Beschreibung der Quellen des Unterengadins bei Scuol

Johannes Fabricius Montanus

Einführung: David Amherdt (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 10.02.2023.


Entstehungszeitraum: Juli 1561.

Ausgaben: J. J. Ulrich, Miscellanea Tigurina, Bd. 3.3, Zürich, Gessner, 1724, 404-406; P. D. R. a Porta, Historia reformationis ecclesiarum Raeticarum, Buch 2, Chur, Societatis typographicae, 1772, 337-340; Döpp (2012), 9-45 (mit dt. Übs.); Amherdt (2018), 273-279 (mit frz. Übs.).

Metrum: elegische Distichen.

 

Am 17. Juni 1561 unternahm Fabricius Montanus von Chur aus eine Reise zu den Bädern von Bormio; seine Begleiter waren Hans Tscharner, der Bürgermeister von Chur, Conrad Gessner und der junge Jean Bauhin, der später als Botaniker und Arzt Bekanntheit erlangen sollte. Von Bormio aus begaben sie sich ins Unterengadin, wo sie die Quellen Scuol und Tarasp besuchten, denen das Gedicht sich inhaltlich widmet. Das Ziel der Reise bestand darin, die Flora der Alpen sowie die Heilwirkungen der Quellen in dieser Region zu untersuchen. Um den 7. Juli herum war die Reisegesellschaft wieder in Chur.

Montanus verfasste das Gedicht kurz nach seiner Heimkehr nach Chur zwischen dem 8. und 22. Juli 1561 auf Gessners Bitte hin; an ihn wendet sich Montanus übrigens auch am Ende des Gedichts. Er präsentiert das Gedicht derart als eine Gelegenheitsarbeit, die in der Gattungstradition der Silven steht. Wie der Titel schon nahelegt (Descriptio), hat das Gedicht, ein lyrischer Lobpreis der Wasser des Unterengadin, seinen gattungsmässigen Ursprung in der beschreibenden (ekphrasis, etc.) und epideiktischen Dichtung. Das Metrum ist das der Elegie, mit der unser Gedicht noch andere Eigenschaften gemeinsam hat, so etwa den Ausdruck persönlicher Gefühle oder Reflexionen über die Schwäche eines poetischen Talents, das allzu lange vernachlässigt wurde (V. 45-48). Der Text gehört offensichtlich zur wissenschaftlichen und didaktischen Poesie, denn er liefert Informationen über den Geschmack und den Geruch der Wasser sowie über ihre Zusammensetzung und ihre Wirkungen (diese Informationen fallen freilich oft vage aus). In seinen Schlussversen wird das Gedicht zu einem Lobpreis des Talents und der Intelligenz Gessners, die einen positiven Kontrast zum Talent und zu der Intelligenz des Montanus bilden.

Auf die Einführung, in der von der Bevölkerung Graubündens und den äusseren Umständen der Reise die Rede ist (V. 1-6), folgen die Beschreibung der Quellen von (V. 7-20) und darauf die Beschreibung der Quellen von Tarasp (V. 21-34). Montanus schwingt sich anschliessend zu einer Reflexion über den Reichtum der Natur auf, besonders der Natur der Alpenwelt (V. 35-44). Er schliesst mit einem Ausdruck des Bedauerns darüber, dass sein Talent nicht ausreicht, um diese Wasser zu besingen; Gessner wäre dazu in der Lage, denn er ist Montanus durch sein Talent und seine Intelligenz weit überlegen (V. 45-56).

Ein Brief Gessners, in dem er sich bei Montanus für die Zusendung des Gedichts bedankt, ist erhalten geblieben. Der Naturforscher erklärt darin, er hoffe den Text in seinem Buch über die Heilquellen unterbringen zu können, wenn er es noch einmal neu herausgeben sollte. Eine Neuausgabe dieses 1553 in Venedig erschienen Buches sollte allerdings nie im Druck erscheinen.

 

Bibliographie

Amherdt, D., Johannes Fabricius Montanus. Poèmes latins. Introduction, édition, traduction et commentaire, Bern, Schwabe, 2018.

Döpp, S., Neulateinische Wissenschaftspoesie. Ioannes Fabricius Montanus (1527-1566) über Engadiner Heilquellen, Speyer, Kartoffeldruck-Verlag, 2012.