenken verschafft hat (V. 9-16); in diesen Passagen wird das Gedicht selbst zu einer impliziten Hommage an die Macht und Bedeutung der Dichtkunst. Man darf und soll diese Aussagen weiterdenken. Da die Schweiz nun durch Glarean auch einen Poeten besitzt, der ihren Ruhm verkündet, zieht sie auch in dieser Beziehung mit den früheren Reichen wie Rom gleich; nach der translatio imperii hat sich somit nun auch die translatio studii vollzogen. Literarische Meisterschaft gibt es dank Glarean und denen, die seinem Beispiel folgen, nun auch in der Schweiz (vgl. V. 15-28). Dank ihrer poetischen bzw. gelehrten Hilfestellung (V. 30: laus decusque) wird die Schweiz ihre Vorgänger übertreffen (V. 31-32; V. 31: Sic..., das heisst durch die Dichter).

Der kleine Text ist somit insgesamt betrachtet ein eindrückliches patriotisches Zeugnis, das sich allerdings zum Ende hin (besonders V. 29-34) sehr ins Hyperbolische versteigt.

 

Bibliographie

Suter-Meyer, K., «Der Rhein: Fluss der Germanen oder der Helvetier? Patriotismus und Apologie in Vadians Kommentar zur Pomponius Mela (1522)», in: C. Cardelle de Hartmann et U. Eigler (hg.), Latein am Rhein. Zur Kulturtopographie und Literaturgeographie eines europäischen Stromes, Berlin, De Gruyter, 2017, 22-52, hier: 49.