Autobiographie
Traduction (Allemand)
Traduction: Clemens Schlip (in Kapitel 1 und 2 partielle Mitwirkung von Daniel Stucki)
Ein handschriftliches Epigramm des Rudolf Collinus, das sein Leben enthält:
(1) In Gundolingen geboren (2) Student. (3) Seiler. (4) Soldat.
(5) Darauf wurde ich Bürger von Zürich, (6) dann war ich Professor.
(7) Auch nun am Ende meines Lebens, und welches Los mir noch verbleibt;
Dieses Los liegt in Deinen Händen, gütiger Gott.
Erklärung des Epigramms
1. In Gundolingen geboren
Gundolingen ist ein Dorf, das im Luzernerland unter der Verwaltung der Vogtei Rotenburg auf der Mitte des Weges zwischen Luzern und Beromünster liegt. Es gelangte gemeinsam mit der Burg Rotenburg in die Gewalt der Luzerner. Die Burg wurde von den Luzernern im Jahr 1385 am Feiertag der unschuldigen Kinder eingenommen. Als der Vogt von Rotenburg selbst in seiner nahegelegenen Pfarrkirche, welche ausserhalb der Burg und des Städtchens lag, dem Gottesdienst beiwohnte, musste er sehen, dass seine Burg hinter ihm in Flammen loderte; das zwang ihn zur Flucht aus jener Kirche zu ergreifen, und er liess dabei seinen ganzen Besitz hinter sich und verlor ihn.
Bald darauf, im Jahre, ehe die Schlacht bei Sempach stattfand, wurde Gundolingen von den Habsburgern in Brand gesteckt und so vollständig verwüstet. Da flohen die Einwohner zum nahegelegenen Wald Richtung Luzern und liessen sich dort mit Lasttier und Mensch nieder. Und auf dem Hügel, welcher bis heute Z’huben, das heisst zum Bühl, genannt wird, hatten sie einen Wartturm, von wo aus sie die Schar der Feinde jeweils kommen sahen; nachdem ein Hornsignal erklungen war, liefen sie von den Äckern, bei deren Bestellung sie verpflichtend Waffen zu tragen hatten, zusammen und überwältigten die Feinde. Meine Vorfahren haben sich nach ebendiesem Hügel benannt, sodass man sie Zum Bül oder Am Bül oder Bülmänner nannte. Tatsächlich werden sie heute unterschiedslos mit diesen Namen gerufen. Ich gab mir in der Jugendzeit den Namen Clivanus von clivus (Hügel), später dann den Namen Collinus von collis (Hügel).
Ich bin ein Kind bäuerlicher Eltern, ehrlichen und hinreichend begüterten Leuten; denn für die Kosten zu meinem Unterhalt kam mein Vater alleine grosszügig auf. Mein Vater wurde gemeinhin der Althans von Gundolingen genannt. Meine Mutter hiess Elsbeth, Haushälterin von Seesatz; Seesatz ist aber ein berühmtes Landgut beim Sempachersee, welches bis heute im Besitz meiner Neffen, den Kindern meines Bruders, ist.
Ich empfing die heilige Taufe im Dorf Neudorf in der Nähe von Beromünster; denn der Pfarrer von Römerswil, zu welcher Pfarrei die Gundelinger hinsichtlich der Gottesdienste und der Begräbnisse eigentlich gehören, war ausser Landes. Schon im Mutterleib war es mir zweifellos vorbestimmt, in der Fremde zu leben. Mein Taufpate war Rudolff Kauffman, ein Bürger von Sempach und hervorragender Veterinär. Meine Taufpatin war eine Hausherrin in Oberbuchen, welches Dorf sich an der Grenze des väterlichen Landguts befindet. Diese ehrbare Frau pflegte alljährlich meinen Eltern ein Andenken an die heilige Taufe zu senden, sogar als ich mich ausserhalb des Landes befand und meinem Studium nachging. Dieses Geschenklein wird bei den Gundelingern die Osteren genannt, bei den Zürchern der Zimpeltag.
Meine Mutter vermochte es nicht mit aller Sicherheit, mir mein genaues Geburtsdatum mitzuteilen, aber sie sagte, dass ich in der Osterwoche im Jahr 1499 das Licht der der Welt erblickte, zu welcher Zeit der Schwabenkrieg wütete, und mein Vater unter Waffen stand, und zwar am Rhein im Dorf Koblenz, das heisst beim Zusammenfluss, wo die Schweizer einen Wachposten gegen die Schwaben jenseits des Rheins hatten.
2. Student
Als Erstes wurde ich in meinem achten Lebensjahr von meinem Vater nach Beromünster begleitet, wo mein Lehrer der Herr Magister Andreas Erni, ein hervorragender Musiker, und mein Hauswirt der 80-jährige fromme Priester Herr Jacobus von Zell war; zwei Jahre lang setzten sowohl der Lehrer als auch der Hauswirt grosse Hoffnungen auf mich und lobten mich gegenüber meinen Eltern.
Als Zweites wurde ich dann nach Luzern gebracht und von der Familie des luzernischen Probsts Herr Johannes Buchholzer, der mein Grossonkel war, aufgenommen, bei welchem ich etwa fünf Jahre verblieb und bei welchem ich verschiedene Lehrer hatte, welche zwar gute Leute, aber ausschliesslich im Singen wirklich begabt waren. Und ich hätte bildungstechnisch grosse Einbussen erlitten, ja ich wäre vielmehr nie zu voller Reife gekommen, wenn nicht Herr Magister Johannes Xylotectus, ein aus einem Patriziergeschlecht stammender Domherr von Luzern und Beromünster, der schliesslich am 8. August 1526 in Basel an der Pest verstarb, und der, obgleich er aufgrund seiner Religion aus seiner Heimat verbannt wurde, eine einzigartige Zierde sowohl des Vaterlandes als auch der Religion gewesen war, mir persönlich Vergil vorgelesen und dabei kommentiert hätte. Dieser höchst freundliche Mann erklärte mir die erste Ekloge Vergils, und weil ich diese regelrecht begierig erlernte, schrieb ich auf eigene Faust sogleich eine eigene Ekloge; da sich dieser äusserst gutmütige Mann darüber freute, las er mir die restlichen Eklogen und vier Bücher der Georgica und ebenso drei Bücher der Aeneis vor und kommentierte sie dabei; und als er zum letzten Vers des dritten Buches gelangte, welcher so lautet: «Endlich verstummte er, hörte da auf und ruhte sich aus», wandte er diesen Vers auf sich an, gleich als ob er selbst verstummen, aufhören und sich ausruhen wollte. Deshalb forderte er mich auf, die Dichter mittels meiner eigenen Geisteskraft zu lesen, was ich dann auch eifrig und glücklich tat, sodass ich sechs ganze Bücher der Aeneis, sowie die Georgica und alle Eklogen auf den Nagel genau auswendig lernte und sie sehr leicht vortragen konnte. Weil ich daher unter der Leitung von Herrn Xylotectus zu einem vollständigen Vergilianer geworden war, waren mir die übrigen Dichter, die von anderem Gepräge waren, entweder leicht verständlich oder unliebsam.
Als drittes wurde ich vom Herrn Xylotectus nach Basel geführt und bin dort in die Schule und die Wohngemeinschaft des Herrn Heinrich Glarean, des zuverlässigsten aller Lehrer, aufgenommen worden, wo ich ein Semester verbrachte und die Anfangsgründe der Mathematik erlernte und einen grossen Fortschritt in meinen Studien gemacht hätte, wenn es mir länger gestattet gewesen wäre, seine Lehre und sein Training zu geniessen. Aber nachdem der Herr Glarean nach Paris aufgebrochen war, musste auch ich meinen Studienort wechseln.
Als viertes begab ich mich nach Wien, wozu mich das Studium der Dichtkunst verleitete. Als ich dorthin gekommen war, wurde ich von jungen Männern aus der Schweiz, besonders von Konrad Grebel, sehr menschlich aufgenommen, und von ihnen als Tischgenosse angenommen. Den Herrn Doktor Joachim Vadian nahm ich mir zum Patron und Lehrer. Ich wurde dennoch in meiner Hoffnung enttäuscht und fand ein reines Barbarentum vor. Die poetischen Vorlesungen (um derentwillen ich mich ja dorthin begeben hatte) erschienen mir einfach kindisch, da ich mich ja schon einst in Luzern unter dem Herrn Xylotectus an Vergil gewöhnt hatte. Ich habe dort dennoch viele grossartige Werke gesehen und zumal das höchst prächtige Begräbnis des Kaisers Maximilians. Nicht nur die Vorlesungen, sondern auch die Sitten der Menschen (sowohl der Ungelehrten als auch der Studenten) missfielen mir, weil die allermeisten von einer unlöblichen Trunksucht verdorben waren. Ich jedenfalls entsagte, obwohl ich in Bern und Luzern die Kunst der Musik und ihre Ausübung einigermassen erlernt hatte, wegen der ungeheuren Trunkenheit der Sänger der Musik und den Gesängen derart, dass ich mich auch später diesem lobenswerten Studium nicht mehr zugewandt habe. Und nachdem der Herr Doktor Vadian in seine Heimat gegangen war, wollte auch ich nicht weiter bei jenen Leuten festhängen, obwohl es mir an Geld nicht fehlte, sondern bin bereits nach zwei Jahren in meine Heimat zurückgekehrt.
«Italien, Italien», ruft Achates als erster. (Verg. Aen. 3,523)
Meine fünfte Bildungsstation fällt ins Jahr 1519: Als in Frankreich und ganz Deutschland die Pest umging und ich mich den Sommer hindurch in Zürich aufhielt, kam ich mit Johann Jakob Ammann, der aus Frankreich gekommen war, überein, Italien zu besuchen und sich nach Bologna zu begeben, und nachdem wir diese Verabredung getroffen hatten, gingen wir auseinander, ich begab mich in meinen Heimatort Gundolingen, Ammann blieb in Zürich. In der Zwischenzeit brach Ammann nach Italien auf, sobald sich die Gelegenheit dazu bot. Der erhabene Rat von Zürich schickte seine Bauherren (die des Rates ebenso wie der Zünfte) nach Mailand, damit sie von den Türmen auf dem Mailänder Kastell Zeichnungen anfertigten und nach dem Vorbild dieser Türme in Zürich einen Turm errichteten, was später auch geschah; dieser neue Rundturm wurde am Rennweg errichtet. Mit diesen Zürcher Gesandten kam Ammann nach Mailand und entdeckte, dass hochgelehrte Männer diese Stadt zierten, die damals der König von Frankreich in seinem Besitz hatte. Er erfuhr, dass dagegen in Bologna keine gelehrte Wissenschaft blühte ausser dem kanonischen Recht. Also blieb er in Mailand und rief auch mich dorthin.
Am 1. Januar 1520 kam ich also nach Mailand und fand alles ganz so vor, wie man es sich nur wünschen kann. Ammann nahm mich freundschaftlich auf und machte mich zum Studiengenossen und Mitbewohner. Als Hauslehrer hatten wir Antonio Telesio, einen höchst erhabenen Mann, der in der griechischen und der lateinischen Sprache sehr beschlagen war und als öffentlich besoldeter Professor für Geschichte wirkte. Sooft ich diesen vortrefflichen Mann vor dem Zubettgehen grüsste, erwiderte er meinen Gruss mit folgenden Wünschen: «Lebe wohl, mein Sohn, und bete, bete!» Ebenso hatten wir zum Lehrer Stefano Negri, einen öffentlich besoldeten Griechischprofessor, dessen Übersetzungen auch heute noch grosse Zustimmung bei den hochgelehrten Leuten finden. Ebenso Ludovico Ricchieri, der als Professor für beide Sprachen tätig war und noch heute für seine Antiquae Lectiones hochberühmt ist. Wir durften täglich ihre Vorlesungen besuchen und mit ihnen persönlichen Umgang pflegen; und dabei erfüllten wir unsere Pflicht, was einen ehrbaren Lebenswandel und eifriges Studium anging. Die Folge davon war, dass unsere Lehrer und auch andere sehr edle Bürger uns den vornehmen Schweizern empfahlen, die nach Mailand kamen; zu diesen edlen Bürgern gehörten Gian Giacomo Trivulzio und René de Birague, die beim Herrn Telesio unsere Mitschüler waren. Ich will für diese Sachverhalt ein Beispiel auf Deutsch anführen, damit ich besser verstanden werde: Herr Wernher von Meggen/ Ritter und hernach Schultheß zu Lucern/ hat einmal zu Meyland mich heimgsucht/ und von mir grosses Lob ghört/ dann ich ward was/ etc. weliches er hernach zu Lucern ußgspreittet/ dermassen/ daß fill Rhadtsherren meinen Vatter gern bekent hetend/ etc. Deßhalb hat einmal der N. Pfiffer/ (ein Rahdtsherr) welicher meinen Vatter wol bekent/ ihn (meinen Vatter) vff der Rüßbrugg frundtlich angeredt/ und uffenthalten/ und zu den Herren/ so herumb warend/ gesprochen: «Lieben Herren/ das ist der Bur/ der so ein gelerten Sun zu Meyland hat.» Weliches min Vatter gar wol gfroüwt/ und es miner Muter daheimb mit grossen Froüden gseitt hat.
Als wir noch mitten in unseren Studien steckten, brach der Mailänder Krieg aus, in dem Mailand wieder in die Hände des Kaisers fiel. Damals gingen die wissenschaftlichen Studien wie auch alles andere zugrunde, was diese Stadt zierte; gemäss einem in Mailand gebräuchlichen Sprichwort: Unter dem französischen König ist Mailand eine Stadt, unter dem Kaiser ein Dorf. Wir waren also gezwungen, nach anderthalb Jahren wieder in die Heimat zurückzukehren. Auf der Heimreise habe ich Ammann über den Gotthardpass gezogen und getragen.
Sechste Station. Als ich aus Italien zurück in die Heimat gekommen war, packte ich, um nicht in Luzern müssig über die Brücken und Plätze zu spazieren oder auf dem Acker meines Vaters inmitten der tätigen Bauern faul herumzusitzen, die besten und am einfachsten zu transportierenden Bücher ein und beschloss, mich auf den Weg nach Basel zu machen, um dort irgendeine Stellung im literarischen Betrieb zu suchen; auf dieser Reise machte ich in Begleitung einiger Priesterlein, guten Gefährten, einen Abstecher ins Kloster St. Urban. Dort war Melchior Macrinus (mein früherer Studiengenosse beim Herrn Glarean in Basel) Schulmeister gewesen, damals war er aber bereits als Seckelschreiber in seine Heimat Solothurn berufen worden. Ich wurde als Ersatz auf seinen Posten berufen, erhielt dadurch sehr günstige äussere Rahmenbedingungen für meine Studien und blieb mehr als zwei Jahre dort. Da ich mein Amt sehr treu und tugendsam versah, war ich dem Abt Erhard Kastler von Kaiserstuhl, einem Mann von adeliger Herkunft, und den übrigen Mönchen lieb und willkommen. Ich beschäftigte mich nämlich nicht nur mit der Wissenschaft, sondern nahm mitunter auch an Jagd und Wallfahrt teil und pflegte mich – ohne dadurch meiner Ehrsamkeit und meiner Dienstausübung Schaden zu tun – ihren Wünschen anzubequemen. So kam es, das sie mich achteten und sehr hochschätzten und nicht zuliessen, dass ich nach Beromünster auswanderte; und das, obwohl ich während meines Aufenthalts bei ihnen eine Chorherrenstelle in Beromünster erhalten hatte, für die ich eine sogenannte Exspektanz besessen hatte. Das beweist folgender Brief:
Copy von der Wart zu Munster:
Wir Schultheß und Rhadt der Statt Lucern thund kund allermenklichem und bekennend offentlich mit disem Brieff/ daß auf Siner Date/als wir in Rhadtswyß by einandern versampt/ for uns erschinnen ist/ der Erwirdig/ Wolglert Herr Johann Buchholzer/ Bropst des Wirdigen Stiffts Sancti Leodigarii ze Lucern uff dem Hoff/ vnser günstiger lieber Herr/ und batt uns ernstlich/ daß wir sinem anerbornen Vetter/ Rudolff zum Bül /gnediklich geruchen/ und verlichen ein Wart vff ein Corherrenpfrund ze Munster im Ergow/ als wir dann des wol Macht hettend. Also habend wir angsehen sin flissig Bitt/ auch guten und getruwen dienste/ so sin Erwirde uns erzeigt und bewysen hat und noch thun mag/ und daruff demselben Rudolffen zum Bül ein Wart gelichen und gnediklich zugeseitt haben/ lyhend und versprechend Im die in krafft dis Brieffs/ also wann fürhin ein Corherr zu Münster abstirbt/ und ein Pfrund ledig wirt/ das denn der gemelt Rudolff zum Bül/ als ein ander Warter nach Sitt und Gewohnheit/ derselben Stifft angan. Doch das er sich fromklich und erbarlich halten/ und zu priesterlicher Wirde schicken/ auch das die Zyt erhoüscht Priester werde. Und wo er sölichs nit thate/ über kurz oder lang/ das dann solchs unser Lähen und Gnad krafftlos/ hin und ab sin soll: auch vorbehalte/ daß alle die so for dem gemelten Rudolffen zum Bül mit Warten begabet sind/ innhalt ihrer Briefsen forgan söllend/ bis daß es nach Uswysung unsers Lähenbuchs, darin die Warten gschriben stand/ an inn kompt/ und deß zu Urkund habend wir disen Brieff mit unser Statt Secretinsigel besiglet und gäben auf Frytag an St. Oswalds tag/ als man zalt nach der Geburt Christi Fünfzehen Hundert und im Vierzehenden Iar.
In dieser Zeit war unter denen, die eine Exspektanz besassen, die Reihe an mich gekommen und die Chorherrenstelle war mir zuteilgeworden, wie folgender Brief belegt.
Copij von der verfallnen Corherren Pfrund:
Den eerwirdigen geistlichen und wolgelerten Herren Bropst und Capitel/ der wirdigen Gstifft zu Münster im Ergow/ minen insonders gunstigen lieben Herren Embüt Ich Jacob von Hertenstein/ diser Zyt Schultheß zu Lucern/ min früntlich Dienst und alles das ich liebs und guts vermag zevor. Nach dem dann der wirdig und geistlich Herr Niclaus von Winckel/ Wyland Corherr zu Münster im Ergow mit Tod abgangen/ und dieselbig Pfrund dardurch ledig worden ist/ welicher Pfrund min gnadig Herren und Rhadt der Statt Lucern rächte nominatores und Lähenherren sind/ habend dieselben min gnadig Herren/ dem Ersamen Rudolffen zum Bül voran umb Gottes/ auch sin und siner Freüden flißig Bitt und Dienst willen/ sunderlich angsehen die vereert Wart/ so er in gschrifft inn verschinnen Jaaren/ vor minen gnedigen Herren gegäben / mit obgemelter Corherrenpfrund begabet/ wie dann sie forhar anderen auch gethan Haben/ das ich üch in genanter miner gnedigen Herren namen solcher gstalt verkünden/ und so aber die Form und Billikeit uff im hat/ söllich als geistlich von üwer erwird/ oder den jenen si sölichs besticht zuvollstrecken und Investieren zeverenden/ so prasentieren und übersenden ich den forgenanten Rudolffen zum Bül/ Inn wie recht ist/ mit Bit und Begär/ Ir wöllind inn uff forgemelte Pfrund/ an des gedachten Statt investieren und bestetigen/ und alles das zethun so wyter darzu ghört und notürfftig ist: Als ich in Namen miner gnedigen Herren obgemelt/ deß gwüßlich zu üch versich und getruw. Zu urkund so hab ich min eigen Insigel ghenkt an disen Brieff/ der geben ist uff Frytag Sant Ambrosius tag/nach Christi Geburt unsers Behalters Zwentzig und Zwey Jahr.
Um diese Zeit [nach 1522] herum wurde ich in Beromünster in einem grossen Festgottesdienst unter den gebräuchlichen Zeremonien [als Chorherr] eingesetzt. Dabei wurde mir vom Herrn Propst M. Ulrich Martin eine Urkunde überreicht, die mir meine Chorherrenpfründe in heiliger und religiöser Weise bestätigte. Obwohl ich schon Chorherr war und in Beromünster anständig und wohlhabend hätte leben können, blieb ich dennoch in Sankt Urban und verschob die Erfüllung meiner Residenzpflicht von Tag zu Tag, wobei der Herr Abt mich unter seinen Schutz nahm und die dringenden Bedürfnisse seiner Schule vorschützte.
Zu der Zeit schliesslich, als mein Vater gestorben war und der Herr Abt aufgrund einer schweren Erkrankung Ärzte aufsuchte und bei einem Juden in Winterthur hängenblieb, wurde die Volksmenge durch einen Mönch Hug, den Bruder des Schultheissen Hug, bezüglich des Luthertums in Aufregung versetzt, und sie lockten dadurch Ratsherren aus Luzern herbei. Sobald diese eingetroffen waren und eine Untersuchung über das Luthertum abhielten und sich bei allen [Klosterinsassen] sämtliche Bücher ansahen, da rief der Ratsherr Hans Glestig, nachdem sie auch meine in griechischen Lettern gedruckten Bücher geprüft hatten: «Das sind lutherische Bücher!» Als ich ihm widersprach, sagte er: «Was kritzis kretzis ist das, das ist Lutherisch. [Was ist das für ein unleserliches Geschreibsel? Das ist lutherisch]» Sie packten daher meine Bücher ein und befahlen ihren Abtransport nach Luzern, damit ich dort meine Sache verträte und meine Bücher zurückfordern könne. Es wurden aus beiden Räten jeweils etwa zwanzig Männer nach Sankt Urban entsandt; die bedeutendsten unter ihnen waren Hans Hug, der Schultheiss, Rudolf Hünenberg und Hans Glestig, die man zu jener Zeit für die besten Redner unter allen Luzerner Ratsherren hielt. Als ich in Luzern eingetroffen war, wurde meinetwegen eine ausserordentliche Ratsversammlung im Franziskanerkloster abgehalten. Dort habe ich meine Sache durch Werner Buchholzer, einen Luzerner Chorherren und Kustos des Luzerner Kollegiums und meinen Vetter, vertreten lassen. Die Ratsherren gingen sehr milde mit mir um und befahlen, dass ich meine Bücher durch den anderen Schultheiss (ich glaube, er hiess Golder) zurückerhalten solle; sie baten mich und ermunterten mich mit vielen Worten, keine Neuerungen gegen den alten, wahren und unzweifelhaften Glauben ins Werk zu setzen, sondern gemäss dem Vorbild meiner Vorfahren weiter «ein guter Christ und Luzerner» zu sein. Damals liess sich der Schultheiss Hug laut und frech vernehmen: «Ob er wölle, gange er gen Zürich, luge, ob im der Zwingli ein Chorherrenpfrund gebe. [Wenn er Lust, hat, kann er ja nach Zürich gehen und schauen, ob Zwingli ihm eine Chorherrenpfründe gibt]» Diese Worte schiene mir damals sehr harsch zu sein; später habe ich erfahren, dass es sich um eine Prophezeihung gehandelt hatte.
3. Seiler
Ich lasse die tiefergehenden Ursachen, die mich in den Beruf des Seilers gezwungen haben, hier beiseite, sondern werde hier nur einfach die Fakten niederschreiben, wie ich sie einst aufgezeichnet habe.
Am 14. Februar 1524 verliess ich meine Heimat und kam gegen Abend nach Zürich, wo ich meinen Aufenthalt im Haus des Herrn Myconius nahm; dort passierte mir eine ergötzliche Sache. Es war damals die Zeit der «Bacchanalischen Feste» (es was an der Alten Faßnacht), und in der geheizten Stube stand (wie es so zu geschehen pflegt) ein angerichteter Tisch voll leckerer Speisen und gefüllter Becher, doch so gut wie kein Mensch sass daran oder stand dabei, und die die Türen des Hauses standen offen. Der Grund dafür war, dass alle Gäste zur Stadtmauer geeilt waren, um sich die bacchanalischen bzw. martialischen Feuer anzusehen, die Fassnacht- oder Merzenfeur. Denn Herr Myconius wohnte damals in einem Haus neben dem Zeughause. Ich trat in die geheizte Stube, wunderte mich über die Menschenleere und setzte mich an den Tisch, ich nahm dabei den Sitz des Herrn Myconius in Beschlag und wartete darauf, dass Leute kämen. Als die Feuer verloschen, eilten alle zurück und staunten, als sie mich am Tisch sitzend vorfanden, wie ich sie mit einem Heben des Bechers grüsste, so als ob sie die Ankömmlinge von ausserhalb seien. Da rief ich aus: «Herr Myconius, ich bin unter guten Vorzeichen an einen angenehmen Platz gekommen.» Der Herr Myconius amüsierte sich sehr und nahm mich in menschlich sehr feiner Weise auf. Eine ganze Weile griff ich auf die Gastfreundschaft des Herrn Myconius und zugleich auch auf die Kameradschaft des aus Frankreich stammenden Ritters Aremund zurück und schickte meinen Verwandten in Luzern, Herrn Werner Buchholzer und seiner Schwester, jene Urkunde, die mir der Propst von Beromünster als Bestätigung meiner Chorherrenpfründe überreicht hatte; ich verzichtete völlig freiwillig auf diese Chorherrenpfründe, obwohl alle meine Freunde und Vertrauten, die sich damals in Zürich aufhielten, mir davon abrieten.
Ich bat Verwandte brieflich, dem Luzerner Rat zu danken, weil ich nach Wien und nicht nach Konstanz aufzubrechen vorhatte. Ich war von ihnen nämlich in der Hoffnung und unter der Voraussetzung aufgebrochen, dass ich die gesamte Fastenzeit in Konstanz verbringen würde, um dort die heiligen Weihen zu erhalten. Nach einigen Tagen rief mich Herr Heinrich Buchter nach Kilchberg, um sich mit mir zusammen dem Studium des Griechischen zu widmen. Dort wurde ich fast von Herrn Werner Buchholzer überrascht, einem Verwandten von mir, der mich in Konstanz und Zürich gesucht hatte und auf dem Rückweg von der für Reiter geeigneten Strasse abgekommen und nach Kilchberg geraten war. Um den 1. Mai herum machte ich Gebrauch von dem Heilwasser in Urdorf. Ich kehrte von dort mit geheilter Haut und wieder aufgewärmten Gliedern am 23. Mai nach Zürich zurück und ging daran, mich im Namen unseres Herrn Jesus Christus bei Heinrich Ostertag, einem ehrbaren Mann und Ratsmitglied, dem Seilerhandwerk zu widmen. Als Lehrgeld versprach ich ihm 18 Gulden und zahlte sie sofort. Und in kurzer Zeit machte ich dank des zuverlässigen Unterrichts meines Lehrers im Seilerhandwerk einen so grossen Fortschritt, dass kein Seiler mich an Geschicklichkeit und Fleiss übertraf.
ὢ παλάμαι βροτῶν.
4. Soldat
Im selben Jahr, das heisst am 3. Oktober 1524, machte ich mit einer Schar Zürcher Bürger nach Waldshut auf, um diese Stadt zu schützen; ich übte dabei die Funktion eines Soldaten und eines Schreibers aus, denn ich habe zweimal an den Rat von Zürich geschrieben. Das erste Mal im Dorf Dielsdorf. Da stösst ein Läufer aus Zürich auf uns, als wir gerade frühstückten und fragt uns im Auftrag des Rates, wohin wir denn auf dem Weg seien und was wir vorhätten? Die Soldaten erschraken und wussten nicht, was sie antworten sollten und sagten mancherlei. Der Läufer wies sie zurück und sagte: «Ihr habt hier einen Schreiber», er wies mit dem Finger auf mich, «bittet ihn, dass er Euer Ansinnen niederschreibt, weil ich dem Rat eine schriftliche und keine mündliche Antwort überbringen will». Die Soldaten baten und bettelten also und erreichten so, dass ich für sie schrieb. Ich schrieb also einiges so auf, wie die Soldaten es mir sagten, anderes, wie es mir selbst recht erschien, stieg dann auf einen Schemel und las ihnen, nachdem sie das Kommando zum Stillhalten erhalten hatten, den von mir verfassten Brief öffentlich vor; nach dieser Vorlesung waren alle derart entflammt, dass sie lieber sterben als nach Zürich zurückkehren wollten. Nach der Verlesung dieses Briefes im Rat waren auch die Ratsherren davon derart bewegt, dass manche nicht ihre Tränen zurückhalten konnten und den Antrag stellten, rasch ein Heer aufzustellen, das uns beobachten und nötigenfalls, wenn die Würfel gefallen sein sollten, unterstützen sollte. Viele aber waren der Ansicht, man solle Ratsboten zu uns schicken, welche die Faktenlage feststellen und alles dem Rat berichten sollten. Diese Ansicht obsiegte. Von den Zunftmeistern wurden Meister Hans Wägmann, ein Gerber, und Meister Thomas Mayer, ein Schuhmacher, losgeschickt. Da schrieb ich ein zweites Mal an den Zürcher Rat, nach einer öffentlichen Versammlung, die wir im Rathaus von Waldshut abgehalten hatten. Wir gelangten in dieser Stadt tief in der Nacht an und wurden von Junghans Schallers beherbergt, der uns von Zürich aus hergeführt hatte. Nach acht Tagen kehrte ich, weil nichts getan wurde, das der Mühe wert gewesen wäre, und eine ungeheure Zahl von Soldaten zusammenströmte, mit den Männern, mit denen ich dorthin aufgebrochen war, nach Zürich zurück, nach dem ich noch den Rat von Waldshut und unseren Gastgeber zum Abschied gegrüsst hatte; weder unser Anführer, Klaus Keller von Bülach, noch der Bannerträger Hans Habersaat konnten mich überreden, im Waffendienst zu verharren. Also kehrte ich zu meinen Seilen zurück. In bin damals aber dennoch wegen meiner zwei Schriftstücke vielen meiner Mitbürger bekannt und zum Freunde geworden. Auch meine Förderer, denen ich meinen Militärdienst vorher nicht mitgeteilt hatte und die ich beleidigt zu haben fürchtete, kümmerten sich noch eifriger um mich als zuvor.
Am 1. Januar 1525 brach ich zu Herzog Ulrich von Württemberg auf, den ich in Mömpelgard aufsuchen wollte, doch ich fand in Waldshut dessen Gesandten, Herrn Johannes Fuchssteiner, vor, der dort genau jene Angelegenheiten verhandelte, über die ich dem Herzog hatte Bericht erstatten wollen. In Solothurn traf ich den Herzog und sprach mit ihm gemäss der mir anvertrauten Ratschlägen über die Rückeroberung seines Herzogtums. Auf dieser Reise gewann ich Herrn Johannes Frumentarius, den herzoglichen Kanzler, mir für immer zu einem nahen und sehr engen Freund. Nicht lange danach reiste ich nach Schaffhausen, wohin ich dem Herzog Ratschläge bezüglich des Kriegsbeginns, der Auswahl von militärischem Führungspersonal und die Einstellung eines öffentlichen Redners überbrachte. Am 13. Februar griff ich zu den Waffen und verpflichtete mich dem Herzog; ich wurde in seinen Hofstaat aufgenommen und verweilte in Schaffhausen. Nach Zürich brachte ich zu Pferde 200 Gulden, die der Herzog leihweise von dem Metzger Laurentius Zur Eich erhalten hatte; ebenso übergab ich acht Gulden dem Drucker Johannes Hager als Bezahlung für den Brief an die Reichsstädte, den er gedruckt hatte. Hinsichtlich des Kriegszuges, den die Bürger beginnen sollten, wollte ich nichts unternehmen, weil das in Zürich gesetzlich verboten war.
Bevor ich in den Dienst des Herzogs trat, hatte ich die Freisprechung durch meinen Seilermeister empfangen, da ich darauf achtete, dass ich von jeder Art von Dienst und Verpflichtung frei wäre und gehen könnte, wohin es mir beliebte, ohne gegenüber jemandem zu etwas verpflichtet zu sein; und ich achtete darauf, dass mir dieser Militärdienst später nicht schaden sollte, wenn ich jemals das Bürgerrecht erwerben würde.
Bevor ich in den Krieg zog, stieg ich mit den Höflingen auf die Burg Hohentwiel hinauf und verbrachte dort einige Tage, schliesslich aber legte ich meine Waffen an und begab mich zu den Schweizer Soldaten hinab ins Dorf Hilzingen. Zuerst wohnte ich bei denen, die sich um die Geschütze kümmerten; dann bei den Leibwächtern des Herzogs, später bei den Rittern und adeligen Höflingen.
Zuerst ergab sich die Stadt Balingen und wurde derart zurückgewonnen. Dort erhielt ich Quartier bei einer alten Frau, deren im Haus befindliche Vorräte nach Soldatenart verschleudert wurden. Sie bemerkte mein massvolles Verhalten und rief mich zu sich an ihr Bett, in dem sie schwerkrank und altersschwach lag, und grüsste mich zum Ausdruck grosser menschlicher Zuneigung mit folgenden Worten: «Biß mir willkomm, min werder Gast.» Dann erteilte sie mir noch zusätzlich einige fromme religiöse Weisungen, derer ich immer eingedenk sein werde.
Nicht weit weg von Balingen wurde ein Teil der Soldaten, ein Haufe, der aus Schwarzwälder Bauern bestand und sein Feldlager getrennt von den Schweizern aufgeschlagen hatte, von feindlichen Reitern niedergemetzelt.
Bei Balingen liess ein Teil der Soldaten den Herzog ganz schändlich im Stich, die Mehrheit aber blieb in seinem Dienst und machte sich mit dem Herzog nach Herrenberg auf. Nicht weit von dort tauchten das Fussvolk und die Reiterei der Feinde auf, und beide Heere gingen in Schlachtordnung aufeinander zu. Ihre Reiterei hatte uns von hinten umgangen, aber als ihr Fussvolk die Flucht ergriff, zogen sich auch die Reiter zurück. Deshalb kam es nicht zu einer Schlacht. Dort wurde im Vorgeplänkel das Pferd eines Edelmannes, N. von Sperwerseck, von einer Kugel getroffen und brach vor mir und dem Herzog zusammen.
Der Herzog zog mit aller Kraft nach der Hauptstadt Stuttgart und nahm die Vorstadt ein. Dort nahm ich eigenhändig einen Meuchelmörder fest und nahm ihm seine Waffen weg, eine Büchse und ein Schwert. Er entkam allerdings in der Nacht, weil die Wächter betrunken waren und nicht achtgaben. Die Büchse brachte ich als Beutestück nach Zürich und habe mich ihrer noch lange Zeit bedient.
Als die Eroberung Stuttgarts schon unmittelbar bevorstand und von überall her das Volk von Württemberg zum Herzog zusammenströmte und sich ihm freiwillig ergab, kam es ebendort zu einem Abfall vom Herzog (oder, wie der Herzog es selbst öffentlich bezeichnete, zu einem Verrat). Der Initiator war Onophrius Setzstab. Ich habe mit meinen eigenen Ohren gehört, wie er auf einer von ihm zusammengetrommelten und -gerufenen Heeresversammlung den Soldaten zu Abfall und Fluch riet, und zwar aus zwei Gründen. Der erste war der nicht gezahlte Sold. Der zweite die Tatsache, dass die Schweizer zur Heimkehr aufgerufen worden waren. Er sagte nämlich, vielmehr proklamierte, dass sie alle zusammen durch falsche Versprechungen und die ungerechte Nichtzahlung ihres Soldes betrogen worden seien. Und dazu würden sie alle von der gemeinsamen Tagsatzung der Schweizer nach Hause gerufen; wenn sie den Schweizern nicht gehorchten, würden sie mit der Verbannung bestraft werden und ihr gemeinsames Vaterland werde von den Österreichern, ihren Erbfeinden, mit einem blutigen Krieg überzogen werden. Daher müssten sie sich um ihre eigenen Interessen und die ihres Vaterlandes kümmern. Dem fügte er noch einige sehr scharfe Äusserungen hinzu, mit denen er die Soldaten zum Abfall verleitete.
Als die zum Abfall verleiteten Soldaten ihre Flucht unter grossem Tumult vorbereiteten, war der Herzog gezwungen, das Gleiche zu tun. Deshalb ergriff er noch in tiefer Nacht die Flucht, wobei ich als Läufer mit seinem Pferd auf folgende Weise Schritt hielt: Als hefftig der Herzog ritt, als hefftig luff ich diser gestalt: Ich hat min hand auf des Herzogs stägreiff. Ich tat das, weil der Herzog es mir befahl, und so hielt ich das gleiche Tempo wie das Pferd, bis ein guter Teil des Tages vergangen war.
Nach der Flucht von Stuttgart aus gelangte ich mit dem Herzog nach Rottweil. Als ich dort nach dem Mittagessen in das Gemach des Herzogs trat, sprach er mich freundschaftlich an: Mein Rudolff, wie stehts? Ich antwortete aufs Geratewohl: Wol, gnädiger Herr. Er entgegnete: Es steht taussig teuffel. Er bereitete sich nämlich auf eine weitere Flucht vor, um sich in einem Wald zu verstecken, bis sich seine Soldaten wieder zerstreut hätten, die mit Gewalt ihren Sold einfordern wollten.
Von Rottweil aus begleitete ich den Herzog bis nach Schaffhausen, dann begab ich mich auf sein Geheiss hin (er vertraute mir nämlich ein Geschäft an) nach Zürich; von dort aus machte ich einen Abstecher nach Rätien zu meinem Verwandten, Herrn Jodocus Kilchmeyer; dann kehrte ich nach Zürich zurück, wo ich einen Brief vorfand, der mich auf die Burg Hohentwiel rief. Dort verbrachte ich einige Monate lang meine Zeit inmitten der Burgbesatzung; als ich des Hof- und Soldatenlebens überdrüssig geworden war, bot mir der Bauernkrieg eine Gelegenheit, mich dem Heeresdienst zu entziehen: Die Bauern bildeten überall in Deutschland unheilvolle Verschwörungsgruppen, und der Herzog machte sich auf den Weg zu ihnen, um ein Bündnis mit ihnen zu schliessen. Ich erlangte beim Herzog in guter Weise meinen Abschied und kehrte nach Zürich zurück, wo ich den Seilen und den Seilerwerkzeugen den Krieg erklärte, den ich eifrig und fleissig führte.
Süss ist der Krieg für die, die ihn nie erfahren haben.
Gesandtschaften und Reisen kann man, weil sie mit viel Mühe und Gefahr verbunden sind, ebenfalls unter die Überschrift «Soldat» stellen. Ich werde hier deshalb die bedeutenderen Reisen angeben, die ich auf Geheiss des Rates unternommen habe; ich werde nur die Daten nennen und die damit verbundenen Verhandlungen beiseitelassen, weil diese ein eigenes Buch erfordern.
Am 2. Januar 1528 ging ich als Begleiter und Diener des Herrn Zwingli nach Bern, für die gesamte Dauer der Berner Disputation; am 1. Februar kehrte ich zurück.
Am 2. Februar 1529 wurde ich nach Feldkirch geschickt, um die Beschlüsse der Fünf Orte und König Ferdinands in Erfahrung zu bringen; sie verhandelten diese damals untereinander, zum Verderben der Christenheit.
Am 3. September 1529 brach ich zusammen mit dem Herrn Zwingli zur Marburger Disputation auf. Zurück kam ich am 19. Oktober.
Am 11. Dezember 1529 wurde ich als Gesandter zum Dogen und zum Senat von Venedig geschickt. Auf dieser Reise wurde ich auf der Ebene von Brescia (auf der Preßler Heid) von zwei Räubern umstellt; den einen, vor mir, schlug ich mit meinem Schwert nieder, dem anderen, hinter mir, entging ich, weil ich mein Pferd anspornte; ich kam am 19. Januar 1530 zurück.
Am 29. August 1531 wurde ich als Gesandter zu König Franz I. von Frankreich geschickt, um bei dem König für das Geschäft und die Sache des Herzogs von Württemberg einzutreten. Die Angelegenheit wurde am 11. Oktober in Frankreich zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Daheim aber fand am selben Tag die höchst unheilvolle Kappeler Schlacht statt; ein Tag raubte uns damals Macht und Männer. Ich kam am 27. Oktober zurück.
5. Darauf wurde ich Bürger von Zürich
Am 6. Januar 1526 besuchte ich Gundolingen zum ersten Mal seit meinem Weggang am 4. Februar 1524. Ich grüsste meine herzallerliebste Mutter, und sie bereitete mir einen Empfang mit sehr tränenreichen Umarmungen. Als ich sie verliess, bekam ich von ihr 40 Gulden, ebenso bekam ich kurz darauf am 1. April 60 Gulden, was insgesamt 100 Gulden ergibt. Dieses Geld verwendete ich dazu, das Bürgerrecht [von Zürich] zu erwerben und mir auch noch andere nützliche Dinge anzuschaffen.
Als erstes kaufte ich mir am 14. Januar 1526 für zehn Gulden das Zürcher Bürgerrecht; schon am folgenden Tag, das heisst dem 15. Januar, schwor ich einen Eid, dass ich für die Republik ein nützlicher und ordentlicher Bürger sein werde.
Als zweites kaufte ich mich für zwölf Gulden in die Seilerzunft ein, die sich die Seiler mit den Fischern und den Schiffern teilen; in ihr bin ich bis zum heutigen Tage geblieben und wurde von meinen Zunftgenossen in hohen Ehren gehalten. Denn ausser Stubenmeister- und Bauamt und anderen derartigen zünftischen Ehrenposten ehrten sie mich auf Entscheid der ganzen Zunft hin mit dem Pflegeramt (der höchsten Ehrung nach dem Amt des Zunftmeisters), was weder vor noch nach mir irgendeinem zuteilgeworden ist, der nicht zum Rat gehörte. Ich übte dieses Amt zwölf Jahre aus, dankte dann ab und erreichte durch mein Votum und meine entsprechenden Instruktionen, dass Rudolf Lochmann, mein Gevatter, mir in diesem Amt nachfolgte. Ausserdem war ich lange Schreiber und Leser bei den Zunftverhandlungen, bis ich mit meiner Autorität meinen Herrn Gevatter Johannes Wolf als meinen Nachfolger durchsetzte.
Als drittes kaufte ich dem Seiler Johannes Lochman am 8. Februar für 15 Gulden Seilerwerkzeuge ab.
Als viertes bot ich am 23. Februar in dem Laden im Haus Zum Schnabel an der Schifflände mit gutem Erfolg öffentlich meine Seile zum Verkauf an.
Als fünftes begann ich am 12. März im sogenannten Haus Zur Lilie zur Gilgen in der Neustadt mir einen Haushalt einzurichten; am 8. Oktober zog ich von dort in ein Haus an der Schifflände (jetz dem Thurnhüter zugeignet), das mir und Ammann aufgrund unseres Berufes zur gemeinschaftlichen Nutzung zugewiesen worden war. Ich hebe hervor, dass ich in dieses Haus zusammen mit meiner todkranken Frau und meinem gesamten Hausrat innerhalb von nur anderthalb Stunden umgezogen bin; denn
Der ganze Haushalt des Kodros passt auf einen Wagen.
Copy eines Brieffs/ so min Mannrecht sin sollt:
Ich Hans im Holtz, der Zyt geschworner Richter und Weibel zu Rotenburg/ bekenn offentlich mit disem Brieff/ das auf Siner Date / als ich daselbst offentlich zu Gricht sas/ an Statt und im Namen des Frommen Fürnemmen und Wysen Herren Hanß Hasen/ des Rhadts zu Lucern/ und der Zyt Vogt zu Rotenburg / minens lieben Herren/ for mir in Gricht erschinnen ist/ der Ersam Bartlime zum Bül/ hie zu Rotenburg wonende/ und ließ durch sin erlaupten Fürsprechen in Recht offnen. Nach dem und dann Sin Bruder Rudolff zum Bül/ jetzmal zu Zürich wonende/ vergangens Zyts hie hinnen gescheiden sige Syner Geschäfften und Fürnemmens halb/ und aber villicht/ demselben sinem Bruder Rudolffen/ etwas Fürzugs geschehen/ uff die Meinung/ das er von hinnen von Rotenburg mit Uneeren und mit keinem Glimpff nach Fug gescheiden sin sölle/ das sich doch nimmermehr erfinden mög; Begärt er uff uns an als geschwornen Richter und Urtelsprächer/ mit sampt anderen vill frommer Amptsleuten von Rotenburg/ das Wir im Kundtschafft der Warheit durch der Gerechtigkeit willen mittheilen und gäben wöltend.
Und so man Kundtschafft der Warheit niemandt zuversagen/ sunder das Recht zufürderen sich gebürt/ So haben Wir verhört/ gmeinlich fill Frumer Etlicher Amptsleuth/ und wir geschwornen Weibel Richter und Fürsprecher/ des all gut Wüssen tragen/ das obgenanter Rudolff zum Bül/ hie binnen von Rotenburg/ Frumklich und Erlich gescheiden ist/ und mit keinen Uneeren/ Argem nach Unglimpff jenen verlumdet/ und Er und sin Bruder Bartlimee/ und all ir Fründtschafft von je Wälten har by uns für frum/ biderb Leuth geschetzt und geachtet: Diser Kundtschafft und Urtheil/ so mit gschwornen Eiden bestätet/ begärt Barthlimee zum Bül eines Urkundes/ das im mit Rächt zegäben erkent ward/ under des obgemelten minens Herren Vogts von Rotenburg uffgedruktem Insigel/ Ime und sinen Erben ohne Schaden/ uff Mitwuchen vor des heiligen Creutzes Tag zu Herpst/ nach der Geburt Christi gezelt Fünfzehen Hundert Zwentzig und Fünf Jahr/ und warend hieby Gezügen Uli Sigerist/ Hans Graser/ Heini Hiltbrand/ und Rutschman zum Bül/ alle der Zyt des Grichts zu Rotenburg geschwornen Fürsprechen/ und ander genug/ etc.
Erklärung des Brieffs und Handels:
Als ich von minen Gnädigen Herren von Zürich das Burgrecht zekauffen willen was/ schreib ich minem Bruder Bartlimee/ Er sölte mir vor dem Gricht zu Rotenburg min Mannrecht erwerben und zuschicken/ da verstund er min Meinung nit recht/ vermeint ich werde zu Zürich an minen Eeren geschulten/ und erlanget von eim Gricht zu Rotenburg disen forgeschribnen Brieff/ welicher anfangt:
Ich Hans im Holz/ etc. Als ich nun um das Burgrecht bat/ leit ich disen Brieff for minen Gnädigen Herren/ an Statt eines Mannrechts / welchen Sie (mine Gnädigen Herren) für gut uffnamend/ als ware er ein recht geformt Mannrecht/ liessend mir durch Herren Underschreiber Junker Burkhard Wirtzen sagen/ Si (mine Gnadige Herren) werind wol zufriden/ und wöltend mir das Burgrecht gern gaben han/ wann ich schon kein Brieff ingleit hätte. Also gab ich Zehen Gulden Herren Seckelmeister/ M. Jacob Werdmüler/ und schreib mich Herr Underschreiber in das Burgerbuch mit Nammen Rudolff zum Bül/ laß mir den Burger-Eid vor/ (wiewol ich jetzunder genempt wird Collinus, oder Rudolff am Bül/) gab mir ein Brieffli an mine Meister zu den Schiffleuten/ welche mir ir Zunfft zekauffen gabend/ wie forgemelt/ etc.
6. Dann war ich Professor
Als Professor der griechischen Sprache wurde ich auf dem ordnungsgemässen Weg von den Herren Scholarchen (sowohl denen aus dem Rat wie denen aus dem kirchlichen Bereich) eingesetzt und hierauf vom Zürcher Rat bestätigt, während in der Zwischenzeit die Herren Zwingli und Ammann die Sache mit vereintem Bemühen betrieben, was ich überhaupt nicht wusste, und ich dachte auch nicht an so etwas, geschweige denn, dass ich mich beworben hätte, sondern ich verweilte inmitten von Seilen, Werg und Hanfstaub.
Deshalb kann ich kaum einen genauen Zeitpunkt angeben; dennoch wird man das sicher aus den Annalen des Kollegs und der Reformationsgeschichte sicher erkennen können.
Da mein Lohn sehr gering war, war ich ganze drei Jahre lang gezwungen, die Wissenschaft und die Seilerei nebeneinander zu betreiben. Und der restionatus (das Seilerwerk, um in meiner Kunst eine neue Vokabel zu erfinden) gelang mir gut. Ich hatte nämlich drei Werkstätten: eine in Zürich, nämlich meine; eine andere in Weesen, um die sich dort der Seiler Jos. Hartman in meinem Namen als Geschäftsführer kümmerte; und die dritte in Walenstadt, um die sich der Müller Hans Wildhaber dort in meinem Namen als Geschäftsführer kümmerte. Später sagte ich nach einer Lohnerhöhung den Seilen Lebewohl und habe ich mich nur auf die Wissenschaften verlegt und diesem meinem Wirkungskreis, wie ich hoffe, meinen Kräften gemäss Genüge getan.
Am 8. August 1528 begann ich Homer in einer ordentlichen Vorlesung zu interpretieren. Welche Autoren ich hierauf im Einzelnen zu welchem Zeitpunkt interpretiert habe, kann ich nicht aufzählen, und es ist mir auch nichts daran gelegen, diesbezüglich eine genaue Zahlenangabe zu machen.
7.
Auch nun am Ende meines Lebens, und welches Los mir noch verbleibt;
Dieses Los liegt in Deinen Händen, gütiger Gott.
Im Psalm 30 steht geschrieben:
Ἐν ταῖς χερσί σου
οἱ κλῆροι μου.
[In Deinen Händen liegen
meine Lose.]
Diese Aussage war viele Jahre lang meine Parole; ich habe sie einst so übersetzt:
Ich vertraue mich Dir an, Du nimm die Sorge für mich als Aufgabe an.
In Deinen Händen liegt mein Los, gütiger Gott.
Amen
- Januar 1576.
Rudolf Collinus als Vater an seine Nachkommen
Ich werde mit unseren Vätern schlafen gehen. Ich werde gehen.
Im Herrn Jesu liegt meine einzige Ruhe.
Ich werde gehen; ihr, liebe Knaben und liebe Enkel,
Seid gut | zu Euch: | zu Euren Mitbürgern: | und zur Heimat: |
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