Vorreden
Nicolaus Brylinger
Einführung: Clemens Schlip (traduction française: Kevin Bovier et David Amherdt). Version: 06.04.2023.
Entstehungszeitraum: jeweils wohl unmittelbar vor der Drucklegung der jeweiligen Ausgaben (s. unten), wobei Brylinger für die Vorrede zur Epigramm-Anthologie zu einem grossen Teil auf das Vorwort zur ersten Auflage von 1539 zurückgriff (vgl. unsere Einführung).
Ausgaben: Comoediae ac tragoediae aliquot ex novo et vetere testamento desumptae […] Adiunximus praeterea duas lepidissimas comoedias mores corruptissimi saeculi elegantissime depingentes, Basel, Nicolaus Brylinger, 1540, hier: fol. a2ro.
Scholae christianae epigrammatum libri duo adiecta sunt singulis epigrammatis argumenta [...] scholis etiam passim in margine adiunctis, Basel, Nicolaus Brylinger, 1541, hier: fol. a2ro-vo.
Der Druckerverleger Brylinger
Nicolaus Brylinger wurde ca. 1515 geboren. Am 25. März 1535 erhielt er das Basler Bürgerrecht, nachdem er die vormals mit Theodor Wolff verheiratete Anna Brunn geehelicht hatte. Im gleichen Jahr wandte er sich in Kooperation mit Bartholomäus Westheimer dem Druckergewerbe zu. Ab 1538 betrieb er seine Geschäfte meist allein von seiner Offizin auf dem Basler Heuberg aus, was gelegentliche Zusammenarbeit mit anderen Druckerverlegern (wie Bartholomäus Stähelin, Johannes Oporin oder Sebastian Franck) nicht ausschloss. Das dramatischste Erlebnis seiner Laufbahn war wohl seine Festnahme und kurzzeitige Inhaftierung auf der Frankfurter Messe von 1557 für den Verkauf von Basilius Monners Schrift Bedencken vonn dem Kriege … über den Schmalkaldischen Krieg (1544-1547), die dieser als ehemaliger Rat des unterlegenen sächsischen Kurfürsten aus protestantischer Perspektive verfasst hatte. SwissCollections verzeichnet insgesamt 243 Drucke aus Brylingers Offizin. Brylinger verstarb 1565 in Basel. Die Geschäfte der Offizin wurden bis 1600 zunächst von seinen Erben weitergeführt, die dafür teilweise mit den Druckerverlegern Marx Russinger (1540-1583) und Leonhard Ostein (1538-1595) zusammenarbeiteten.
Zwei Vorreden Brylingers
Wir präsentieren hier zwei Vorreden, die der Druckerverleger Brylinger zu zwei von ihm veröffentlichten Werken beigesteuert hat. Es handelt sich dabei um zwei Anthologien, die letztlich die gleiche Zielsetzung verfolgen: eine christliche Alternative zu den Werken der paganen Antike zu bieten. Die Anthologie Comoediae ac tragoediae aliquot ex novo et vetere testamento desumptae von 1540 tut dies auf dem Gebiet des Dramas, mit zehn Theaterstücken von insgesamt acht Autoren: sie stammen von Wilhelm Gnaphaeus (Acolastus); Cornelius Crocus (Ioseph); Petrus Papaeus (Samarites); Jacobus Zovitius (Ovis perdita); Sixt Birck (Susanna); Thomas Naogeorg (Pammachius); Nicolas Barthélemy (Christus Xilonicus); Georg Macropedius (drei Stücke: Hecastus, Bassarus und Andrisca). Sechs dieser Stücke entnehmen ihr Sujet unmittelbar der Bibel, was den Haupttitel dieses Bandes, Comoediae ac tragoediae aliquot ex novo et vetere testamento desumptae, rechtfertigt («einige Komödien und Tragödien, deren Stoff dem Alten und dem Neuen Testament entnommen ist»); zwei Dramen lassen sich in einem weiteren Sinne als geistliche Spiele betrachten (der Pammachius des Naogeorg bietet eine Art Abriss der Papst- und Kirchengeschichte, der Hecastus des Macropedius gehört zu den frühneuzeitlichen Jedermann-Dramen; er führt exemplarisch das Sterben eines reichen jungen Mannes vor Augen, der sich in der Stunde seines Todes von Freunden, Familie und Reichtum verlassen sieht und um dessen Seele die Tugend und der Glaube gegen die Besitzansprüche von Teufel und Tod ringen und letztlich auch den Sieg davontragen). Bei den zwei übrigen abgedruckten Stücken des Macropedius handelt es sich um Komödien nicht-geistlichen Inhalts, die laut dem Titelblatt hinzugefügt wurden, weil sie die Sittenlosigkeit der Gegenwart satirisch aufs Korn nehmen (der Titel des Bandes spricht in diesem Sinne von comoedias mores corruptissimi saeculi elegantissime depingentes). Ein Blick auf die Autoren (vgl. dazu die Anmerkungen zu den jeweiligen Namen) zeigt nicht nur, dass mindestens fünf davon (Gnaphaeus, Crocus, Birck, Naogeorgus und Macropedius) im Publikationsjahr dieser dramatischen Anthologie noch am Leben waren (bei den übrigen ist das Todesjahr unklar); es handelte sich darüber hinaus bei allen hier versammelten zehn Theaterstücken letztlich um zeitgenössische Literatur. Dabei werden sowohl protestantische wie katholische Autoren berücksichtigt; alleine schon durch den scharf papst- und kirchenkritischen Pammachius des Naogeorg wird aber deutlich, dass Brylinger vermutlich primär ein protestantisches Lesepublikum anzielte. Man darf vermuten, dass der Druckerverleger bei der Erstellung dieses Dramenbandes auf die Hilfe eines oder mehrerer gelehrter Mitarbeiter zurückgriff; dieser bzw. diese bleiben aber anonym und werden weder auf dem Titelblatt noch in Brylingers Präfatio genannt. Brylinger preist die Sammlung in seiner sehr kurz gehaltenen Vorrede als vollwertigen christlichen Ersatz für die römische Komödie des Terenz, die traditionellerweise den Lateinunterricht dominierte; er hebt besonders die Tatsache hervor, dass in diesen Stücken biblische Sujets behandelt worden seien und sie frei von lasziven und erotischen Stoffen seien.
Dass derartige Stücke tatsächlich gerne im Schulunterricht als Alternative zu heidnischen Klassikern herangezogen wurden, belegt eine Unterredung, die 1537 in St. Gallen zwischen Johannes Vadian und Johannes Kessler als dem frischernannten Leiter der Lateinschule stattfand: in dieser empfahl Vadian als Lektürestoff neben anderen prononciert christlichen Werken den Ioseph des Cornelius Crocus und den Christus Xylonicus des Nicolas Barthélemy, zwei Theaterstücke, die beide auch in dem bei Brylinger gedruckten Sammelband enthalten sind. Wir dürfen in diesem Zusammenhang auch noch beispielhaft auf Gwalthers Nabal hinweisen, der auf diesem Portal stellvertretend für das reformierte Zürcher Bibeldrama steht und einige Jahre nach der hier betrachteten Anthologie aus dem Hause Brylinger erschien (1549) – eine Anthologie, in die er sich ansonsten thematisch und inhaltlich sehr gut eingefügt hätte.
Die zweite Vorrede Brylingers, die wir auf diesem Portal präsentieren, stammt aus dem Jahr 1541. Damals erschien bei Brylinger, die zweite Auflage einer Gedichtanthologie mit «christlichen Epigrammen» (Scholae christianae epigrammatum […] libri duo), wobei man diesen Gattungsbegriff auch mit Bezug auf diese Sammlung nicht zu engherzig auffassen darf. Die erste Auflage dieser Zusammenstellung war bereits 1539 bei Brylinger erschienen; die Herausgeber blieben damals anonym. In seiner Vorrede zur zweiten Auflage, die zu einem grossen Teil seine Präfatio zur ersten Auflage wörtlich wiederholt, nennt Brylinger nun die Namen der beiden Gelehrten, denen der vorliegende Band zu verdanken war: Johannes Gast und Johannes Susenbrot. Letzterer wird – anders als Gast – auch eigens auf dem neuen Titelblatt erwähnt, was vielleicht bei dieser auf den Schulgebrauch berechneten Publikation durch seine Bekanntheit als Lehrer und pädagogischer Schriftsteller zu erklären ist. Inhaltliche Änderungen der zweiten Auflage im Unterschied zur ersten fallen nicht ins Auge.
Unmittelbar auf das Titelblatt der Gedicht-Anthologie folgt noch vor Brylingers Vorrede eine Auflistung mit der Überschrift Authores, ex quibus haec epigrammata sunt desumpta («Autoren, aus denen die vorliegenden Epigramme entnommen worden sind»), die schon in der ersten Auflage diesen Platz eingenommen hatte. Sie nennt als ersten den spätantiken Dichter Aurelius Prudentius; im Folgenden aber nur humanistischen Zeitgenossen (in Klammern die Schreibweise des Katalogs, wo sie von der uns gewählten modernen abweicht): Erasmus von Rotterdam (D. Erasmus Rotterodamus), Thomas Morus, Andrea Alciato (Andreas Alciatus), Publio Fausto Andrelino (Faustus Andrelinus), Piattino Piatti (Platinus Platus), Petrus Flores Hispanus, Jakob Montanus (Iacobus Montanus), Ludovicus Biges, genannt Pictorius (Pictorius), Benedetto Giovio (Benedictus Govius), Lorenzo Lippi da Colle (Laurentius Lippus), Nicolas Bourbon d. Ä. (Nicolaus Borbonius), Ludovicus Biges, Janus Cornarius (Ianus Cornarius), Othmar Luscinius (Othomarus Luscinius), Lilius Gregorius Giraldus (Lilius) und Hieronymus van Busleyden (Buslidius). Schon ein oberflächlicher Blick in das Buch erweist allerdings, dass diese Aufzählung unvollständig ist: es fehlen zum Beispiel Ausonius, Prosper von Aquitanien, Philipp Melanchthon … und weitere Autoren, auf deren nachträgliche Katalogisierung hier verzichtet werden darf; bereits die Anmerkungen zu den hier im Vorigen genannten Autoren machen ausreichend deutlich, ein wie weites zeitliches und geographisches Spektrum diese Anthologie abdeckte.
Brylingers Vorrede fällt ausführlicher aus als die zu der Dramenanthologie von 1540. Er würdigt die Arbeit Gasts und Susenbrots (jenen am Anfang, diesen gegen Ende der Präfatio) und zeigt sich selbst wortreich begeistert von dem hier verwirklichten Projekt, den Schulknaben eine genuin christliche Alternative zu den aus der paganen Antike stammenden Lektürestoffen zu bieten; letztere hält er wegen ihrer teilweisen Obszönität und der darin traktierten mythologischen Themen für Gefährdungen der Kinderseele. Bemerkenswert deutlich spricht Brylinger aus, dass seine und seiner Mitarbeiter Bemühungen vonseiten des Lesepublikums eine angemessene finanzielle Kompensation verdienen.
Anders als Titelblatt und Vorrede verheissen, hat die Gedichtsammlung keinen rein geistlichen Charakter; besonders das zweite Buch geht thematisch über diesen Rahmen hinaus; heidnische Autoren und Obszönitäten werden allerdings tatsächlich konsequent vermieden. Akzentuierende lateinische Gedichte, wie sie im Mittelalter üblich gewesen waren, sind ausgeschlossen; die Sammlung berücksichtigt also nur die durch die antike Tradition vorgegebenen quantitierenden Metren.
Bibliographie
Heitz, P./Bernoulli, C. C., Basler Büchermarken bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts. Mit Vorbemerkungen und Nachrichten über die Basler Drucker, Strassburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1895, hier: XXXII-XXXIII.
[Eintrag im] Index typographorum editorumque Basiliensium, https://ub.unibas.ch/itb/druckerverleger/nicolaus-brylinger/.
Reske, C., Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet, Wiesbaden, Harrassowitz, 22015, hier: 81.
S. zu diesem den entsprechenden Eintrag im Index typographorum editorumque Basiliensium: https://ub2.unibas.ch/itb/druckerverleger/leonhard-ostein/.
Wir folgen hier der Darstellung von Reske (2015), 81; Heitz/Bernoulli (1895), XXXIII gehen dagegen davon aus, dass die Offizin schon deutlich vor 1600 von Leonard Ostenius von den Erben erworben und weitergeführt wurde. Der Index typographorum editorumque Basiliensium https://ub2.unibas.ch/itb/druckerverleger/leonhard-ostein/ weist in diesem Zusammenhang ohne wirkliche eigene Stellungnahme nur darauf hin, dass «die Brylingersche Druckermarke in den 1580er und 1590er Jahren mehrfach auch in nur von Ostein firmierten Drucken auftaucht». Für unseren Kontext ist die Frage letztlich ohne Belang.