Trauerrede auf König Vladislav II.
Joachim Vadian
Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt). Version: 10.02.2023.
Entstehungszeitraum: 1516.
Handschrift (Autograph): St. Gallen, KB Vadiana SG, VadSlg Ms 65, fol. 52ro-57ro, hier: 53vo-54ro und 56ro-56vo.
Ausgabe: Joachim Vadian, Lateinische Reden. Herausgegeben, übersetzt und erklärt von Mathäus Gabathuler, St. Gallen, Fehr, 1953, 100-111 (mit deutscher Übersetzung), hier: 102, Z. 28-104, Z. 15 und 108, Z. 13-26.
Am 13. März 1516 verstarb in Ofen Vladislav II. (⁕1. März 1456 in Krakau), König von Böhmen und Ungarn, an den heute noch der während seiner Herrschaft eingerichtete Vladislav-Saal auf der Prager Burg erinnert. Seit dem 29. September 1502 war Vladislav mit der französischen Prinzessin Anne de Foix-Candale (1484-1506) bis zu deren Tod verheiratet gewesen. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor: der Thronfolger Ludwig II. (1506-1526), der letzte böhmisch-ungarische Jagellonenkönig, sowie die Prinzessin Anna (1503-1547). Letztere wurde am 22. Juli 1515 im Rahmen der «Wiener Doppelhochzeit» dem österreichischen Erzherzog Ferdinand (1503-1564), dem späteren römisch-deutschen König Ferdinand I., versprochen. Damals wurde sie jedoch zunächst stellvertretend für den in Spanien weilenden Ferdinand mit dessen Grossvater, Kaiser Maximilian I. (1459-1519), verheiratet; Maximilian sicherte zu, falls ein Ehevertrag mit Ferdinand nicht innerhalb eines Jahres zustande kommen sollte, Anna auch faktisch selbst zur Frau zu nehmen. Der Ehevertrag wurde aber innerhalb dieser Frist geschlossen. Die tatsächliche Hochzeit mit Ferdinand fand jedoch erst am 26. Mai 1521 in Linz statt. Infolge dieser Heirat wurde Ferdinand nach dem Schlachtentod König Ludwigs II. bei Mohacs 1526 König von Böhmen und Ungarn; die ungarischen Barone wählten jedoch einen der ihren, Johann Zápolya (1487-1540), zum Gegenkönig. Die hochgebildete, mehrsprachige und für ihre Frömmigkeit bekannte Anna wurde von Ferdinand gemeinsam mit dem Bischof von Trient als Vorsitzende seines Hofrates eingesetzt. Die 25 Jahre währende Ehe des Paares gilt allgemeinhin als glücklich.
Vor dieser Frau – die er hier noch als Frau Kaiser Maximilians anzusprechen hat (57ro) – hielt Vadian am 15. Juni 1516 anlässlich einer Trauerfeier (vermutlich einer Messe, in der also Vadians Rede an die Stelle der Predigt trat) für ihren etwa drei Monate zuvor verstorbenen Vater Vladislav eine Leichenrede. Die Aufgabe wurde dadurch erschwert, dass Vladislav zwar ein ehrenwerter Charakter, seine Bilanz als Herrscher aber eher durchwachsen gewesen war. Der Adel in Böhmen und Ungarn hatte seine Vorrechte zum Schaden des Königs gemehrt, Vladislav hatte den Habsburgern enorme Zugeständnisse machen müssen – nämlich die Thronfolge in Böhmen und Ungarn, falls die männliche Linie der Jagellonen erlöschen sollte, was 1526 ja tatsächlich eintreten sollte – und auch gegenüber den Türken unglücklich agiert. 1514 hatte er sich in Böhmen einem gemeinsamen Aufstand von Kreuzfahrern und Bauern gegenübergesehen, den er nur mit grosser Mühe und Brutalität niederschlagen konnte. Vadian umgeht diese Schwierigkeit, indem er zum einen die Leistungen von Vladislavs Vorfahren hervorhebt, und zum anderen dem Verstorbenen Eigenschaften und Leistungen beilegt, die zwar den traditionellen Topoi des Herrscherlobs entsprechen, aber keinen wirklichen Anhalt in der historischen Realität finden (dies gilt besonders für die von Vadian hervorgehobenen militärischen Auseinandersetzungen mit den Türken).
Im Folgenden eine grobe Gliederung der ganzen Rede mit den jeweiligen Hauptgedanken (die Stellenangaben in Klammern beziehen sich auf die Blattangaben des Autographs gemäss der Edition von Gabathuler):
- Einführung (52ro-52vo): Der Tod eines Fürsten wird mit Recht mehr beklagt als der eines Privatmanns; Überleitung zu Vladislav.
- Die Leistungen von Vladislavs Vorfahren und Familie (52vo-53vo).
- Vladislavs vortrefflicher Charakter als Herrscher (53vo-54ro).
- Vladislavs militärische Bilanz, inklusive Relativierung seiner Niederlagen (54ro-55vo).
- Vladislavs vortreffliche Nachkommenschaft (55vo-56ro).
- Vladislavs gutes Verhältnis zu Kaiser Maximilian (56ro).
- Vladislavs Tod ist zu ertragen, da auf ihn Ruhm folgt (56ro).
- Trostworte an Anna (56vo-57ro): Ihr Vater ist in der ewigen Seligkeit; und ihr bleiben ihr Onkel Sigismund, ihr Bruder Ludwig und Kaiser Maximilian.
Insofern unsere Rede dem Lob des Verstorbenen und dem Trost seiner hinterbliebenen Tochter dient, ist sie vor dem Hintergrund der antiken Panegyrik und der Trost bzw. Consolatio-Literatur zu betrachten. Eine detaillierte Untersuchung der von uns hier ja nur auszugsweise vorgestellten Rede unter diesem Gesichtspunkt kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Zumindest sei darauf hingewiesen, dass Vadian in unserem Text (vgl. unsere entsprechende Anmerkung zum lateinischen Text) sich an einer Stelle auf einen populärphilosophischen Topos bezieht, den er bei Horaz vorgefunden hatte (Hor. ars 63, debemur morti nos nostraeque – «Wir und was wir unser heissen, müssen notwendig sterben»).
Bibliographie
Gabathuler, M. (Hg.), Joachim Vadian, Lateinische Reden. Herausgegeben, übersetzt und erklärt von Mathäus Gabathuler, St. Gallen, Fehr, 1953.