Zwei Briefe Vadians: An Bernhardin Bentz in Marbach (gegen die Wiedertäufer) und an Heinrich Bullinger (über den Papst als Antichristen)
Traduction (Allemand)
1. Brief an Bernhardin Bentz
fol. 31 ro
Joachim Vadian an den Bischof [Pfarrer] Bernhardin Bentz in Marbach im Rheintal (Kanton Luzern)
[...]
fol. 40 ro
Lange haben freilich die Wiederäufer so gelehrt, nämlich um den ihren nicht nur Mut gegen Krankheiten und Gefahren einzuflössen, sondern auch dazu, Gott zu versuchen, und unseren Beschlüssen, besonders der tätigen Nächstenliebe, Fesseln anzulegen, damit sie nicht darin fortführe, dem durch Überlegung zuvorzukommen, was einmal dem Willen Gottes gemäss entschieden schien. Durch diese verderbliche Lehre streben sie nach nichts anderem mehr, als den Verstand der ihren durch eine dauerhafte Lethargie einzuschläfern und sie so sehr zum Schnarchen und Gähnen zu bringen, dass sie bei der Verwaltung und dem Gebrauch der äusseren Dinge nichts mit Überlegung, Eifer, Achtsamkeit und Sorgfalt zu besorgen fortfahren, was entweder zur Beseitigung von Missständen oder zum Erhalt günstiger Verhältnisse vielen zum Heil gereichen könnte, sondern vielmehr nichts tun und auf jenen handelnden und alles einrichtenden Gott warten.
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fol. 56 vo
Aber auch daran muss man sich erinnern, dass im Vorjahr eine ihrer Koryphäen nicht weit entfernt von unserer Stadt gefangengenommen wurde und öffentlich verurteilt wurde, weil er gelehrt hatte, das Vaterunser stamme nicht von Christus, sondern von anderen, die es in die Schriftdenkmäler des Evangelisten eingebaut hätten, und man dürfe Gott nicht weiter bitten, und nicht mit irgendwelchen erlernten Worten zu ihm beten, sondern müsse einzig seinen Willen so verehren, dass wir niemals den unseren äussern, und durch diese Abscheulichkeit hatte er schon die Gemüter vieler befleckt. Ferner wurde er zur Hinrichtung geführt, und als er inmitten einer grossen Menschenmenge stand und der Henker seinen Oberkörper entblösst hatte, und schon fast, nachdem er seinen Schwertgriff erfasst hatte, seines Amtes gewaltet hatte, da kommt der Bürgermeister herbeigelaufen und, wie es sich aus seinem Verlangen ergibt, den Menschen zu retten, ermahnt er ihn mit vielen Worten ebenso ernsthaft als fromm, seinen Irrtum abzulegen und der Ermahnung durch die Gebildeten zu gehorchen (es hatten sich nämlich im Vorfeld viele mit ihm auseinandergesetzt); es sei unerhört, ausserdem auch blasphemisch, was er gelehrt habe, schliesslich sei er zu ungelehrt, als dass er seine Ansichten bisher mit der Hilfe der Schrift hätte unterstützen können, aber es widerspreche die Schrift auch offen seiner Meinung. Nachdem er dies gehört hatte, blickte jener ihn milde an, wendete sein Gesicht zum Himmel und sprach: «Höchster Vater, ich bitte Dich, mir in dieser lebensbedrohlichen Situation durch Deinen Geist zu offenbaren, ob ich von dieser meiner Ansicht ablassen oder bei ihr bleiben soll.» Nachdem er das gesagt hatte und ein wenig in derselben Haltung sinnend stehengeblieben war, sagte er bald: «Du hast es mir offenbart, himmlischer Vater» Und gleichzeitig kniete er, beugte sein Haupt und empfing den Richtstahl in seiner Kehle.
Soll ich nun unseren Mann hinsichtlich der Todesverachtung jenem Theramenes von Athen und dem noch hervorragenderen Sokrates vorziehen, die doch mit solch standhafter Geisteshaltung den Schierlingsbecher getrunken haben? Sie haben nämlich, als sie sahen, dass sie sterben mussten, sich so auf den Tod vorbereitet, dass sie nichts von dem zugelassen haben, was aus Furcht auch dem Geist eines standhaften Mannes hätte zustossen können. Jener, der nicht nur wegen der Todesgefahr, sondern auch durch seinen Irrtum elend war, hat nicht nur den Tod, als auch die Möglichkeit zum Weiterleben, die ihm freiwillig angeboten wurde, wenn er sich nur eine bessere Geisteshaltung zueigen machen würde, mit einer unglaublichen geistigen Sicherheit für nichts geachtet.
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fol. 57 ro-58 ro
Deshalb glaube ich, dass man, soweit es die unseren betrifft, sorgfältig darauf achten muss, dass sie nicht durch die Nähe, die manchmal zwischen Irrtum und gesunder Lehre und dem Aberglauben und der Religion zu bestehen pflegt, dulden, dass sie eingewickelt und verführt werden, so dass sie plötzlich glauben, es könne nicht sein, dass es nichts Frommes, nichts Christliches, keinen Herrn gibt, um dessentwillen einer sterben will, und wir wollen dafür halten dass vor allen übrigen die des Namens Christi würdig sind, die zu keinem Zeitpunkt nicht bereit zum Sterben sind. Wir haben nämlich gelehrt, dass wir jenes mit den Heiden und Juden, an deren Gottlosigkeit niemand zweifelt, gemeinsam haben, dies aber die Wiedertäufer mit Verbrechern und Irren gemeinsam haben.
Denn bei uns haben die Wiedertäufer nicht nur die eheliche Keuschheit nicht bewahrt, sondern haben darüber hinaus auch jungfräuliche Scham freiwillig ihren Mitpriestern preisgegeben; damit ich erst gar nicht von dem öffentlichen der öffentlichen Lüge oder, wahrheitsgemäss ausgedrückt, jenem öffentlichen Raubzug spreche, den sie unter dem Deckmantel der Gütergemeinschaft veranstaltet hatten, und von der Missachtung der Sorge für das Hauswesen, die doch Paulus zu den vorzüglichen Werken des Glaubens gerechnet hat. Ich werde nichts sagen über ihre übrigen verderblichen Irrtümer, die zu keinem anderen Zwecke entstanden sind, als dem, die öffentlichen Rechte der Barmherzigkeit zu verletzen, wie das, was sie über die Obrigkeit, die Steuern und den Geldverleih sagen, darüber, dass man die Diener des Wortes nicht durch ein Gehalt ernähren soll, dass man nicht Krieg führen soll, dass man die Kleinkinder nicht taufen soll (die doch Christus mit seinem Blute gewaschen und in die Gemeinschaft der Heiligen aufgenommen hat), und derartiges, was sie in Liedern und Träumen schwatzen, und worin sie so wahnsinnig und vielmehr boshaft verharren, dass sie denen, die ihnen recht raten, nicht nur nicht zuhören, sondern ihnen auch mit einer erstaunenswerten geistigen Überzeugung mit Tadel zusetzen, und sie lassen deutlich erkennen, wie sehr sie es auf die Einheit der Kirche abgesehen haben, sie, allzu böse Menschen und Betrüger, die, um die Worte des Apostels zu gebrauchen, im Schlechten Fortschritte machen, während sie sowohl in den Irrtum hineinführen als auch selbst irren
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2. Brief an Heinrich Bullinger
Gruss. Was für ein gutes Werk habe ich vollbracht, hochgelehrter Bullinger, wenn ich mit meinen Briefen dies bei Dir erreicht habe, dass Du desto mehr Mühe auf das Erklären der Briefe des Apostels an die Thessaloniker, Timotheus und Philemon verwendetest, je glühender ich Dich aufforderte, jenes römische Götzenbild nicht mit sanfter Hand zu behandeln, sondern vor der Welt in seinen eigentümlichen Farben zu porträtieren. Du hast nämlich jenen Gräuel vollständig mit solcher Treue, Gnade, Freiheit, Urteilsvermögen und Zuverlässigkeit porträtiert, dass ich nicht zweifle, dass sein Sturz, an dem der Geist des Herrn schon seit zwanzig Jahren arbeitet, in Kürze und sicher in ganz Deutschland an den Türen bekanntgegeben werden wird (wobei Du gleichsam als Schlusswort eine vorzügliche Rolle spielst), und jenen Sumpf geheuchelter Frömmigkeit nicht nur beseitigt, sondern verschlingt. Freilich hat auch Luther dem Papst zugesetzt, aber ein wenig zu bitter, als dass viele Gebildete seinem Urteil in dieser Sache beipflichten mochten, und ich weiss nicht, ob unser Zwingli jemals ausdrücklich gegen ihn geschrieben hat; es war nämlich genug, die Dogmen zu vernichten, die ihn zu einem solchen gemacht hatten und einen Menschen, der durch schlimme Künste hochgekommen war, zu entwaffnen, wenn er nackt und beraubt vielleicht zur Erkenntnis seines Fehlers gezwungen werden konnte. Durch Deine Sorgfalt aber (ferne sei Schmeichelei!) ist es dazu gekommen, dass mit Leichtigkeit und ohne Debatte alle Besten und Frömmsten merken können, dass der Apostel in Bezug auf keinen anderen Sohn des Verderbens die Nachwelt ermahnt als mit Hinblick auf den Papst in Rom: weil ja wörtlich auf diesen passt, was Paulus auch alles über den Menschen der Sünde vorhergesagt hat. Daher gratuliere ich den Lernbegierigen von Herzen für diese Deine Nachtarbeit, und ich freue mich nicht weniger darüber, dass sie auf meinen Rat hin entstanden ist. Ich habe, als Du schon gegürtet und bereit warst, Dich mit Sporen angetrieben, über diese Sache zu schreiben und auch mir zum Gefallen hat diese Arbeitstretmühle Dich recht wenig überlastet. Ich höre aber, dass Paul III. ein Feind Kaiser Karls geworden ist und sich ganz dem Franzosen hingegeben hat. Wenn das stimmt, wie leicht wäre es dann, Karl mit ganzem Elan zur Partei jener zu bekehren, die den Papst nicht weiter ertragen wollen, und mir schwant, dass manche christliche Magistrate schon jetzt auf diese Gelegenheit achten müssen, damit, weil eine Hoffnung auf ein grösseres Zerwürfnis existiert, der Kaiser dem Evangelium umso geneigter wird, je mehr er sich von jenem verspottet und verachtet fühlen wird, dessen Würde er vorher mit religiösem Eifer so beschützt hat. Aber die Beschlüsse der Fürsten sind unsicher, und ich wünsche ihnen nichts mehr, als dass sie durch die Gnade des Herrn oder Dich als Lehrer endlich klar die Ränke des Antichristen erkennen mögen, und, was sie bisher nicht auf der Grundlage der Schrift begriffen haben, wenigstens auf der Grundlage der jüngeren Zeitgeschichte gründlich erlernen mögen. Lebe wohl und gestatte, dass ich der Deine bin. St. Gallen, 18. April 1536. Joachim Vadian.
An den hochherrlichen Herrn Heinrich Bullinger, Aufseher in der Kirche von Zürich, seinen verehrungswürdigen Herrn.