Annotationes von Heinrich Glareanus, Johannes Rhellicanus und Jean Rosset zu Caesars Werken
Traduction (Allemand)
Traduction: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Kevin Bovier)
1/ Auszug aus den Annotationes des Heinrich Glarean (über die gallische Sprache)
Glarean, In C. Iulii Caesaris Rom. imperatoris commentarios de bello Gallico ac civili [...] Annotationes, nunc ab autore diligenter revisae et auctae, Freiburg i. Br., Graf, 1544, 17-22.
Hi omnes lingua, institutis (Diese alle [unterscheiden sich] in Sprache, Gebräuchen etc.).
Aus vielen Gründen glaubt man, dass die Sprache der Gallier die gleiche ist, die man heute im Rheingebiet spricht, besonders bei den Helvetiern und den Sequanern in der Rheingegend. Erstens steht fest, dass Caesar sich im Gallischen Krieg mithilfe eines Dolmetschers mit den Galliern verständigte. Zweitens steht fest, dass die Sprache, die man heute in Frankreich spricht, eine römische Sprache ist, auch wenn sie unzweifelhaft verdorben ist, wenngleich sie noch unzählige Ausdrücke aus der alten gallischen Sprache enthält. Die Gallier haben also einst nicht die französische Sprache gesprochen, sondern eine andere. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass sie die Sprache gesprochen haben, derer sich auch heute noch die Gallier bedienen, die kein Französisch sprechen, wie alle Völker, die diesseits des Rheins, aber dennoch in seiner unmittelbaren Nähe leben, die Helvetier, Rauraker, Sequaner, Elsässer, Triboker, Vangionen und fast das gesamte Belgien. Darüber kann man sich nicht wundern, wenn man bedenkt, dass das römische Volk seine Heere oft in Gallien stehen hatte, und zwar besonders in dem fruchtbareren Teil Galliens, und dass derjenige Teil Galliens, in dem heute die Franzosen wohnen, länger unter der römischen Zwangsherrschaft stand. Das Rheingebiet und Germanien sind nämlich früher als das restliche Gallien von den Römern abgefallen. Und so geschah es, dass die Römer ihrer Sprache in Germanien und den Rheingebieten nicht derart Geltung verschaffen und sie verbreiten konnten, wie sie es im übrigen Gallien, in Hispanien und in Italien getan haben. Das lag dort unverkennbar auch daran, dass die römischen Prätoren Recht nur in ihrer eigenen Sprache sprachen, und dass der einfache römische Soldat sich mit dem einfachen Volk kaum in einer anderen Sprache als seiner eigenen unterhielt. So war das arme einfache Volk gezwungen, die römische Sprache zu erlernen, aber schlecht und verstümmelt, so dass man darin überall noch Spuren ihrer alten Sprache finden kann und den Klang des Lateinischen in den Wortstämmen hören kann. Ja, sogar einige alte Akzente, Betonung, Aussprache, Umschreibungen des Perfekts mit Partizip Perfekt plus habui («ich habe»), ebenso Artikel, die die lateinische Sprache nicht besitzt. Hierauf viele Wortstämme, wie ignis, pulvinar, arma, civis, lorica, galea, gladius, sepes, tunica, accipiter, pelvis, pastillus, scamnum, cancer, caper, campana, mamilla, vexillum, calcar, dives, thorax, manipulus. Und Verben wie dimitto, frico, occido, careo, lacero. Aber ich würde einen närrischen Eindruck machen, wenn ich das hier durchgehen wollte, was einen ganzen Band erfordern würde. Als ich vor einigen Jahren in Paris lebte, gehörte zu unserem Bekanntenkreis auch Jaspar Alphaeus Sylvanus, ein Mann von grosser Urteilskraft und nicht zu geringer Gelehrsamkeit, der mir auf einem Blatt Papier fast 200 von ihm niedergeschriebene Vokabeln aus unserer alten Sprache zeigte, die die Pariser auch heute noch in jener verstümmelten Sprache beibehalten haben. Daher erhellt ausreichend, dass die Sprache der Helvetier und der Rheinbewohner die wahre gallische Sprache ist, wenn sie nicht einiges Germanisches hineingemengt haben, wie das vor allem unterhalb von Strassburg der Fall ist. In Speyer, Worms, Mainz und bei den umwohnenden Völkern in diesem Teil der Rheingegend hat sich die Sprache mit der germanischen und der keltischen Sprache vermischt. Sie sprechen weder reines Germanisch noch reines Keltisch. Die Helvetier indes, die Rauraker, die dem Rhein zunächst wohnenden Sequaner, die Breisgauer und die Elsässer sprechen grösstenteils reines Keltisch. Es ist also nicht überraschend, was der heilige Hieronymus schriftlich festgehalten hat, nämlich dass die Galater, an die der heilige Paulus geschrieben hat und die von den Kelten abstammten, wie Livius im achten Buch seiner vierten Dekade festhält, zu seiner Zeit noch die gleiche Sprache gesprochen haben, wie die Trierer. Wer aber wüsste nicht, dass die Sprache der Trierer alt ist und sich nicht sehr von der der Germanen unterscheidet? Auch wenn man einräumen muss, dass Strabo in seinem achten Buch sagt, dass Germanien ein römischer Begriff ist, welchen anderen Grund sollen wir denn dafür annehmen, dass die Römer sie Germanen nannten, als die Tatsache, dass zwischen ihnen und den Galliern eine sprachliche und lebenssittliche Gemeinschaft bestand? Oder ihre eigene gegenseitige Bezeichnung? Auch heute nämlich nennen sie sich, in unserer stürmischen Zeit, inmitten von ernsten Problemen und Kriegen, noch «Brüder». Ob das die Römer von sich aus über die Germanen in Erfahrung gebracht haben, oder ob sie es von den Galliern gelernt haben, das steht nicht ausreichend fest, und es ist auch nicht die Frage, die wir hier behandeln. Wir behandeln hier nämlich die Sprachen der Gallier, zwischen denen es nach Caesars Worten gewisse Unterschiede gab, wie sie auch heute bestehen. Die Kelten verwenden nämlich immer dort ein «s», wo die Belgier ein «t» haben, wie etwa bei «Wasser/Watter», «Gross/Grott» und «dass/dat». Über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Aquitanischen und dem Keltischen und dem Belgischen haben wir keine gesicherten Erkenntnisse. Wir sind der Ansicht, dass diese Sprache ganz untergegangen ist, während noch viele Nationen die keltische und die belgische Sprache verwenden. Das Keltische verwenden, wie gesagt, die Helvetier und die nördlich von ihnen in unmittelbarer Nähe zum Rhein lebenden Völker. Das Belgische verwenden die am Rhein und an der Nordsee lebenden Belgier selbst, und die Völker, die nördlich von Köln leben, die Klever, Gelderner, Brabanter, Flandern, Jülicher, Holländer, Seeländer und in Germanien teilweise die Westfalen und Sachsen. Das ist kein Hindernis dafür, dass man diese Sprache mit einem und demselben Begriff bezeichnet, obwohl es sich nicht immer um die identische Sprache handelt, sondern es geringe Varianten gibt, wie das ja auch bei der griechischen Sprache der Fall ist. Ausserdem ist es kein geringes Argument dafür, dass die Sprache der Helvetier wirklich die gallische Sprache ist, dass die lateinischen Autoren viele gallische Begriffe auflisten, die man auch heute noch in der Sprache der Helvetier findet, auch wenn die römischen Schriftsteller sie teilweise fehlerhaft schreiben, teilweise falsch verstehen, weil sie sich um diese barbarischen Dinge nicht viel kümmerten und sie nur gleichsam nebenbei in ihren Werken aufzählten. Diese Begriffe dienen uns dennoch als Beweis dafür, dass die gallische Sprache bei ihnen ein gewisses Ansehen besass. Und so hat Caesar gallische und besonders helvetische Eigennamen sonderbar verzerrt wiedergegeben, häufig unter Auslassung und Veränderung einiger Buchstaben, um sie an die lateinische Deklination anzupassen; darüber werden wir ein wenig weiter unten sprechen. Das Gleiche tut Plinius, der ein Gallier war und aus der Gallia Cisalpina stammte, wie sie die Römer nennen; es besteht kein Zweifel, dass er unsere Sprache beherrschte und sehr viel von ihr hielt, denn er entschloss sich, sie sehr oft in sein hochnobles Werk über die Natur einzustreuen. Aufgrund der Unbill der Zeitläufte liest man diese Begriffe bei ihm heute in einer noch stärker verderbten Form, weil sich tausend Jahre lang niemand um diese Sprache gekümmert hat. So hat er in Buch 18, Kapitel 18, den in Gallien erfundenen Räderpflug korrekt als «pfluograt» bezeichnet. Die Codices haben an dieser Stelle aber «plummarat», andere «planarat». Manche haben das zu «planetas» geändert, um ihre eigene völlige Dummheit zu belegen. Derselbe Autor sagt in Buch 3, Kapitel 16, dass der Po von den Ligurern auf Gallisch «Bodincus» genannt worden sei, was «bodenlos» bedeute, und in derselben Gegend gebe eine Stadt namens «Bodincomagus». Die Sprache der Helvetier nennt den Ort «Bodenmangel». Der Po habe seinem Namen vom «picea arbos» (der Fichte), den die Gallier so nennen; «Paech» bedeutet das, was es auch heute noch in unserer Sprache meint (Pech). So liest man bei Sueton zu Galba, auf Gallisch bedeute «Galb» «sehr fett», aber noch mehr bedeutet es «ein Kalb». Denn so nennen wir einen fetten und dicken Mann scherzhaft «ein Kalb». Und das Wort «Beco» für den Schnabel, das man bei demselben Autor in seiner Biographie über Vitellius liest, besitzen die Belgier noch heute in ihrer Sprache. Die Helvetier besitzen davon abgeleitet das Verb «becken», das heisst «picken». Herr Aegidius Tschudus, ein bei den Helvetiern hochberühmter Mann, mit dem ich nicht nur aufgrund unserer durch Heirat entstandenen Verwandtschaft, sondern auch durch die bei uns jeweils identische Liebe zu den Studien verbunden bin, zählt viele vergleichbare Dinge auf in seinem Buch über das rätische Altertum und das Land der Alpenvölker, in dem er sehr viele Stellen aus Strabo, Plinius, Livius und anderen Schriftstellern in sehr verdienstvoller Weise behandelt. Wir werden ihn in diesen Annotationes häufig als Beleg heranziehen, und das nicht unverdientermassen; er behandelt nämlich Textstellen, die er mit eigenen Augen gesehen und mit einem äusserst ausgeprägten Urteilsvermögen abgewogen und mit äusserst grosser Mühe entdeckt hat; Textstellen, von denen wir wissen, dass sich seit 1'000 Jahren keiner damit beschäftigt hat. Hinzu kommt noch, dass Plinius sagt, dass die Gallier das Knochenmark «Marga» nennen und die Germanen die Gans «Ganza»; diese beiden Worte existieren bis heute in beiden Sprachen. Die heutige Sprache der Franzosen setzt sich aber aus diesen beiden Sprachen zusammen, aus dem alten Keltischen und dem Römischen. Was die Wortstämme angeht, dominiert aber in ihr das Römische.
2/ Auszug aus den Annotationes des Johannes Rhellicanus (über den pagus Tigurinus und Zürich)
Rhellicanus, In C. Iulii Caesaris dictatoris viri disertissimi, et Auli Hirtii, seu Oppii, Commentaria de bello Gallico, civili Pompeiano, Alexandrino, Africano et Hispaniensi, Annotationes [...], Basel, Curio, 1543, 36-42, 56.
Is pagus appellabatur Tigurinus (Diesen Gau bezeichnete man als den tigurinischen).
Caesar scheint das pagus (Gau) zu nennen, was das einfache Volk bei den Italienern und Franzosen gewöhnlich und wenig lateinisch «Kanton» nennt, sooft es von den Gauen der Helvetier spricht; eine Metapher, die allzu deutlich von den canthi, das heisst den eisernen Wagenreifen, her genommen ist. Warum man pagus (Gau) in dem Sinne sagt, wie Caesar ihn hier verwendet, macht nach Sextus Pompeius Festus der Herr Glarean, eine immerwährende Zierde unserer helvetischen Bürgerschaft, in den folgenden Versen deutlich:
Und die Griechen haben πηγή, pagus vielleicht die Lateiner
Die Ackerfurchen in der Nähe eines ganzen Flusses genannt
Und die danebenstehenden Villen, Dörfer und Hütten.
Ich glaube nämlich nicht, dass man Gau (pagus) für Dorf (vicus) sagt,
Die schriftliche Überlieferung sagt etwas anderes und der Feind wird als Gegenzeugnis angeführt.
So schreibt jener. Und weil die meisten Erklärer der gallischen Altertümer meinen, dass der tigurinische Gau jene Gegend im Lande der Helvetier ist, den die Stadt Zürich mit ihrem Umland einnimmt, und nur Rhenanus einen anderen Wohnsitz für die alten Tiguriner angenommen hat, werde ich als erstes seine Argumente bedenken und hierauf, um nicht als undankbarer Zögling [meiner Heimat] eingestuft werden zu können, werde ich zum Ruhme meiner Heimat etwas hinzufügen, das ihrem guten Ansehen förderlich zu sein scheint, nämlich Ausführungen über ihren Ursprung, ihren Aufstieg und den gegenwärtigen Zustand dieses Staatswesens. Um also – ohne damit einem so bedeutenden Mann zu nahe treten zu wollen, den ich aufgrund seiner Gelehrsamkeit und Frömmigkeit auf jede Weise hochachten muss – zu sagen, was ich denke: Seine Argumente (zumindest die, die ich einsehen konnte) scheinen mir wertlos zu sein. Denn zum ersten meint er, dass die alten Tiguriner dort wohnten, wo nun die Urner leben und dass auch der Gau Uri gleichsam mit dem verstümmelten Ausdruck für «Tiguri» bezeichnet werde. Das kann man auf zweifache Weise widerlegen: Erstens damit, dass die Leute, die irgendwelchen Etymologien nachjagen, meistens betrogene Betrüger sind, zumal bei Worten, die seit alters her schon lange in Gebrauch sind, und wenn es um Veränderungsprozesse bei Dingen und Menschen geht; zweitens damit, dass die Lage des Gaues Uri selbst bezeugt, dass dort niemals eine so volkreiche Nation gelebt haben kann, wie es die Tiguriner gewesen sind (das erhellt aus den äusseren Verhältnissen). Denn wenig später schreibt Caesar, dass in der vorigen Generation der Konsul L. Cassius von den Tigurinern ermordet und sein Heer unter das Joch geschickt worden sei. Es kann keine vernachlässigbare Zahl von Menschen gewesen sein, die einem konsularischen Heer eine so bedeutende Niederlage zugefügt hat. Eine solche Volksmenge konnte in einem so engen Raum (wie es bekanntlich das Land der Urner ist) keinen ausreichenden Wohnraum haben. Um ganz davon zu schweigen, dass dort damals wahrscheinlich eine reine Einöde existierte oder dort wenigstens nur sehr wenige Hirten lebten, ja dass sogar Räuber an diesen Orten gewohnt haben, die auf den Alpenpfaden lauerten. Diese Vermutung wird bestätigt von den Annalen der Helvetier, die überliefern, dass die Urner von den Hunnen abstammen, die sich dort niederliessen, als die Goten, Hunnen und Vandalen in Italien einfielen, und daran gingen, eine unkultivierte und waldreiche Gegend zu bebauen. Hierzu fügt sich auch, dass Caesar sowohl Caesar (s. unten) schreibt dass er die von ihm besiegten Helvetier wegen der Qualität ihres Ackerlandes nachhause geschickt habe, als auch besonders, dass Strabo in seinem siebten Buch berichtet, dass sie in einer ebenen und nicht in einer gebirgigen Gegend gewohnt hätten. Und da das Land von Uri gebirgig ist und ausser Viehweiden weder Getreide noch Wein trägt, lasse ich mich kaum dazu bringen, zu glauben, dass ein so berühmter Gau der Helvetier in einem so unfruchtbaren Landstrich gewohnt hat. Auch das ist kein ausreichendes Argument, dass die Zürcher aus dem Grund im Urnerlande gelebt hätten, weil sie aus ihrer Heimat vertrieben worden seien und sich eine neue suchten, solange bis sie sich mit den Kimbern zusammentaten. Strabo schreibt nämlich im siebten Buch, die Tiguriner und Tuginer (so meine Lesart) seien von den Kimbern nur zu einem kriegerischen Bündnis verführt worden. Nicht nur er, sondern auch Eutropius und Orosius überliefern, dass Tiguriner und Ambronen diesseits der Alpen von den Römern komplett niedergemetzelt worden seien. Daraus ergeben sich zwei Punkte: Erstens, dass sich einige Tiguriner sich den Kimbern, die sie verführten, anschlossen und nicht aus ihrer Heimat vertrieben wurden (deshalb weil Strabo sagt, dass die Kimbern unter den Helvetiern besonders mit den Tigurinern und Tuginern Kontakt gepflegt hätten). Zweitens, dass sie auch später keine neue Heimat gesucht haben, weil die, die sich den Kimbern angeschlossen hatten, alle bis auf den letzten Mann zugrunde gegangen sind.
Aber nun magst du sagen, ob dir nicht die Ansicht der anderen mehr einleuchtet, die meinen, die alten Tiguriner hätten dort gewohnt, wo nun der Zürcher Herrschaftsraum ist und der Gau, der nun den ersten Platz unter den Helvetiern einnimmt? Natürlich bist du dieser Ansicht. Denn egal ob man die Etymologie des Namens und Lage des Ortes und der ganzen Gegend und die alten Monumente in der Stadt anschaut, es mangelt uns nicht an Argumenten, die Wahrscheinlichkeit in sich tragen. Erstens haben nämlich die beiden Teile der Zürcher Grossen Stadt ihren Namen vom Dorf (Latein: pagus), nämlich superior et inferior pagus, zu Deutsch uff dorff, inn nider dorff. Wenn aber ein Kenner der Zürcher Geschichte vorbringt, dass die Stadt einen allzu jungen Eindruck macht, als dass sie schon im Zeitalter des Julius Caesar existiert haben kann, dann möchte ich seiner Ansicht nicht widersprechen. Es gibt nämlich einen Ort (Latein: pagus) ein wenig unterhalb von Zürich, der auf Deutsch Altstetten heisst; etwa eine halbe Meile unterhalb von diesem, linkerhand für einen, der sich ins Gebirge begibt, gibt es einen anderen Ort mit dem Namen Urdorf, dessen Name der lateinischen Bezeichnung Tigurinus pagus (Gau der Tiguriner) nahesteht, so wie wenn man sagt Tigurdorph und dabei dieses Wort am Anfang verstümmelt. Wenn also jemand meint, der Tiguriner Gau hätte einen anderen Hauptsitz gehabt als die Stelle, wo nun die Stadt Zürich ist, möchte ich eher glauben, dass er sich an den genannten Orten befand, als bei den Urnern. Urdorf ist nämlich nicht weit entfernt von Baden, wo es (laut Rhenanus) eine alte Stadt der Helvetier gab. Neben anderen Zeugnissen des Altertums sieht man dort die Ruine eines sehr grossen Lagers mit einer Höhle, die unser einfaches Volk als heidnischen Weinkeller (deutsch: den heiden Keller) bezeichnet. Daher ist es wahrscheinlich, dass die Alemannen wie Vindonissa auch jene Bauwerke demoliert haben und dass der Name Tigurinus pagus entweder aus dem Gallischen oder dem Lateinischen ins Deutsche übergegangen ist, wie es auch bei Windisch [Vindonissa] und Augst [Augusta Raurica] der Fall war. Wie es sich auch immer mit diesen Vermutungen verhalten mag, es besteht kein Zweifel, dass der Tiguriner Gau sich in der Gegend fand, wo nun die Landschaft und die Stadt von Zürich liegen. Auch passt der deutsche Name ganz gut zum lateinischen Wort. Ganz gleich, ob man diesen Gau auf Latein pagus Thuregus oder Thuricus oder Tigurinus nennt, ganz sicher hat das Wort «Zürich» zu jenen Bezeichnungen irgendeinen Bezug, so wie wenn man Thurich oder Tigurich sagt. Denn wenn unser Freund Glarean es oppidum Tigurum nennt, dann tut er das wohl eher aufgrund der Analogie zur Bezeichnung anderer Städte und am Metrum als aufgrund der Autorität irgendeines lateinischen Autors. Es ist nämlich wahrscheinlich, dass man Stadt und Volk mit der gleichen Bezeichnung belegt hat, wie auch im Falle der Pariser (Parisii) und der Metzer (Mediomatrici), so dass man von etwas, dass in der Stadt geschehen war, sagte, es sei «bei den Zürchern» (Tigurini) geschehen, wie man sagt, etwas habe sich bei den Parisern (Parisiis) und den Metzern (Mediomatricibus) ereignet. Wenn man ferner die Lage, praktischem Nutzen und Lieblichkeit des Zürcher Herrschaftsgebietes bedenkt, kann man mit Sicherheit behaupten, dass diese Wohnstätte der alten Tiguriner nicht unwürdig war. Abgesehen davon, dass dieses Gebiet sehr reich an Feldfrüchten, Vieh, Getreide, Wein und süssestem Obst ist, besitzt es auch vier äusserst fischreiche Seen, den Zürichsee, den Greifensee, den Pfäffikersee und den Katzensee. Der Zürichsee aber ist der grösste und am meisten praktischen Nutzen bringende von allen wegen der Handelsgüter, die von den Norditalienern, Schwyzern, Urnern und Glarnern importiert und aus Zürich exportiert werden. Zu diesem praktischen Nutzen trägt die Limmat (ein Fluss, den der See sich in die Flussmündung in der Stadt ergiessen lässt und der die Stadt in der Mitte durchschneidet) sehr viel bei. Er ermöglicht es nämlich, Getreide, Wein und andere Handelswaren direkt auf Schiffe zu verladen. Diesem See und diesem Fluss haben die Zürcher Bürger es auch zu verdanken, dass sie sehr leicht Holz schlagen und Holz herbeischaffen können. Einen nicht geringen Anteil daran hat das Flüsschen Sihl, das in den Bergen unterhalb der Zürcher Kleinen Stadt seinen Ursprung nimmt und sich in die Limmat ergiesst, wobei es eine Menge von Steinen und Holz jeder Art aus den Bergen anschwemmt, die im Frühling und Herbst schmelzen, und sie so den Bürgern liefert. Wenn nicht beides geschähe, die Zürcher würden an beiden Gütern Mangel leiden. Ganz davon zu schweigen, dass die Limmat ein sehr klarer Fluss ist und man in der Stadt auf ihr zwei Brücken errichtet hat und ausserdem zwei sehr grosse Schöpfräder, und dass sie, abgesehen von dem Nutzen ihres Wassers und den Fischen, die besser sind als die Fische im See, auch eine wunderbare Augenweide ist und angenehme Spazierwege bietet. Nicht nur dieser Fluss, sondern auch ein mit unzähligen Linden bepflanzter Platz, der an einer erhöhten Stelle der Kleinen Stadt liegt, bietet Gelegenheit zu allerlei Zeitvertreib. Dort finden nämlich Wettkämpfe mit Diskus, Lauf, Ringen und Bogen statt; und bei Hochzeiten tanzt man dort den Reigentanz. Wenn man Zürich verlässt, stösst man sowohl in seiner Grossen als auch in seiner Kleinen Stadt auf liebliche Dinge. Vor Zürich liegt nämlich ein sehr tiefer Graben, der recht lang ist und in dem Hirsche grasen und ihre Spiele treiben. Seitlich davon aber gibt es eine sehr angenehme Gelegenheit zum Spazierengehen, ganz gleich ob man sein Augenmerk auf die verschiedenen dort stehenden Bäume oder auf die Weinberge und waldreichen Hügel in der Gegend richtet. Davor aber liegt ein Graben, der nicht voller gezähmter Wildtiere, sondern voller Wassertiere und Fische ist, und auch dieser Ort ist sehr gut geeignet zum Spazierengehen und um die Augen daran zu weiden. Dort gibt es nämlich Karpfen und andere Süsswasserfische; von der gegenüberliegenden Seite aus kann man grüne Wiesen und ganz weit oben den Zürichsee sehen. Zwei andere Linden stehen ausserhalb der Stadt auf dem Schützenplatz und sind mit wunderbarer Kunst so gebogen und eingerichtet, dass man im Sommer einige Tische auf ihnen aufstellen und dort in der Weise sicher ein Gastmahl abhalten kann, dass die gebogenen Zweige, die zu einem Dach zusammengebunden sind, sogar die Hitze der Hundstage fernhalten können.
Damit zuletzt niemand denkt, dass hier nur mit Vermutungen agiert wird, wollen wir auch die Chroniken von Zürich als Belege heranziehen. Ludwig der Fromme spricht nämlich in seiner Schenkungsurkunde an das Fraumünsterkloster in der Zürcher Kleinen Stadt davon, dass sein Thuregus Curs (so bezeichneten die Schreiber der damaligen Zeit nämlich in verderbter Weise eine cors (Gehöft), eine villa (Landhaus) bzw. ein castellum (Kastell), wie andere vergleichbare Diplome belegen) und der Zürcher Gau mit allen umliegenden und zu ihm gehörenden Gebieten im alemannischen Herzogtum liegen. Das geschah um das Jahr 814 n. Chr. herum. In einer anderen Schenkungsurkunde wird gesagt, dass das Fraumünsterkloster von Karl im Zürichgau errichtet worden sei: «Diese Urkunde wurde ausgefertigt am 26. Februar im Jahre des Herrn 883, zur Zeit der ersten Indiktion, im dritten Herrschaftsjahr des überaus frommen Kaisers Karl III. Es ist dies aber glücklich im Namen des Herrn in der Kaiserpfalz Ulm geschehen. Amen.» Aus der Zeitangabe kann man schliessen, dass jener Karl der mit dem Beinamen «der Dicke» gewesen ist. Denn dessen Herrschaft begann im Jahre des Herrn 877. Und auch wenn ich nicht daran zweifle, dass diese Zeugnisse bei einem frommen, gerechten und moralisch lauteren Leser hinreichend ins Gewicht fallen, so dass er mir glaubt, dass der Gau der Tiguriner einst dort lag, wo sich heute die Stadt Zürich und ihr Herrschaftsgebiet befinden, reut es mich nicht, zur weiteren Bekräftigung und Erhellung noch mehr Argumente hinzuzufügen.
[Rhellicanus spricht hierauf sehr ausführlich über die Geschichte von Zürich, unter folgenden Kapitelüberschriften:
Über die Gründung von Zürich.
Über die frühere Ordnung von Staat und Magistrat in Zürich.
Aus welchen Gründen die Zürcher der schweizerischen Eidgenossenschaft beigetreten sind.
Dis ist ein Copi, wie verr die muntz unsers Gotzhus zum Frouuenmunster gan sol. / In dieser Kopie geht es darum, in welchem Gebiet man das in unserer Fraumünsterabtei geprägte Geld akzeptieren muss
Über die beiden Klöster in der Stadt Zürich
Ein gesonderter, recht ausführlicher und erhellender Exkurs über das Grossmünster und sein Chorherrenstift]
Aber ach, mag jemand sagen, hast du nicht dein Thema völlig vergessen, dass du statt der versprochenen Anmerkungen beginnst, ein Geschichtswerk oder ein Enkomium zu schreiben und Dinge behandelst, die nichts zur Sache tun? «Gnade bitte!» Es hat mich nämlich nicht meine Heimatliebe oder meine Schreibwut auf Abwege gebracht; ich erinnere mich gut an mein ursprüngliches Thema. Denn da die Frage aufkam, wo denn im Land der Helvetier der Gau der Tiguriner lag, den Caesar erwähnt, und ich dafür eintrete, dass es sich um die Region von Zürich handelte, musste ich das mit einer grossen Anzahl von Konjekturen, Argumenten und äusseren Umständen deutlich machen. Daher wird der lautere und gerecht denkende Leser mir verzeihen, wenn ich die Grenzen einer Anmerkung überschritten und begonnen habe, einen Kommentar zu verfassen. Wenn ich mich nicht täusche, steht aufgrund des Namens, der alten Annalen, der Lage des Ortes und des Umfangs des Herrschaftsgebietes fest, dass dieses Zürcher Land zur Zeit des Julius Caesar Gau der Tiguriner genannt wurde. Da ich dies also nach Kräften mit einer grossen Zahl von logischen Schlüssen bewiesen habe, ist es angebracht, dass ich nach diesem langen Exkurs zu meinem eigentlichen Thema zurückkehre.
3/ Auszug aus dem Libellus variarum lectionum von Jean Rosset
Iulii Caesaris Commentarii, post omnes omnium editiones accurata sedulitate et summa denuo vigilantia ex multorum tam veterum, quam neotericorum exemplarium collatione emendati et studiosissime recogniti a Ioanne Rosseto Aurimontano. Hisce, cum locorum, urbium et populorum nominibus et expositionibus, ac item rerum et verborum copiosissimo indice, accessit variarum lectionum libellus perquam utilis, eodem Rosseto collectore, Lausanne, Le Preux, 1571, fol. Mm i ro-vo.
Jean Rosset grüsst seinen Leser
Mein Leser und Freund, damit du leichter die schwer zu deutenden Stellen und die verschiedenen Lesarten konsultieren kannst, habe ich alle verschiedenen Lesarten der Reihe nach angeordnet, sowohl die, die am Textrand mit Zahlen, als auch die, die im Text selbst nur mit einem Asterisk bezeichnet worden sind. Die erste Zahl bezeichnet eine Anmerkung über verschiedene Lesarten, die zweite eine Seite, die dritte die Zeile. Und damit du verstehst, welche Autoren die eine oder andere Lesart haben und welchem Autor die Lesarten zuzuordnen sind:
A. bezeichnet das aldinische Buch.
B. das Buch des Michele Bruto.
C. das carrarische Buch, das handgeschrieben und sehr alt ist.
F. Das vor 60 Jahren in Florenz gedruckte Buch.
G. das äusserst kleinformatige Buch des Gryphe, das in Lyon gedruckt worden ist.
P. Das Pariser Buch von Robert Estienne.
R. Ein altes Buch, das in Rom im Jahre 1472 gedruckt worden ist.
V. Das 1557 von Antoine Vincent in Lyon gedruckte Buch.
Wenn aber am Ende ein Asteriskus steht, weisst du, dass man über diese Stelle sorgfältig nachdenken muss und sie nicht leichtfertig übergehen darf.
Im ersten Buch.
[Caes. Gall. 1,2,3 (ed. 1571, p. 1): Id hoc facilius eis persuasit, * quod undique loci natura Helvetii continentur: una ex parte flumine Rheno latissimo atque altissimo, qui agrum Helvetium a Germanis dividit; altera ex parte monte Iura altissimo, qui est inter Sequanos et Helvetios; tertia * lacu Lemano et flumine Rhodano, qui provinciam nostram ab Helvetiis dividit.] [Er überzeugte sie umso leichter, weil die Helvetier von der Natur von allen Seiten her eingeschlossen werden: von der einen Seite her vom Rhein, einem sehr breiten und sehr tiefen Fluss, der das Land der Helvetier von den Germanen trennt; von der anderen Seite her vom Juragebirge, das zwischen den Sequanern und den Helvetiern steht; von der dritten Seite her vom Genfer See und der Rhone, die unsere Provinz von den Helvetiern trennt.]
1. Seite 1. Zeile. 30 Quod undique loci natura tuti Helvetii continentur. Das Wort tuti fehlt im Buch aus dem Vatikan, in dem des Brutus und in dem des Manutius. Statt continentur aber las Ottavio Pantagato contineantur. V. und R. [vgl. die Abkürzungen oben] haben die Lesart continerentur und das Wort tuti.
2. [1.] 33. Lacu Lemano. Lemanno wird er mit zwei «n» im vatikanischen Exemplar und in B. geschrieben, und der sehr alte Codex des Plinius im Vatikan bestätigt diese Lesart.
[…]
[Caes. Gall. 1,12,1 (ed. 1571, p. 4): Flumen est Arar, quod per fines Aeduorum et Sequanorum in Rhodanum influit, incredibili * lenitate, ita ut oculis, in utram partem fluat, iudicari non possit.] [Die Saône ist ein Fluss, der durch das Gebiet der Häduer und der Sequaner hindurch in die Rhone fliesst, und zwar mit so unglaublicher Langsamkeit, dass man vom blossen Augenschein her nicht entscheiden kann, in welche Richtung er fliesst.]
[5.] [4.] 23. Incredibili lenitate. Mit unglaublicher Langsamkeit. So Lukrez, Buch 4: Quod superest, ubi tam volucri haec lenitate feruntur («auch bewegen sie sich mit einer so geflügelten Langsamkeit voran»). Keine andere Formulierung scheint weniger zur Saône zu passen als Langsamkeit, allzu grosse Langsamkeit kann manchmal allerdings die Augen täuschen. C.*
[…]
[Caes. Gall. 1,47,4 (ed. 1571, p. 16): commodissimum visum est M. Valerium Procilium, C. Valerii Caburi filium, summa virtute et humanitate adolescentem (cuius pater a C. Valerio Flaco civitate donatus erat) et propter fidem et propter linguae Gallicae scientiam, qua multa iam Ariovistus longinqua consuetudine utebatur, et quod in eo peccandi Germanis caussa non esset, ad eum mittere et M. * Titium, qui hospitio Ariovisti usus erat.] [Es erschien am besten, M. Valerius Procilium, den Sohn des C. Valerii Caburi, einen höchst tapferen und durch hervorragende menschliche Eigenschaften ausgezeichneten jungen Mann (dessen Vater von C. Valerius das Bürgerrecht erhalten hatte) zu ihm zu schicken, weil er zuverlässig war und die gallische Sprache beherrschte, die Ariovist aufgrund langjähriger Gewohnheit beherrschte, und weil die Germanen keinen Grund hatten, ihm Unrecht zu tun, und mit ihm zusammen M. Titius, der ein Gastfreund des Ariovist war.]
32. [16.] 35. M. Titium. R. Marium. Alte Bücher haben die Lesart Mettium, und auf einer silbernen Münze des Gaius Caesar (wie Bruto sagt) liest man M. METTIN.
[…]
Im zweiten Buch.
[Caes. Gall. 2,7,1 (ed. 1571, p. 21): Eo de media nocte Caesar, iisdem ducibus usus, qui nuncii ab Iccio venerant, Numidas et Cretas sagittarios * et funditores Baleares subsidio oppidanis mittit.] [Dorthin schickt Caesar mitten in der Nacht Numider, kretische Bogenschützen und balearische Schleuderer den Bewohnern zur Hilfe, wobei er sich derselben Führer bedient.]
39. 21. 4. Baleares. Aufgrund der Autorität eines alten Steins muss man Baliares schreiben, wie auch Bruto bemerkt, dass man sie bei den Griechen Baliarides schreibt. Daher sprach man von Baliaricus Metellus, wie es auf demselben Stein steht.*