Geistliche Oden

Athanasius Gugger

Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt). Version: 22.07.2025


Entstehungszeit: terminus ante quem ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung.

Ausgaben: Odarum Sacri Libri IV de sanctis, quos Ecclesia Romana publice per annum veneratur, St. Gallen, Klosterdruckerei, 1664, 27-28; 34-36; 96-100; 315-317; 326-328; 438-441; 473; zweiter Druck 1693.

Vergleichstext zu Text 5: Hymnorum Sacrorum Libri IV. de Sanctis quos S. R. Ecclesia publice per annum veneratur, St. Gallen, Klosterdruckerei, 1661, 216-217.

Metrum: Alcaicum (Texte 1, 2 und 3); Sapphicum (Texte 4, 5, 6 und Vergleichstext zu 4).

 

Der Autor: ein Mönch aus St. Gallen

Die folgende Einführung zu Athanasius Gugger und einigen seiner Gedichte dient, wie es dem Zweck dieses Portals entspricht, einer ersten Orientierung. Eine wesentlich vertieftere Betrachtung von Guggers lyrischem Werk bieten wir an anderer Stelle.

Jakob Gugger wurde am 8. August 1608 in Berneck (heute Kanton St. Gallen) in der eidgenössischen gemeinen Herrschaft Rheintal geboren, wo das Kloster St. Gallen über umfangreichen Grundbesitz verfügte. Am 5. August 1625 wurde er nach dem Besuch der St. Galler Klosterschule als Novize ins Kloster aufgenommen, am 24. August 1626 legte er die Profess ab und vertauschte seinen Taufnamen mit dem Ordensnamen Athanas(ius). Am 25. Mai 1530 wurde Athanas zum Subdiakon geweiht, am 2. April 1631 in Konstanz zum Diakon, am 4. Juni 1633 ernannte man ihn zum praeceptor humanitatis, am 1. Januar 1635 zum Lehrer der Humanisten, am 1. März 1635 erhielt er wiederum in Konstanz die Priesterweihe. Er muss früh seine intellektuelle Begabung unter Beweis gestellt haben, denn bereits 1635 dispensierte der Abt ihn zugunsten seiner theologischen Studien teilweise von seinen geistlichen Pflichten und ernannte ihn zum praceptor omnium exterorum scholarium. Im Herbst 1635 vertraute man ihm an der seit 1624 bestehenden klostereigenen Schule auf Mariaberg bei Rorschach acht Schüler an, am 2. Januar 1636 auch alle anderen dortigen Schüler. Ab Juni 1637 verbrachte Gugger nach Abschluss seiner theologischen Studien in St. Gallen zwei Jahre in Neu St. Johann im Toggenburg, wo er Rhetorik unterrichtete, dann berief man ihn zurück nach Rorschach, wo er das Gleiche tat. Von April 1641 bis Mai 1642 widmete er sich an der Universität Ingolstadt dem Jurastudium; dort dürfte er bleibende Eindrücke durch das Jesuitentheater erhalten haben (Aufführungen in den Jahren 1641 und 1642 sind belegt). Im Juni 1642 ernannte der Abt ihn zum Präfekten und Lehrer der Humaniora-Klassen von St. Gallen, im Oktober 1645 vertraute man ihm zusammen mit einem Mitbruder auch die zahlenmässig wenigen Rorschacher Schüler an. 1649 wurde er zudem Küchenmeister in Rorschach, 1653 Subprior und Novizenmeister in St. Gallen. Zu einer Unterbrechung der pädagogischen Tätigkeit kam es im Oktober 1655, als Gugger für zehn Tage das katholische Pfarramt im konfessionell paritätischen Wildhaus im Toggenburg (Zwinglis Geburtsort!) übernehmen musste. Auf seine inständige Bitte hin wurde ihm die Rückkehr in den Lehrberuf gestattet, den er fortan als Rhetorikprofessor in Rorschach (ab 1657) und St. Gallen (zusätzlich ab September 1659) ausübte; kurzzeitig unterrichtete er in St. Gallen auch Griechisch. Im Juni 1661 wurde er Subprior in Neu St. Johann im Toggenburg, wo er auch als Logikprofessor belegt ist. Im November 1661 machte man ihn zum Dekan und Philosophieprofessor im Kloster Disentis (Kanton Graubünden), das seit 1617 ebenfalls zur schweizerischen Benediktinerkongregation gehörte. Anschliessend unterrichtete er, wieder in St. Gallen, die dortigen Laienbrüder (Konversen). Am Ende seines Lebens litt er unter Magen- und Darmkrankheiten sowie an offenbar ausgeprägter Demenz. Er verstarb am 24. Januar 1669 nach schwerem Leiden in St. Gallen.

Gugger war ein produktiver Autor. Er schrieb akademische Disputationsthesen und edierte die Alexandreis des Walter von Châtillon, also eines mittellateinischen Textes, auf Basis von St. Galler und Engelberger Handschriften. Bereits ab seinem Noviziat (ab 1627) verfasste er zudem lateinische Versdichtungen, die handschriftlich in St. Gallen überliefert sind; neben den namentlich gekennzeichneten Gedichten dürften ihm auch anonym überlieferte Texte zuzuordnen seien. Zwischen 1642 und 1664 entfaltete er eine ausgeprägte dichterische Tätigkeit. Davon haben in der Forschung bislang vor allem seine Dramen Aufmerksamkeit gefunden. Zum einen verfasste Gugger Heiligenspiele, die er mit einer einzigen Ausnahme entweder als Tragicomodia oder Tragoediae bezeichnete: S. Notkerus (1642); Justus et Pastor martyres (1644); Joannes Gualbertus ignoscens (1646); Edmundus puer (1647), als einzige Komödie (Comoedia) die erwähnte Ausnahme; S. Babylas et socii (1648); Vitus martyr cum sociis martyribus (1651); Divus Othmarus (1660) über den nach und neben Gallus wichtigsten St. Galler Heiligen, den eigentlichen Gründer des Klosters. Ausserdem schrieb Gugger eine Tragödie über den vom Christentum zum Heidentum zurückkehrenden spätantiken Kaiser Julianus Apostata (1643) und ein Sittenspiel namens Crisorius sive homo impius (1645), das einen in seinen Sünden verstockten Reichen zeigt, der sich bis zu seinem Ende nicht sittlich bessern mag und dafür von Teufeln in die Hölle geschleppt wird. Alle diese Stücke liegen, wie bei Schuldramen in der Regel üblich, nur handschriftlich vor, und dies teilweise in mehreren Handschriften und in verschiedenen Versionen; Gugger scheint einen Druck seiner Dramen zumindest geplant zu haben. Es haben sich aber gedruckte Periochen (Inhaltsangaben) erhalten. Ausserdem verfasste Gugger zwei Einakter: eine Actio salutatoria anlässlich der Translation der Reliquien der römischen Katakombenheiligen Antoninus und Theodorus aus Rorschach nach Neu-St. Johann am 4. Oktober 1654, in der diese von Heiligen, deren Reliquien sich schon länger in St. Gallen befinden, herzlich begrüsst werden, und in der auch diverse Personifikationen (besonders die Alte Landschaft und Rorschach) sowie Silenen, Ceres, ein Sirenenchor etc. sich zu Wort melden. Ferner schrieb er eine Solemnis inauguratio et benedictio zur Abtsweihe von Gallus Alt am 7. Mai 1656, in der die Klosterpatrone, sein Vorgänger, Kardinal Karl Borromäus und einige Personifikationen (Benedictio und die vier Kardinaltugenden) dem frischgewählten Abt alles Gute für sein neues Amt wünschen.

Insgesamt dreimal hat Gugger poetische Zyklen mit Gedichten auf alle Heiligen des Kirchenjahres verfasst. Als zeitlich letzter davon entstand eine Sammlung von Epigrammen unter dem Titel Annus Sanctus; es handelt sich dabei vornehmlich um Monodisticha und nur selten wird ein anderes Metrum verwendet als das elegische Distichon. Diese Sammlung erschien nie im Druck, sondern füllt sechs Manuskriptbände der Stiftsbibliothek. Gedruckt wurden dagegen die beiden früher entstandenen Zyklen: 1661 veröffentlichte Gugger im Klosterverlag die Hymni Sacri, 1664 die Odae Sacrae. Von beiden Sammlungen liegen handschriftliche Reinschriften vor (Cod. Sang. 1388, fol. 213r-406r bzw. Cod. Sang. 1390B), die aber aufgrund erkennbarer Unterschiede zum Druck diesem nicht als Vorlage gedient haben können. Ungeachtet der unterschiedlichen Benennung als Hymni und Odae sind in inhaltlicher und formaler Hinsicht nur geringe Unterschiede zwischen den beiden Sammlungen zu bemerken. Beide bieten in chronologischer Ordnung, jeweils mit dem 1. Januar beginnend, lateinische Gedichte in antiken lyrischen Versmassen auf die Heiligen und Hochfeste des Kirchenjahres. Die Hymnen enden im Unterschied zu den Oden jeweils meist mit einer Zeile Et Deo Trino etc., was an die trinitarische Lobesformel am Ende eines liturgischen Hymnus oder eines in der Liturgie verwendeten Psalms erinnert und den Gebräuchen des katholischen Stundengebets entspricht, an dem sich ja Gugger mit seiner Hymnensammlung orientiert.

Wir präsentieren auf diesem Portal insgesamt sechs Oden, da diese Sammlung uns insgesamt als die interessantere und ausgereiftere der beiden erscheint, sowie zu einer dieser Oden den entsprechenden Vergleichstext aus den Hymnen. Es handelt sich in chronologischer Reihenfolge um die Oden für

 

Das Fest des heiligen Meinrads (21. Januar)

Die Ode an St. Meinrad widmet sich dem Einsiedler, der im 9. Jh. an der Stelle gelebt hatte, an der einige Jahrzehnte nach seinem Tod das Benediktinerkloster Einsiedeln gegründet wurde. Er war dadurch für einen Schweizer Benediktiner wie Gugger natürlich eine wichtige Bezugsfigur. Bemerkenswert ist, dass Gugger in diesem Gedicht keinen Rekurs nimmt auf die künstlerisch und dichterisch so reizvolle Legende über die Ermordung des heiligen Meinrads durch zwei Räuber und deren Enttarnung durch die zwei ihnen hartnäckig folgenden Raben Meinrads, die dieser aufgezogen hatte. In V. 1-12 wird Meinrad zunächst noch als Knabe adressiert. Hervorgehoben werden die marianische Frömmigkeit des Heiligen, die ihm die Gunst der Jungfrau verschafft, sowie seine Keuschheit und religiöse Frühentwicklung. In V. 13-24 wird sein späteres Wirken gelobt. Dabei geht es Gugger nicht um Details, sondern er hebt Meinrads Tapferkeit hervor sowie die abschreckende Wirkung, die er auf den Teufel und seine Dämonen hatte. In V. 25-28 wird hervorgehoben, dass Meinrad seine Kraft dem Beistand Mariens verdankt; da das Gedicht insgesamt 48 Verse umfasst, nimmt Maria somit darin eine erkennbare zentrale Mittelposition ein. Ihre starke Rolle in diesem Gedicht ist besonders auch dadurch zu erklären, dass das Kloster Einsiedeln, das an Meinrad Wirkungsstätte nach seinem Tod entstehen sollte, mit seiner berühmten Schwarzen Madonna der deutschschweizerische Marienwallfahrtsort par excellence ist, der immer auch in den restlichen süddeutschen Raum ausgestrahlt hat. In V. 29-48 geht es abschliessend in stark metaphorisch geprägter Ausdrucksweise (horti Elysii, die marianisch konnotierten lilia, die Tränen, mit denen er die Erde bewässert) darum, wie Meinrad aus dem eremus – der «Einöde», der Stätte des künftigen Einsiedelns – eine blühende Landschaft macht.

 

Das Fest Pauli Bekehrung (25. Januar)

Die Ode auf das Fest Pauli Bekehrung schildert in engem Anschluss an den entsprechenden Bericht in der Apostelgeschichte (9,1-39), jedoch mit einigen dichterischen Ausschmückungen, die dramatische Lebenswende, die aus dem pharisäischen Christengegner Saulus den Apostel Paulus machte. Dieser hatte vor Damaskus, wohin er sich begab, um die dortigen Christen zu verfolgen, eine mit einer kurzzeitigen Blindheit verbundene Vision, in der ihn Christus direkt ansprach und ihm seinen Irrtum klar machte. In V. 21-24 bittet die junge Christengemeinde Christus, sie vom «Wolf» Paulus entweder zu befreien oder diesen Wolf zum Lamm zu machen; in V. 51-52 wird unter Wiederholung dieser Metapher konstatiert, dass die letztgenannte Bitte erfüllt wurde. Das Paradoxon, das Paulus der Erkenntnis der Wahrheit in einem Zustand zeitweiliger körperlicher Blindheit gewürdigt wurde, wird von Gugger in seinen Schlussversen (V. 53-60) angemessen gewürdigt.

Wir präsentieren ausserdem vier Oden an Ordensgründer: Benedikt von Nursia, Guggers eigenen Ordenspatron, Franziskus, Dominikus sowie Ignatius von Loyola. Es wird dabei deutlich, dass der Benediktiner auch andere Formen des Ordenslebens zu würdigen wusste. Im Falle der Jesuiten rühmt Gugger auch vorbehaltlos deren aussereuropäische Missionen, ein Engagement, das den Benediktinern zu Guggers Zeit noch völlig fremd war.

 

Fest des heiligen Benedikt (1. März)

Die Benedikt-Ode greift einige markante Ereignisse aus der Vita des Heiligen auf, die Papst Gregor der Grosse (ca. 540-604) im zweiten Buch seiner Dialogi vorgelegt hatte, das zur Gänze dem Mönchsvater gewidmet ist. Entsprechend der Bedeutung, die Benedikt als Gründungsvater der Benediktiner für Gugger zwangsläufig haben musste, fällt diese Oder sehr umfangreich auf, und es versteht sich von selbst, dass Guggers mit seinem Lob auch den Orden insgesamt in den Blick nimmt. Am Ende des Gedichts gibt sich der Dichter sogar selbst, wie es ja der Wahrheit entspricht, als geistlicher Sohn des Benedikt zu erkennen und verleiht der Hoffnung Ausdruck, dass ihm diese Zugehörigkeit die Pforte des Himmels öffnen wird (111b-120).

In V. 1-8 wird dem auf äusserliche militärische Leistung abstellenden Tapferkeitsideal der antiken Geschichtsschreibung das christliche Tugendideal der Selbstüberwindung gegenübergestellt und ihm als überlegen dargestellt. Das ist die gedankliche Grundlage, auf der in diesem Gedicht Benedikts Gedicht hell erstrahlen kann. Er übertrifft deshalb sogar Helden wie Herkules und Hektor (V. 9-12). Benedikts eigene Leistung und seine Ordensgründung wird dann allerdings selbst mit sehr militärisch geprägten Metaphern gepriesen: Er führt als ein Held neuen Typs (V. 20: heros novus) seine Heerschar (also die Benediktiner) in den Himmel (V. 13-20). In V. 21-64 geht es um verschiedene Gelegenheiten, bei denen sich Benedikt von Jugend an als Held der Askese und Widersacher des Teufels erwies. In V. 65-76 wird eine Konsequenz aus Benedikts Leistungen vor Augen gestellt: Hochrangige Männer scheuen sich nicht, sich seiner Heerschar anzuschliessen und die Lust dieser Welt zu fliehen. In V. 77-88 findet man wieder zwei Szenen aus Benedikts Leben, in denen der Teufel seiner vergeblich habhaft zu werden trachtete. Anschliessend wird daran erinnert, wie viel Ehrfurcht der Ostgotenkönig Totila Benedikt bei einer Begegnung erwies. Nach einem auf Benedikts Taten angewendeten Unsagbarkeitstopos (V. 97-100: sie lassen sich gar nicht alle aufzählen) erinnert der Dichter an eine wundersame Erscheinung bei Benedikts Tod, die deutlich gemacht hatte, dass er direkt in den Himmel aufgenommen worden war (101-111a). Den Schluss bildet die schon erwähnte Bitte des Dichters an seinen Ordensvater, dereinst beim Jüngsten Gericht als Anwalt für ihn einzutreten und ihm so ebenfalls einen Platz in der ewigen Seligkeit zu verschaffen (111b-120).

 

Fest des heiligen Ignatius von Loyola (31. Juli)

Diese Ode widmet Gugger einen der bedeutendsten Heiligen der Neuzeit, der erst 1622 zur höchsten Ehre der Altäre erhoben worden war. In Vers 1-6 wird unter Rückgriff auf die griechisch-römische Mythologie die reformatorische Herausforderung beschrieben, der sich Ignatius zu stellen hatte. Die reformatorische Bewegung erscheint im Bilde einer Hydra, der immer neue Häupter wachsen, genannt werden die drei Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin (3-5). Wie die mythologische Hydra von Herkules getötet wurde, so muss sich auch dieser reformatorischen Hydra ein neuer Herkules entgegenstellen (V. 1); dieser neue Herkules ist der Spanier Ignatius (V. 10). In V. 7-12 wird näher ausgeführt, wie er die Hydra bekämpfen soll. Das ermöglicht einen zwanglosen Übergang zur Feuermetaphorik, denn Herkules hatte die Hydra, deren Köpfe nach dem Abschlagen normalerweise wieder nachwuchsen, dadurch besiegt, dass er nach dem Kopfabschlagen sofort den entsprechenden Hals ausbrannte und das Nachwachsen eines weiteren Kopfes verhinderte. Dementsprechend ist es eine grossartige Fügung, dass Ignatius das Feuer (ignis) bereits im Namen trägt (V. 10) und dem Monster zusetzen kann (das Wortspiel Ignatius-ignis ist im Übrigen wenig überraschend keine Erfindung Guggers, sondern ein geläufiger Topos der diesem Heiligen gewidmeten Panegyrik). Der Dichter springt zu einer anderen mythologischen Vergleichsgestalt (V. 13-17): Ist Ignatius nicht auch ein neuer Prometheus, der himmlisches Feuer auf die Erde bringt und die Welt und die Herzen damit entzündet? Hier schwingt auch mit, dass einst Jesus selbst gesagt hatte, er sei gekommen, um einen Feuerbrand auf die Erde zu werfen (Lk 12,49). Sogleich wird aber wird wieder der Herkules-Vergleich gezogen, denn wie einst dieser säubert auch Ignatius Augias-Ställe. In drei Strophen rühmt der Dichter Ignatius’ Bedeutung für die Pflege und Bewahrung von Frömmigkeit und Glauben V. 21-32). Dann hebt der Dichter die Bedeutung des Ignatius bzw. der von ihm gegründeten Gesellschaft für die christliche Missionierung in Japan (Asien), Brasilien (Südamerika) und Äthiopien (Afrika) hervor (V. 33-40). Der Heilige im Himmel gewährt seinen Jesuiten Hilfe und kann sich über Ertrag freuen, den sie ihm einbringen (V. 41-44); mit einer kurzen Beschreibung der Freude des Heiligen und einer Bitte des Dichters um dessen Fürsprache endet das Gedicht (V. 45-48).

In der Ode auf Ignatius von Loyola zollt Gugger als Angehöriger eines alten Ordens neidlos dem Gründer des wesentlich jüngeren Jesuitenordens seine Anerkennung und hebt, wie bereits erwähnt mit der weltweiten Missionsarbeit gerade auch einen Aspekt von dessen Wirken rühmend hervor, auf dem die Benediktiner zu seiner Zeit nichts vorweisen konnten. Das Gedicht widerspiegelt damit die konstruktiven Beziehungen, die zwischen dem Kloster St. Gallen und den Jesuiten bestanden, ohne deren Hilfe die innere Regeneration St. Gallens nach den Wirren der Reformation nicht möglich gewesen wäre. St. Galler Mönche wie der spätere Abt Joachim Opser (1548-1594) studierten an den Jesuitenhochschulen von Dillingen und Paris (wir präsentieren auf diesem Portal einen Brief, den Opser während seiner Pariser Zeit schrieb). Wunderberichte um Ignatius greift Gugger nicht auf.

Wir präsentieren in diesem Fall (Vergleichstext zu 4, Ignatius von Loyola) auch ein Gegenstück aus den Hymni Sacri von 1661, um einen direkten Vergleich zu ermöglichen. Wesentliche Elemente der späteren Ode sind dort schon erkennbar (der Prometheus-Vergleich, die Feuermetaphorik, Lobpreis der Grösse und globalen Ausbreitung des Ordens), werden dort aber weniger ausführlich entfaltet. Es sollte für jeden Leser unübersehbar sein, dass das Gedicht aus den Oden an künstlerischem Aufwand und gedanklichem Inhalt klar über dem einige Jahre früher erschienen Hymnus steht. Das entspricht im Übrigen dem Gesamteindruck, den man als Leser beim Vergleich dieser beiden Sammlungen hat (was freilich nicht ausschliesst, dass in Einzelfällen die ältere Hymnen-Sammlung den korrespondierenden Oden überlegen sein kann).

 

Fest des heiligen Dominikus (4. August)

Im Falle der Dominikus-Ode geht Gugger auf prägnante Szenen aus dem Leben des Heiligen höchstens sehr indirekt ein, sondern hebt stattdessen Dominiks marianische Frömmigkeit und ihre Bedeutung für die Rettung der Welt vor Gottes Zorn hervor. Dass er in diesem Zusammenhang ausführlich auf die Dominikus (fälschlicherweise) zugeschriebene Erfindung des Rosenkranzes anspielt (V. 17-36), trägt freilich doch dazu bei, den Heiligen individualisierend darzustellen. Der Verzicht auf einzelne handlungsreiche Ereignisse aus dem Leben des Heiligen mag auch daraus resultieren, dass Dominiks Leben keine dramatische Wende aufwies wie etwa die Vita des Franziskus (s. u.); Legenden und einprägsame Szenen hätte aber auch die Überlieferung über Dominikus zur Genüge bereitgestellt, so dass diese Erklärung nicht vollkommen zufriedenstellt. In der Fokussierung auf den Rosenkranzbeter Dominikus mag man mithin eine bewusste marianische Konzentration des Gedichts erkennen können. Angemerkt sei, dass es zu Guggers Zeit zwar auf dem Gebiet der heutigen Schweiz infolge der Reformation keine (männlichen) Dominikaner mehr gab, dass er mit ihnen aber zumindest in Konstanz, dem für St. Gallen damals zuständigen Bistumssitz, wo er seine geistlichen Weihen erhalten hatte, persönlich in Berührung gekommen sein dürfte (ihr Kloster befand sich auf der Dominikanerinsel, im heutigen Steigenberger Inselhotel).

 

Fest des heiligen Franziskus (4. Oktober)

Die Biographie des heiligen Franziskus bietet (mit und ohne legendäre Ausgestaltung) dramatische und poetisch reizvolle Szenen, auf die Gugger in seiner Ode dankbar zurückgreift: Wir nennen hier nur den demonstrativen Verzicht des Franziskus auf das Erbe seines Vaters (V. 45-48); seine energischen Massnahmen zur Bewahrung seiner Keuschheit (V. 53-64: er warf sich in Eis und Schnee und tötete so seine Leidenschaft ab) sowie gleichsam als krönender Abschluss des Gedichts seine Stigmatisation (V. 70-76). Das Wirken der beiden Ordensgründer Franziskus und Dominikus überschnitt sich zeitlich, und trotz nicht zu übersehender Unterschiede ähnelten sich die auf die zurückgehenden Ordensgemeinschaften in manchem, besonders mit Blick auf das Armutsideal (es handelt sich um Bettelorden) und damit verbunden einem besonderen Fokus pastoraler Aktivität, besonders auf der Verkündigung. Dies hatte zur Folge, dass man die beiden oft in einem Atemzug nannte; auch Gugger schildert in seiner Franziskus-Ode diesen und Dominikus als ebenbürtige Heroen, die gemeinsam die Welt vor Gottes gerechtem Zorn bewahren (In V. 25-32 stellt er sie ausdrücklich nebeneinander). Dass er als besonderes Übel jener Zeit sexuelle Unmoral hervorhebt (V. 37-40) verrät vielleicht neben einer gerade in der Frühen Neuzeit zur moralistischen Disziplinierung auch die spezielle Perspektive eines monastischen Dichters, so wie es schon sein Lobpreis der Keuschheit in den Gedichten über Meinrad, Benedikt und Franziskus und der von den beiden letztgenannten ergriffenen radikalen Massnahmen zur Bewahrung ihrer Keuschheit getan hatte.

Auch mit Franziskanern könnte Gugger zumindest in Konstanz in Berührung gekommen sein; Reisen seinerseits in diejenigen Regionen der heutigen Schweiz, wo es in der nachreformatorischen Zeit noch Franziskaner gab, sind nicht nachweisbar. Für die Interpretation des Gedichts ist das wie im Falle der Dominikus-Ode unerheblich.

Den Abschluss bildet in unserer Präsentation das

 

Fest des heiligen Papstes Evaristus (26. Oktober)

Die kurze Ode an Papst Evaristus, der Anfang des zweiten Jahrhunderts regierte (wohl 105-107) und unter Domitian das Martyrium erlitten haben soll, beschränkt sich inhaltlich darauf, die Hilfe des heiligen Papstes zu erflehen; sie zeigt beispielhaft, wie Gugger sich in seinen Heiligengedichten in den Fällen aus der Affäre ziehen konnte, in denen ihm über Leben und Wirken des Tagesheiligen keine oder nur bruchstückhafte Informationen vorlagen. Inhaltlich könnte sich diese Ode an jeden beliebigen Heiligen richten, dessen Name sich in das Versmass fügt. Nur in dem Hinweis auf den Himmelspförtner Petrus in V. 7 kann man einen vagen Hinweis darauf erkennen, dass Evaristus ein Papst (und damit ein Petrusnachfolger) war.

 

Beobachtungen zu Guggers Gedichten

Wie aus den obigen Angaben deutlich wird, ist es ein wiederkehrendes Merkmal von Guggers Gedichten, dass er die Taten der von ihm verherrlichten Heiligen und diese selbst als Überbietung von Taten und Helden der paganen Geschichte und Mythologie inszeniert. Dies Ausdruck einer parodia Christiana, das heisst der nachahmenden und wetteifernden Überbietung der paganen antiken Dichtung und ihrer Gegenstände: Dieses Denkmuster liegt in den hier präsentierten Gedichten etwa zugrunde, wenn Benedikt und Ignatius als neue Herkulesse gewürdigt werden, und zahlreiche andere Belege aus den Oden (und auch aus den Hymnen) liessen sich anführen.

Gugger passt seine Gedichte an die einzelnen Feste und Heiligen an, so weit die Quellenlage es ihm erlaubt. Interessant, doch für uns zum jetzigen Wissensstand weitgehend unbeantwortbar, ist die Frage nach der Rezeption von Guggers Gedichtsammlungen. Nicht einmal für das Kloster S. Gallen selbst lässt sich dazu eine Aussage treffen, abgesehen davon, dass schon die schiere Tatsache ihrer Drucklegung ein bemerkenswerter Ausdruck von Wertschätzung vonseiten der Stiftsleitung war, denn für gewöhnlich liegen die Dichtungen St. Galler Mönche jener Zeit uns nur in Manuskriptform vor. Guggers Hymnen und Oden indes sollten offensichtlich einem grösseren auswärtigen Publikum bekanntgemacht werden. Man könnte sich aber zumindest eine gleichsam meditative Nutzung in Art eines ewigen Kalenders vorstellen, bei der tagesweise das jeweils passende Poem nachgelassen wurde, das ja auch mit dem täglichen Stundengebet und der Liturgie der Mönche am jeweiligen Tag korrespondierte. In jedem Fall stellen diese Gedichte der literarischen Kultur und Bildung im Stift St. Gallen ein gutes Zeugnis aus. Vor mehr als 90 Jahren schon wurde ausgesprochen, welchen Vergleichsmassstab man ohne Scheu an die hier vorgestellten Gedichtsammlungen Guggers anlegen darf: «Unter der Oden und Hymnen Guggers besitzen wir Perlen, die einen Vergleich mit Balde’schen Gesängen standhalten.» Damit wurde auf den elsässisch-bayerischen Jesuiten Jakob Balde, verwiesen, der schon damals in der Literaturgeschichtsschreibung eine für einen neulateinischen Dichter des 17. Jahrhunderts ungewöhnlich grosse Bekanntheit und Anerkennung erlangt hatte. Es ist an der Zeit, dass Athanasius Gugger die Anerkennung und Aufmerksamkeit findet, auf die ihm seine Dichtungen ein Recht geben.

 

Bibliographie

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Ehrensperger, A., Der Gottesdienst in der Stadt St. Gallen, im Kloster und in den fürstäbtischen Gebieten vor, während und nach der Reformation, Zürich, TVZ, 2012.

Schlip, C., «Athanasius Guggers Hymni sacri (1661) und Odae sacrae (1664): der poetische und geistige Horizont eines St. Galler Dichtermönchs», Neulateinisches Jahrbuch 26 (2024-2025), 255-283.

Schnoor, F., «Gugger, Athanasius», Frühe Neuzeit in Deutschland 1620-1720 – Verfasserlexikon 3 (2022), Onlineversion (Open Access), https://www.degruyter.com/database/VDBO/entry/vdbo.vl17.G39/html.