Lebenserinnerungen

Traduction (Allemand)

Traduction: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von David Amherdt)


1. Einführung, Geburt, erster Unterricht (p. 3)

Da nun unser rätisches Vaterland zwanzig Jahre hindurch ununterbrochen von gefährlichen Unruhen und einer daraus resultierenden Rebellion unserer Untertanen und den darauf folgenden kriegerischen Katastrophen elend geschüttelt, verwüstet, zu Boden geworfen und unterdrückt worden, schliesslich aber durch Gottes Güte wieder aufgerichtet und wiederhergestellt worden ist, ich aber Fortunat von Juvalta, in diesen für unseren Freistaat traurigen Jahren gleichfalls vom Aufruhr in Mitleidenschaft gezogen worden bin und ferner, im Besitze eines öffentlichen Amtes, immer unter den lästigsten Sorgen litt und ständig Gefahren ausgesetzt war, habe ich den Entschluss gefasst, meine Lebenslaufbahn in geraffter Form öffentlich zu machen, um meinen Nachkommen eine Erinnerung an mich und eine lehrhafte Unterweisung zu hinterlassen.

Geboren wurde ich in Zuoz im Oberengadin am 19. August 1567; mein Vater war Vulpius von Juvalta, meine Mutter Anna Raschèr. Sie zogen mich ehrbar auf und schickten mich einige Jahre hindurch in die Schule, allerdings nur im Winter, wie das in dieser Region üblich ist. Schliesslich wurde ich nach Augsburg geschickt und besuchte dort zwei Jahre lang die St.-Anna-Schule.

 

2. An Hof des Churer Bischofs; Studien in Dillingen (p. 3-4)

Nach meiner Rückberufung aus Augsburg in die Heimat verbrachte ich ganze zwei Jahre, sehr zum Schaden meiner in dieser Zeit ganz unterbrochenen Studien, am Hofe des Herrn Fürstbischofs von Chur, Peter, meines Onkels mütterlicherseits, und beschäftigte mich mit viel mit dem Schreiben von Lehensbriefen und bediente in der übrigen Zeit dem Fürsten. Meine Jugend stand damals auf schlüpfrigem Boden, mitten unter Höflingen, von denen die meisten der Trunksucht und anderen Eitelkeiten, die mit Untätigkeit einhergehen, ergeben waren. Es muss jemand schon sehr zur Nüchternheit und Enthaltsamkeit geboren sein, um sich während seines Kontakts mit einer derartigen sittlichen und moralischen Korruption nicht zu beflecken.

Nach diesen zwei Jahren reiste ich nach Dillingen und studierte dort am Jesuitenkolleg zwei Jahre lang Rhetorik, Logik und Philosophie, und zwar mit einem Erfolg, der mich nicht reuen muss. Dort muss man keine Angst haben, dass die jungen Leute von Lastern infiziert und korrumpiert werden, denn alle unterliegen einer straffen und strengen Disziplin. Keinem wird der Gebrauch von Geld zugestanden, keiner darf das Kolleg verlassen und unnütze und nicht notwendige Ausgaben machen. Keinem sind aufwändige Kleider gestattet, damit er nicht durch sein Beispiel andere zum Dünkel verführt und damit die Eltern nicht durch verschwenderisches Verhalten ihrer Söhne mehr als billig belastet werden. Ich lobe und billige ihre Lehrmethode, ihren Eifer und ihre Sorgfalt; dennoch möchte ich keinem Reformierten raten, seine Kinder dorthin zum Unterricht zu schicken; sie bemühen sich nämlich ohne Unterlass, den jungen Leuten die papistischen Irrlehren und abergläubischen Überzeugungen tief einzuprägen, die man, wenn sie erst einmal tiefere Wurzeln geschlagen haben, nur schwer noch mit Stumpf und Stiel beseitigen kann. Nach einem Jahr erhielt ich aus meiner Heimat eine traurige und niederschmetternde Nachricht; ein Brief teilte mir mit, mein allerliebster Vater, von dem meine Hoffnung auf Fortsetzung meiner Studien abhing, sei gestorben, und man rief mich zugleich nach Hause zurück, um mich um das Familienvermögen zu kümmern, wofür meine Anwesenheit notwendig sei. Nichtsdestoweniger blieb ich noch ein ganzes Jahr in Dillingen; dann gehorchte ich schliesslich widerwillig meiner Mutter und meinen Verwandten, die mich in ernstem Tonfall nach Hause riefen.

 

3. Landammann des Oberengadins; die in Graubünden herrschende Korruption (p. 7-8)

Im Jahr 1597 wurde ich zum Landammann dieser Gerichtsgemeinde [des Oberengadins] gemacht und übte dieses Amt in genau den zwei Jahren aus, in denen ich auch immer wieder auf den Bundstagen der Drei Bünde vor der Versammlung Plädoyers im Interesse meiner Freunde hielt; danach liess ich mich von anderen überzeugen und übte dieses Aktivität weiter aus. Und das, obwohl, ich die Erfahrung machte, dass dieses beschwerliche Amt noch härter und beschwerlicher ist, als man allgemein denkt; Schuld daran war das Eklige, das ich herunterschlucken musste, aufgrund der zahlreichen Fälle von Richterkorruption.

Zwei Krankheiten hatten damals alle öffentlichen Führungsstellen unsere Heimat Rätien befallen, allzu ausgeprägte Amtserschleichung und Habgier. Diese hatten sich anfangs heimlich eingeschlichen und dann an Kraft und Ausmass zugenommen, und schliesslich waren sie so stark geworden, dass sie fast das gesamte Staatswesen infizierten und korrumpierten. Und so kam es, dass diejenigen, die nach Ämtern und besonders nach jenen lukrativen Führungsposten in den Untertanenlanden strebten, sich ihren Wunsch nur durch Amtserschleichung und Bestechung erfüllen konnten; alles war nämlich käuflich, nicht anders als andere Handelswaren. Wenn jemand auf dem Bundstag der Drei Bünde irgendeine Angelegenheit vorbrachte und seine Sache mit so klaren und gültigen Rechten abgesichert hatte, dass er an seinem Sieg nicht zweifeln konnte und es deshalb versäumte, sein Anliegen auch mit goldenen Schutzmitteln abzusichern; wenn sein Gegner aber, der kein Vertrauen in seine rechtlichen Ansprüche hatte, sich daher kräftigeren und wirksameren Schutzmitteln zuwandte, diesen allzu oft gebrauchten Künste, mit denen man sich die Stimmen der Abgeordneten oder Richter kauft; dann unterlagen meistens jene Rechte, obwohl sie vollste Geltung besassen, und die schlechtere Sache triumphierte. Wer freigiebiger gab, dem schrieb man auch höhere Rechtsansprüche zu. «Argumente», die man mit freigiebiger Hand vorbrachte, verliehen einer Sache mehr Gewicht als rationale Begründungen, die man sich aus den innersten Winkeln der Jurisprudenz zusammensuchte. Die Schamlosigkeit war so weit fortgeschritten, dass man auch Männer fand, die im Staat einigen guten Ruf besassen, die jede Scham ablegten und sich weder von Furcht vor Strafe noch Ehrlosigkeit davon abhalten liessen, sich um Lohn von Prozessführern anwerben zu lassen, um Richter zu verführen und zu bestechen. Sie liefen, gut mit Geld versehen, herum, und wo auch immer sie auf Richter trafen, verhandelten sie mit ihnen, und besiegelten den Kauf nach Einigung über den Preis durch sofortige Bezahlung, und wenn sie ihre Sache recht eifrig erledigt hatten, empfahl man sie sich als fleissige und in derartigen Angelegenheiten geübte und effiziente Leute. Es gab in jener Versammlung freilich auch ernsthafte Männer, mit Liebe zur Ehrsamkeit, Gerechtigkeit und dem Staatswesen, und sie verabscheuten diese schändlichen und abzulehnenden Gerechtigkeitsschachereien ernstlich, aber sie waren in der Minderzahl und besassen weit weniger Einfluss als jene. So kam es, dass einige diese Schandtaten ablehnten, mehr Leute sie begingen, andere sie durch Wegschauen begünstigten und alle schliesslich sie auf unwürdige Weise duldeten.

 

4. Rückzug vom öffentlichen Leben; Bilanz (p. 83-84)

Im Jahr 1641 habe ich angesichts meines zunehmenden Alters und Greisentums freiwillig auf die Gerichtsgemeinde Fürstenau verzichtet, die ich erst zwei Jahre lang und dann nach fünf Jahren Unterbrechung zwanzig Jahre hindurch verwaltet hatte, wobei mein Mandat alljährlich durch freie Wahlen ohne Amtserschleichung erneuert wurde; ich übte es in Zeiten aus, die für das Vaterland sehr turbulent und mit ständigen Gefahren verbunden waren. Die Gemeinde leistete Widerstand gegen meinen Rücktritt und beschwor mich mit vielen Bitten, weiter die Verwaltung auszuüben – fern seien dieser Aussage Neid und Selbstverherrlichung, es obsiege die Wahrheit –, doch weil ich der Ansicht war, die Gemeinde bedürfe meiner Hilfe nicht mehr so sehr und den Entschluss gefasst hatte, ein ruhiges Leben zu führen, entzog ich mich dieser Aufgabe und trat freiwillig von meinem Amt zurück. Ich war damals unschlüssig, ob ich nach Zuoz zurückkehren oder den Rest meines Lebens in Fürstenau verbringen sollte. Schliesslich zog ich das das Domleschg vor, sowohl wegen der Luftqualität als auch wegen der Region, die sich in einer besseren Verfassung befindet: Die Gesetze sind gerechter, die Sitte der Leute sind aufrichtiger, und die Leute sind nicht ehrgeizig, sondern ruhig und friedlich. Die seltenen Streitfälle werden unter Freunden geregelt oder von den Richtern gerecht entschieden. Wenn eine Partei sich benachteiligt fühlt, hat sie die Möglichkeit zur Appellation. Das trägt viel dazu bei, dass die Richter sich pflichtgemäss verhalten und nicht von der Gerechtigkeit abweichen und ihre Urteile dann aufgehoben werden, weil sie wissen, dass diese Urteile der Kontrolle anderer Richter unterworfen sind. Und so kommt es, dass sie, auch wenn sie Appellationsgerichte hinzuziehen können, sie doch auf sie verzichten können, so dass viele Jahre vergehen können, ohne dass ein Appellationsgericht einer Sache nachgehen muss. Im Engadin aber sind die meisten Leute ehrgeizig, neidisch und streitsüchtig, so dass wenige es nur wenige Werktage gibt, an denen die Gerichte nicht von Prozesslärm voll sind, wobei diese Prozesse mit so hohen Kosten geführt werden, dass man sich wundern muss, dass sie nicht vom Prozessführen abschrecken. Zwischen den Einheimischen gibt es nämlich kein Appellationsrecht, und deshalb sind die Richter meist durch Amtserschleichung gewählt worden und werden von keiner Furcht vor kritischer Aufsicht eingeschränkt und glauben, ihnen sei alles erlaubt und weichen oft auf die schändlichste Weise vom Pfad der Gerechtigkeit ab. Aufgrund dieser Erwägungen verkroch ich mich fast in einem Winkel von Fürstenau und führte vier Jahre lang ein ruhiges und von lästigen Pflichtbeschäftigungen unbeschwertes Leben, wie ich es mir lange gewünscht hatte. Aber leider widerfuhr mir ein unvorhergesehenes häusliches Missgeschick, das mich zwang, meine Meinung zu ändern und nach Zuoz umzuziehen. Dort wohnte ich in meinem dortigen Haus bei meinem Sohn, was nicht unangenehm war. Auch dort widerfuhr mir unerwartet etwas Unerfreuliches; aber ich tröste mich angesichts von Widrigkeiten damit, dass es keinen Sterblichen gibt, nicht einmal die Könige ausgenommen, der nicht manchmal mit beiden Seiten des Geschicks Erfahrung macht. Das Leben fliesst nicht immer im selben Schwung dahin; Böses ist mit Gutem vermischt; Trauriges folgt auf Fröhliches und Fröhliches auf Trauriges.

Einst wurde mir aus dem Prozessführen vor dem Bundstag der Drei Bünde alljährlich ein gewisses Einkommen zuteil, das zum Unterhalt meiner Familie beitrug und auch zu einem Wachstum meines Vermögens führte, und es tat dies, ohne mir ein schlechtes Gewissen zu bereiten, denn ich schloss niemals einen Vertrag, um Lohn zu erhalten, und forderte auch von niemandem etwas; was man mir auch freiwillig gab, ich war damit zufrieden. Aber jene für den Staat verhängnisvollen Wirren in den Jahren 1618 und 1619 und die darauf folgende Rebellion der Untertanen und das kriegsbedingte Unglück, das uns niederdrückte, haben mir diese Einnahmenquelle wieder weggenommen. Das Thusner Strafgericht zog mein Vermögen in Mitleidenschaft; meine Auslagen im Domleschg und im Engagin haben mein Vermögen um 1'000 rheinische Taler geschmälert. Betrug durch zahlungsunfähige Schuldner hat mein Vermögen um mehr als 5'000 rheinische Taler gemindert. Einst habe ich mich an der Auslosung des Amtes des Vicari und später auch an der Auslosung des Landeshauptmanns des Veltlin beteiligt, doch das Los fiel auf andere. Später habe ich begriffen, dass dies zu meinem grossen Vorteil geschehen ist und habe darin die väterliche Sorge Gottes und seine Hand erkannt. Wenn mir nämlich das Amt des Landeshauptmanns zuteilgeworden wäre, dann wäre ich in den folgenden Zeiten der Wirren in viele Schlingen gerichtlicher Verfolgung geraten und hätte den Ruin kaum vermeiden können. Gott hat gewollt, dass ich, gemäss dem Wunsch des Salomon, mit einem mittelmässigen Besitz zufrieden sei, so dass ich weder übermässig reich war noch unter hassenswerter Armut litt. Wem so viel zuteilwird, dass es genug ist, soll nichts weiter wünschen! So hat mich der allmächtige Gott durch günstige und widrige, angenehme und bittere, freudige und traurige Umstände hindurch in Trab gehalten und mich durch seine unendliche Milde und Güte von allen Widrigkeiten unverletzt bewahrt und bis in das Jahr des Herrn 1649 geführt, mein 82. Lebensjahr, in dem ich mit meiner greisenschwachen und zitternden Hand diese Erinnerungen niedergeschrieben habe.

Der allermildeste Vater und Herr möge mich für den Rest meines Lebens mit seinem Geist leiten und schützen und schliesslich durch sein Erbarmen zur ewigen Glückseligkeit führen! Ihm sei Ruhm, Lob und Ehre in Ewigkeit!