Brief an Zwingli

Traduction (Allemand)

Valentin Tschudi grüsst vielmals seinen Freund Zwingli.

Seit der Heimkehr unseres gemeinsamen Freundes Glarean habe ich Dir schon zwei Briefe geschickt, hochgelehrter Zwingli, einen mithilfe des Briefboten, der mir Deinen Brief hierher überbracht hatte, den anderen habe ich einem Mann aus Flandern, der mir seine Hilfe zusagte, zur Übergabe anvertraut. Ich zweifle nicht, dass der erste Dich erreicht hat; vom zweiten aber weiss ich das nicht, da die Tatsache, dass der Briefbote seine Heimat weit weg von uns hat und ein Ausländer ist, mich diesbezüglich nicht zuversichtlich stimmt. Den Grund dafür, dass Du mir nicht zusammen mit unserem gemeinsamen Freund Glarean zurückgeschrieben hast, habe ich von ihm selbst erfahren, nämlich, dass Du zwar willens warst, aber Deine hastige Rückkehr nach Einsiedeln Dich in Beschlag nahm, da dringliche Umstände Dir einen längeren Aufenthalt unmöglich machten; dennoch wird es für mich genug gewesen sein, dass Du Dich entschieden hast und entscheiden wirst, mich von überall her durch Deine höchst angenehmen und geradezu nektargleichen Briefe aufzuheitern, wenn Dir ein Bote und ausreichend Zeit zur Verfügung stünden (worauf Du bisher eifrig geachtet hast).

Was Du über meinen Magistertitel denkst, habe ich mit sehr grosser Freude erfahren: nämlich, dass Du mir stark davon abrätst und den diesbezüglichen Ratschlag meiner Freunde keineswegs billigst und sagst, dass durch diese nichtigen Titelchen ein Mannes nichts an Autorität gewinnt. Was von einem solchen Manne kommt, kann ich nur sehr billigen, und das umso mehr, als ich täglich sehen muss, in was für Schattenwelten sich die französische Jugend versteckt, mit was Unsinn, mit was für lächerlichen und skurrilen Dingen sie den Geist ihrer Jugend täglich tränken, ja sogar infizieren. Kein Gift ist nämlich so schädlich, so schnellwirkend wie diese viehbringende Sophistik (ich nenne sie geschwätzig und wortklauberisch); ich wollte verderbenbringend sagen. Aber wieso nicht viehbringend? Du könntest nämlich sehen, dass die in sie Eingeweihten wilde Bestien und sogar noch schrecklicher sind als diese. Ihr Urteilsvermögen ist ihnen entfernt worden, ihre Sinne sind erstarrt und, wie man zu sagen pflegt, übermoost, ihr geistiger Scharfsinn ist abgestumpft, und wie bei einem Echo ist bei ihnen geradezu nichts mehr von einem Menschen übrig als ein leerer Schall, den sie aber so verschwenderisch und so ausführlich von sich geben, dass selbst zehn Frauchen, die von Natur aus bei weitem zu geschwätzig sind, einem Sophisten darin nicht gleichkommen können. Hier sind es ganz andere Leute, als man sie in Wien oder Basel jemals zu Gesicht bekommt; wenn die aus Wien oder Basel hierherkämen, würde man sie zwingen, noch einmal mit den Knaben die Schulbank zu drücken. Und es vergeht kein noch so kleines Stück Zeit, in dem sie sich entspannten und mit anderen Angelegenheiten beschäftigten: Der ganze Morgen ist diesem Unsinn gewidmet; wenn es Frühstück- und Mittagessenszeit ist, oder die Zeit, wo man zur Erquickung des Geistes einen Spaziergang macht, dann ist dies der wichtigste Tummelplatz und die wichtigste Sorge. Was soll ich noch viele Worte machen? Sie verbrauchen den ganzen lieben Tag mit diesen Dingen. Ich glaube, dass sie sogar während der Gebetszeit mit Gott sophistisch verhandeln und versuchen, ihn mit ihren Argumenten zu überzeugen. Ich erinnere mich, dass unser Lehrer sie einst nicht ohne grossen Scharfsinn Gymnosophisten nannte, weil sie nachgerade jede Weisheit abgelegt haben und so von ihr entblösst handeln, wie manche Leute, die sich geistreich bemühen, die wahre Etymologie von Wörtern zu erforschen!

Es gibt hier im Vorstadtbezirk eine Kirche des heiligen Germanus, in der sie dem Vernehmen nach einst die Isis verehrt haben; es gibt noch einige Spuren aus dem Altertum, die darauf Bezug nehmen. Als wir einmal zur Erfrischung unseres Geistes einen Ausflug dorthin gemacht hatten, hielt sich dort gerade ein Franzose auf. Als die Rede zufällig auf die Parhiser kam, erklärte er das Wort etymologisch so: Pariser (wie er sie nannte) nenne man sie deswegen, das heisst aufgrund des Ausdrucks παρὰ καὶ ἴσιος, das heisst neben der Isis. Ich glaube, diese Interpretation hatte er sich im Kolleg aus dem Munde jener ängstlichen Philosophaster aufnotiert. Ach, könntest Du doch diese Theologen sehen, die als Säulen des Glaubens, so kindisch über ihre Quaestiones delirieren. Du wolltest bei ihrem Anblick lieber Demokrit als Momos sein; sie sind nämlich mehr lachhaft als tadelnswert, da man sie durch keinerlei Vernunftgründe überzeugen kann. Ach, auf wie elende Weise gehen sie mit dem guten und tüchtigen Mann um! Der verurteilt ihn zum Kreuz, jener zu Minos, dieser zu den Gemonischen Treppen. Nun hält man ihn für einen Richter, nun für einen Anwalt, wenig später für einen Heerführer und sogar für einen König. Daraufhin übergeben sie ihn von seiner Königswürde aus einem Büttel zur Geisselung. So wechselhaft ist sein Geschick. Auch Platon wird kein günstigeres Geschick zuteil, man verurteilt ihn zu den gleichen Strafen und schmückt ihn mit solchen Ehren. Doch sie selbst gehen nun mit verwegenen Reden derart aufeinander los, dass es manchmal den Eindruck macht, dass sie sich zusammenschlagen möchten. Sie erheben ihre Stimme, bis sie heiser sind und ziehen so stark vom Leder, dass es, wenn sie inmitten des Lärms der Umstehenden verbal explodieren, den Eindruck macht, dass sie ihre Stimmen mitten in der Arena verlieren. Noch mehr würdest Du lachen, wenn Du sähest, was für subtile, geradezu magistrale Quaestiones sie behandeln. Du würdest in der Tat sagen (um es mit einem Sprichwort zu sagen): τί ταῦτα πρὸς ἕρμην [Was hat das mit Hermes zu tun?], oder: Was hat das mit Christus zu tun? Aber, was noch dümmer ist, sie kümmern sich keinen Deut um die geistig überaus wachen Kirchenväter Hieronymus und Augustinus und bezeugen ihnen Verachtung. Aber wie überaus gut nehmen sie John Mair, Autissidorensis mit seinem grossen Namen, Durandus und einige andere auf, die sogar noch ungelehrter sind als die genannten, die sie wie Orakel verehren: Was verheissen die Namen dieser Leute nicht schon, wie man zu sagen pflegt, auf den ersten Blick anderes als Barbarentum, unvollendete, ungelehrte und argumentreiche Arbeit? Aber ich halte mich zurück.

So viel vom Studium in Paris, nicht so sehr, weil ich der Meinung bin, dass Du das nicht schon weisst, als vielmehr, weil ich diese erzblöden Menschen mit ihren Rätseln und unlösbaren Spitzfindigkeiten so sehr verabscheue. Es ist nicht so, dass ich vor der Philosophie zurückschaudere, ja ich habe sogar entschieden vor, sie zu erlernen, wenn sich die Gelegenheit dazu böte; aber ich werde niemals auf solche Lehrer zurückgreifen, die das Weisse schwarz machen, das Glatte rau machen, das Entwirrte wieder verhüllen, die Wahrheit verkehren, gelöste Fragen durch wunderliche Gedankenknoten verkomplizieren und die Philosophie in eine μωροσοφία [Narrenweisheit] umwandeln. Ich werde dennoch studieren, auch wenn ich mir diese Leute niemals anhören werde, wenn es mir nur möglich ist, den Unterricht solcher Lehrer zu geniessen, wie ich sie bisher hatte, und Du sollst nicht daran zweifeln, dass ich mich in dieser Beziehung niemals vernachlässigen werde.

Lebewohl, und hoffe zuversichtlich, wie Du immer bezüglich meiner Person gehofft hast. Aus Paris, am 21. Juni 1518.

An Ulrich Zwingli, einen eifrigen Rächer der Wissenschaft, seinen allerliebsten Lehrer. In Einsiedeln, etc.