Trauergedichte
Johannes Fabricius Montanus
Einführung: David Amherdt (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 10.02.2023.
Von Johannes Fabricius Montanus sind vierzehn Trauergedichte erhalten. Sie sind bemerkenswert vielfältig; man findet darunter eine Ode in der vierten asklepiadeischen Strophenform (carm. 8), ein bukolisches Gedicht (carm. 9), Grabepigramme in Hexameterform oder in Form elegischer Distichen (carm. 10 à 15; 18), phaläkische Elfsilbler (carm.16) und eine sapphische Ode (carm. 17). Diese Gedichte sind entweder Familienmitgliedern des Montanus gewidmet (seiner Frau und seinen Töchtern) oder aber den Eltern von Freunden oder Personen, die ihm unter verschiedenen Gesichtspunkten lieb und teuer sind. Diese Gedichte sollen Trost spenden. Sie erfüllen aber auch eine wichtige soziale Aufgabe: Das Zuschicken von Versen ist der Freundschaft zuträglich. Christlicher Gehalt ist in diesen Gedichten oft nicht zu finden; er scheint manchmal in der consolatio auf: Der Verstorbene ist im Himmel, die Lebenden haben keinen Grund, um ihn zu weinen. Allgemein betrachtet stehen diese Trauergedichte fest in der Tradition antiker Trauergedichte, sowohl mit Hinblick auf ihr Vokabular als auch hinsichtlich der darin verwendeten literarischen Motive.
1. Beim Tod seiner Tochter, der kleinen Katharina (carm. 11)
Entstehungszeitraum: terminus a quo ist der Herbst 1548, das Todesdatum der beiden Katharinen.
Ausgaben: Poemata. Sylvarum liber unus […], Zürich, Gessner, 1556, 22; Delitiae poetarum Germanorum huius superiorisque aevi illustrium, Bd. 3, hg. von J. Gruterus, Frankfurt a. M., Fischer, 1612, 111; J. J. Ulrich (Hg.), Miscellanea Tigurina, Bd. 3.3, Zürich, Gessner, 1724, 387; Amherdt (2016), 202-204; Amherdt (2018), 116-117.
Metrum: elegische Distichen.
Mehr noch vielleicht als der Tod der beiden Katharinen (der im Kindsbett verstorbenen Katharina Stutz und ihrer totgeborenen Tochter) ist das Thema dieses Gedichts die Verzweiflung des Montanus, der auf einen Schlag Gattin und Tochter verloren hatte, und der sich nun auch selbst den Tod wünscht; man beachte in V. 6 das Hyperbaton in mortem… meam. Auch der Rest des Gedichts zeichnet sich durch stilistische Finesse aus: Man beachte das Polyptoton orbam-orbum, den Chiasmus in V. 1, 2 und 4 und den parallelen Aufbau von V. 3; schliesslich ist in V. 8 die Tochter, nata, zwischen gemino und parente gestellt und so gleichsam von ihren beiden Elternteilen umarmt. In diesem Gedicht, das man besonders mit einigen von Giovanni Pontano verfassten Epitaphien vergleichen kann, findet man keine Spur von Christentum.
2. Beim Tod der kleinen Katharina, seiner von seiner zweiten Gattin geborenen Tochter carm. 12)
Entstehungszeitraum: zwischen 1550 und 1556 (terminus ad quem ist das Erscheinen der Poemata im Jahr 1556).
Ausgaben: Poemata. Sylvarum liber unus […], Zürich, Gessner, 1556, 22; Amherdt (2016), 204-205; Amherdt (2018), 118.
Metrum: elegische Distichen.
In diesem kurzen Epigramm, in dem er den Tod seiner Tochter Katharina beklagt, die ihren Namen ohne Zweifel in Erinnerung an die ersten beiden Katharinen erhalten hatte, stellt Montanus eine Verbindung zwischen Thrina, dem Deminutiv von Katharina, und dem griechischen Wort θρῆνος, «Trauergesang», her.
3. Epitaph für Elisabeth und Regula (carm. 13)
Entstehungszeitraum: terminus ad quem ist das Erscheinen der Poemata (1556).
Ausgaben: Poemata. Sylvarum liber unus […], Zürich, Gessner, 1556, 22-23; Amherdt (2016), 205-206; Amherdt (2018), 119.
Metrum: elegische Distichen.
Ein zu einem unbekannten Zeitpunkt entstandenes Epigramm auf den Tod zweier Töchter des Dichters. Die auf einer comparatio beruhenden beiden letzten Verse des Gedichts sind ein Bekenntnis zum Glauben an die Realität des Jüngsten Gerichts, ein Bekenntnis, das implizit auch eine consolatio ist, denn das Jüngste Gericht öffnet den Gerechten die Pforte zum Himmel. Neben zahlreichen Klangmalereien ist das Hyperbaton extremae… tubae zu beachten: Die Trompete, die am letzten aller Tage geblasen wird, steht auch am Ende des Verses, wobei ausserdem zu beachten ist, dass extremae und tubae beide auf der letzten Silbe betont werden.
4. Epitaph für Felix Bullinger (carm. 14)
Entstehungszeitraum: 1553.
Ausgaben: Poemata. Sylvarum liber unus […], Zürich, Gessner, 1556, 23; Delitiae poetarum Germanorum huius superiorisque aevi illustrium, Bd. 3, hg. von J. Gruterus, Frankfurt a. M., Fischer, 1612, 111; Amherdt (2016), 207-208; Amherdt (2018), 120.
Metrum: elegische Distichen.
Ein schönes Beispiel für das Sprichwort nomen est omen: Felix ist felix, d. h. glücklich, denn er ist im Himmel. Felix (1547-1553) war das älteste der elf Kinder von Felix Bullinger.
5. Epitaph für Ulrich von Hutten (carm. 18)
Entstehungszeitraum: terminus ad quem ist das Erscheinen der Poemata (1556).
Ausgaben: Poemata. Sylvarum liber unus […], Zürich, Gessner, 1556, 27-28; Delitiae poetarum Germanorum huius superiorisque aevi illustrium, Bd. 3, hg. Von J. Gruterus, Frankfurt a. M., Fischer, 1612, 111-112; Lateinische Gedichte deutscher Humanisten. Lateinisch und deutsch, hg. von H. C. Schnur, Stuttgart, Reclam, 1966, 128-129; Amherdt (2018), 137-139.
Metrum: elegische Distichen.
Da er mit Franz von Sickingen in ein Komplott gegen die Kurfürsten des Reiches verwickelt war, wurde der protestantische Ritter Ulrich aus dem fränkischen Geschlecht der von Hutten (1488-1523), der als Dichter, Satiriker und grosser Kritiker von Staat und Kirche hervorgetreten war, verbannt und ins Exil gezwungen. Nachdem ihn Ulrich Zwingli im Mai 1523 in Zürich aufgenommen hatte, fand er Asyl auf der Insel Ufenau am Ufer des Zürichsees; dort starb er an der Syphilis, und dort ist er begraben.
Dieser Grabspruch für Hutten, den Montanus persönlich niemals kennenlernen konnte, ist eine Hommage an den berühmten protestantischen Dichter, der die Gegend von Zürich mit der Ehre würdigte, ihm als Grabstätte zu dienen. Der Verstorbene wendet sich an den viator, der zufällig auf sein Grabmonument stösst (V. 1-4). Au eine kurze Aufzählung seiner Ehrentitel und seiner Qualitäten (V. 6-14; Hutten ist ein Mann, der in sich die Eigenschaften eines Kriegers und eines Literaten vereint; vgl. V. 8) folgt eine Darstellung der Umstände seines Todes (V. 15-22), die es Montanus ermöglicht, eine poetische Beschreibung des locus amoenus zu liefern, an dem Hutten bestattet zu werden wünscht. Das Gedicht endet mit einer Lektion, die der viator aus dem Leben des Verstorbenen ziehen soll: Er soll nicht allzu viel von der Zukunft erhoffen, denn sein Geschick lauert ihm auf.
Bibliographie
Amherdt, D., Johannes Fabricius Montanus. Poèmes latins. Introduction, édition, traduction et commentaire, Bern, Schwabe, 2018.
Amherdt, D., «Epitaphien, Versbriefe und mots d’esprit bei Johannes Fabricius Montanus. Epigrammpoesie als Spiegel eines Humanisten und Pastors», in: M.-L. Freyburger-Galland/H. Harich-Schwarzbauer (Hgg.), Le «sel» antique: Épigramme, satire, théâtre et polémique. Leur réception chez les humanistes dans les sources imprimées et manuscrites du Rhin supérieur / Das „Salz“ der Antike: Epigramm, Satire, Theater, Polemik. Ihre Rezeption bei den Humanisten: Druck und Handschriften am Oberrhein, Stuttgart, F. Steiner, 2016, 201-214.
Katharina war die Tochter von Ulrich Stutz, einem ehemaligen Priester und reformierten Seelsorger am Grossmünster. Montanus heiratete sie im Herbst 1547. S. Amherdt (2018), 18.
S. das vorige Gedicht.
S. besonders H. Grimm, «Hutten, Ulrich», Neue Deutsche Biographie 10 (1974), 99-102, Onlineversion, https://www.deutsche-biographie.de/sfz36174.html#ndbcontent; H. U. Bächtold, «Ulrich von Hutten», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 03.09.2009,https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/021507/2009-09-03/.