Über die Pest in Basel
Traduction (Allemand)
- Eine Beschreibung der Pest, die innerhalb von 70 Jahren siebenmal bei uns umgegangen ist.
Ich erinnere mich, dass die berühmte Stadt Basel, in der ich vor 77 Jahren auf die Welt gekommen bin und seit 56 Jahren als Mediziner tätig bin und seit 42 Jahren das Amt des Stadtarztes und eines Professors für Medizin bekleide, trotz ihrer günstigen geographischen Lage siebenmal auf elende Weise geplagt wurde, weil eine Zeit lang die Pest umging und in etwa jedem einzelnen Jahrzehnt zurückkehrte – und dies, obwohl diese Stadt aufgrund ihrer geographischen Lage und besonders ihrer Bauart und Reinlichkeit wegen in den Genuss einer reinen und heilsamen Luft kommt. Als Ursache dafür könnte ich – neben den Sünden, die Gott auf diese Weise zu einem festgesetzten Zeitpunkt zu strafen pflegt, wenn sie, da wir unbesorgt leben, zunehmen – auch eine natürliche Notwendigkeit namhaft machen, die darin besteht, dass, da alljährlich etwa doppelt so viele Menschen geboren werden, als umgekehrt durch andere Krankheiten zu Tode kommen (ich habe diese Beobachtung schon seit langem gemacht), die Zahl der Menschen innerhalb eines Jahrzehnts derart anwächst, dass es manchmal dieser (sozusagen) «Reinigung» bedarf, wenn es zu viele Menschen geworden sind und ihre Zahl nicht auf andere Weise, durch Krieg, Hunger oder einen anderen Schicksalsschlag vermindert wird; und deshalb erfasst die Pest, je länger sie auf sich warten lässt, dann um so mehr Menschen und richtet auch ein umso grösseres Gemetzel an, wie ich anhand dieser sieben Pestepidemien, von denen die einen schneller, die anderen langsamer wiederkehrten, aufzeigen werde. Ausserdem ist meiner Meinung nach eine nicht zu vernachlässigende Ursache für das häufige Auftauchen der Pest bei uns, dass, sobald sie anderswo, zumal in unserer Nachbarschaft, rast, die Infizierten gewöhnlich Zuflucht in dieser unserer Stadt suchen, die niemandem ihre Gastfreundschaft verweigert, und durch den Kontakt mit ihnen werden die Herbergen, wo sie sich aufhalten, infiziert.
- Die dritte Pestepidemie, die im Jahre 1563 und 1564 wild wütete, die sogenannte «Grosse Pest».
Diese Pestepidemie, die auf die zweite mit zwölf Jahren Abstand folgte, schlich sich im Jahre 1563, als ich die Heilkunst schon sieben Jahre betrieb und ich, während sie mir zu einer festen Tätigkeit wurde, schon einigen hundert Leuten meine Hilfe hatte zukommen lassen, von der niederdeutschen Region her auf dem für sie charakteristischen Ansteckungsweg bei uns ein und brach zuerst in der Winterzeit aus und wurde bald im folgenden Jahr 1564 so stark, zumal im Sommer und im Herbst, dass sie in dem kurzen Zeitraum, den sie bis zum Ende dieses Jahres währte, einen gewaltigen Schaden anrichtete. Und daher hat sie den Namen «Grosse Pest» erhalten; sie ist im folgenden Jahr weiter gezogen und hat auch an anderen Orten gewaltigen Schaden angerichtet.
Diese Seuche aber wütete, und sie befiel überall in der Stadt unzählige Menschen und tötete sehr viele. Es starben sehr viele Kleinkinder und erwachsene Diener und Dienerinnen; von denen, die erst jüngst im Sommer hierhergekommen waren, um in Dienste zu treten, entkamen nur wenige. Eine grosse Zahl von Bürgern, Kaufleuten, Künstlern und Handwerkern wurde mitsamt ihren Ehefrauen dahingerafft. Die Seuche war auch eine besondere Feindin schwangerer Frauen und befiel sehr viele, die ein Kind im Leibe trugen, und tötete sie, entweder mit dem Fötus im Leib oder nach einer vorherigen Fehlgeburt. Sie raffte viele Ratsangehörige und Angehörige der Akademie hinweg. Auch die Greise und die Altersschwachen verschonte sie nicht. Manchmal wurden in einer einzigen Grube mehr als zwanzig Leute zusammen begraben. Aus dem Hospital wurden Tag für Tag Leichen herausgetragen, die man in eine breit ausgehobene Grube legte, und man beerdigte sie nicht eher, als bis es 20 oder mehr waren. Kirchen und Plätze erschienen als menschenleere Stätten. Gross war die Trauer in der ganzen Stadt, und niemand näherte sich ihr mehr von aussen.
Aber auch von denen, die die Pest befiel, wurden durch Gottes Gnade viele entweder spontan oder durch ärztliche Hilfe wiederhergestellt. Darunter befanden sich bei mir daheim auch mein Vater und meine Mutter, beide in vorgerücktem Alter: Sie wurden von der wütenden Pest befallen; jener litt entsetzlich an einem Abszess und einer Beule, diese an sechs Beulen gleichzeitig, die in einen Abszess übergingen; doch sie kamen unbeschadet aus der Krankheit heraus, wie auch unsere zwei Mägde mitsamt einem Knaben und dem Diener. Auch mich, der ich mit ihnen zusammenwohnte und überall die Kranken besuchte, hat die göttliche Gnade beschützt, und ich habe damals keinen Schaden genommen, ausser dass an meinem Daumen ein rötliches Bläschen hervorbrach, als ich den Puls eines Sterbenden fühlte, der mit seinem Todesschweiss meine Hand nässte; sie verschwand aber noch in dieser Nacht, ohne irgendeinen anderen Schaden anzurichten. Das Gleiche geschah auch meinem Schwiegervater, der als Wundarzt den Kranken Beistand leistete, an seinem Fuss, wo zwei derartige Pestpusteln entstanden, die von sich aus wieder verschwanden, ohne dass sie Fieber zur Folge gehabt hätten.
Auch wenn die Zahl der Opfer gross war, verbreitete man über ihr genaues Ausmass allgemein ganz unsichere Angaben, da man damals noch keine Listen über die Verstorbenen führte (wie bei den letzten beiden Epidemien); sehr viele erhöhten sie auf 7.000, andere auf 10.000. Ich allerdings, der ich mich bis zum Ende inmitten der Opfer aufhielt und Listen über die hervorragenden Opfer geführt habe und mich mit den Geistlichen, die sie zu besuchen pflegten, über diese Sache ausgetauscht habe, bin der Ansicht, dass ihre Zahl die Marke von 4.000 kaum überschritten hat; das ist freilich immer noch viel für unsere Stadt, die zwar geräumig, aber nicht entsprechend bevölkert ist, und die damals alle, die sich wegbegeben konnten, verlassen hatten.
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Auf der Liste der Verstorbenen befanden sich dreizehn Ratsherren. Von den Angehörigen der Akademie befanden sich darunter der Rektor, Marcus Hopper, ein Jurist; Martin Borrhaus, ein Theologe; die Juristen Ulrich Iselin und Martin Huber; die Mediziner Johann Jacob Huckely und Johannes Acronius Frisius; ferner fünf Diener des Gotteswortes, viele Studenten und zwei Drucker, Nicolaus Episcopius und Hieronymus Curio etc.
Angesichts dieses Unheils verlangten die Kranken in hohem Grade nach ärztlichem Beistand. Die Ärzte gaben ihnen damals zumeist, wie auch ich, Theriakwasser zu trinken, um sie schwitzen zu lassen.
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Und weil ich verschiedene Gegenmittel auf ihre Wirkung hin untersuchte – wobei ich auch Ratschläge mit dem grossen Gessner austauschte (der im folgenden Jahr von der Pest dahingerafft wurde), wie aus seinen Briefen an mich hervorgeht – und ich vieles ausprobierte und ich dabei auch jenes bedeutende Gegenmittel des Mattioli in der vorgeschriebenen Weise hergestellt hatte, wobei ich die höchst auserlesenen Einzelzutaten von überall her zusammengesucht hatte, bediente ich mich besonders dieses Mittels mit glücklichem Erfolg bei der Heilung vieler Menschen und pflegte daraus besonders einen zum Einflössen bestimmten Trunk, den ich aus diesem Gegenmittel unter Beigabe von Branntwein und Zitronensirup hergestellt hatte (wie es in meiner Praxis beschrieben ist), zu verabreichen (und zwar die Quantität einer Unze bei der ersten Anwendung) und dies am folgenden Tag zu wiederholen. Ich könnte dies anhand vieler Beispiele und Berichte über von mir erzielte Heilerfolge beweisen, wenn ich sie mir zu diesem Zweck aufgespart hätte: Das wäre aber ziemlich überflüssig, da ich diese Berichte und die anderen Heilmittel, deren ich mich während dieser und der folgenden Pestilenzen bedient habe, in meiner Praxis hinreichend ausführlich thematisiert habe.
Für die Pest von 1610/11 hat Platter, wie schon erwähnt, genauere Aufzeichnungen hinterlassen, die auch Aufschlüsse zu Letalität und Mortalität gewisser Gruppen (Männer, Frauen, Dienstboten, Kinder) erlauben; hier sei nur erwähnt, dass die Letalität erkrankter Kinder extrem hoch lag; s. Lötscher (1987), 94-95.
Episcopius (zu Deutsch: Bischoff) betrieb mehr als drei Jahrzehnte lang mit Hieronymus Froben die berühmte «Officina Frobeniana», bis zu Hieronymus Tod im Jahr 1563; Froben führte die Offizin im Haus zum Lufft alleine, die im Haus zum Sessel gemeinsam mit Episcopius. Die Offizin im Haus zum Sessel wurde in der Familie des Episcopius weiterbetrieben. Wir greifen hier zurück auf F. Hieronymus, «Froben, Hieronymus», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 01.06.2015, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/041754/2015-06-01/ und A. Pfister, «Froben, Hieronymus», Neue Deutsche Biographie 5 (1961), 637-638, Onlineversion, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119678365.html#ndbcontent. S. auch den HLS-Artikel zur Basler Familie Bischoff: H. P. Fuchs-Eckert, «Bischoff», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 31.10.2002, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/021016/2002-10-31/.
Platter bezieht sich hier wohl auf drei Briefe (vom 23. August, 6. November und 20. Dezember 1564), die in C. Gessner, Epistolarum medicinalium libri III, Zürich, Froschauer, 1577, fol. 99ro-101ro abgedruckt sind; im erste Brief (99ro-100ro) gibt er Platter umfangreiche Ratschläge betreffend einiger gegen die Pest anzuwendender Arzneimittel etc.; im zweiten (100ro-100vo) fragt er ihn anlässlich eines aktuellen Todesfalls um Rat, wie er den Aderlass an hochschwangeren Pestkranken beurteilt; im dritten (100vo-101ro) spricht er u. a. von einem Büchlein über die Pest, das dieser Botschaft offenbar beilag; es handelte sich sicher um den deutschsprachigen Traktat, den er gemeinsam mit seinen Stadtarztkollegen Georg Keller und Caspar Wolf verfasst hatte; zu diesem s. (auch inhaltlich) Gunnoe (2019), 304-308 (ebd. 305 Aufzählung der Personen, an die Gessner den Traktat schickte, darunter auch Platter). Zu Beginn eines weiteren Briefes vom 28. Januar 1565 (101ro) teilt er Platter mit, dass die Pest in Zürich nachgelassen habe und freut sich, dass dies dem Vernehmen nach auch in Basel der Fall sei; er schrieb an Platter noch zwei weitere Briefe (5. Mai 1565 und ohne Datum; 101vo-102ro), in denen von der Pest nicht mehr die Rede ist.