Chronicon

Konrad Pellikan

Einführung: Kevin Bovier (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 13.11.2023.


Handschrift (grösstenteils Autograph): Zentralbibliothek Zürich, ms A 138, hier: p. 1, 23 und 56 (Chronicon ad Filium et nepotes).

Ausgabe und Übersetzungen: K. Pellikan, Das Chronikon, hg. von B. Riggenbach, Basel, Bahnmaier, 1877, hier: 1-2, 27-28 und 66-67 (nur lateinischer Text); Die Hauschronik des Konrad Pellikans von Rufach: Ein Lebensbild aus der Reformationszeit, übs. von Th. Vulpinus, Strassburg, Heitz, 1892, 1-2, 28-29 und 67 (nur deutsche Übersetzung); The Chronicle of Conrad Pellican 1478-1556, übs. von F. C. Ahrens, New York, Columbia University, 1950, 1-2, 57-59, 142-143 (nur englische Übersetzung).

 

Der 1478 in Rufach im Elsass geborene Konrad Kürschner studierte in Heidelberg (1491-1492), wo er den Namen Pellikan annahm; dort kam er durch seinen Onkel Jodocus Gallus in Kontakt mit den Humanisten, die den Wormser Bischof Johann von Dalberg aufsuchten. Nach seinem Eintritt in den Franziskanerorden 1544 setzte Pellikan seine Studien 1496 in Tübingen fort und entwickelte Interesse an der Philologie. Er brachte sich Hebräisch erst als Autodidakt bei, dann mit der Hilfe des Johannes Reuchlin. 1501 begann er mit der Abfassung einer hebräischen Grammatik, die drei Jahre später in Strassburg erschien. Er wurde 1502 Lektor im Konvent der Basler Minoritenbrüder und beteiligte sich an der Herausgabe der gesammelten Werke Augustins bei den Druckern Petri, Froben und Amerbach. 1508 wurde er zum Sekretär des franziskanischen Provinzials Kaspar Schatzger ernannt, hierauf zum Guardian des Basler Konvents (1519-1523). Stand er als Humanist erst Erasmus nahe, so entfremdete er sich von diesem infolge seiner eigenen Anhänglichkeit an die Reformation. 1526 wurde er Professor für Griechisch, Hebräisch und das Alte Testament an der von Zwinglin in Zürich errichteten theologischen Hochschule. Er war Mitarbeiter an der Zürcher Bibelübersetzung und schrieb einen umfassenden Bibelkommentar in sieben Bänden, der zwischen 1532 und 1539 bei Froschauer herauskam. Sein Chronicon dagegen lag bis ins 19. Jahrhundert hinein nur als Manuskript vor (s. Ausgabe). Pellikan verstarb 1556 in Zürich.

Auch wenn Pellikan sich schon 1521 Notizen machte, begann er doch erst im Alter von 66 Jahren (das heisst 1544) mit der schriftlichen Niederlegung im eigentlichen Sinne, wie er selbst zu Beginn seines Textes angibt (s. den ersten Auszug). Erst wenige Monate vor seinem Tod am 5. April 1556 hielt er die Ereignisse in seinem Leben zwischen 1540 und dem Herbst 1555 schriftlich fest. Die letzte Notiz über seinen Tod und seinen Nachfolger in der Hebräischprofessur (Peter Martyr Vermigli) stammt wahrscheinlich von seinem Sohn, Samuel Pellikan. Der Autor gibt vor, sich mit seinem Werk nur an seine Familie zu wenden und nicht die Intention zu haben, diesen Text zu veröffentlichen (scripta… quae non statui invulganda). Man mag sich fragen, weshalb Pellikan sich entschloss, seine Erinnerungen in Latein und nicht in seiner Muttersprache abzufassen, wie es ein wenig später Thomas Platter tun sollte, der sie ebenfalls für seinen Sohn (Felix) verfasste. Die Wahl der lateinischen Sprache überrascht auch deshalb, weil der Autor des Chronicon eine lange Passage über die Nützlichkeit der Muttersprache für die freien Künste und die Bibelauslegung verfasst hat. Laut Hans Rudolf Velten enthält die Autobiographie Pellikans zahlreiche typische Elemente einer humanistischen vita (einführende Reflexionen, Herkunft und Vorfahren, Studien, Reisen, Beziehungen, Werke); ausserdem mache schon die Tatsache, dass sie in Latein verfasst ist, deutlich, dass Pellikans angebliche Intention beim Verfassen dieses Texts rein rhetorisch aufzufassen ist, und er sehr wohl vorhatte, dieses Werk zu veröffentlichen.

Irena Backus hebt in ihrem Werk über die Reformatorenbiographien hervor, dass der Ton dieser Autobiographie dem ähnelt, den Johannes Kessler in seiner Biographie des Joachim Vadian anschlägt, das heisst, dass es sich ebenso um einen biographischen Bericht wie um eine Chronik zeitgenössischer Ereignisse handelt (daraus resultiert der vom Autor gewählte Titel: Chronicon); dennoch ist die Autobiographie des Pellikan ihrem Wesen nach zugleich persönlicher und objektiver gehalten. Man nimmt darin die Ambivalenz des intellektuellen und religiösen Klimas in jener Epoche wahr (das ist etwas, das ein Biograph nicht der Darstellung für wert befunden hätte). 1582 bediente sich Ludwig Lavater, der Schwiegersohn des Zürcher Reformators Heinrich Bullinger, des Chronicon und veröffentlichte Ausschnitte daraus in seiner Ausgabe des Bibelkommentars des Pellikan; der unter dem Titel De ortu, vita et obitu reverendi viri D. Conradi Pellicani […] narratio stehende Text dient als Vorwort für den ersten Band. Bei der Auswahl seiner Auszüge hat Lavater darauf geachtet, Details zu vermeiden, die das Publikum hätten schockieren können, ferner hat er auch Ereignisse weggelassen, die ein schlechtes Licht auf die zwinglianische Reformation in Zürich hätten werfen können.

Der Beginn des Chronicon, den wir hier wiedergeben, belegt den Willen des Autors, seinen Nachkommen seine Lebensgeschichte zu übermitteln, wobei er wünscht, dass sie auch ihrerseits so vorgehen mögen (er verbindet damit ein moralisches und erzieherisches Ziel). Die Idee zum Schreiben seiner Autobiographie erhielt er von seinem Onkel Jodocus Gallus, dem Rektor der Universität Heidelberg, der in seinen Büchern Notizen über sein Leben hinterlassen hatte. Pellikan will seinerseits seine Familie mit musterhaften Beispielen versorgen, damit sie in der Frömmigkeit Fortschritte machen kann. In einem Abschnitt, der einer Bilanz über sein Leben ähnelt, stellt er fest, dass er ein guter Gottesdiener gewesen sei, doch ein noch besserer hätte sein können. Was sein Interesse an den schönen Wissenschaften angeht, so bringt er es in Verbindung mit seiner Berufung für den Dienst an Gott.

Als zweiten Ausschnitt präsentieren wir Pellikans Bericht über seine 1502 einsetzende Mitarbeit als Lektor an der grossen Augustinusedition des Basler Drucker und Verlegers Johannes Amerbach. Man gewinnt hierbei nebenbei einen Einblick in die Umstände einer bedeutenden Buchpublikation.

Der dritte Ausschnitt ist eine Episode aus seinem Leben, die sich 1516 nach seiner Rückkehr von einer Italienreise ereignete. Als er an einem Provinzialkapitel in München teilnehmen sollte, wurde er krank und wäre beinahe gestorben. Während seiner Genesung wollte das Kapitel ihn zum Visitator für Drittordensschwestern machen, doch Pellikan zog es – ungeachtet der mit einem solchen Posten verbundenen Vorteile – vor, Guardian des Konvents von Rufach zu werden. Der Bericht über diese Episode ist nüchterner als die entsprechende Passage in der Pellikan-Biographie des Johannes Fabricius Montanus. Dieser beharrt ausführlich auf der Keuschheit des Pellikan, der der Versuchung zur Annahme dieses begehrten Postens widersteht, da dieser ihn in zu engen Kontakt mit dem weiblichen Geschlecht bringen würde.

 

Bibliographie

Bächtold, H. U., «Pellikan, Konrad», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 25.11.2009, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010781/2009-11-25/.

Backus, I., Life Writing in Reformation Europe. Lives of Reformers by Friends, Disciples and Foes, Aldershot, Ashgate, 2008, 116-124.

Jancke, J., «Konrad Pellikan», in: Selbstzeugnissen aus dem deutschsprachigen Raum. Autobiographien, Tagebücher und andere autobiographische Schriften 1400-1620. Eine Quellenkunde, online, https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/jancke-quellenkunde/verzeichnis/p/pellikan/index.html.

Röll, W., «Pellikan, Konrad», Deutscher Humanismus 1480-1520. Verfasserlexikon 2 (2013), 421-434.

Velten, H. R., Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert, Heidelberg, Universitätsverlag C. Winter, 1995, 88-94.

Zürcher, C. S., Konrad Pellikans Wirken in Zürich, 1526-1556, Zürich, Juris-Verlag Zürich, 1975.