Widmungsbrief aus De geographia, Widmungsbrief und kleine Vorrede aus De arithmetica

Übersetzung (Deutsch)

Übersetzung: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Kevin Bovier)


De geographia, Widmungsbrief

An den hochberühmten polnischen Baron Herrn Johannes von Lasko, Dekan und Verwalter von Gnesen, etc.

Unter den freien Disziplinen, die zweifelsohne dem Leben der Menschen am meisten nützen, gebührt, hochwürdigster Mann, zumindest meiner Ansicht nach der vorzügliche Platz der Geographie, nicht nur deshalb, weil ohne sie jede Lektüre der alten Autoren blind und der Bericht über historische Ereignisse dumpf ist, sondern auch, weil sie bei öffentlichen Beratungen und bei Streitigkeiten über Teilungen (sooft Fürsten über die Grenzen ihrer Gerichtsbarkeit uneins sind) mit einem verlässlichen Rat oder einem gerechten Urteil der Bürgerschaft hilft. Nicht anders steuert sie manchmal auch bei privaten Angelegenheiten sehr viel Nutzen und Vergnügen bei. Und deshalb pflegt man nach dem Ratschlag jener Alten die übrigen Disziplinen zu lernen, dieser aber auch auswendig zu lernen, und das von den ganz zarten Nägeln an, wie sie es ausdrücken. Ich habe also diese Arbeit auf mich genommen, zum Teil, weil ich sah, dass aufgrund eines gewissen schicksalshaften Unglücks zugrundegeht, was auch an freien Disziplinen existiert; zum Teil, weil diese Kunst so von meinen Vorgängern preisgegeben worden ist, dass sie die Menge entweder mit ihrer Schwierigkeit abschrecken, oder durch eine verwirrte Darstellung der Fakten den nicht in den Prinzipien dieser Disziplin unterrichteten Leser so durcheinander bringen, dass er immer lernt, aber niemals ganz gründlich lernt; damit ich erst gar nicht etwas über die sage, die vermittelt haben, was sie selbst nicht verstanden haben. Denn so, wie die Geographie des Ptolemaios, das Meisterstück seiner Arbeit, für ungeübte Leute nicht geeignet ist, so enthalten die angefügten Schemata viele Fehler. Strabo, der Bewunderer der homerischen Philosophie, der alle Dinge sorgfältig erforschte, hat uns eher eine Chorographie als eine Geographie hinterlassen. Die Sphäre des Proklos fasst sich zu kurz und beschränkt sich auf den griechischen Horizont, nicht ohne die beiden Himmelskreise enorm durcheinanderzubringen. Den Traktat des sogenannten Johannes von Sacrobosco lehne ich nicht vollständig ab; was er aber über die Parallelen und die Klimazonen schrieb, ist sehr verstümmelt, wie wir in unserer Arbeit aufzeigen werden. Stephanus hat einen Index verfasst, dem ich nicht sehr über den Weg zu trauen wage. Die verstümmelte Form, in der er Namen anführt, macht seine Darlegungen sehr unklar. Wer wird schliesslich Nutzen aus Plinius und Pomponius Mela ziehen können, ausser wenn er sich mit ihnen beschäftigt, nachdem er sich mit den Basiskenntnissen dieser Disziplin vertraut gemacht hat. Was Macrobius und seinesgleichen angeht, muss ich nicht äussern, was ich über sie denke, da viele von ihnen, wie fast alle Menschen der Antike, sich über die Lage der Erde getäuscht haben. Weil aber laut Horaz das Anfangen schon die halbe Tat ist, haben wir, um noch mehr Leute zur Beschäftigung mit dieser Disziplin zu ermuntern, einen Weg gebahnt und einen Pfad in Kompendienform aufgewiesen, haben gleichsam einen Faden dargereicht, mit dem der Leser sich ohne eigene und fremde Irrtümer aus den Labyrinthen befreien kann. Und wenn Du gestattest, dass ich etwas allzu Ruhmrediges über mich selbst bekannt gebe (auch wenn ich meine, dass ich dies zu recht sagen kann): Ich habe in diesem Buch so geschrieben, dass der aufrichtige Leser bekennen wird, dass ich diese Aufgabe nicht aufs Geratewohl und nicht ohne Nutzen für meine Leser als Nachfolger so vieler hervorragender Schriftsteller auf mich genommen habe. Im Übrigen war der Grund, der mich dazu ermunterte, dass ich dieses kleine Resultat nächtlicher Arbeit Dir weihe, Jan, der hervorragenden Zierde des Laski-Geschlechtes, ja sogar des ganzen Königreichs Polen, teilweise der grosse Erasmus von Rotterdam: Ich habe diesen Mann mit seinen Verdiensten immer wie einen Vater geehrt und hochgeschätzt, aber noch lieber begann er mir zu sein, nachdem ich bemerkt hatte, wie viel er Dir bedeutet. Teilweise tat ich es auch, um auf diese Weise Deine Wünsche zu befriedigen; teilweise, damit Du Dich zum Kritiker oder zum Verteidiger dieses Werkes aufschwingst. Schliesslich aber tat ich es, damit die Jugend sich von Deinem Beispiel dazu anregen lässt, sich mit grösserer Lust diesen Wissenschaften zu widmen, denen Du Dich ungeachtet Deiner grossen Jugend und Deines hohen Adels mit so grossem Studieneifer gewidmet und zum Abschluss gebracht hast. Fürwahr, es war nicht umsonst, dass Dir Dein Onkel väterlicherseits, der hochwürdigste Vater in Christus, Herr Jan Laski, der Erzbischof des gesamten Königreiches Polen und das Auge des überaus siegreichen und hochberühmten Königs Sigismund, als leuchtendes Vorbild vor Augen stand. Wenn wir eine Aufzählung der Geistesgaben dieses Priesters hören, wenn wir von seinem unschuldsvollen wahrhaft christlichen Leben hören, dann scheint uns im Vergleich mit dem Beispiel der Bischöfe des Altertums und den Leuchten der Kirche in ihrer Entstehungszeit nicht viel zu fehlen. Aber jetzt ist es genug des Lobens. Du kennst Glarean, Du weisst, wie er frei heraus sagt, was ihm auf dem Herzen liegt, und überhaupt nicht anders spricht als er innerlich denkt. Lebe wohl, Du einzigartige Zierde und einzigartiger Schirm der Wissenschaft. Ich schreibe das in Basel, von unserem Kolleg aus. Im Jahre nach Christi Geburt 1527.

 

De arithmetica, Widmungsbrief

Glarean an den adeligen jungen Mann Karl von Wehingen (Etschland)

Ich habe oft gehört, wie mein Lehrer Erasmus von Rotterdam, der in dieser Zeit der erbittertste Wiederhersteller und Rächer sowohl der weltlichen wie auch besonders der heiligen Wissenschaften ist, oft sagte, dass nichts grossen Autoren so sehr schade wie jene rücksichtslosen Verfasser von Epitomen, wie etwa dem Livius der L. Florus und dem Trogus der Iustinus geschadet hat. Aber ganz anders verhalte sich die Angelegenheit bei der Überlieferung von wissenschaftlichen Disziplinen. Dort sei ein Kompendium oft nützlich und gebe vielen einen Anhalt, um nach Grösserem zu fassen. So drückte er das aus. Aber höre, zu welchem Zweck ich diese Worte herangezogen habe. Es entfiel mir vor einigen Jahren ein Büchlein über den Gebrauch des Rechnens, das ich zuerst einst in Paris meinen schweizerischen Hörern zu erklären pflegte, die mit mir zusammen durch ein königliches Stipendium versorgt wurden, dann in Basel und Freiburg, damit die nicht ganz unvertraut mit dieser Kunst seien, die sich mit den anderen Bereichen der Mathematik beschäftigen wollen. In diesem Büchlein habe ich mich freilich ganz besonders davor gehütet, allzu arithmetisch zu sein, wie manche es zu tun pflegen, die selbst beim Unterrichten von Epitomen kein Ende kennen. Ich muss das aber mit wenigen Worten erklären, damit auch der Leser erfährt, welches Motiv mich bewogen hat, was das Ziel meines Unterrichtswerkes gewesen ist, warum ich ein so kurzgefasstes Kompendium verfasst habe. Um herausragende Autoren zu erklären, pflegte ich Vorlesungen zur Geographie zu halten, die ich später herausgegeben habe; bei dieser Arbeit musste ich die Himmelsgrade in Meilen umrechnen und die Quadranten des Kreises zu teilen und in den ganzen Kreis eintragen. Ich musste den Durchmesser und den Umfang der Erde erforschen, was ich nur mit Hilfe dieser Kunst tun konnte. Zur selben Zeit lehrte ich musiktheoretische Kenntnisse, wobei es immer wieder darum geht, sich mit Zahlen auszukennen und über Proportionen Bescheid zu wissen. Und ich sah durchaus viele Autoren, die über die Arithmetik geschrieben hatten; aber bei den einen störte ihre Weitschweifigkeit, bei den anderen ihr allzu hoher Theoriegrad, der meinem Vorsatz nicht zuträglich war. Bei manchen schreckte ihr barbarischer Stil ab, bei anderen auch das affektierte Bemühen um Eleganz. Deshalb war ich auf die einzigartige Kürze bedacht, derer ich mich auch in anderen Werken zu bedienen pflege, und darauf, dass ich hauptsächlich das behandeln sollte, was zum Verständnis jener grösseren Angelegenheiten führe und ihm diene, nicht das, was in dieser Kunst Vollständigkeit schafft; das erforderten nämlich die Autoren auch nicht, die ich damals erklärte. Die Sache ging glücklich aus. Die nämlich, die Geist besassen, machten ununterbrochen Fortschritte. Deshalb habe ich, als es nun schon lange in meinem Haus versteckt lag, beschlossen, es zu veröffentlichen, unter der Bedingung, dass der Leser, wenn er es als ungeeignet beurteilt für die Ohren der Studierenden, es weit von sich fortwerfe und mit seiner Kritik vertilge. Ich will nämlich nicht, dass meine Possen irgendjemandem Schaden zufügen. Dir aber habe ich dieses Buch widmen wollen, damit, wenn Du andere Texte von Autoren liest, mit so grosser Mühe, und zumal in einem noch so zarten Alter, und auch wenn ich hier keinen grossen Arithmetiker aus Dir mache, ich Dir doch einen nicht zu verachtenden Vorgeschmack auf das Verständnis der Autoren biete, die ich in meinem Hause erkläre. Lebe wohl und bleibe mir gewogen. Freiburg im Breisgau, im Jahre 1538 nach Christi Geburt, an den Iden des Juni (13. Juni).

 

De arithmetica, kleine Vorrede

Weil ich diese Arbeit besonders im Interesse der studierenden Jugend auf mich genommen habe, und so zum Nutzen derer, die grossen Wert auf die Reinheit der lateinischen Sprache legen, glaube ich, etwas zu tun, das der Mühe wert ist, wenn ich die Prinzipien dieser Angelegenheit, soweit es den Sprachgebrauch angeht, auch von den Vorschriften der Grammatiker her gründlicher wiederhole. Es ist ja schändlich, eine Kunst in irgendeiner Sprache zu lehren, deren Vokabular und Sprachgebrauch man nicht kennt. Auf diese Weise unterfangen sich in unserem Zeitalter manche, mit ungewaschenen Händen die Rechenkunst zu lehren; sie sind der lateinischen Zählsitte in so hohem Grade unkundig, dass sie kaum drei Worte sagen, ohne sich dabei einmal zu irren. Zuerst muss man deshalb zwischen den Zahlwörtern selbst Unterscheidungen treffen. Manche nennt man nämlich Kardinalzahlen, eine, wie ich annehme, von der Türangel (cardo) herrührende Metapher. Denn so, wie eine Tür sich um die Angel dreht, so beruht diese Kunst ganz vornehmlich und besonders auf der Beschäftigung mit diesen Zahlen. Und diese Zahlen sind alle Adjektive, die jedes Geschlecht umfassen; manche haben drei Endungen, wie unus, a, um (eins). Manche haben zwei Endungen, wie hi duo, hae duae, haec duo (diese drei), hi und hae tres und haec tria (diese drei). Manche haben schliesslich nur eine Endung, wie alle folgenden Zahlen bis 100, die nicht dekliniert werden. Ich hielt es für gut, diese Zahlen zusammen mit den lateinischen, griechischen und barbarischen Zahlen zu präsentieren, besonders im Interesse der Anfänger; ich dachte, dies würde ein bedeutendes klärendes Licht auf die im Folgenden vermittelten Lehren werfen.