Epigramme und Gelegenheitsgedichte
Johannes Fabricius Montanus
Einführung: David Amherdt (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 10.02.2023.
Von den nur etwa 30 Gelegenheitsgedichten, die Montanus verfasst hat (im Zeitraum zwischen 1551 und der ersten Hälfte der 1560er) und die ungefähr zur Hälfte aus Trauergedichten bestehen, stellen wir hier fünf Epigramme vor, die er entweder an Freunde adressierte (Josias Simler, Hans Hyler, Johannes Fries) oder in denen er über sein eigenes Leben reflektiert.
1. An Josias Simler
Entstehungszeitraum: 1551.
Ausgaben: Poemata. Sylvarum liber unus […], Zürich, Gessner, 1556, p. 9-11; Delitiae poetarum Germanorum huius superiorisque aevi illustrium, Bd. 3, hg. von J. Gruterus, Frankfurt a. M., Fischer, 1612, 106-107; A. Periander, Horti tres Amoris amoenissimi praestantissimorum poetarum nostri seculi, flosculis et plantulis odoriferis. Hortus Amorum secundus floribus illustrium Germanorum poetarum consitus, Frankfurt a. M., Lechler, 1567, fol. 232ro-232vo; Amherdt (2018), 73-77.
Metrum: zweite asklepiadeische Strophe.
Dieses Gedicht ist ein kurzes Epithalamion, das im Herbst 1551 anlässlich der Hochzeit des Josias Simler (1530-1576) verfasst wurde, eines Zürcher protestantischen Theologen und Historikers; er ehelichte damals die 19 Jahre alte Elisabeth, die Tochter Heinrich Bullingers. Ausser theologischen Werken (die meisten davon haben einen polemischen Charakter) verfasste Simler eine Biographie über Conrad Gessner, eine Studie über die Alpen und eine Abhandlung über die Respublica Helvetiorum.
Das Hauptmodell in diesem Gedicht ist Horaz; es ist eingetaucht in eine antike Atmosphäre (so werden Venus, Diana, Apollo und Pallas erwähnt) und gehorcht den für ein Hochzeitsgedicht geltenden Regeln (es werden darin die Ehe thematisiert, die Hochzeitsnacht und die Schönheit der Braut). Doch wie er es so häufig tut, christianisiert Montanus die Gattung: Wenn sein Gedicht auch mit einem Anruf des Hochzeitsgottes beginnt, so endet es mit einem Gebet an den christlichen Gott, der allein die Ehe der Gatten glücklich zu machen vermag, und er erwähnt neben heidnischen Gottheiten auch die keusche Susanne aus dem Buch Daniel. Als guter protestantischer Pastor beachtet er bei seiner Thematisierung der ehelichen Freuden die Grenzen der Schicklichkeit und der Scham. Er stellt die Liebe der beiden Gatten als frei von exzessiven Leidenschaften dar (V. 5-8), und er besteht darauf, dass ihre eheliche Verbindung dauerhaft sein und viele Kinder hervorbringen soll (V. 25-33). Am Ende versäumt er es nicht, hervorzuheben, dass die Braut sich durch ihre moralische Rechtschaffenheit und ihre Frömmigkeit auszeichnet (V. 17-20). Wir halten auch fest, dass Montanus in V. 9-12 einen hyperbolischen Lobpreis Heinrich Bullingers einbaut, den Leiter der Kirche von Zürich; er nennt ihn einen Mann, der bekannt sei «von hier bis zum Busen der Erden / Und den fernsten Meeren hin».
2. An Johannes Hylerus
Entstehungszeitraum: terminus ad quem ist 1556 (Veröffentlichung der Poemata).
Ausgaben: Poemata. Sylvarum liber unus […], Zürich, Gessner, 1556, 11; Amherdt (2018), 79-81.
Metrum: Hendekasyllaben (Phaläkeen).
Eine kurze, an den Zürcher Pastor Johannes Hylerus (Hans Hyler, † 1562) adressierte Mitteilung; der Empfänger übte in den 1550ern in der Zürcher Kirche verschiedene Ämter aus; er war vor allem Pastor in Steinmaur, nördlich von Zürich (1556). Montanus schreibt ihm, dass er sich ihm gerne (wenn er nur die Musse dafür hätte) auf dem Lande beigesellen würde, wo Hyler sich anscheinend gerade den Studien hingibt, während er auf die Mitteilung eines neuen Verwendungszwecks für seine Person wartet (vgl. V. 12). In dieser kurzen Beschwörung von Freundschaft und protestantischer Brüderlichkeit stellt Montanus seine gut ausgeprägte Empfänglichkeit für die Schönheiten der Natur im Frühling unter Beweis. Vergil und Horaz sind die wichtigsten dichterischen Vorbilder für dieses Gedicht.
3. Auf ein Porträt des Johannes Fries
Entstehungszeitraum: terminus ad quem ist 1556 (Veröffentlichung der Poemata).
Ausgaben: Poemata. Sylvarum liber unus […], Zürich, Gessner, 1556, 28-29; J. J. Ulrich, Miscellanea Tigurina, Bd. 3.3, Zürich, Gessner, 1724, 386; Delitiae poetarum Germanorum huius superiorisque aevi illustrium, Bd. 3, hg. von J. Gruterus, Frankfurt a. M., Fischer, 1612, 112; Amherdt (2018), 144-145.
Metrum: Hendekasyllaben (Phaläkeen).
Nachdem er in Witikon (nahe Zürich) als Pastor gewirkt hatte, begab sich Johannes Fries zu Studienzwecken nach Paris, wo er Magister Artium der Pariser Universität wurde; hierauf wurde er Professor für die klassischen Sprache in Basel (1536), danach in Zürich, wo er auch Musik unterrichtete (1537). Auch Montanus erhielt von ihm Unterricht. Eines der in der Zentralbibliothek von Zürich aufbewahrten Exemplare der Poemata enthält eine handschriftliche Widmung des Montanus an Fries: Docto et erudito viro D. Ioanni Frisio praeceptori suo colendo. Dasselbe gilt für die Titelseite eines Exemplars von Differentiae animalium (Montanus [1555]): Doctissimo viro D. Ioanni Frisio praeceptori et compatri suo clarissimo Ioann. Fabricius d. d.
In der hier vorliegenden poetischen Kurzmitteilung verleiht Montanus seinem Bedauern darüber Ausdruck, dass das Porträt des Fries seine moralischen Qualitäten nicht zum Ausdruck zu bringen vermöge. Unter den in der Untersuchung von P. Bührer aufgezählten Porträts des Fries ist das einzige Farbporträt (vgl. V. 1, colores) das kleine Porträt, das Hans Holbein d. J. wahrscheinlich im Jahr 1538 gemalt hat; Bührer vermutet, dass es sich um ein Hochzeitsgeschenk des Fries an seine Frau handelte, die er am 27. Dezember 1538 heiratete. Das in dem vorliegenden Gedicht erwähnte Gemälde muss sich im Hause des Fries befunden haben, wo Montanus es bewundern konnte. Dennoch lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit behaupten, dass der Dichter hier von dem erwähnten Werk des jüngeren Holbein spricht.
4. Die Bisse des Neides
Entstehungszeitraum: Ende der 1550er, erste Hälfte der 1560er.
Handschrift (Autograph): Zentralbibliothek Zürich, ms Car. X 117, zweiter Teil, fol. 9ro.
Ausgaben: J. J. Ulrich, Miscellanea Tigurina, Bd. 3.3, Zürich, Gessner, 1724, 403 («Fabricius de se»); Amherdt (2016), 211; Amherdt (2018), 267.
Metrum: elegische Distichen.
5. Auf Chur
Entstehungszeitraum: Ende der 1550er, erste Hälfte der 1560er.
Handschrift (Autograph): Zentralbibliothek Zürich, ms Car. X 117, zweiter Teil, fol. 83ro.
Ausgaben: J. J. Ulrich, Miscellanea Tigurina, Bd. 3.3, Zürich, Gessner, 1724, 403; Amherdt (2016), 208; Amherdt (2018), 270.
Metrum: elegische Distichen.
Dieses Epigramm, in dem Fabricius Montanus sehr eindeutig auf das Motiv des nomen est omen zurückgreift, resümiert die Gefühle des Montanus für Chur; er hat immer gehofft, diesen Ort wieder verlassen zu können, um nach Zürich zurückzukehren.
Bibliographie
Amherdt, D., «Epitaphien, Versbriefe und mots d’esprit bei Johannes Fabricius Montanus. Epigrammpoesie als Spiegel eines Humanisten und Pastors», in: M.-L. Freyburger-Galland/H. Harich-Schwarzbauer (Hgg.), Le «sel» antique: Épigramme, satire, théâtre et polémique. Leur réception chez les humanistes dans les sources imprimées et manuscrites du Rhin supérieur / Das „Salz“ der Antike: Epigramm, Satire, Theater, Polemik. Ihre Rezeption bei den Humanisten: Druck und Handschriften am Oberrhein, Stuttgart, F. Steiner, 2016, 201-214.
Fabricius Montanus, J., Poèmes latins. Introduction, édition, traduction et commentaire, hg. von D. Amherdt, Basel, Schwabe, 2018.
Wir greifen hierbei im Wesentlichen jedes Mal auf die Analysen von Amherdt (2018) zurück.
- H. U. Bächtold, «Simler, Josias», Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 14 (1999), Sp. 1298-1302; Onlineversion, https://www.bbkl.de/index.php/frontend/lexicon/S/Si/simler-simmler-josias-74438; B. Schmid, «Josias Simler», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 28.11.2011, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/015794/2011-11-28/. Elisabeth wurde am 23. September 1532 geboren (vgl. M. Engammare, «Tägliche Zeit und recapitulatio bei Heinrich Bullinger. Von der Studiorum ratio zum Diarium», in: E. Campi/P. Opitz (Hgg.), Heinrich Bullinger. Life – Thought – Influence, Bd. 1, Zürich, Theologischer Verlag Zürich, 2007, 57-68, hier: 63).
Zu Johannes Fries (1505-565) s. K. Marti-Weissenbach, «Johannes Fries», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 29.10.2009, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011801/2009-10-29/ ; P. Bührer, «Johannes Fries (1505-1565). Pädagoge, Philologe, Musiker. Leben und Werk», Zürcher Taschenbuch, Neue Folge, 122 (2002), 151-231.
- Amherdt (2018), 18.