Gedicht über die Ruinen von Avenches
Heinrich Glarean
Einführung: Clemens Schlip (traduction française: Kevin Bovier et David Amherdt). Version: 10.02.2023.
Entstehungsdatum: um 1515.
Handschriften: Bayerische Staatsbibliothek, Clm 28325, fol. 72r°; Zentralbibliothek, Ms. L 47, 117.
Ausgaben: Frei-Stolba (1992), 234-235; O. F. Fritzsche, Glarean, sein Leben und seine Schriften, Frauenfeld, Huber, 1890, 16; Stumpf, J., Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen und Voelckeren Chronick wirdiger Thaaten Beschreybung, Zürich, Froschauer, 1548, Bd. 2, fol. 263ro.
Metrum: elegische Disticha.
Am 23. Januar 1515 lud der bedeutende Politiker, Diplomat und Humanist Peter Falck (1468-1519), der zu zahlreichen wichtigen Gelehrten seiner Zeit Kontakte unterhielt, Glarean in seine Heimat Freiburg im Üchtland ein, damit dieser bei dieser Gelegenheit die Ruinen von Avenches (auf Deutsch: Wiflisburg) besichtigen könne. Falck und Glarean hatten sich wenige Tage zuvor auf der in Zürich im Januar 1515 stattfindenden Tagsatzung kennengelernt. Im Kontext dieser Reise ist das vorliegende Hexastichon entstanden. Ein Jahr später widmete Glarean dem Peter Falck seine Isagoge in musicen.
Die elegische Ruinenstimmung des kurzen Gedichts spricht für sich alleine und bedarf hier keiner weiteren Kommentierung. Im Kontext der bereits erwähnten Reise Glareans ist es zu sehen, dass Bonifacius Amerbach von ihm danach die Abschriften mehrerer antiker Inschriften aus Avenches und Münchenwiler erhielt; ob Glarean diese persönlich erstellt oder selbst schon von jemand anderem erhalten hatte, muss offen bleiben. Man wird in diesen Abschriften jedenfalls zumindest die Vorform einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Ruinen von Avenches sehen dürfen, die später im 18. Jahrhundert einsetzen sollte.
Johannes Stumpf druckte das Gedicht in seiner erstmals 1548 erschienenen Gemeiner loblicher Eydgnoschafft [...] Beschreybung ab. Allerdings schreibt er im letzten Vers irrtümlich reveret statt rueret. Von ihm übernahm Martin Zeiller die ersten vier Verse des Gedichts in seine Beschreibung von Avenches, die in der 1642 von Matthäus Merian veröffentlichten und mit zahlreichen Kupferstichen illustrierten Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae erschien. Für die Bekanntheit, die unser Gedicht seinem Abdruck bei Stumpf verdankt, spricht zudem, dass der Basler Arzt Thomas Platter d. J. es in der bekannten Beschreibung seiner Reisen in den Jahren 1595-1600 anlässlich seines Besuches in Avenches (für ihn: Wifelspurg) im September 1595 in vollem Wortlaut zitiert; dass er offensichtlich Stumpf benutzt hat, belegt eindeutig die Übernahme von dessen Fehler im letzten Vers (reveret statt rueret).
Bibliographie
Frei-Stolba, R., «Früheste epigraphische Forschungen in Avenches: zu den Abschriften des 16. Jahrhunderts», Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 42 (1992), 227-246.
Tremp, E., «Peter Falck», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 12.03.2020, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/014986/2020-03-12/.
Der gebürtige Basler Matthäus Merian (1593-1650) absolvierte in seiner Heimatstadt eine Glasmaler- und in Zürich bei einem Kupferstecher eine Radierlehre und verbrachte zudem einige Zeit in Strassburg und Paris (1612-1615). 1617 heiratete er die Tochter des Frankfurter Kupferstechers und Verlegers Theodor de Bry und arbeitete in Oppenheim in dessen Verlag; 1620-1624 hielt er sich in Basel auf. Nach dem Tode seines Schwiegervaters übernahm er dessen Unternehmen und lebte und arbeitete in Frankfurt a. M. Er ist besonders für seine Stadt- und Landschaftsansichten berühmt. Sein Hauptwerk ist die von ihm selbst verlegte Topographia Germaniae, die zwischen 1642 und 1655 erschien, und die er mit der in unserem Kontext relevanten Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae beginnen liess. Zu ihm s. L. Wüthrich, «Merian, Matthaeus der Ältere», Neue Deutsche Biographie 17 (1994), 135-138, Onlineversion, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118581090.html#ndbcontent; L. Wüthrich, «Merian, Matthaeus», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 30.10.2008, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/019075/2008-10-30/.