Denkschrift zu den Alpen (Commentarius de Alpibus): Einführung, die Gefahren des Gebirges, die Metalle und die Lärche

Josias Simler

Einführung: Kevin Bovier et Claire Absil (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 09.07.2024.


Entstehungsdatum: vor dem 9. August 1574 (Datum des Widmungsbriefs). Wenn die Angaben des Autors in seiner Vorrede stimmen, muss der Commentarius de Alpibus kurz vor Zusendung des Manuskripts an den Drucker verfasst worden sein.

Ausgaben und Übersetzungen: Vallesiae descriptio, libri duo. De Alpibus commentarius, Zürich, Froschauer, 1574, fol. 110vo-111ro, 126ro-vo, 127vo-128ro; Vallesiae et Alpium descriptio, Leiden, Elsevier, 1633, 282-283, 320, 323-325; J. Simler, Commentarius de Alpibus, in: Thesaurus historiae Helveticae […], Zürich, Orell, 1735; W. A. B. Coolidge, Josias Simler et les origines de l’alpinisme jusqu’en 1600, Grenoble, Allier, 1904, 214-217, 274-275, 280-283 (lateinischer Text mit französischer Übersetzung); Josias Simler, Die Alpen, hg. von A. Steinitzer, Pforzheim, Carta, 1984, 156-159, 201-202, 206-207 (nur deutsche Übersetzung); Iosia Simler: Commentario delle Alpi, hg. von C. Carena, [Alpignano], 1988; Florenz, 1990 (nur italienische Übersetzung).

 

Der Zürcher Josias Simler bzw. Simmler (1530-1576), der erst Schwiegersohn Heinrich Bullinger, später Rudolf Gwalthers war, studierte Theologie in Basel und Strassburg und war danach von 1552 bis 1557 Pastor in Zollikon (Kanton Zürich). Er wirkte als Professor für das Neue Testament an der Grossmünsterschule von Zürich (1552), war Diakon von St. Peter in Zürich (1557) und folgte als Professor für das Alte Testament (1562) und Schulleiter (1564) auf Petrus Martyr Vermigli. 1566 veröffentlichte er eine Biographie Conrad Gessners anlässlich von dessen Tod. Er verfasste ausserdem drei polemische theologische Abhandlungen, unterstützte die Reformation in Polen, Ungarn und Graubünden und übersetzte mehrere Werke Bullingers ins Lateinische. 1574 veröffentlichte Simler zusammen in einem Werk eine Beschreibung des Wallis (Vallesiae descriptio) und vor allem die erste Studie, die sich komplett den Alpen widmete, den Commentarius de Alpibus, den wir hier in Auszügen wiedergeben. Am Ende seines Lebens plante er eine Veröffentlichung der Schweizer Geschichte seines Freundes Aegidius Tschudi, stiess damit aber bei dessen Erben auf Widerstand. Er schrieb eine Abhandlung über das öffentliche Recht und die Geschichte der Schweiz, die Schrift De Republica Helvetiorum, die einige Tage vor seinem Tod erschien. Dieses Werk, sein letztes, hatte einen bemerkenswerten Erfolg und wurde in mehrere Sprachen übersetzt; es wurde in illustrierten Neuauflagen herausgebracht und hatte in der Schweiz bis ins 18. Jahrhundert den Status eines Standardwerks.

In der Ausgabe von 1574 folgt der Commentarius de Alpibus lediglich auf die Beschreibung des Wallis, der Simler seinen an den Sittener Bischof Hildebrand von Riedmatten (1530-1604) gerichteten Widmungsbrief hauptsächlich widmet. Der Autor gibt vor, ihn in grosser Eile geschrieben zu haben. Die Nachwelt hat sich dennoch nur für die Alpen-Denkschrift interessiert und den Text über das Wallis ignoriert; sicher, weil dieser nur von regionalem Interesse war.

Die aktuelle Forschung hebt die Originalität des Commentarius de Alpibus hervor, der die erste wirkliche Studie ist, die sich den Alpen widmet, bzw. überhaupt einer Gebirgskette. Die häufigen Gichtattacken, unter denen Simler litt, erlaubten ihm allerdings nicht, Gebirgswanderungen zu unternehmen. Seine Kenntnisse des alpinen Milieus basierten daher im Wesentlichen auf Büchern und den ihm von anderen Menschen mitgeteilten Erfahrungen.

Die Entstehung des Commentarius de Alpibus fiel in eine Zeit, in der Geographie und Historiographie einen Aufschwung erlebten; förderlich war ihnen eine patriotische Bewegung, der es darum ging, die Existenz eines Landes oder einer Region zu rechtfertigen.

Simlers Commentarius de Alpibus lässt folgende Struktur erkennen:

- Einleitung (fol. 65ro-66ro)
- Name der Alpen und der Berge, die zu ihm gehören (fol. 66vo-68vo)
- Länge, Breite und Höhe der Alpen (fol. 68vo-76ro)
- Erste Alpenreisen (fol. 76ro-79ro)
- Hannibals Weg bei seiner Apenüberquerung (fol. 79ro-86ro)
- Berühmte Alpenüberquerungen (fol. 86ro-88ro)
- Cottische Alpen (fol. 88ro-91vo)
- Grajische Alpen (fol. 91vo-95vo)
- Walliser Alpen (fol. 95vo-97vo)
- Alpengipfel (fol. 97vo-100vo)
- Lepontinische Alpen (fol. 100vo-103ro)
- Rätische Alpen (fol. 103ro-106vo)
- Julische Alpen (fol. 107ro-109vo)
- Schwierigkeiten und Gefahren auf den Alpenwegen und Möglichkeiten, sie zu überwinden (fol. 110ro-116vo)
- Alpenvölker (fol. 116vo-120vo)
- Gewässer der Alpen (fol. 121ro-125ro)
- Kristalle und Metalle (fol. 125ro-126vo)
- Bäume der Alpen (fol. 126vo-128ro)
- Sträucher und Pflanzen der Alpen (fol. 128ro-132ro)
- Tierwelt der Alpen (fol. 132vo-134ro)

In den ersten Kapiteln geht es also um die Geographie und die Geschichte der Alpen im Allgemeinen; es folgen Erklärungen zu jeder der alpinen Regionen, die von Westen nach Osten abgehandelt werden; in den letzten Kapiteln geht es um verschiedene natürliche und kulturelle Aspekte der Alpen. Wir präsentieren die Einführung zu der Abhandlung, und ausserdem haben hier daraus drei Passagen ausgewählt, die sich jeweils mit den Gefahren im Gebirge, den Metallen und einem für die Alpenregion charakteristischen Baum, der Lärche, beschäftigen.

Simlers Einführung stützt sich stark auf den Brief Conrad Gessners an Jacob Vogel über seine Bewunderung für das Gebirge. In beiden Texten wird das Gebirge sowohl aus ästhetischer als auch aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet: Einerseits beeindruckt es die Sinne des Betrachters, andererseits weckt es seine Neugierde bezüglich der Funktionsweise von Naturphänomenen. Darüber hinaus waren die Berge schon immer ein Ort der Begegnung mit dem Göttlichen, wie Simler anhand der griechischen Mythologie und des Alten Testaments zeigt. Aufgrund der Faszination, die der Berg auf ihn ausübte, und seiner Nützlichkeit im Alltag (für die Wettervorhersage) entschloss er sich, ihm eine Studie zu widmen. Simler gibt diesem Text den Namen commentarius, sowohl um die Tatsache zu betonen, dass es sich um ein schnell geschriebenes Werk handelt, als auch um seine enge Verbindung zur Geschichtsschreibung aufzuzeigen, besonders zu seinen Commentarii zur Schweizer Geschichte, an denen er in dieser Zeit arbeitete. Simler ist übrigens der Ansicht, dass die Methode, die er im Commentarius de Alpibus anwendet, ganz der eines Historikers ähnelt, da er die Naturphänomene nacheinander vorstellt, so wie es auch der Historiker tut, wenn er Fakten referiert.

Seit dem Altertum ist das Gebirge ein furchterregender Ort, besonders wegen der Gefahren, denen man dort ausgesetzt ist. Wenn Simler auf die Methoden eingeht, mit denen man diese Gefahren vermeiden kann, vermischt er empirische Kenntnisse (Verwendung von Stollenschuhen und alpenstocks) und aus der Literatur gewonnenes Wissen (Erwähnung des antiken Historikers Ammianus Marcellinus und des mittelalterlichen Chronisten Lambert von Hersfeld); das ist ganz charakteristisch für das Vorgehen der Schweizer Humanisten, wenn sie sich mit der Bergwelt beschäftigen.

Die Passage über die Metalle ist in mehrfacher Hinsicht interessant: ungeachtet seiner anfänglichen retractatio – die vielleicht darauf zurückzuführen ist, dass Simler nicht vorgab, ein den Stoff erschöpfendes Werk über die Alpen vorzulegen – stellt er Überlegungen über den zugleich kriegerischen wie pastoralen Charakter der Schweizer Gesellschaft an und versucht, das schweizerische Desinteresse an der Metallurgie zu erklären. Es ist verführerisch, in seiner Rechtfertigung der unterlassenen Ausbeutung der Minen ein ökologisches Interesse zu erkennen, das dem unseren recht nahe steht; doch in Wahrheit handelt es sich um ein praktisches Problem: eine Ausbeutung der Minen stellte eine Bedrohung für die Weideflächen im Hochgebirge dar, und damit für die gesamte Weidewirtschaft, die damals für die Versorgung der Bevölkerung essenziel war; ebenso machte die Verschmutzung von Gewässern ihren Gebrauch sowohl für die Tiere wie für die Menschen gefährlich. Was den anderen von Simler erwähnten Nachteil angeht, nämlich die Einreise von Ausländern, die die Minen ausbeuten (weil die Schweizer laut Simler keinerlei metallurgische Kenntnisse haben), so muss man sich davor hüten, hierin bloss einen Ausdruck von Fremdenhass zu erblicken. Es handelt sich um eine nüchterne Überlegung: man fürchtete sich – ob mit Recht oder zu Unrecht, bleibe dahingestellt – in einem schmalen Gebiet mit begrenzten Ressourcen vor Überbevölkerung.

Die Passage über die Lärche greift teilweise auf die Cosmographia universalis des Sebastian Münster zurück. Simler fügt hier Informationen an, die er im Architekturtraktat des Leon Battista Alberti (1404-1472) gefunden hatte. Wie in dem Abschnitt über die Gefahren des Gebirges stützt sich der Autor auf antike und zeitgenössische Quellen (Plinius d. Ä. und Alberti, die er manchmal wörtlich zitiert) und auf eigene Erfahrungen oder die Zeugnisse Dritter. Es lässt sich interessanterweise feststellen, dass hier die praktische Erfahrung der Zeitgenossen es ermöglicht, irrige Ansichten der Antike über die Eigenschaften dieses Baumes zu korrigieren. Simler unterstreicht auch, dass dieser Baum charakteristisch für die alpine Region ist; dieser gleichsam patriotische Stolz kommt auch dann zum Ausdruck, wenn der Autor auf die medizinische Wirksamkeit der Lärche eingeht. Dieses heilkundliche Interesse zeichnet viele Schweizer Humanisten aus, darunter Conrad Gessner, Fabricius Montanus oder eben auch Kaspar Ambühl.

 

Bibliographie

Barton, W. M., Mountain Aesthetics in Early Modern Latin Literature, London, Routledge, 2017.

Korenjak, M., «Josias Simmlers De Alpibus commentarius», in: A. Steiner-Weber et K. A. E. Enenkel (Hgg.), Acta Conventus Neo-Latini Monasteriensis. Proceedings of the Fifteenth International Congress of Neo-Latin Studies (Münster 2012), Leiden/Boston, Brill, 2015, 337-347.

Korenjak, M., «Why Mountains Matter: Early Modern Roots of a Modern Notion», Renaissance Quarterly, 70 (2017), 179-219.

Moser, C., «Simler, Josias», Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon 6 (2017), 16-23.

Schmid, B., «Simler, Josias», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 28.11.2011, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/015794/2011-11-28/.