Historia animalium: Der Esel
Traduction (Allemand)
AN DEN LESER
Du wirst, bester Leser, in diesem Band nicht nur eine einfache Tiergeschichte haben, sondern auch gleichsam umfangreiche Kommentare zu und sehr viel strenge Kritik an den Tierschriften alter und neuerer Autoren, an allen, die mir bisher einzusehen möglich gewesen ist: vor allem aber an den Tierstudien von Aristoteles, Plinius, Aelian, Oppian, der landwirtschaftlichen Autoren, des Albertus Magnus etc. Es wird Deine Aufgabe sein, lieber Leser, dieses sehr sorgfältige und mühevolle Werk, das ich in nicht geringerer Zeit, als manche es über die Elefanten fabeln, im Geiste empfangen, geformt und nun mit Gottes Hilfe auch endlich veröffentlicht habe, nicht nur gut aufzunehmen, sondern auch einem so grossen Unterfangen (damit ich auch den zweiten Band schneller und eifriger fertigstellen kann) günstig gewogen zu sein und ihm Gutes zu wünschen und Gott, dem Herrn, dem Urheber und Bewahrer aller Guten in höchstem Masse zu danken, der so viele und so bedeutende Dinge zum Schmuck des Universums und zum mannigfaltigen Nutzen der Menschen erschaffen hat, und uns Leben, Gesundheit, Musse und Talent geschenkt hat, damit wir sie betrachten können.
DER ESEL
Der Esel heisst bei den Griechen ὄνος und κιλλός...
[…]
Der Esel ist ein Tragetier, und unter den Lasttieren dasjenige, das Schläge und Mangel am besten erträgt; er wird langsamer schwach das übrige Grossvieh; Arbeit und Hunger erträgt er sehr geduldig, sein Körper ist mager und ungeschlacht. Kälte erträgt er nicht; deshalb gibt es im Pontusgebiet, in Skythien und in ihren Nachbargebieten keine Esel, wie auch im Keltenlande (das oberhalb von Spanien gelegene Frankreich) wegen der dort herrschenden unmässigen Kälte. In Illyrien, Thrakien und dem Epirus sind sie klein, obwohl das Epirusgebiet im Übrigen grosse Vierfüssler beherbergt.
[...]
Der Esel ist langsam und schreitet faul einher, deshalb muss man ihn mit Schlägen vorwärts treiben, gegen die er sehr abgehärtet ist. Er brüllt mit einer sehr rohen und misstönenden Stimme [...] Gerstenkräuter sind für Esel ein sehr erwünschtes Futter in ihrer Futterkrippe, für die übrigen Lasttiere aber sind sie ein schnellwirkendes Gift; aus diesem Grunde weist man dieses Tier auch dem Vater Bacchus zu, dem man das Gerstenkraut zuweist. Basilienkraut regt den Sexualtrieb an, deshalb führt man es auch den Pferden und Eseln zur Zeit des Bespringens zu. Der Esel ernährt sich auch von noch zarten Dornen und von den Früchten der Bäume. Ja, man kann ihn (nach dem Zeugnis Columellas) sogar auf einem Landgut halten, auf dem es keine Weidefläche gibt, und er ist mit jeder Art von Futter zufrieden.
[…]
Der Esel besitzt einen höchst albernen Charakter und eine entartete Gesinnung; er ist besonders sanft, hat einen milden Sinn, ist dumm, und lehnt es nicht ab, auch noch so grosse und unbequeme Lasten zu tragen. Er versteht es nicht, auf dem Wege Entgegenkommenden auszuweichen. Die ihm vertraute Stimme eines Menschen versteht er und er erinnert sich an einen Weg, den er einige Male beschritten hat. Sobald sich die mauretanischen Esel erst einmal auf den Weg gemacht haben, bringen sie ihre Strecke mit einer ins Unglaubliche gesteigerten Schnelligkeit hinter sich, so dass sie zu fliegen, nicht zu laufen scheinen. Hierauf ermüden sie schnell von dem zurückgelegten Weg, ihre Füsse und ihr Atem haben keine Kraft mehr, und sie stehen da, von der Müdigkeit ihrer Füsse am Laufen gehindert, und vergiessen bitterste Tränen, nach meiner Ansicht nicht so sehr wegen des ihnen bevorstehenden Todes, als wegen der Schwäche ihrer Füsse; deshalb werden sie wie Gefangene an Pferde angebunden und weggeschleift. Der Rabe ist ein Feind des Esels und des Stiers, weil er an sie heranfliegt, sie schlägt und ihre Augen zerfleischt. […] Auch die Wölfe sind ihre Feinde, da sie sich von Fleisch ernähren, und deshalb werden sie von ihnen umzingelt. Sobald ein Esel sieht, dass ein Wolf anwesend ist, wendet er seinen Kopf zur Seite, damit er ihn nicht sieht, und nachdem er seinen Blick abgewendet hat, wird er angegriffen. Ausserdem ist er ein Feind der Eidechse; die Eidechse schläft nämlich in Ställen, und hindert ihn am Essen, indem sie in die Nase des Esels steigt.
[…]
Bei den Bürgern von Cumae wurde ein bei Ehebruch ertappte Frau aufs Forum geführt, damit sie dort für alle sichtbar auf einem Stein stehe. Hierauf wurde sie auf einen Esel gesetzt und so durch die ganze Stadt geführt, dann führten sie sie zum Stein zurück, damit sie dort wiederum allen zum Spektakel diene. Danach hielt man sie ihr ganzes Leben lang für ehrlos und nannte sie schandhalber ὀνοβάτις (Eselreiterin), weil sie auf einem Esel geritten hatte. Den Stein aber, auf dem die Frau gestanden hatte, hielt man für verflucht und verachtenswert.
SPRICHWÖRTER
«Ägyptischer Esel» sagt man über jemanden, über den sich alle lustig machen, den alle verhöhnen, zerzausen, misshandeln (Coelius Rhodiginus: «Führe einen Esel»). «Der Esel trägt das eine, Lacon das andere.» «Antronischer Esel.» «Ein Esel unter Bienen» sagt man über die, die in üble Situationen geraten sind (Erasmus und Suidas). «Für ein Schwein ist ein Schwein schön, für einen Esel ein Esel.» «Ein Esel ist ein Vogel» (Erasmus und Suidas). «Ein Esel, der mit den Ohren wackelt» (Erasmus und Suidas). «Er war nämlich im Übermass einfältig und träge und ähnelte sehr einem Esel, der dem gehorcht, der ihn am Zügel führt, und der häufig seine Ohren hin und her bewegt.» Diese Worte werden bei Varinus aus einem nicht genannten Autor zitiert. «Mit hängenden Ohren», ein von den Lasttieren hergenommenes Sprichwort, dessen Gegenstück das folgende zu sein scheint: «Mit gespitzten Ohren». Horatius serm. 1: «Ich lasse die Ohren sinken wie ein übelgelauntes Eselchen, / Wenn es eine Last auf sich genommen hat, die schwerer ist als sein Rücken es aushält.» Wir aber sagen auch von jenem, er lasse die Ohren hängen, der sich in einer Hoffnung getäuscht sieht. «Er laßt die oren hangen.» «Eselsohren»: siehe ein wenig weiter unten, bei Midas. «Der Esel des Bademeisters»: das sagt man über die, die aus ihren Anstrengungen selbst keine Frucht ziehen. So sagen die Deutschen: «Ein karger reycher ists Salomons esel.» «Von den Eseln zu den Rindern hinübersteigen», das heisst: aus einer niedrigeren sozialen Position zur Partei der Reichen übergehen (bei Plautus in der Aulularia, wie wir oben zitiert haben).