De poetica

Traduction (Allemand)

Traduction: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Virginie Leroux)


Einsamkeit ist für dichterische Betätigung besonders günstig. Kapitel 15

Nachdem ich bisher, Bruder, diejenigen Bestandteile beschrieben habe, die zur Ausübung fast aller geistigen Talente, besonders aber für die Ausübung der Dichtkunst sehr wichtig sind, muss ich nun zu den Vorteilen der Einsamkeit kommen, um zu zeigen, dass die Dichter bei der Kontemplation der Dinge nirgends so bequem geistige Fortschritte machen können als in einem Schlupfwinkel, der fernab von dem tartarusgleichen Tumult liegt, den die Sterblichen veranstalten. Auch wenn viele dieses Thema vor mir behandelt haben, habe ich dennoch beschlossen, in diesem Büchlein, das Dir gewidmet ist, kein Thema auszulassen, das Dich dazu bringen kann, die Dichtkunst mehr zu lieben oder besser zu kennen. Erstens kann man die Art von Einsamkeit, die einem schaffenswilligen Dichter zum Trost gereichen kann, nicht nur auf Feldern und in Tälern, sondern auch mitten in der Stadt herstellen, besonders wenn man seinen Geist nicht mit den Dingen der Aussenwelt beschäftigt und ihn nicht damit beunruhigt und sich eine störungsfreie Ruhe schafft; wenn dafür nicht gesorgt wird, wird das Alleinsein einem auch dann nicht zuteil, wenn man eine liebliche ländliche Gegend und abgelegene Bergwelt aufsucht. Denn einem Geist, der von beschwerlichen Gedanken in Beschlag genommen ist, wird auch eine liebliche Umgebung nicht helfen, wenn er sich nicht selbst freimacht; unter beschwerlichen Gedanken verstehe ich nicht so sehr, dass man sich fürchtet und etwas schlecht erträgt, sondern vielmehr, dass man zu viel begehrt: beiderlei Arten von Gedanken sind nämlich mit einer Angst verbunden, die den Scharfsinn eines arbeitswilligen Geistes mehr abzustumpfen und von der Arbeit abzuhalten pflegt, als sich in Worten ausdrücken lässt. Wenn aber jemand die Stadt nicht verlassen kann und nur in den ihm zur Verfügung stehenden Stunden allein sein will, kann er sich schon dann, wenn er in einen Raum geht, der vom Lärmen des Pöbels ein wenig entfernt liegt, wenn er von der Lektüre einer grossen Anzahl guter Bücher und Schriftsteller profitieren kann, selbst eine erstrebenswerte Einsamkeit schaffen, in der er nicht weniger als auf dem Land denken und fantasieren kann und mit den Musen und Apoll zu seinem höchsten Vergnügen jenes höchst angenehme Gespräch beginnt, das proletarische Wirtschaftsleute, die nur dem Schatten der Dinge nachjagen, nicht kennen und das Unwürdigen nicht zugestanden wird. Bei dieser Art von Studium hat die Musse einen derartigen Stellenwert, dass man sie nicht nur lobt, sondern dass sie die Gelegenheit für nahezu göttliche Taten bietet, und, wenn man den Vorzug berücksichtigt, der dem Geist zukommt, alle weltlichen Geschäfte an Umfang übertrifft: in ihm nämlich befinden sich die Zufluchtsorte des freien Geistes. Aber weil es für einen Stadtbewohner sehr schwierig ist, sich nicht mit Leuten zu treffen und unter Zerstreuung und Beschäftigung zu leiden, und umgekehrt gedankliche Arbeit, die man sich einmal vorgenommen hat, nicht wenig Musse- und Ruhezeit fordert, besonders wenn man eine scharfsinnige Erfindung machen oder sich angestrengter schriftstellerischer Betätigung hingeben will, meinen meiner Beobachtung nach fast alle, dass für Dichter diejenige Art von Einsamkeit besser geeignet ist, die sich von den weniger bedeutsamen Beschäftigungen der Sterblichen entfernt und sich aus der Stadt aufs Land begibt, das nach den Worten Menanders der beste Lehrer für Tugend und ein freies Leben ist und ein sehr angenehmer Wohnsitz für jemanden, der schlechte Menschen hasst. Da es dort viele Dinge gibt, die für die Glieder und Kräfte des Körpers besser geeignet sind, wie reine Luft, Möglichkeit zu sportlicher Betätigung, viel Wasser, der mit Hainen verbundene Genuss, ein nicht allzu ausgesuchtes und verschwenderisches Speisenangebot, ein ungestörterer Schlaf, ein tieferes Schweigen, so muss es dort notwendigerweise auch dem Geist selbst besser gehen, wenn er beim Ausblick auf die breit dahingestreckten und lieblichen Felder und angesichts dieser eifrigen Tätigkeit der vegetabilen Natur sofort beginnt, noch mehr Dinge zu bewundern und beim Anblick des Himmels und wenn beim langsamen Spaziergang durch die angenehme Wärme der Baumplanzungen zu meditieren beginnt, sich mit seinen Sinneswahrnehmungen auf sich konzentriert und besonders auf seinen Geist achtgibt, und dann jenen Furor trinkt, den nach allgemeiner Ansicht Hesiod getrunken hat, als die Musen ihn von den Feldern seines Vaters in die benachbarten Haine geführt hatten. Treffend sagt also Horaz im ersten Buch seiner Episteln:

…Mir gefällt nicht mehr das königliche Rom,
Sondern das menschenleere Tibur oder das unkriegerische Tarent;

Und an anderer Stelle im gleichen Buch schreibt er an Maecenas Folgendes:

Ich preise auch nicht den Schlummer des Plebejers, der sich mit Mastgeflügel vollgestopft hat,
Und ich vertausche meine völlig freie Mussezeit auch nicht mit den Reichtümern der Araber.

An dieser schön formulierten Stelle hat er angegeben, was sich für einen eifrigen Dichter schickt. Wie er nämlich einerseits meint, dass man sich von einer eines freien Menschen unwürdigen und plebejischen Musse fernhalten müsse, in der der Geist zu erstarren pflegt, so meint er andererseits, dass man an jener Art von Musse, von der wir zuerst gesprochen haben, so festhalten muss, dass man ihr auch den Glanz grösster Reichtümer nicht vorzieht. Derselbe Autor verflucht im zweiten Epistelbuch gegenüber Florus den Lärm der Stadt, der konzentriertere Studien beeinträchtigt, mit folgenden Worten:

Der ganze Chor der Schriftsteller liebt den Hain und flieht die Stadt,
Er ist seinem heiligen Brauch gemäss ein Klient des Bacchus, der seine Freude am Schlaf und am Schatten hat.
Willst Du, dass ich im nächtlichen und täglichen Lärm
Singe und den von den Dichtern ausgetretenen schmalen Pfad beschreite?
Ein Genie, das sich das menschenlehre Athen als Wohnsitz erwählte,
Und sich dort sieben Jahre seinen Studien widmete und über
Seinen Büchern und seinen geistigen Problemen alt wurde, kommt stummer als eine Statue von dort zurück
Und erregt dadurch sehr viel Gelächter im Volk; und ich sollte hier,
Mitten in der Flut der Geschäfte und in den Ungewittern der Stadt,
Mich damit beschäftigen, Worte aneinanderzureihen, die meiner Leier einen Ton entlocken?

Und kurz zuvor hatte er gesagt:

Von allem übrigen abgesehen, glaubst Du, dass ich in Rom
Gedichte schreiben kann, inmitten so vieler Sorgen und Arbeiten?

Deshalb ist es wahrscheinlich, dass die griechischen und lateinischen Dichter wegen jener für geistige Tätigkeit besser geeigneten Einsamkeit die Gaben des bäuerlichen Landes ausgiebig in ihren Gedichten gefeiert haben, und dass so viele Quellen, so viele liebliche Tempetäler, so viele Berge zumal in Griechenland durch Musengipfel und geweihte Dichterhaine aus keinem anderen Grund so viel Ruhm erlangt haben, als weil die Dichter beim Wandern in ihnen erkannten, dass sie innerhalb dieser Örtlichkeiten, die weit vom Wüten der Menschen entfernt liegen, eine ganz exquisite abgeschiedene Stätte gewinnen, an der sie tiefen Gedanken nachhängen können. Das war der Grund, dass inmitten von Waldhainen und abschüssiger Felsabhänge der so angenehme Gesang des Orpheus sogar dem tauben Eichenholz zu Ohren kam. Das war der Grund für die Gelehrsamkeit und den Ernst des Euripides, der in einer Höhle seine Gedichte ersann, die Jahrhunderte überdauern sollten. Und keiner soll sagen, wenn er sich nicht dem Vorwurf des Leichtsinns aussetzen will, dass es irgendein geistiges Monument gibt, dass nicht nach dem Scharfsinn eines einsamen Geistes riecht. Wenn wir das mit Blick auf die übrigen Studien für gültig erklären, um wie viel mehr müssen wir es von der Dichtkunst sagen, die von sehr grossen geistigen Bewegungen erschüttert wird und unzweifelhaft für sich einen grösseren Anspruch auf die Gelegenheit zu freier und ruhiger Betätigung erhebt. Bei Cicero wählen sich die Leute, die über Angelegenheiten von höchstem Gewicht disputieren, dafür Villen aus, und sie empfehlen dort laubreiche Eichen, mild brausende Wasserströme, liebliche Vogelgesänge, angenehm abgeschieden liegende Felder, so dass auch die Bäume, die damals dort standen und den Bächen, die damals dort flossen, gewissermassen ein ewiges Leben geschenkt worden ist, besonders durch die, die ihre ganze geistige Kraft offensichtlich in der Einsamkeit verströmt haben. Es steht fest, dass Platon inmitten dichter Baumhaine und auf weitausgestreckt daliegenden Feldern auch über die Dinge gesprochen hat, die er zum Nutzen der Menschen unternahm, wie über die Gesetze, über staatliche Einrichtungen und dergleichen mehr. Wer auch immer nämlich aus der Einsamkeit zurückkehrt, scheint eine Gottheit zum Gefährten zu haben, und keinen Worten wird bereitwilliger geglaubt als solchen, von denen man behauptet, man habe sie einsam in der Verborgenheit mit den Göttern ausgetauscht. Nicht umsonst hat Numa so getan, als habe er sich in der Abgeschiedenheit mit Egeria unterhalten. Es war nicht unpassend, dass Minos von Kreta die Höhle des Zeus aufsuchte, und auch Zamolxis war den Seinen kein unerwünschter Gast, als er aus seiner Höhle kam, weil man von jenen Menschen glaubte, sie seien den Göttern nie näher, als wenn sie alleine wären. Derart ausgeprägt verherrlicht die Gemütsruhe, die aus der Einsamkeit resultiert, das freie Gespräch unseres göttlichen Geistes mit sich selbst. Nur und einzig in ihr nämlich gibt es für diese Menschen eine Stätte, wo ihr Scharfsinn sich frei entfalten kann. Glaube mir aber, mein Bruder, dass ich von denen spreche, die einen guten und grosszügigen Geist haben, der sich zum Licht und nicht zur Finsternis neigt. Wie nämlich für jene, die schreiben möchten oder darüber nachdenken, was sie schreiben sollen, nichts besser ist als die Einsamkeit, so kann denen, die zum Laster neigen und keine Ahnung von der Literatur haben, nichts Lästigeres zuteilwerden als sie. Einsamkeit ohne Literatur ist nämlich ein Exil, ist ein Kerker, ist ein Marterinstrument; wenn man ihr aber die Literatur hinzufügt, dann ist sie eine Heimat, ist Freiheit und ein einzigartiges Vergnügen für den Geist, wie Petrarca geschrieben hat, ein standhafter und glühender Herold des einsamen Lebens, von dem auch jenes Verslein stammt, das er in seinem zweiten Buch von Das einsame Leben zitiert:

Der Wald gefällt den Musen, die Stadt ist eine Feindin der Dichter.

Und weil wir gerade Petrarca erwähnt haben, ist es keine Abschweifung von dem von uns gewählten Thema, wenn wir Dir seine Liebe zur Einsamkeit noch etwas ausführlicher beschreiben. Am Fusse der Alpen, wo sie auf die Provinz Gallia Narbonensis blicken, gibt es an einem Ort, den man allgemein Verschlossenes Tal (Vaucluse) nennt, eine Quelle mit reinem Wasser mit dem Namen Sorgia, die aufgrund ihrer wunderbaren Natur so einen Überfluss an Wasser hat, das sie von einer Höhle bezieht, die in einer weiter entfernt liegenden, schroff aufsteigenden Felswand liegt, dass sie von Anfang an ein prall gefüllter und aus eigener Kraft dahinströmender Bach ist, in dem Fische von bester Qualität leben; er mündet schliesslich in die Rhone, nachdem er viele Umwege durch die Felsen gemacht hat. Bei seinem Quellort hat Petrarca in noch jugendlichem Alter eine Hütte errichtet, womit er sich einen mussevollen Ruhesitz schuf, wie für einen von allen Turbulenzen des Heerlagers befreiten Veteranen; er lebte dort viele Jahre nicht nur frugal, sondern auch heiliggemäss, zufrieden mit dem kleinen Landgut, das er sich gekauft hatte, und teilte die Arbeit und das Essen seines Bauern. Wenn er Musse vom Beten und Betrachten fand, schrieb er das Gedicht über die Taten des Scipio, das er Africa nannte, ebenso ein bukolisches Gedicht und mehrere Episteln, am schönsten aber ist sein an Philipp, den Bischof von Cavaillon, adressiertes Buch von Das einsame Leben, in dem er die Zerbrechlichkeit und Unkenntnis der Welt und der Studien so sehr mit Verachtung bedenkt, so sehr auf das Rechte und das Wahre blickt, dass man nicht weiss, ob man in ihm eine Menschen oder etwas Grösseres als einen Menschen sehen soll; so gross ist seine Standhaftigkeit, so gross sein Eifer, so gross seine Ausdruckskraft, um gar nicht erst von der Glaubwürdigkeit seiner Argumente und seiner Logik zu sprechen. Die Anwohner kommen häufig an den Ort, wo er sein überaus heiliges und reines Leben mit einem seligen Tod beschlossen hat, und es leidet keinen Zweifel, dass sein Ruhesitz dort mit dem Fortschreiten der Jahrhunderte täglich mehr religiöse Achtung und Wertschätzung erhalten wird. Giovanni Boccaccio hat in diesem Sinne über Petrarca geschrieben, gleichsam um ihm, seinem höchst verdienstvollen Lehrer, den ihm gebührenden Dank abzustatten. Ich denke, dass Du schon erkennst, mein Bruder, was himmlisch gesonnene Geister der Abgeschiedenheit der Berge verdanken, was für ein Linderungsmittel die Geister der geistig Tätigen aus jener Musse des ruhigen Lebens beziehen. Ich möchte allerdings nicht gleichsam ein strenges pythagoräisches Schweigen verordnen und möchte nicht, dass jemand, der ein Dichter sein will, sich immer versteckt und sich von der menschlichen Geselligkeit wie ein Misanthrop oder ein Timon fernhält, auch wenn sich viele so verhalten haben mögen. Denn im Umgang der Menschen miteinander ist Lernen nicht so schön wie Lehren und das für viele zum Allgemeingut zu machen, was zuvor die Sorgfalt eines einzelnen Privatmannes herausgebracht hat; derart haben (wie Cicero im ersten Buch von De officiis schreibt) viele Philosophen, auch wenn sie jenen Teil des Lebens erwählt hatten, der sich mit der Betrachtung und der Erforschung des Wahren beschäftigt, ihre Musse gleichsam in menschliche Geschäftigkeit umgetauscht, wie es bei Platon der Fall war, dessen Akademie, auch wenn sie ausserhalb der Stadt Athen lag, dennoch für den attischen Staat fruchtvolle Ergebnisse in Gestalt grosser Taten hervorbrachte, die es zu vollbringen galt. Und Horaz beschwert sich nicht darüber, dass er sich in der Stadt befindet, sondern darüber, dass Florus ihn auffordert, in der Stadt zu schreiben. Wenn Ennius schreiben wollte, suchte er die Einsamkeit des Aventin auf; wenn er aber historische Erkenntnisse sammeln wollte, dann ging ihm nichts über den eng vertrauten Umgang mit seinen bedeutendsten Mitbürgern. Wenn es aber Männer gegeben hat oder heute gibt, die inmitten höchster Geschäftigkeit oder emotional aufgerührt von geistigen Beunruhigungen preiswürdige Gedichte schaffen, dann werden sie das der Qualität ihres Talents zuschreiben, dass so kräftig wirkt, dass seine Wirkung nicht von andrängenden Hindernissen aufgehoben wird, das so standhaft und unbesorgt ist, dass es auch inmitten beschwerlicher Geschäfte mit sich alleine zu sein scheint. Sie müssen selbst bekennen, dass es die besser haben, denen es beschieden ist, in Musse zu schreiben, als die, die mitten in geschäftiger Tätigkeit schreiben müssen. Plinius Caecilius legte einen solchen Wert auf seinen ländlichen Rückzugsort, dass er glaubte, sogar Leute auf der Jagd hätten dort viel Gelegenheit zum Nachdenken. Du kennst aus dem ersten Buch seiner Briefe die Worte, die er an Tacitus richtet:

Es gibt keinen Grund, warum Du diese Art des Studierens verachten solltest; es ist zum Erstaunen, wie der Geist durch das Auftreiben und die Bewegung des Körpers angeregt wird; schon die Wälder ringsum und die Einsamkeit und jene Stille, die bei der Jagd herrscht, bieten grosse Anregung zum Nachdenken. Wenn Du daher auf die Jagd gehst, darfst Du, soweit es nach mir geht, neben dem Brotkorb und der Trinkflasche auch Schreibtäfelchen mitnehmen; Du wirst die Erfahrung machen, dass Diana nicht mehr als Minerva in den Bergen umherschweift.

Soweit Plinius. Sein Lehrer Fabius Quintilianus vertrat eine ganz andere Meinung. Der nämlich sagt im zehnten Buch seiner Institutiones neben anderem, was er über die Art und Verfahrensweise bei höchst gelehrter schriftstellerischer Praxis erörtert, Folgendes:

Um schliesslich einmal das Wichtigste zu sagen: niemand kann bezweifeln, dass ein Geheimnis zugrunde geht, wenn man es diktiert, und dass ein Ort ohne Kritiker und ein möglichst tiefes Schweigen für Schriftsteller sehr nützlich sind. Man darf jedoch keineswegs auf Leute hören, die glauben, dass dazu Haine und Wälder am besten geeignet sind, weil jener freie Himmel und die Lieblichkeit dieser Örtlichkeiten den Geist emporheben und die Seele mit einem grösseren Gefühl von Seligkeit erfüllen. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein solcher Rückzugsort eher der Annehmlichkeit dient, als dass er zu ernsthafter Beschäftigung anregt. Denn was für Ergötzen sorgt, lenkt notwendigerweise von konzentrierter Beschäftigung mit der vorgenommenen Arbeit ab. Der Geist kann sich nämlich nicht mit gutem Gewissen ganz auf viele Dinge gleichzeitig konzentrieren, und wohin er auch blickt, verliert er aus dem Blick, was er sich vorgenommen hatte. Deshalb ziehen liebliche Wälder, vorüberfliessende Flüsse, begeisterndes Vogelgezwitscher auf den Zweigen der Bäume und die freie Möglichkeit, weit und breit Umschau zu halten, die Aufmerksamkeit auf sich, so dass diese Art von Vergnügen meines Erachtens eher zur Entspannung als zur Konzentration des Denkens beiträgt.

Soweit Quintilian, dessen Ansicht zu der des Horaz in Widerspruch zu stehen und unseren zuvor aufgestellten Behauptungen zu widerstreben scheint. Erinnere Dich aber daran, dass Quintilian einen Redner erzieht und keinen Dichter, wir meinen aber damit einen Redner, der sich immer in grösstmöglicher Nähe zur städtischen Verwaltung aufhalten muss; nachdenken und schreiben, vor allem aber auswendig lernen kann er aber besser in einer städtischen Einsamkeit als vielleicht auf irgendwelchen Äckern, sowohl weil er notwendigerweise Anteil an den bürgerlichen Geschäften nehmen muss, als auch weil er sich im abgeschiedenen Schweigen seiner privaten Wände besser sein Gedächtnistraining betreibt, um die Worte einzusaugen, die er unmittelbar danach vor einer Volksversammlung wieder aus sich ergiesst. Jeder schöne oder liebliche Sinneseindruck behindert nämlich das Auswendiglernen. Diese Art von Leuten wird also eher den Demosthenes nachahmen, der (wie derselbe Quintilian sagt)

Sich an einen Ort begab, von dem aus man keinen Laut vernehmen und von dem aus man nichts sehen konnte, damit die Augen den Geist nicht zwängen, sich mit etwas anderem zu beschäftigen.

Ja, wie wir ein für den Krieg taugliches Pferd in seiner zarten Jugend an den Klang der Trompeten gewöhnen, so dass es sich daran gewöhnt und vom Kriegslärm eher angestachelt wird, als dass es sich vor ihm als einem neuartigen schreckenserregenden Geräusch fürchtet, so werden sich zukünftige Redner mit dem grössten Volkslärm vertraut machen und auf den rhetorischen Wettstreit in schweren Auseinandersetzungen vorbereiten. Es steht fest, dass Demosthenes Ähnliches gemacht hat, der manchmal am Strand

Sich daran gewöhnte, dort, wo die Flut mit der grössten Lautstärke anbrandete, nachzudenken und sich nicht vor dem Lärm auf den Volksversammlungen zu fürchten.

Das Los des Dichters aber ist ein ganz anderes, seine Studienmethode ist eine andere; wir bestimmen für ihn freilich das Land nicht deshalb als Aufenthaltsort, damit er sich dort an der Ungezwungenheit und Lieblichkeit der Örtlichkeiten erfreut, sondern damit er gleichsam in der Herberge für höhere Gedanken, die ihm die Natur bereitstellt, spazieren geht, seine Sinneswahrnehmung auf sein Inneres konzentriert und sich in geeigneter Weise dort in der Ruhe verstecken kann, und damit er dort in guter Weile und mit einen Geist, der sich freigemacht hat von den Angelegenheiten des Marktplatzes, etwas Ausgereiftes gebären kann, das er dann noch rundum zurechtschleift. Schliesslich scheint uns, dass das Denken des Redners überall arbeitet, wo er ist, auch mitten in einer Volksversammlung und einer grossen Menschenansammlung, er sieht, sogar wenn er abwesend ist, die Leute, die er anklagt oder verteidigt, vor sich, lobt oder tadelt sie, und wenn er ein guter Redner ist, kann er es nur sein, weil er an den Staat denkt. Ein Dichter mag sich auch daran versuchen, die Taten von Menschen poetisch zu behandeln, und er mag mit seiner Feder die eifrigen Beschäftigungen derer nachzeichnen, die sich höchsten Ruhm erworben haben, indem sie sich mit solchen Dingen beschäftigten, die für das Wohlergehen des Staates von Bedeutung waren, und doch wird er das niemals besser tun als wenn er alleine ist, und nicht so sehr ängstlich darum besorgt ist, inmitten einer grossen Menge seine Ruhmespalme aufzupflanzen, und nicht mit seinem Mund, seiner Gestik und einer bis zur Erschöpfung getriebenen Bewegung seines Körpers für Aufsehen sorgt, sondern wenn er sich selbst treu mit den Monumenten tröstet, die sein Genie geschaffen hat, wenn er ein dankbarer Herold der Tugend, ein energischer Kritiker des Lasters und ein Künstler ist, der sich der Einsamkeit der Haine würdig erweist; auch grosse Männer aus dem Bereich der Religion haben gelehrt, dass dort unser Geist energischer zur Beschäftigung mit göttlichen Dingen angeregt wird, wie Paulus und Antonius, Hieronymus und Chrysostomus, und unzählige andere. Ambrosius sagt in dem Büchlein, das er über die mit dem Tod verbundenen positiven Aspekte schrieb:

Oft suchen wir die Einsamkeit auf, damit nicht das Gerede irgendeines Menschen in unser Ohr hineinsurrt, und unsere Seele, die einem Gedanken (gleichsam wie einem Pfad) nachgeht, vom Wahren ablenkt und ihre Konzentration schwächt.

Die Briefe des Hieronymus sind voll von Lobsprüchen auf die Einsamkeit. Bernhard pflegte im Gespräch mit seinen Freunden zu sagen, dass er das Verständnis der Heiligen Schrift erlangt habe, als er in Wäldern und auf Feldern meditierte und betete, und dass er keine anderen Lehrer gehabt habe als Eichen und Buchen. Cyprian empfiehlt in dem Brief an Donat über seine Konversion die Vorteile der Einsamkeit in sehr schöner Weise. Als Postskript werde ich noch die Worte des Cornelius Tacitus anfügen, die man in seinem Buch über das Wesen der unverdorbenen Beredsamkeit liest. Er sagt:

Haine und Lichtungen und selbst jene Abgeschiedenheit, die Aper getadelt hat, bereiten mir so grosses Vergnügen, dass ich es zu den grössten Vorteilen von Gedichten rechne, dass man sie nicht im Lärm verfasst, nicht, wenn man vor dem gegnerischen Prozessführer sitzt, auch nicht inmitten von Schmutz und dem Geheule von Verbrechern; sondern der Geist zieht sich an reine und unschuldige Orte zurück und geniesst das geweihte Salz: das sind die Ursprünge der Beredsamkeit, das ist ihr Heiligtum, in dieser äusseren Gestalt kamen die ersten zivilisatorischen Bequemlichkeiten zu den Menschen, und es ergoss sich in jene keuschen und noch mit keinem Laster in Kontakt gekommenen Herzen etc.

Ich weiss sehr wohl, Bruder, dass bei der Behandlung solcher Themen die Kritiker nicht immer übereinstimmen können, weil jeder seinen eigenen Kopf und seine eigene Meinung hat; deshalb möchte ich für die, die anders denken als ich, noch jenes Persiuswort anführen:

Es gibt tausend Arten von Menschen, und die Dinge haben verschiedene Farben,
Jeder hat seinen eigenen Willen und man lebt nicht nur mit einem einzigen Wunsch.

Mir jedenfalls gefällt die Einsamkeit, die man in den ihr zustehenden Stunden aufsucht, bei geistig beschäftigten Menschen so gut wie nichts anderes.