Pandectae: über Indices

Conrad Gessner

Einführung: Kevin Bovier (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 10.02.2023.


Entstehungszeitraum: Gessner hatte einen Grossteil seines Materials schon beim Verfassen seiner Bibliotheca universalis von 1545 gesammelt; schon damals hat er wohl den zweiten Band vorbereitet und sich Notizen zu den Themen gemacht, die in den in den Index aufgenommenen Werken behandelt werden. Die Daten der Widmungsbriefe legen nahe, dass die Arbeiten am zweiten Band sich in den Zeitraum zwischen Januar und September 1548 fielen.

Ausgaben: Pandectarum sive partitionum universalium […] libri XXI, Zürich, Froschauer, 1548, fol. 19vo-22vo; teilweise auch in Serrai (1990), 147-152, Anm. 207-218.

Übersetzungen: Wellisch (1981) übersetzt einen Teil der Passage ins Englische; Cochetti (1984) übersetzt die ganze Passage ins Italienische; Zedelmaier (1992), 99-124, übersetzte einige Stellen ins Deutsche (wobei er in den lateinischen Texten in den Anm. zitiert) und paraphrasiert andere; Erika Werner hat einen grossen Teil dieser Passage in Araujo (2018) et (2019) ins Portugiesische übersetzt.

 

Die Pandectae Conrad Gessners, deren Titel von der gleichnamigen juristischen Sammlung inspiriert ist, bilden den zweiten Band seiner Bibliothecae universalis. Gessner schreibt in seiner Vorrede, dass er sein Werk so genannt habe, «weil die Pandekten auf Basis aller möglichen Arten von Autoren verfasst wurden und alle Studiengebiete umfassen». Gessner stattet seine Bibliotheca universalis mit einem alphabetischen Index und seine Pandectae mit einem thematischen Index aus, wobei er alle Autoren berücksichtigt, die auf Latein, Griechisch oder Hebräisch geschrieben haben. Wie Jean-Marc Mandosio hervorhebt, handelt es sich bei den Pandectae Gessners um «eine bibliographische Enzyklopädie, und sie implizieren deshalb ein Nachdenken darüber, wie man jedes einzelne Wissensgebiet definieren kann, und in welchem Verhältnis die verschiedenen Disziplinen zueinander stehen».

Gessners Vorgehen in der Bibliotheca universalis, den Pandectae und den Partitiones theologicae (die theologischen Werken gewidmet sind und den dritten Band bilden) spiegelt eine konkrete Besorgnis der Humanisten wieder: das besonders seit der Erfindung der Druckkunst wachsende Gefühl, mit einem Übermass an Büchern konfrontiert zu sein. Es galt, eine immer grössere Masse an Informationen zu verarbeiten; das erklärt die grosse Anzahl von Referenzwerken, wie Florilegien, Wörterbüchern oder Universalbibliographien. Um der wachsenden Anzahl von Büchern Herr zu werden, erzeugte man so paradoxerweise noch mehr neue Bücher! Der Erfolg derartiger Werke in der Renaissance erklärt sich auch dadurch, dass viele humanistische Bücher als Nachschlagwerke gedacht waren, und nicht dafür, von vorne bis hinten durchgelesen zu werden.

In einer Passage seiner Pandectae mit der Überschrift De indicibus librorum beschäftigt sich Gessner detailliert mit Theorie und Praxis der Indexerstellung; er war der erste, der dies tat. Er enthüllt dabei zugleich seine übliche Arbeitsweise, ging er doch sogar so weit, für die Briefe, die erhielt, einen Index anzufertigen, wie er an Johannes Bauhin schreibt:

Soleo enim postquam respondi, in acervos schedarum mearum Epistolas coniicere, etiam dissecare et pro argumento cum schedis meis distribuere; quamobrem paucis indicabis, ad quaenam iterum responderi a me tibi velis.

Ich habe nämlich die Angewohnheit, die Briefe, nachdem ich sie beantwortet habe, auf meine Zettelberge zu werfen, auch sie auseinanderzuschneiden und die Einzelteile ihrem Thema entsprechend unter meinen Zetteln zu verteilen; deshalb gib mir bündig zu verstehen, auf welche Punkte Du von mir eine erneute Antwort wünschst.

Der lateinische Terminus index, der auf die Antike zurückgeht, bezeichnet verschiedene Arten von Schriften, von einer Liste mit Schlüsselbegriffen über das Inhaltsverzeichnis bis zum Bibliothekskatalog. Ganz verschiedenartige Werke tragen diesen Namen, so etwa der berühmte Index librorum prohibitorum, das Verzeichnis der von der katholischen Kirche verbotenen Bücher, das zum ersten Mal 1559 erschien. Der vieldeutige Sinn des Index-Begriffes wird auch in der Passage deutlich, die Gessner ihm widmet (De indicibus librorum): der Terminus bezeichnet bei ihm sowohl eine Wort- oder Themenliste als auch einen Buchdruckerkatalog oder ein Bibliotheksinventar.

Die hier behandelte Passage gliedert sich wie folgt:

  • Wozu ein Index nützlich ist
  • Wie man einen Index erstellt
  • Wie man einen Index verwendet
  • Indexarten
  • Beispiele für Werkindices
  • Indexkataloge von Buchdruckern und Buchhändlern
  • Wie man eine Bibliothek katalogisiert (am Beispiel Konrad Pellikans)

Wir präsentieren hier Auszüge zur Nützlichkeit vom Indices, ihre Erstellung und ihre korrekte Verwendung durch humanistische Gelehrte, einige Beispiele für von Gessner geschätzte Indices und schliesslich einige seiner Bemerkungen dazu, wie man eine Bibliothek katalogisiert.

Der erste Indextyp, über den Gessner spricht, die Wortliste, steht in Zusammenhang mit einer humanistischen Lektürepraxis, die darin besteht, sich die Passagen zu notieren, die man für das Studium eines bestimmten Themas, die Vorbereitung einer Vorlesung oder das Verfassen eines Werkes als wichtig erachtet (excerpta). Ein solcher Index muss in der Tat derart ausgearbeitet sein, dass man bei seiner Verwendung jederzeit auf das Material zurückgreifen kann, das man aus der Lektüre gewonnen hatte. Das Hauptthema von De indicibus librorum besteht deshalb darin, das Material solcher excerpta zu ordnen. Der Indexersteller muss Strenge an den Tag legen und eine vertiefte Kenntnis des Werkes besitzen, zu dem er einen Index erstellt. Gessner kritisiert Leute, die ihre Indices erstellen, ohne den Text zu lesen und sich stattdessen nur auf Kapitelüberschriften verlassen, aber auch solche, die statt eines Index eine Liste mit den in den einzelnen Kapiteln behandelten Gegenständen erstellen. Die gesamte Passage hindurch betrachtet er die Frage der Indexerstellung nicht nur vom Gesichtspunkt eines Herausgebers aus, der verschiedene Methoden anwendet, um ein Werk leserlicher und zugänglicher zu machen, sondern auch vom Standpunkt des Lesepublikums aus, das auf die derart erstellten Indices zurückgreift, um leichter die gesuchten Informationen zu finden.

An der Stelle, an der die Indexerstellung behandelt, spricht Gessner von dem Zettelsystem, das er verwendet, um seine excerpta zu sortieren; eine Passage in seiner Vorrede zeigt, dass er dieselbe Methode angewendet hat, um seine Pandectae zu verfassen:

In tanta enim varietate et multitudine schedularum (quibus dissectis et in varias classes digestis hoc opus confectum est), non omnia ad suum omnino ordinem facile collocari potuerunt.

Angesichts einer solchen Vielfalt und Vielzahl von Zetteln (die zur Erstellung dieses Werkes auseinandergeschnitten und unter verschiedenen Rubriken zusammengeführt wurden), war es nicht leicht, alles jeweils in der richtigen Reihenfolge anzuordnen.

Diese Sorge um eine strenge Organisation kommt auch beim Thema Bibliotheken zum Ausdruck, das Gessner hervorheben will, ohne Zweifel, weil er weiss, welche Bedeutung sie für die Bewahrung der antiken Kultur hatten, die den Humanisten so teuer ist. Gessner erklärt, er habe sich von der Methode seines Lehrers Konrad Pellikan inspirieren lassen, der die Bibliotheca Carolina in Zürich reorganisiert hatte. Dieses Katalogisierungssystem setzte sich das Ziel, flexibel genug zu sein, um neue Bücher leicht in die Bibliothek integrieren zu können.

 

Bibliographie

Araujo, A. V. de F., «De indicibus librorum e a arte da indicialização em Conrad Gesner (Parte I): contexto e princípios», Informação & Informação 23-2 (2018), 14-37.

Araujo, A. V. de F., «De indicibus librorum e a arte de indicialização em Conrad Gesner (Parte II): ilustração e aplicação», Em Questão 25 (2019), 137-158.

Blair, A., «Reading Strategies for Coping With Information Overload ca. 1550-1700», Journal of the History of Ideas 64-1 (2003), 11-28.

Blair, A., Too much to know: Managing Scholarly Information before the Modern Age, New Haven, Yale University Press, 2010.

Cochetti, M., «Teoria e costruzione degli indici secondo Conrad Gessner», Il Bibliotecario 1 (September 1984), 25-32; Il Bibliotecario 2 (Dezember 1984), 73-77.

Duncan, D., Index, eine Geschichte des: vom Suchen und Finden, München, Verlag Antje Kunstmann, 2022.

Germann, M., Die reformierte Stiftsbibliothek am Großmünster Zürich im 16. Jahrhundert und die Anfänge der neuzeitlichen Bibliographie: Rekonstruktion des Buchbestandes und seiner Herkunft, der Bücheraufstellung und des Bibliotheksraumes, mit Edition des Inventars von 1532/1551 von Conrad Pellikan, Wiesbaden, Harrassowitz Verlag, 1994.

Leu, U., Conrad Gessner (1516-1565): Universalgelehrter und Naturforscher der Renaissance, Zürich, Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2016, besonders 144-165.

Mandosio, J.-M., «La représentation de la philologie dans les Pandectae de Conrad Gesner (1548)», in: P. Galland-Hallyn/F. Hallyn/G. Tournoy (Hgg.), La philologie humaniste et ses représentations dans la théorie et dans la fiction, Bd. 2, Genf, Droz, 2005, 565-597.

Sabba, F., La ‘Bibliotheca Universalis’ di Conrad Gesner: monumento della cultura europea, Roma, Bulzoni, 2012.

Serrai, A., Conrad Gesner, hg. von M. Cochetti, Rom, Bulzoni, 1990.

Wellisch, H. H., «How to make an Index – 16th Century Style: Conrad Gessner on Indexes and Catalogs», International Classification 8 (1981), 1-15.

Witty, F. J., «Early Indexing Techniques: A Study of Several Books Indexes of the Fourteenth, Fifteenth, and Early Sixteenth Centuries», The Library Quarterly: Information, Community, Policy 35-3 (1965), 141-148.

Zedelmaier, H., Bibliotheca universalis und bibliotheca selecta: das Problem der Ordnung des gelehrten Wissens in der frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien, Böhlau Verlag, 1992, besonders 99-124.