Autobiographie in Prosa: der Bildungsweg des Montanus

Johannes Fabricius Montanus

Einführung: David Amherdt (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 10.02.2023.


Entstehungszeitraum: terminus ad quem ist der März 1565 (dieses Datum wird im Titel angegeben).

Ausgabe: Döpp (1998), 34-38; Ulrich (1724), 375-385.

Deutsche Übersetzung: Vulpinus (1894), 4-16.

 

Anderthalb Jahre vor seinem Tod verfasste Johannes Fabricius Montanus seine Prosaautobiographie, die er an seinen Amtsbruder Wolfgang Haller, Erzdiakon und Propst des Grossmünsters, adressierte; einige Monate später, im November, schloss er seine Autobiographie in Versen ab. Während die letztgenannte sich auf seine poetische Berufung konzentriert und wenig zum chronologischen Verständnis seines Lebens beiträgt, ist die Prosaautobiographie sehr viel präziser und ermöglicht es, eine gute Vorstellung von seiner Laufbahn zu gewinnen, besonders von seiner schulischen und universitären Ausbildung.

Die Prosaautobiographie weist der Ausbildung des Montanus im Alter von sieben bis 21 Jahren tatsächlich einen zentralen Stellwert zu. Es handelt sich um die Paragraphen 4 bis 11, die wir hier veröffentlichen, das heisst um mehr als die Hälfte der Autobiographie. Ohne auf die Details seines Studiengangs einzugehen (man erfährt nur, dass Martin Bucer für ihn einen Kurs über die Andria des Terenz abgehalten hatte), stellt Montanus doch präzise die einzelnen Etappen dar, wobei er besonders alle die erwähnt, die direkt oder indirekt dazu beigetragen haben, ihn zum Humanisten und protestantischen Pastor zu machen. Im Übrigen stellt er noch mehr als sein eigenes Interesse an den studia humanitatis oder an der Theologie den aussergewöhnlichen Eifer seiner Erzieher und Mentoren heraus, angefangen mit seiner Mutter und seinem Onkel Leo Jud. Es ist symptomatisch, dass er bei der Schilderung seines Bildungsweges vor allem einen Schwerpunkt auf seiner Erlernung der poetischen Praxis legt; er unterstreicht gerne (wie übrigens auch in seiner Autobiographie in Versen), dass er sein Wissen auf diesem Gebiet nicht so sehr in der Schule als aus dem Munde eines Dichters selbst erhalten hat, nämlich des Petrus Lotichius, dessen Werke sich zu der Zeit, als Montanus seine Autobiographie schrieb, unbestreitbar einer grossen Bekanntheit erfreuten – Lotichius war 1560 verstorben.

Die Beschreibung seines Lebens, und besonders die seiner schulischen und universitären Laufbahn, gibt Montanus die Gelegenheit, mit Stolz die Personen aufzuzählen, denen er sich auf die eine oder andere Weise verbunden fühlt: seine Eltern, seinen Onkel, den Reformator Leo Jud; seine Lehrer oder selbst Gelehrte, denen er nur kurz begegnet war; die meisten davon werden in dem von uns hier präsentierten Text genannt (Martin Bucer, Peter Daypodius, Joachim Camerarius und viele andere). Ausserdem nennt er grosse Gestalten der protestantischen Welt (Heinrich Bullinger, Konrad Pellikan, Rudolf Collinus, Philipp Melanchthon etc.) und seine Freunde (Johannes Altus und Peter Lotichius); er versichert sogar, dass er in seiner frühesten Jugend am Begräbnis des Erasmus von Rotterdam teilgenommen habe. Montanus liefert derart nicht nur Informationen über sein Leben, sondern ist auch bestrebt, den Umfang seines humanistischen und religiösen Netzwerkes deutlich zu machen, wobei diese beiden Netzwerke sich meist überschneiden. Wenn er von seinem Deutschlandaufenthalt berichtet, erinnert er an die schwerwiegenden religiösen und politischen Ereignisse, die das Land erschütterten; das erlaubt es ihm, die Gefahren zu erwähnen, die er auf sich genommen hatte, um grosse Männer wie Melanchthon zu besuchen, dem er überdies Ovidverse in den Mund legt (§ 9): Die humanistische Brüderlichkeit und die humanistische Bildung sind es absolut wert, dass man für sie einige Risiken auf sich nimmt!

Der Teil der Autobiographie, der die beruflichen Tätigkeiten des Montanus behandelt (als Lehrer und Pastor in Zürich und hierauf nur als Pastor in Chur) ist sehr knapp und beschränkt sich auf das Wesentliche. Bei der Schilderung seines Aufenthalts in Graubünden, den er abkürzen zu können gehofft hatte, erwähnt er, ohne auf Details einzugehen, die konfessionellen Streitigkeiten und Spannungen, die das Kreuz waren, das er täglich zu tragen hatte. Er vermeidet so religiöse Polemik. Die Religion ist im Übrigen in diesem Text nur wenig präsent, sie hat aber die Ehre, diese Autobiographie abschliessen zu dürfen, die sie derart krönt wie der Glaube aus der Sicht des Montanus ein Leben im Dienst der humanistischen Gelehrsamkeit krönen muss. Diese Autobiographie, ist schliesslich auch die Autobiographie eines Humanisten, der sich damit an andere Humanisten wendet, die sich mehr für die Literatur und die studia interessieren als für religiöse Streitfragen, die unter den Gelehrten in der sogenannten Res publica Litteraria eher trennend als vereinend wirken.

Eine kurze Gliederung dieses Textes:

  • Geburt im elsässischen Bergheim (1527). Er erwähnt Wolfgang Capito und Martin Bucer.
  • Genauere Angabe seines Geburtsdatums; es war das Jahr, in dem Karl V. Rom einnahm.
  • Seine beiden verstorbenen Brüder.
  • Erster Aufenthalt in Zürich im Jahr 1534 (bei Leo Jud). Seine Basler Schulzeit (Ulrich Hugwald), um 1535/6-1537.
  • Seine Schulzeit in Strassburg, um 1537/38 (Martin Bucer; Peter Dasypodius). Rückkehr nach Bergheim. Seine Eltern wollen nicht, dass er die katholische («papistische») Schule besucht.
  • Er setzt seine Ausbildung zuhause fort (um 1538/39); Rückkehr nach Zürich (um 1539-1540); Tod des Leo Jud.
  • Die Kirche von Zürich, wo er seine Ausbildung fortsetzt (1543), kümmert sich um ihn. Er bricht zu einem Studienaufenthalt in Marburg auf (Herbst 1545)
  • Er begibt sich nach Wittenberg (Sommer 1546), um sich mit Philipp Melanchthon und seinen Freunden Petrus Lotichius und Johannes Altus zu treffen. Er erwähnt die politischen Turbulenzen der damaligen Zeit.
  • Er unterhält sich mit Melanchthon, der sich nach dem Befinden von Heinrich Bullinger und Konrad Pellikan erkundigt.
  • Rückkehr nach Marburg über Leipzig (Winter 1546/47), wo er verschiedene Professoren trifft.
  • Seine Ausbildung zum Dichter in Marburg, unter der Führung des Lotichius.
  • Rückkehr nach Zürich (März 1547), wo er als Lehrer arbeitet und Pastor wird.
  • Er heiratet Katharina Stutz (Herbst 1547), die im Kindbett stirbt. Er heirastet ein weiteres Mal (1549/50), und zwar Agathe Ambühl, Tochter des Rudolf Ambühl (alias Collinus). Sie gebiert ihm zwölf Kinder, von denen nur wenige überleben.
  • Er ist Rektor der Fraumünsterschule (1551). 1557 wird er nach Chur entsandt, um die Kirche in Graubünden zu leiten. Obwohl man ihm versprochen hatte, dass es ein kurzer Aufenthalt sein würde, ist er nun schon neun Jahre dort. Er erwähnt die zahlreichen Schwierigkeiten, unter denen er zu leiden hat. Es bleibt ihm nur, sich Gott zuzuwenden.

 

Bibliographie

Amherdt, D., Johannes Fabricius Montanus. Poèmes latins. Introduction, édition, traduction et commentaire, Bern, Schwabe, 2018.

Döpp, S., Ioannes Fabricius Montanus. Die beiden lateinischen Autobiographien, Stuttgart, Steiner, 1998.

Enenkel, K. A. E., Die Erfindung des Menschen. Die Autobiographie des frühneuzeitlichen Humanismus von Petrarca bis Lipsius, Berlin, Walter de Gruyter, 2008, 575-618 (Kapitel über die beiden Autobiographien des Fabricius Montanus).

Ulrich, J. J., Miscellanea Tigurina, Bd. 3.3, Zürich, Gessner, 1724.

Vulpinus, T., Der lateinische Dichter Johannes Fabricius Montanus (aus Bergheim im Elsass), 1527-1566. Seine Selbstbiographie in Prosa und Versen nebst einigen Gedichten von ihm, verdeutscht, Strassburg, Heitz, 1894.