Die Thermen
Kaspar Ambühl (Collinus)
Einführung: Kevin Bovier (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 10.04.2024.
Entstehungszeit: vielleicht 1557, jedenfalls vor dem Tod des Autors, der spätestens in den Juli 1561 fällt (s. Einführung).
Handschrift: Zentralbibliothek Zürich, Ms C 50a, fol. 417-434.
Ausgabe: De Sedunorum thermis et aliis fontibus medicatis liber, in: J. Simler, Vallesiae Descriptio, libri duo. De Alpibus Commentarius, Zürich, Froschauer, 1574, fol. 143ro-151ro; unsere Auszüge stammen von fol. 143ro-144ro, 146ro-147ro, 150vo-151ro; De Sedunorum thermis et aliis fontibus medicatis liber, in: J. Simler, Vallesiae et Alpium descriptio, Leiden, Elsevier, 1633, 358-377, hier: 358-361, 365-368, 371-372, 376-377. Das Gedicht über die Baderegeln findet sich (mit wissenschaftlichen Bemerkungen dazu und einer dt. Übs.) in S. Döpp, Neulateinische Wissenschaftspoesie. Ioannes Fabricius Montanus (1527-1566) über Engadiner Heilquellen, Speyer, Kartoffeldruck-Verlag, 2012, 69-75.
Man darf Kaspar Ambühl (1520-1560/1561) aus Brig oder Leuk nicht mit den Zürchern Rudolf und Theodor Ambühl verwechseln. Kaspar Ambühl, in Basel Schüler des Thomas Platter, wird im Tagebuch des Felix Platter (eines Sohnes des Thomas) am 4. Dezember 1556 unter dem lateinischen Namen Collinus erwähnt; er hatte aus Basel geschrieben, weil er versuchte, eine Stelle als Apotheker bei Catalan in Montpellier zu erhalten. Hierauf wurde er in Sitten Apotheker der Landschaft Wallis und wird noch am 29. August 1560 als solcher erwähnt; er verstarb zwischen diesem Datum und dem August 1561. Conrad Gessner spricht in dem auf den 1. August 1561 datierten Widmungsbrief zu seiner Edition des Valerius Cordus von Ambühls Tod. Gessner hatte von Ambühl Pflanzen aus der Gegend von Sitten erhalten und ihm die berühmte illustrierte Beschreibung von fünf Pflanzen gewidmet. Wir präsentieren hier Ambühls einziges bekanntes und posthum erschienenes Werk; es behandelt die Thermen und Quellen des Wallis und einiger anderer Orte in der Schweiz. Es steht im Anhang eines 1574 erschienenen Buches von Josias Simler, das in sich eine Beschreibung des Wallis und einen Kommentar über die Alpen vereint. Im Vorwort zu seinem Anhang informiert uns Simler über die Umstände der Veröffentlichung:
Postremo Gaspari Collini pharmacopoei quondam Sedunensis libellum de thermis et fontibus medicatis Vallesianorum addidi, quem mihi ex bibliotheca sua liberaliter communicavit clarissimus medicus et summus meus amicus D. Gasparus Vuolphius. Scripserat hunc auctor in gratiam clarissimi medici Conradi Gesneri, qui studiose descriptionem omnium fontium medicatorum per Helvetiam collegit. Quoniam vero uterque in Domino obdormivit, prius quam hic libellus in publicum aederetur, ne perpetuo delitesceret, meis commentariolis hunc adiunxi, sperans id gratum fore harum rerum studiosis. Quamvis enim genus orationis non sit expolitum, rerum tamen ipsarum tractatio diligens est et accurata.
Schliesslich habe ich noch das kleine Buch des verstorbenen Gaspard Collinus, einst Apotheker in Sitten, über die Thermalbäder und Heilquellen des Wallis beigefügt, das der sehr berühmte Arzt, mein ausgezeichneter Freund, Kaspar Wolf, mir aus seinem eigenen Bibliotheksbestand grosszügig zukommen liess. Der Autor hatte das Buch zu Ehren des hochberühmten Arztes Conrad Gessner geschrieben, der mit grosser Sorgfalt eine Beschreibung aller Heilquellen in der Schweiz zusammenstellte. Da aber beide vor der Veröffentlichung dieses Büchleins starben, habe ich es, bevor dieses Büchlein erschien, meinen bescheidenen Kommentaren beigefügt, damit es nicht für immer unbekannt bleibt; ich tat dies in der Hoffnung, dass es von Kennern dieses Gebietes wohlwollend aufgenommen wird. Denn obwohl der Stil [dieser Abhandlung] nicht elegant ist, wurde das Thema an sich darin mit Ernsthaftigkeit und Fleiss behandelt.
Da Wolf nach Gessners Tod aus dessen Besitz erbte, ist es interessant zu wissen, dass ein handschriftliches Exemplar von De Sedunorum thermis in Gessners Papieren in der Zentralbibliothek in Zürich zu finden ist. Der Inhalt unterscheidet sich jedoch ziemlich stark von dem 1574 gedruckten Text. Eine andere Hand fügte ein Fragment einer Beschreibung der Diözese Sitten über die Bäder von Leuk hinzu. Der Autor war ein gewisser Jean Rott oder Roten d'Embd, Priester in Visp, wie man in der Widmung vom 13. Februar 1523 nachlesen kann. Keiner der beiden Texte stammt von Gessners Hand.
Ambühls Abhandlung hat folgende Struktur:
- die Thermen im Wallis (fol. 143ro)
- die Thermen von Leuk (fol. 143ro-147ro)
- die Thermen von Brig (fol. 147ro-148ro)
- die Quellen von Visp (fol. 148ro-149vo)
- eine Quelle in der Diözese Bern (fol. 149vo)
- die Quelle von Saint-Cergue (fol. 149vo-150ro)
- die Schwefelquelle nahe Thonon (fol. 150ro)
- die Quelle von Yverdon (fol. 150vo)
- ein Gedicht über die beim Baden allgemein zu beachtenden Regeln (fol. 150vo-151ro)
Die Auszüge, die wir hier präsentieren, befassen sich mit den Bädern von Leuk und Visp, ihrer Heilwirkung und den damals geltenden Baderegeln. Die Quellen, die Ambühl die «Thermen von Sitten» nennt, befinden sich nicht nahe der Stadt Sitten, sondern, wie der Anfang des Textes zeigt, in der Diözese Sitten, die in jener Epoche fast das ganze Wallis umfasste. Die lateinische Bezeichnung Seduni entspricht dem Namen eines von Caesar im Gallischen Krieg erwähnten antiken Volkes (z. B. 3,1,1), aber die in ihr zum Ausdruck kommende Wirklichkeit entspricht gut der territorialen Situation im 16. Jahrhundert.
Am Beginn der Abhandlung kann man in den dort von Ambühl verwendeten Worten den Einfluss der hergebrachten Sichtweise auf die Alpen als einen wilden und furchterregenden Ort erkennen. Hierauf erwähnt der Autor die Rhône und skizziert davon ausgehend die geographische Lage der Region; ein vergleichbares Vorgehen findet man bei Simler, der das Wallis beschreibt, indem er dem Flusslauf folgt. Bei der Beschreibung der Gegend, in der sich die Bäder befinden, ist wieder die Rede von der beklemmenden Wirkung, welche die sie umgebende Natur ausübt; dies geht so weit, dass Ambühl suggeriert, dass dort Nymphen gelebt hätten. Die Anwesenheit von Menschen bringt sich dann durch einen Turm in der Nähe wieder zur Geltung. Die Vergangenheit der Region scheint spekulativ auf Basis der alten Wegspuren und der für den Humanisten schwer datierbaren Ruinen rekonstruiert zu sein. Das zeigen die verschiedenen Hypothesen, die der Verfasser hinsichtlich des Erbauers des Turmes vorbringt; sie stammen vielleicht aus mündlichen Überlieferungen. Die Passage endet mit der Beschreibung eines trefflich ausgestatteten locus amoenus, der in Kontrast zu dem locus horrendus am Textanfang steht.
Der Auszug über die Heilwirkungen der Thermalquellen wiederholt zu einem grossen Teil Äusserungen von Sebastian Münster in seiner Cosmographia und von Johannes Stumpf in seiner Chronik. Sie greifen auf den Alchemismus der Epoche zurück und postulieren innere Zusammenhänge zwischen der mineralischen Zusammensetzung des Wassers, den metallischen Elementen und den Sternen. In dieser Hinsicht scheint Ambühl der Ideenwelt des St. Galler Alchemisten Paracelsus verpflichtet, die Gessner indes ablehnte.
Bei seiner Darstellung der Quellen von Visp stützt sich Ambühl auf mündliche Berichte, die er gelegentlich in Zweifel zieht (zum Beispiel die Geschichte vom Fahrenden Schüler), sowie zweifellos auch auf seine eigenen Ortskenntnisse. Seine Darstellung der Besucher, die sich während ihres Kuraufenthalts den Bauch vollschlagen, mag auf uns erheiternd wirken; doch Ambühl ist ein Apotheker, der Medizin studiert hat, und seine Entrüstung über den schlechten Gebrauch, den man von den Quellen macht, ist echt, auch wenn er ironische Wendungen gebraucht («ein so stattliches und feierliches Mahl»). Man findet in dieser Passage auch eines der ersten Zeugnisse für den geschmolzenen Käse, den man heute Raclette nennt.
Das Betragen der Visper Badegäste hat Ambühl vielleicht auch dazu angeregt, seinen Traktat mit einem Gedicht zu schliessen, in dem er dem Leser Regeln an die Hand gibt, die ihm dabei helfen können, von den Thermalbädern zu profitieren.
Der Sittener Apotheker scheint sich hier teilweise von den Regeln inspiriert haben zu lassen, die der Arzt Lorenz Fries (latinisiert Laurentius Phrisius) in einem 1519 erschienenen Traktat formuliert hatte – wenn er sie nicht direkt dem Liber de balneis Burmi des Pietro da Tossignano entliehen hat, wie es Döpp nahelegt. Wie es sich damit auch verhalten mag: Man kann jedenfalls den Einfallsreichtum des Dichters hervorheben, der in der ersten Regel (V. 4) metaphorisch von dem (für seinen goldhaltigen Sand bekannten) Fluss Tagus spricht, um zu verdeutlichen, dass die Bäder Eintritt kosten.
Der Text wirkt insgesamt betrachtet ziemlich ungeschickt, und man kann sich daher durchaus die Frage stellen, ob der Autor wirklich noch die letzte Hand an sein Werk legen konnte, oder ob der Text noch hastig an Simlers Werk angefügt wurde, ohne dass man das Manuskript vorher noch einmal gründlich durchging. Trotz solcher etwaigen mildernden Umstände muss man festhalten, dass Ambühls schriftstellerisches Talent sehr bescheiden war. Wir gehen auf die syntaktischen Schwierigkeiten, die dieser Text an einigen Stellen aufweist, nicht weiter ein; unsere Übersetzung ebnet solche Schwierigkeiten ein, um einen lesbaren Text zu bieten.
Bibliographie
Danzi, M., «Conrad Gessner et l’Europe des thermes», in: U. B. Leu/P. Opitz (Hgg.), Conrad Gessner (1516-1565): Die Renaissance der Wissenschaften/The Renaissance of Learning, Berlin/Boston, De Gruyter, 2019, 253-272.
Ghika, G., «Pour un quatrième centenaire de la raclette en Valais», in: 13 étoiles: reflets du Valais Nr. 2, Februar 1974, 32.
Lorétan, R., «Notes sur la vallée de la Dala et de Loèche-les-Bains», Bulletin de la Murithienne 75 (1958), 20-28.
Salzmann, J. M., Leukerbad, Visp, Rotten, 1986.
Treichler, H. P. u. a., Thermen der Schweiz, Zürich, OZV, 1990, 7-63.