Ein Brief der vom Papst und dem französischen König in Ketten gelegten Zürcher Freiheit an Ulrich Zwingli
Traduction (Allemand)
Einführung (1-24) | |
Der Brief, den Du liest, Zwingli, kommt zu Dir von einer geraubten Jungfrau, | |
Eine deutsche Hand hat ihn nur wenig gut auf Latein geschrieben. | |
Vielleicht aber scheine ich vielen allzu kühn zu sein, | |
Und eine Beherztheit zu besitzen, die grösser ist als es meinem Geschlecht entspricht. | |
Aber ich, wehe ich Arme, leide krank an den Schmerzen, | 5 |
Welche die aufstören, welche Geschlecht und Scham vergessen hat. | |
Ich hoffe, es kann nicht schändlich erscheinen, | |
Wenn ich gute Abhilfe gegen meine Fesseln suche. | |
Wenn Du dennoch nicht weisst, wer ich bin, erfahre es rasch in einigen Worten, | |
O Zierde und erster Ruhm unseres Bodens. | 10 |
Mich hat BRUN einst gezeugt, als er für das Vaterland | |
Und die Laren starke Geschosse energisch zur Hand nahm, | |
Und meine Mutter war die Glorie des Zürchervolkes, | |
Pistis, und mein Name ist Eleutheria. | |
Als mein Vater starb, befahl er, da er mich mit der armen Mutter zurückgelassen sah, | 15 |
Ich solle die Erbin seines Namens sein. | |
Aber weil ich in meinen ersten Jahren noch nicht stark genug war | |
Und das Gewicht der mir zuteilgewordenen Last nicht tragen konnte, | |
Und da die Mengen, die Adelstitel tragen, Betrügereien und hitzige Angriffe | |
Gegen mein Alter vorbereiteten, | 20 |
Und da meine Mutter so bedeutende Kräfte nicht zügeln konnte, | |
Bin ich als ganz zarte Jungfrau Männern anvertraut worden, die es wert waren. | |
Sie waren meine Vormünder, sie haben die Kränze, die mein Vater | |
Erworben hatte, mit trefflicher Hand bewahrt. | |
Über den Papst und die Mönche (185-218) | |
Unter den ersten ist da herrlich in seinem glänzenden Gewand | 185 |
Der, dessen schändliches Haupt die dreifache Krone schmückt. | |
Wenn es mir gestattet ist, wenn es Worten möglich ist, | |
Kann ich ihn mit Recht die Pest von Italien nennen. | |
Ihn, der wie ein Fuchs mir mit Trug und List nachstellt | |
Und als erster reissende Wölfe auf meine Felder geschickt hat. | 190 |
Indem er in seinem Sinne viele Heucheleien ersann, | |
Hat er meinen weissen Nacken unter ein hartes Joch gepresst. | |
Hat er doch, während er alles mit seinem lykaonischen Schlund verwüstet, | |
Unzählige Betrügereien und Listen erfunden, | |
Und wohin schwer zu gelangen ist, dorthin schickt er seine Blitze, | 195 |
Den Soldaten und den unterirdischen Führer des Tartarus. | |
Ihm steht eine Art von Menschen zur Verfügung; etwas Monströseres als sie | |
Beherbergt nicht der offene Himmel, nicht Erde und Meer. | |
Kommen sie doch, eine sehr betrüblich stimmende Schar, in Kutten | |
Und verbergen ihren Geist hinter vorgespielter Religion. | 200 |
Und die, deren gefrässige Mäuler man zubinden sollte, | |
Deren trägen Leib umschnürt eine kreisförmige Schnur. | |
Sie können alles nachahmen, was es im Meer und auf der nährenden | |
Erde gibt und im schönen Palast des bunten Himmels. | |
Sie sind sich nicht alle gleich, ihre Gewänder haben | 205 |
Verschiedene Farben, jeder trägt eigene Kennzeichen. | |
Den erfreut eine blasse Farbe, der trägt Helles, | |
Der trägt einen Habit wie eine geschwätzige Elster. | |
Diese schickte mir der Verbrecher aus der Gegend von Rom, | |
Sie sollten mich täuschen und in schlimme Gefahr bringen. | 210 |
Als ich sie sah, folgte ich ihnen in frommer Gesinnung | |
Und glaubte naiv, sie seien Götter vom Himmel. | |
Nachdem sie mich durch süsse Worte (an denen es ihnen | |
Nicht mangelt) eingefangen haben zerren sie mich, die Verlockte, in ihren Betrug und in ihre Fallstricke hinein. | |
Ich habe nicht eher gemerkt, dass meine zarte Rechte in Ketten gelegt worden war, | 215 |
Als bis eine harte Kette meine zarte Hand drückte. | |
Was ich nachher sah, als ich von dem Beginnen Abstand nehmen wollte, | |
Ach, ich Arme bin nicht genug, nicht in geeigneter Weise vorsichtig gewesen. | |
Über den Papst (235-252) | |
Schau Dir sein Leben und seinen Lebenswandel an: Du siehst, | 235 |
Dass sein Leben keine Ähnlichkeit mit dem des Petrus hat. | |
Petrus war arm, dieser ist prachtvoller als jeder König, | |
Jener zähmt Könige, jener unterwirft Heerführer. | |
Petrus widmete sich dem Gebet und verehrte die heiligen Worte | |
Und gab den darauf erpichten Schafen die ihnen erwünschten Weidegründe. | 240 |
Die Schande des Römervolkes vertreibt die Schafe von den Feldern | |
Und treibt die herausragenden Heerführer zu den eisernen Waffen | |
Und während ich mich bemühe, den französischen König zu vertreiben, | |
Bereitet er mit unwürdiger Kunstfertigkeit Listen vor, | |
Der Perfide hat mit seinem Trug und seinen Listen so viel Böses getan, | 245 |
Dass ich Arme von allen, ach, auch von mir beweint werden musste. | |
Er führte meine jungen Leute in furchtbare Gefechte weg | |
Und liess sie einen schlimmen Tod sterben. | |
Dann zerrte er mich, die ich mich lautstark energisch auf mein Recht berief, | |
Mit verwirrten Haaren in seine Fesseln. | 250 |
Darüber jammere ich, festgehalten und trauernd, in dem traurigen Kerker, | |
Soweit es erlaubt ist, beklage ich nun mein Geschick. | |
Wilhelm Tell, Brun und die Mordnacht (359-398) | |
Schau Dir die strahlenden Taten des Bergbewohners Wilhelm an, | |
Dem die Tapferkeit seines Geistes schöne Ehrennamen verlieh. | 360 |
Ihn zwangen die Befehle des allzu wilden Tyrannen | |
(Befehle, die ihrem Erfinder bald schaden sollten), | |
Einen Apfel, der auf das Haupt seines Sohnes gesetzt worden war | |
(O was für ein Frevel), mit einem Pfeil wegzuschiessen, den die väterliche Hand entsandte; | |
Mit Hilfe von gerade einmal zwei Gefährten vertrieb der Kühne | 365 |
Tapfer jene frevelhaften Männer. | |
Oder es möge dich der rühren, der, vom waldreichen Gebirge heimgekehrt, | |
Feststellte, dass bei ihm zu Hause ein Bad für seinen Herrn vorbereitet war; | |
Und er zögerte nicht, weil der den Beischlaf mit seiner Ehefrau versuchen wollte, er schlägt ihm | |
Wild mit seiner Holzfälleraxt den gottlosen Hals durch. | 370 |
Oder wenn Dich die Angelegenheiten von Zürich vielleicht mehr rühren können: | |
Diese Stadt besitzt, was Du machen kannst und was Du befolgen kannst. | |
Du siehst diese nachahmenswerten frommen Taten unseres Vaters, | |
Der die grässlichen Männer aus der ächzenden Stadt vertrieb. | |
O wie grosse Trauer und wie grosse Schmerzen hat sie ertragen, | 375 |
Während die Feinde dem Vaterland sehr grosse Gefahren bereiteten. | |
Ach, auch nun stockt mein Herz vor Frost, | |
Da ich mit sorgfältiger Erinnerung mich entsinne, was jener ertrug, | |
Indem ich mich an die Nacht erinnere, in der jetzt die feindliche Geschosse | |
(Ach) sich in arglistiger Weise in unserem Hause versteckten. | 380 |
Als jetzt die feindliche Schar über die Kreuzwege stürmten | |
Und Stadt und Vater schon durch Listen verraten worden waren, | |
Und die Feinde hatten im Sinne, nicht einmal das Ungeborene zu schonen, | |
Das noch in seiner schwangeren Mutter geschützt verborgen liegt. | |
Und als der Diener des Vaters, von Liebe zum Vaterland angerührt, | 385 |
Tapfer für den Vater und für das Vaterland fiel, | |
Damals war ich klein und auch erinnere ich mich nicht gut an alles; | |
Aber meine Mutter hatte es mir häufig erzählt. | |
Denn sowie der Vater bemerkte, dass schon sehr viele Häuser eingenommen waren | |
Und die Geschosse sich schon im Schosse der armen Stadt verbargen, | 390 |
Da läuft er geradewegs hinaus, dorthin, wo das Rathaus auf die hohe Brücke | |
Blickt, und ruft die Bürger zu einem tapferen Waffengang auf. | |
Aber jene kämpfen tapfer innerhalb der hohen Mauern | |
Für das Vaterland, für ihre Kinder und Ehefrauen. | |
Und Gott unterstützte diesen Versuch mit seiner günstig wirkenden himmlischen Kraft, | 395 |
Schon gingen nämlich die elenden Scharen der Feinde zugrunde. | |
Die, welche zuvor, geschützt durch Betrug und List, gekommen waren, | |
Fallen in einem umso schwereren Fall die Länge der Mauern entlang herab. | |
Schluss (463-474) | |
Wenn Du das Einzelne nun mit eifrigem Sinne erwägst, | |
Zweifle ich nicht, dass Du Dich von meinen Bitten rühren lässt. | |
Was auch an Menschen hier übrig ist, wir vertrauen auf Dich. | 465 |
Komm endlich, unser Hafen und unser Lufthauch. | |
Ich wollte freilich mehr schreiben, doch das verbietet die Zeit. | |
Und schon beschwert die harte Fessel die grazile Hand. | |
Aber vielleicht konnte schon dies Dir allzu viel erscheinen, | |
Dafür entschuldigen mich bei Dir meine Fesseln und mein Schmerz. | 470 |
Nimm es mit bereitwilligem Geist auf, während Du es durchliest, | |
Stelle Dir vor, dass meine Tränen den Worten zur Hilfe kommen. | |
Bleibt noch, den Brief mit einem gewohnten Schluss zu beschliessen, | |
Einem, den die, die dies schickt, selbst nicht hat, einem LEBEWOHL. |