Der christliche «Cato der Censor»
Übersetzung (Deutsch)
Übersetzung: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Kevin Bovier)
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Der Rächer, von dem hier die Frage ist, ist unzweifelhaft Gott.
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Der Dichter denkt wahrscheinlich an Genf, obwohl seine Botschaft auch eine allgemeinere Bedeutung haben könnte.
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Der Ton ist hier ironisch. Das Erklimmen von Bergen oder des Himmels ist ein Gemeinplatz, der vergeblichen Ehrgeiz in moralischen Zusammenhängen ausdrückt: Siehe Summers (2017), 93-94, mit dem Turmbau zu Babel und mehreren griechischen Mythen als Beispiel. Vielleicht lässt Beza sich hier von Mt 4,8-9 inspirieren (Einheitsübersetzung 2016): «Wieder nahm ihn der Teufel mit sich und führte ihn auf einen sehr hohen Berg; er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht und sagte zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.»
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Möglicherweise eine Anspielung auf das Sprichwort: «Six pieds de terre suffisent au plus grand homme» [Sechs Fuss Erde sind für den bedeutendsten Mann genug] (vgl. R. Tosi, Dictionnaire des sentences latines et grecques, Grenoble, 2010, Nr. 1034, 761). S. zum Beispiel Nicolas Barnaud, Le miroir des François, s.l., s.n., 1582, 110: «Encores oublies-tu le principal: car six pieds de terre pourrie qu’ils cerchent tant en ce monde, les couvrira abondamment pour les fouler à jamais de la fin qu'ils en ont durant leur miserable vie» [«Du vergisst das Wichtigste: Sechs Fuss verrotteter Erde, nach denen sie in dieser Welt derart streben, werden sie hinreichend bedecken, um sie zu zertreten, wie sie es mit der Erde während ihres elenden Lebens getan haben»]. S. auch Summers (2017), 94 und Anm. 38.
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Der Begriff «Epikureer» bezeichnet im damaligen zeitgenössischen Verständnis «Atheisten», d. h. Personen, die aus einem naturalistischen Weltbild und philosophischen Überzeugungen wie Skeptizismus oder Freigeistigkeit heraus an wesentliche Inhalte der christlichen Religion nicht glauben (sie sind deutlich zu unterscheiden von religiös Andersgläubigen wie Juden und Muslimen): Wir würden heute von Atheisten, Deisten, Freigeistern, Agnostikern, Libertins etc. sprechen. Siehe hierzu G. Minois, Histoire de l'athéisme: les incroyants dans le monde occidental des origines à nos jours, Paris, Fayard, 1998, insbesondere 133-177 für die Renaissance.
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Zu diesem Thema s. auch das Gedicht von Rudolf Ambühl d. J., das wir auf diesem Portal präsentieren.
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Dieses Gedicht ist stark mit dem Gedicht über Ehebrüche verknüpft, in dem die Zerstörung der Ehe auch die gesamte menschliche Gesellschaft verurteilt. Im Gegensatz zum Ehebruch, bei dem verheiratete Personen beteiligt sind, bezeichnet Unzucht jedoch jede Art von sexueller Sünde (zwischen zwei unverheirateten Personen, mit einer Prostituierten etc.). Siehe hierzu Summers (2017), 274-277.
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Hieronymus formuliert einen ähnlichen Gedanken in seinem Kommentar zum paulinischen Epheserbrief (3, PL 26, Sp. 554; wir übersetzen): Ut voracium deus venter est, ita cupidorum quoque iustissime pecunia deus dici potest […] («Wie der Bauch der Gott der Gefrässigen ist, so man völlig zu Recht das Geld als den Gott der Habgierigen bezeichnen […]»).
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Neid ist die Sünde, die Satan gegen Gott begangen hat, weshalb Beza seine Quelle in der Hölle ansiedelt; s. Summers (2017), 252.
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Dieses Gedicht ist insofern interessant, als man heute dazu neigt, den Aufstieg des Kapitalismus mit der Reformation (und insbesondere dem Calvinismus) in Verbindung zu bringen, was auf einer vereinfachten Lesart von Max Webers Werk beruht (Originalveröffentlichung: «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus», Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 20 (1904), 1-54, und 21 (1905), 1-110). Die Realität ist komplexer. Während Beza hier die Praxis des Wuchers moralisch verurteilt, tolerierten die Genfer Behörden in der Praxis Darlehen gegen Zinsen, deren Zinssatz zu Calvins Zeiten zwischen 5 und 6,7 Prozent, später sogar bis zu 8 Prozent betragen konnte. Beza selbst verteidigte diese Zinssätze manchmal gegen die Magistrate, die sie angriffen. Das tatsächliche Problem für den „christlichen Zensor» lag nicht in der Zinsleihe an sich (die Reichen konnten sie in Anspruch nehmen, ohne dass dies einen Skandal verursachte), sondern im Wucher, der den schwächsten Teil der Bevölkerung, nämlich die Armen, betraf. Siehe dazu Summers (2017), 211-244, mit Verweisen auf die Literatur zu diesem Thema.
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Das bedeutet, dass ein Darlehen keine Zinsen einbringen sollte. Diese Idee geht auf einen Vorschlag von Platon in den Gesetzen (11,921d) zurück, der später von den Kirchenvätern diskutiert wurde. Zur Geschichte dieser Idee s. Summers (2017), 216-224.
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Summers (2017), 306-314, ist der Ansicht, dass Bèze hier insbesondere auf die Jesuiten abzielt. Es stimmt, dass die Reformierten sie als eine besonders gefährliche Bedrohung für ihre Sache betrachteten, aber hier können sich die Verse des Dichters auch auf andere katholische Kongregationen wie die Bettelorden beziehen.
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Anspielung auf einen Vers des Horaz, Episteln 1,4,15-16 (wir übersetzen): «Wenn du lachen willst, komm zu mir und schau mich an: fett und gesund, mit gepflegter Haut, wie ein Schwein aus der Herde Epikurs!». Wie im Gedicht über die Epikureer bezeichnet Epikurs Herde diejenigen, deren Glaube der christlichen Lehre zuwiderläuft.
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Unübersetzbares Wortspiel mit monachus (vom griechischen μοναχός/Mönchs, «der Mönch») und μοῦνον ἄχος/mounon achos («der einzige Schmerz»).
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Mit diesem etymologischen Wortspiel bezeichnet der Autor Aristoteles.
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Aristoteles vertritt diese Ansicht etwa im achten Buch seiner Physik (250b-251b). Die polemische Auseinandersetzung über die Ewigkeit der Welt nahm im Mittelalter an Umfang zu, als mehrere Abhandlungen zu diesem Thema erschienen, besonders De aeternitate mundi von Thomas von Aquin. S. zu diesem Thema C. Michon (Hg.), Thomas d’Aquin et la controverse sur L’Éternité du monde. Traités sur L’Éternité du monde de Bonaventure, Thomas d’Aquin, Peckham, Boèce de Dacie, Henri de Gand et Guillaume d'Ockham, Paris, GF Flammarion, 2004.
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In diesem Gedicht, das den Abschluss der Sammlung bildet, greift Beza nicht einen bestimmten Typus von Sünder an, sondern wirft einen Blick auf seinen eigenen Zustand als alter Mann, nicht ohne Selbstironie. In gewisser Weise zieht er eine Bilanz seines Kampfes gegen die Sünden. S. Summers (2017), 356-357.
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Ein vielleicht vom Dichter Maximian inspiriertes Detail (eleg. 1,219): Nec caelum spectare licet, sed prona senectus / terram, qua genita est et reditura, videt / fitque tripes, prorsus quadrupes, ut parvulus infans, / et per sordentem (flebile) repit humum («Das nach vornüber gebeugte Alter kann nicht in den Himmel schauen, sondern sieht die Erde, wo es geboren wurde und wohin es zurückkehren wird, und wird dreibeinig, fast vierbeinig, wie ein kleines Kind, und kriecht (traurig) über den schmutzigen Boden.»). Man kann darin auch eine Anspielung auf das Rätsel der Sphinx sehen, das sie Ödipus stellte und in dem es darum ging, herauszufinden, welches Wesen, das mit einer einzigen Stimme ausgestattet ist, zuerst vier, dann zwei und schliesslich drei Beine hat; die richtige Antwort ist der Mensch, da er als Kind auf allen vieren kriecht, als Erwachsener auf zwei Beinen steht und sich im Alter auf einen Stock stützt, der als drittes Bein dient (vgl. Apollod. Bibl. 3,5,8; Diod. Sic. 4,64,4).
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Ein Topos, der auf das Altertum zurückgeht, besonders auf Terenz, Phormion, 575: Senectus ipsast morbus («Das Alter an sich ist eine Krankheit»); man findet ihn in Erasm. adag. «Ipsa senectus morbus est» (ASD 2.4, Nr. 1537, 46-48). Auch im Zweiten Trostbrief Heinrich Glareans an Aegidius Tschudi wird das Alter als eine Krankheit betrachtet. Zum Geschick dieser Idee von der Antike bis zum zeitgenössischen Denken s. R. Tosi, Dictionnaire des sentences latines et grecques, Grenoble, Jérôme Millon, 2010, Nr. 1087, 799-800.
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Ein ähnlicher Gedanke findet sich in einem Brief von Hieronymus (epist. 10,2), der an einen alten Mann namens Paulus gerichtet ist, den der Autor lobt (wir übersetzen): futurae resurrectionis virorem in te nobis Dominus ostendit, ut peccati sciamus esse, quod ceteri adhuc viventes praemoriuntur in carne, iustitiae, quod tu adulescentiam in aliena aetate mentiris («Der Herr zeigt uns in Dir die Kraft der zukünftigen Auferstehung, damit wir wissen, dass die anderen, die noch leben, wegen der Sünde vorzeitig in ihrem Fleisch sterben, und dass Du wegen Deiner Gerechtigkeit noch jung erscheinst, obwohl Du Dich in einem anderen Lebensalter befindest.»).