Dossier: Johannes Gast, Geschichtensammlungen

Traduction (Allemand)

1. Aus De virginitatis custodia

p. 239 (letzte Anekdote des zweiten Buches de uxorum pudicitia)

Das hervorragende Beispiel einer keuschen Frau im Jahr 1543.

Es geschah in Speyer, als der Kaiser sich dort mit einem grossen spanischen Heerhaufen aufhielt, und wie es zu geschehen pflegt, hatte eine wohlhabende Frau auf Befehl des Rates hin wegen des grossen Menschenandrangs einige Männer als Gäste bei sich aufgenommen, in dem Glauben, sie beherberge ehrbare und herausragende Soldaten. Nachdem diese von ihr trefflich mit Speise und Trank versorgt worden waren, fassten sie den Beschluss, sich der Befriedigung ihrer sexuellen Lust zu widmen, wozu dieser Menschenschlag neigt. Einer von ihnen, der noch weniger taugte als die übrigen, hatte sie, obwohl sie starke Gegenwehr leistete, auf die Erde geworfen, so als ob er mit einem wilden Tier kämpfe, und ihr die Kleider weggezogen und ging daran, das unsinnige Begehren, das ihn nun einmal gepackt hatte, zu befriedigen. Doch die schamhafte Frau durchbohrte den Soldaten, während sie miteinander rangen, mit einem Dolch, den sie bei sich trug und heimlich hervorzog, um nicht durch einen Ehebruch befleckt zu werden, dem sie mehr Widerstand leistete als einer Schlange; die Folge davon war, dass sein Liebesverlangen erlosch und er halbtot auf der Erde lag und sich darauf herumwälzte, wobei sein Blut in alle Richtungen sprudelte. Sie hatte nämlich einen Teil seines Halses verletzt, so dass er nicht mehr sprechen konnte und nach zwei Stunden starb. Jene Frau wurde für eine so herrliche Tat von allen gelobt und vor den anderen, die sie zu vergewaltigen versuchten, geschützt. So zahlte der elende Mensch die gerechte Strafe für sein Unzuchtsvergehen.

 

p. 241-242 (drittes Buch de meretricum dolo et perditione)

Von der Hure Theonis.

Ein junger Mann in Ägypten verging aus Liebe zur Hure Theonis, und während diese einen Entlohnung in ungeheurer Höhe forderte; endlich träumte der junge Mann, dass er es mit ihr triebe, und wurde so von seiner Liebe befreit. Jene fordert ihren Lohn, und da der Jüngling sich weigert, geht man zu einem Richter. Bocchoris verkündet als Urteil, dass der Jüngling in einem kleinen Gefäss so viel Geld bringen solle, wie jene gefordert hatte. Das Hürchen solle dabei anwesend sein und in den Genuss des Schattens des Geldes kommen, wenn es umhergetragen werde. Lamia tadelt diesen Richtspruch als ungerecht: «Der Jüngling wurde durch seinen Traum von der Liebe befreit, aber der Schatten des Geldes konnte Theonis nicht von ihrer Liebe zum Geld befreien.»

 

p. 242-243

Das alte Weib, das geliebt wird.

Phryne sagte, als sie schon ein altes Weib war, dass viele Hefe kauften, weil ein Wein berühmt sei, da sie bemerkte, dass viele deshalb mit ihr schliefen, um sich rühmen zu können, sie hätten es mit Phryne getrieben. Wie sie auch die Hefe eines berühmten Weins kaufen, um sich rühmen zu können, dass sie einen solchen Wein daheim haben. Eine vergleichbare Hure habe ich in Breslau gesehen, ein altes und bejahrtes Weib, und nichtsdestoweniger wurde sie von vielen geliebt, aber nur des Reichtums wegen, den sie in ihrer Jugend von den Jüngelchen eingesammelt hatte.

 

p. 301-304 (aus dem vierten Buch De gentium moribus)

Einer kümmert sich liebevoll um seine Hunde.

Mehr als einmal habe ich in Basel im Hause eines Domherrn zwei kleine fette Hunde gesehen, die in angenehmeren Verhältnissen und in grösserem Luxus gehegt und gepflegt wurden als irgendein Mensch. Im Winter nämlich schliefen sie in der warmen Stube auf hervorragenden Matratzen, im Sommer nahmen sie einen luftigen und schön geschmückten Teil des Empfangszimmers in Beschlag, damit sie vor Fliegen und Flöhen sicher seien. Eine eigens für die Hundepflege angestellte Dienerin pflegte sie täglich zu waschen, auf Flöhe zu untersuchen, ihre Augen abzuwischen, den Kot aufzusammeln, den sie verbreiteten, und ihnen ihr kleines Bett prächtig herzurichten. Wenn die Zeit des Frühstücks oder des Hauptmahls nahte und der Tisch gedeckt worden war, krochen sie heran, und der eine nahm den oberen, der andere den unteren Platz der Tafel ein, und sie berührten die Schüssel mit ihrem Maul. Niemand wagte sie zu vertreiben oder auch nur mit einem Wörtchen zu irritieren. Das wertlose Priesterlein reichte ihnen alles, was an Köstlichkeiten in einem Napf herangeschafft wurde, und scherzte mit ihnen: «Das ist ein leckeres Essen für meine kleinen Jungen. Schau, das bekommst du»; und zum anderen: «Warum bist du traurig? Du wirst nicht ohne eine hübsche kleine Portion bleiben. Willst du von diesem Fleischstück? Oder von jenem? Ich weiss doch, was du magst. Magst du ein fetteres Stück? Nein? Wedele mit deinem Schwanz, gib mir einen Kuss, oder du wirst nichts Leckeres bekommen. Warum leckst du nicht mein Gesicht ab, es ist doch sicher hübsch fett.» Ja, und das ist besonders ungewöhnlich, sie tranken sogar Wein, wenn auch nur mit Wasser verdünnten, was aber dennoch bei Hunden selten vorkommt. In anderen Fällen kann man einen lästigen Hund vertreiben, indem man ihm einen Becher hinhält. Wenn das Priesterlein schlafen ging, grüsste es sie als «schöne kleine Hündlein» zum Ersatz für seine nicht vorhandenen Kinder, küsste sie und sagte ihnen Lebewohl. Es sagte: «Schlaft süss in dieser Nacht, morgen werde ich euch besuchen, macht bitte keinen Lärm. Wenn euch etwas Unangenehmes passiert, bellt, und ich werde sogleich zur Stelle sein und euch vor jedem Übel behüten. Ach, Dienerin, hast du ihnen das Lager so bereitet, wie ich es dir aufgetragen hatte, damit sie weich liegen? Hast du die Katzen vertrieben, damit sie ihnen nicht das für sie vorbereitete Essen wegnehmen und sie Hunger leiden, bevor ich vom Morgengebet zurückkomme? Die Katzen sollen Mäuse und Siebenschläfer fressen, meine Hündchen muss man mit dieser Speise hier ernähren, weil sie Hälfte meiner Seele sind.» Das Priesterlein erkrankte schliesslich aufgrund seines hohen Alters tödlich und starb daran auch nach wenigen Tagen; es hinterliess die Hunde, die es in seinem Testament der Dienerin anvertraut hatte, und es hatte darin 100 Goldstücke zur Verwendung in ihrem Interesse bestimmt, damit die Hunde nicht Hungers stürben. So wurde es auch umgesetzt. Die Hunde wollten aber wegen des Todes ihres Herren nicht mehr fressen, man mochte ihnen noch so leckeres Essen hinstellen; sie machten ihre Trauer auch in ihrem Gesichtsausdruck deutlich. Man hätte glauben können, dass sie über menschliche Empfindungen verfügten oder dass sie böse Geister waren, weil sie nach dem Begräbnis ihres Herren nicht mehr leben wollten.

 

2. Aus Convivales Sermones, zweiter Band

p. 57-58

Von einer wahnsinnigen Frau. 1545.

Eine junge Frau, die von zartem Alter an in sehr angenehmen Umständen aufgezogen wurde, wird, weil sie einen zwar reichen, aber ungehobelten und habgierigen Vater hat, wird einem Metzger überlassen, der nach seiner Heirat mit ihr irgendeine mir unbekannte Schändlichkeit beging, so dass er mit seinen übrigen Zunftgenossen keine Geschäfte mehr betreiben konnte. Das zwang ihn dazu, wegzuziehen und mit dem Metzgerhandwerk aufzuhören. Seine Frau aber begann – zweifellos aus Trauer und Niedergeschlagenheit über das Unglück ihres Gatten – ein wenig zu spinnen und Versuchungen Satans zu spüren, der stets eine Gelegenheit sucht, um uns hereinzulegen. Die arme Frau sagte mehrfach, dass Satan zu ihren Ohren hochspränge und ihr dann unzählig viele schlimme Dinge einflüstere und sie auffordere, sich der Verzweiflung hinzugeben. Ein Diener des Gotteswortes wurde zu ihr gerufen, mit dem sie erst nicht sprechen wollte, obwohl er sie mehrfach sowohl mit sanften als auch mit scharfen Worten ermahnte. Schliesslich antwortete sie nach langem Überlegen auf alle Fragen, aber nur mit wenigen Worten und mit Seufzern. Am 27. Januar zur achten Nachmittagsstunde geschah aber Folgendes: Die Frau schmückte sich mit schönen Kleidern, ohne dass die Frau, die sich um sie kümmerte, etwas davon merkte, weil sie gerade mit Hausarbeiten beschäftigt war. Doch die wahnsinnige Frau entwich heimlich aus ihrem Haus und stürzte sich in den Rhein, ohne dass jemand davon wusste oder es sah. Allerdings hörten einige Rheinanwohner ihr Geschrei, sie rief nämlich: «Herr Jesus, erbarme Dich meiner!» Derweil durchforschte die Haushälterin alle Winkel des Hauses, aber die elende Frau kam nirgendwo zum Vorschein. Als sie ihr Rufen und Weinen hörten, kam die ganze Nachbarschaft herbeigelaufen und fragte, was los sein. Sie erklärte, ihr sei das Frauchen abhandengekommen, dessen Aufsicht man ihr anvertraut habe. Am nächsten Tag erfuhr man, dass sie im Wasser ertrunken war. So setzt Satan uns zu, wenn wir aufhören, ausdauernd zu beten. Sie hinterliess zwei vortreffliche Knaben, die sie sehr treu und sorgsam unterrichtet hatte. Sie war eine extreme Melancholikerin und sehr abergläubisch. Man gab ihr einen Nichtsnutz zum Ehemann, als sie selbst noch ein recht junges Mädchen war. Ich fürchte, dass ihre Eltern Schuld an ihrem unglücklichen Tod tragen, denn sie haben sie im Stich gelassen, als sie mit diesen Problemen zu kämpfen hatte.

 

p. 116

Von einem Edelmann.

Als ich mich in Frankfurt an der Oder aufhielt, hörte ich mehr als einmal von gelehrten und vertrauenswürdigen Leuten folgende merkwürdige Geschichte: im polnischen Gebiet gibt es eine kleine Stadt namens Meseritz; etwa acht Meilen von ihr entfernt steht eine Burg, in der ein an der Podagra erkrankter Edelmann lebte, der bereits sehr altersschwach war, und dennoch unterhielt er zwölf Huren, um ohne Unterlass sexuelle Freuden zu empfinden und sich seine Krankheitsperioden mit umso mehr Annehmlichkeit vergessen zu machen. Wenn diese entweder nicht mehr weiter Unzucht treiben wollten oder er sie nicht mehr ertragen konnte, weil ihre Schönheit dahingeschwunden war, dann verheiratete er sie mit einer reichen Mitgift an Bauern und ersetzte sie durch jüngere Huren, um nicht alleine leben zu müssen. Er wollte nämlich keine rechtmässige Ehefrau heiraten, ich weiss nicht, was der Grund dafür war.

 

p. 185

Von einem Aussätzigen. 1545.

In Basel ist ein Mann aufgegriffen worden, der einige Jahre lang fälschlich vorgegeben hatte, er sei ein Aussätziger, und man stellte fest, dass er rein war. Man züchtigt ihn deshalb öffentlich mit Ruten, damit er diese Betrügerei künftig nicht mehr betreibe. Man sagt, er sei sehr reich gewesen (er war nämlich aus Frankreich). Und es ist sonderbar, warum ihm das Bettelwesen so attraktiv erschienen ist, dass er die väterlichen Besitztümer verliess. Wie vermochte er es, den Atem der Aussätzigen, ihren Gestank und ihre Unreinigkeit zu ertragen? Ist nicht doppelt elend, wer sich unter diese elenden Menschen mischt, obwohl er daheim anständig leben könnte? Man muss den Bettlern daher eine Regel vorschreiben, damit sie anderen nicht mit ihrem Müssiggang und ihrer Bettelei zur Last fallen.

 

p. 185-186

Über den Doktor Antonius aus Breisach, einen Scotisten.

Dieser Mann war geradezu ein Wunder an Gelehrsamkeit in jeder sophistischen Finesse, und er wälzte bei Tag und bei Nacht die dunklen Aussagen des Scotus. Beim Mahl hatte er zu seiner Linken ein offenes Buch liegen, in dem er beständig las, wenn er alleine war. Wenn er im Garten oder auf der Strasse spazieren ging, trug ein Diener ihm in einer Tasche das Buch nach, damit er, falls ihm nicht alles so vollständig im Gedächtnis haftete, wie er es wünschte, das Buch aufschlagen und die Stelle, über die er im Zweifel war, nachlesen könne. Schliesslich machen ihn seine vielfältige Gelehrsamkeit und die Disputationen, an denen er seine Freude hatte, wahnsinnig. Seine Verwandten passen sorgfältig auf ihn auf, damit er nicht Selbstmord begeht; doch umsonst. Als die Essenszeit naht, greift er sich ein Messer und durchbohrt sich, als gerade niemand anwesend ist, seine Kehle und setzt so mit seiner eigenen Hand seinem Leben ein Ende. Er war in Disputationen ein äusserst erbitterter Streiter gegen Eck und andere Sophisten, war geschickt im Lösen von Argumenten, auch wenn die vielfältige Gelehrsamkeit, von der er voll war, ihn unverständlich machte. Ich habe diese Geschichte hier einfügen wollen, nicht um etwas Negatives über diesen Mann zu sagen, sondern damit alle erkennen, in welchem Grad er sich der Lektüre der scotistischen Lehren aufs sorgfältigste gewidmet hat, damit wir uns dafür schämen, dass wir die Lektüre der Heiligen Schrift nur so nachlässig betreiben.

 

p. 211

Über einen Blitz vom Himmel. 1545.

Am 20. Juni verliess ein Maultiertreiber am frühen Morgen Basel; sein Herr wollte ihm eine Stunde später mit den übrigen Reitern folgen. Der Maultiertreiber wird auf freiem Feld vor einem Waldstück durch einen Blitzstrahl getötet, obwohl er um seinen Hals ein vom römischen Papst geweihtes Wachsstück, das man «Agnus Dei» nennt und von dem man behauptet, es verfüge über wunderbare Abwehrkräfte gegen Blitze und Stürme. An seinem ganzen Körper waren deutlich Brandmahle zu sehen, besonders an seinem Haupt und auf seinem Rücken. Das Maultier bekam von der gefährlichen Situation nur wenig mit. Es hatte sich nur mit ausgestreckten Beinen auf den Boden geworfen, vielleicht wegen der Last oder wegen des mit dem Blitz verbundenen Rauchs. Die nachkommenden Reisenden erschraken, als sie den Knecht fanden (manche sagten, es seien savoyische Gesandte auf dem Weg zum Kaiser gewesen) und kehrten sogleich nach Basel zurück, wo sie den elenden Tod des Knechts bekannt gaben, dem sie daraufhin ein ehrbares Begräbnis zuteilwerden liessen.

 

p. 280

Eine weitere Geschichte von Faust.

Ich habe in Basel mit ihm im grossen Kolleg gespeist, und er hatte zuvor dem Koch verschiedene Sorten von Vögeln zum Braten gereicht, von denen ich nicht weiss, wo er sie gekauft oder wer sie ihm gegeben hatte, denn zu dieser Zeit wurden keine Vögel zum Verkauf angeboten, und ich habe solche Vögel in unserer Region auch nie gesehen. Er führte mit sich einen Hund und ein Pferd, die meiner Meinung nach Teufel waren, die bereit waren, alles für ihn machen. Einige Leute haben mir gesagt, dass der Hund manchmal die Gestalt eines Dieners annahm und Essen auftrug. Doch dem Elenden wurde ein beklagenswertes Los zuteil, denn er wurde von Satan erwürgt, und sein Leichnam lag auf der Bahre beständig mit auf die Erde gerichtetem Blick, auch wenn man ihn fünfmal auf den Rücken drehte: Herr, behüte uns davor, dem Satan als Eigentum zu verfallen.

 

p. 292, 266, 300-301 (aufeinanderfolgende Seiten; der Drucker ist an dieser Stelle mit der Paginierung offensichtlich völlig durcheinandergekommen)

Die schaurige Geschichte von einem treulosen Priester. 1544.

Vor fünf Jahren fiel ein gewisser Johannes, Diakon im Bernbiet, von der evangelischen Wahrheit ab, zu der er sich einige Zeit bekannt hatte. Der Grund dafür waren seine angeborene Kampflust und besonders das Laster der Trunkenheit, an das er sich unter dem Papsttum gewöhnt hatte. Auf einer in Bern abgehaltenen Synode wurde er scharf getadelt, und das mit Recht, denn er hatte wegen seiner offen zutage liegenden Vergehen einen über das gewöhnliche Mass hinausgehendenden Tadel nötig; diese Vergehen hatte er zuhauf begangen, und er erregte dadurch in der Kirche viel Anstoss. Er ertrug diese Kritik nur schlecht, auch wenn sie nichts Erfunden oder Ausgedachtes enthielt, und das ging so weit, dass er sich mit einem bitteren Gefühl im Magen davonmachte (wobei er in seinem Geist noch schlechtere Gedanken wälzte) und sich mit dem öffentlichen Henker traf (er verliess nämlich seine in der Synode versammelten Mitbrüder, die über die kanonische Strafe berieten, die sie diesem Menschen auferlegen sollten); mit diesem zusammen trinkt er eifrig und betrinkt sich, wobei er zu jenem sagte, er sei nicht mehr würdig, mit den Dienern des Wortes zusammen zu essen oder zu trinken, sondern er sei nur noch würdig, sich in Gesellschaft des Scharfrichters zu vergnügen. Denn von diesen derart strengen Sittenrichtern erwarte er keinen Richtspruch, der sein Recht wahre. Als der Mensch eine gute Menge getrunken hatte, begann er sich mit dem Henker zu zanken und wird, als er sich trotz mehrfacher Ermahnungen weigerte, mit dem Streiten aufzuhören, die Treppe hinabgeschleudert. Als der elend Verwirrte sein Räuschlein ein wenig ausgeschlafen hatte, hatte er keine Ahnung, wohin er sich wenden sollte. Er fasste wieder Mut und erkundigte sich bei seinen evangelischen Brüdern, was für einen Richtspruch man über ihn verhängt hatte. Er wird für die Dauer eines Jahres (wie es bei ihnen üblich ist) seines Benefiziums und seines kirchlichen Amtes entsetzt und gebeten, in dieser Zeitspanne Busse zu tun und sein Leben zu bessern. Er versprach, er werde heiligmässig leben und dankt für diese christliche Besserungsmassnahme. Aber was geschieht? Er stimmte den Einflüsterungen Satans zu und begab sich aufgrund eines Gefühls übermässiger Verzweiflung eilig nach Radolfzell, einem kleinen Städtchen des Bischofs von Konstanz, und bat darum, von der Exkommunikation, die er aufgrund seines Verrates am Papsttum über sich verhängt glaubte, absolviert zu werden; er erklärte, er habe freiwillig und ohne äusseren Zwang gegen den Papst und die Messe gesündigt und schliesslich den von den Päpsten eingeführten Zeremonien seine Verachtung bezeugt und sich den Evangelischen angeschlossen; er bereue dies und werde künftig ein hervorragender Verteidiger des römischen Stuhls sein. Er wurde absolviert, nachdem er dem Evangelium Jesu Christi abgeschworen hatte. Man beschenkte ihn mit einem Benefizium in Breisach, wo er einige Monate lang seinen Auftritt als weinberauschter Pfarrer hatte. Die Bauern wollten ihn dann aufgrund seines schlechten Charakters und seines verdorbenen Lebens nicht mehr ertragen. Schliesslich kam er ins Elsass und bald wurde ihm aufgrund des Priestermangels im Dorf Hausen nahe der Reichsstadt Colmar das Amt des Pfarrers zugewiesen. Als die Bauern Kirchweih feierten, betrug er sich derart schändlich – durch sein Trinken, besonders aber durch sein Essen und das Singen obszöner Lieder, und das in einer öffentlichen Gaststätte –, dass die Bauern ihn, weil er seine Hose vollgeschissen hatte, aufs Übelste behandelten und ihm sein Überkleid hinterrücks abzogen; es war voll stinkender Scheisse, die sie ihm sogleich ins Gesicht warfen. Wenige Tage später vollbrachte er dasselbe, das heisst noch Schändlicheres, während eines Essens im Dorf Bennweiher. Dort war er derart betrunken, dass er seiner Sinne nicht mehr mächtig war; man hätte ihn als Tier, nicht mehr als Menschen bezeichnen können. Die Bauern hatten daran ihre volle Freude, sie sangen «Juchhe», um dem Priester ihre Verachtung zu bezeugen, und sie sagten zu ihm: «Was für ein Pfarrer, wie nüchtern er ist, wie sorgsam kümmert er sich um das Seelenheil in seinem Kirchsprengel. Werden die, die er auf das Sterben vorbereitet, in den Himmel der Betrunkenen kommen? Was für einen Gott wird er morgen in der Messe mit diesem weinstinkenden Atem erschaffen?» Ein anderer, der noch hartnäckiger als die übrigen war, sagte: «Auf, wir werden den ruchlosen Priester seiner Haare berauben, gib mir ein Messer, ich will das Amt des Barbiers ausüben.» Deshalb wurde der Priester geschoren, und er leistete nicht einmal Widerstand. Sie stopften ihm seine Haare in den Mund und zerrissen nach Art von Hunden seine Kleider. Und so wurde der Elende nachhause gebracht, wie ein verstandesloses Tier. Im selben Jahr war er am 15. August in der öffentlichen Gaststätte von Rappoltsweiler derart betrunken, dass er das Menschsein völlig ablegte. Er wurde vom Büttel ermahnt, nicht derart die Becher zu leeren; er gebe dadurch ein schlechtes Beispiel und vergehe sich an der Würde des Priestertums. Er gab ihm einen Kinnhaken und sagte dazu: «Es steht dir nicht zu, einen Priester Gottes zurechtzuweisen.» Es entsteht ein Tumult, der aber sofort beruhigt wird. Man setzte sich wieder und trank weiter um die Wette. Schliesslich ruft der Priester den Wirt und bittet ihn, ihm ein Zimmer aufzuschliessen, er wolle ein wenig schlafen. Er entfernte sich taumelnd, mit dem Körper hin und her schwankend, und stürzt die Treppe hinab, ohne dass ihn jemand gestossen hätte. Einige sagen, dass er von jemandem ein bisschen angefasst worden sei und deshalb gestürzt sei. Der Elende stirbt am nächsten Tag, ohne noch etwas zu essen oder zu trinken, ja ohne auch nur ein Wörtchen zu sprechen oder Gott um Barmherzigkeit zu bitten; es war eine verdiente Strafe für einen Apostaten. Solche Priester liebt das gemeine Volk, und sie sind die Berater der Vornehmen.

 

3, Aus Convivales sermones, dritter Band

p. 1-2

Ein sprechendes Götzenbild. Mosc. 77.

Die Menschen in Nowgorod verehrten einst besonders ein Götzenbild namens Perun, und zwar an der Stelle, wo nun das Kloster liegt. Nachdem sie sich hatten taufen lassen, wurde es entfernt, doch als sie es in den Fluss geworfen hatten, soll es flussaufwärts geschwommen sein; und auf der Höhe der Brücke soll man eine Stimme gehört haben: «Leute von Nowgorod, das soll euch an mich erinnern». Und gleichzeitig mit diesem Ausruf soll eine Stange auf die Brücke geworfen worden sein. Auch heute noch pflegt sich diese Stimme Peruns an bestimmten Tagen im Jahr vernehmen zu lassen; wenn sie sie hören, laufen die Bürger jenes Ortes zusammen und schlagen sich gegenseitig mit Stangen. Dadurch entsteht ein so grosser Tumult, dass der Präfekt ihn auch mit grosser Mühe kaum stillen kann.

Nachtrag.

Den gleichen Brauch bewahrten noch zu meiner Lebenszeit auch die Knaben von Basel an den Fasnachtstagen. Am Abend des ersten Fastensonntags kam nämlich eine grosse Menge junger Leute mit brennenden Fackeln bei dem Turm zusammen, der auf der Anhöhe neben dem Steintor steht (in dieser Vorstadt wohnt die Mehrzahl der Weber), der wegen seiner Höhe «Landwarte» heisst. Man kann von ihm aus nämlich fast den ganzen Sundgau überblicken und hat alle um die Anhöhen herum liegenden Felder zusammen mit den überaus lieblichen Wiesen klar vor Augen. Ich erkläre also, dass die Jugendlichen mit ihren Fackeln aufeinander einschlugen, bis Blut floss, und dass sie sich dabei oft schwere Verletzungen zuzogen, so dass der Rat sich gezwungen sah, diesen alten Brauch abzuschaffen, auch wenn man bis heute von einer Gewohnheit, die man nun einmal angenommen hat, kaum ablassen mag. Alljährlich schickt man Büttel an diesen Ort, die sich sehr bemühen, dass dort keine Jugendlichen zusammenströmen; wenn sie mit Drohungen nicht weiterkommen, vertreiben sie die Jungen, die herbeikommen, auch mit Stöcken. Woher dieser Brauch uns gekommen ist, ist ungewiss. Manche glauben, die Ahnen hätten dort «Bacchanalien» gefeiert, weil der Platz erhöht liegt, und sie hätten dort ein Feuer entzündet, das man von den benachbarten Gegenden aus ganz deutlich sehen konnte, wie sich ja auch heute noch in dieser Nacht überall in den benachbarten Dörfern eine Menge Bauern versammelt, die mit brennenden Fackeln auf die Anhöhen hinaufsteigen, einen Stapel mit zusammengesammeltem Holz entzünden und gut eine halbe Stunde bei diesem Feuer ausharren; dann kehren sie mit «Io»-Gesängen nachhause zurück; ihre Gesänge gelten dem so herrlich lodernden Holz. Obendrein bringen sie die ganze Nacht damit hin, dass sie sich besaufen. Jener extrem hohe Turm wurde im Jahr 1550 abgerissen und in ein äusserst starkes Bollwerk gegen feindliche Angriffe umgewandelt.