Ein Vergleich zwischen den Kirchentonarten, Kapitel 8

Übersetzung (Deutsch)

Übersetzung: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Thibault Émonet)


Unter diesen Modi stechen der dorische, der phrygische und der lydische hervor, sowohl weil sie nach Völkerschaften benannt sind (was zeigt, dass sie sehr stark verwendet wurden), als auch, weil sie sich besser dazu eignen, Emotionen zu stärken. Man denkt, dass sie daher auch «Führer» und «Authentische» genannt wurden, und die drei anderen, der hypodorische, der hypophrygische und der hypolydische, «Untergebene» und «Gefährten», weil sie die emotionalen Gemütsregungen nicht so sehr anstacheln als besänftigen. Mixolydisch aber sei der genannt worden, der sich sehr leicht mit dem lydischen vermischt; für alle Modi, wenigstens in der diatonischen Tonleiter, gilt, dass das systema sich verändert, je nachdem wo man den Moll-Halbton platziert; ich will erst gar nicht davon sprechen, dass das Gleiche geschieht, wenn man Quarte und Quinte auf verschiedene Arten zur Übereinstimmung bringt.

Es ist sicher, dass es diese Dinge bei den Alten gegeben hat, aber darüber, auf welche Weise sie jene Modi für ihre Musikinstrument, Silben und Versfüsse und Tänze adaptiert haben, um bald Erregung, bald Ruhe zu bewirken, darüber kann man nach meinem Dafürhalten besser Vermutungen anstellen als sichere Lehren vertreten. So etwas ist auch bei den Komponisten wahrzunehmen (ich spreche von den gelehrten Komponisten); sie nehmen den Menschen mit einem Schlag gefangen und bringen ihn manchmal zum Weinen; im Übrigen locken sie ihn derart an, dass sein Geist nicht satt wird und sein Gehör keinen Überdruss empfindet, obwohl dies doch sonst ein sehr leichtfertiger Sinn ist, der nach einem Moment schon müde wird.

Wer wüsste nicht, dass das Gleiche auch bei den Dichtern geschieht? Es gibt nämlich einige Dichter, die, wenn man ihre Ausdruckskraft und das von ihnen Ausgedrückte genau bedenkt, den Menschen so sehr ergreifen, so sehr aufregen, dass sie den Leser unvermerkt gefangen nehmen und ihn zu oft zu Tränen, oft auch zu Gelächter reizen; bald stimmen sie ihn wütend, bald mitleidsvoll; und das bewirken sie für gewöhnlich entweder durch ihre Versfüsse oder durch melodische Wortfügung, schliesslich auch durch ihr grosses Genie und ihre Vielseitigkeit. Ich bin also leicht davon zu überzeugen, was alle Gelehrten erklären, dass Musik für einen Dichter nützlich, ja geradezu notwendig ist. Bedenke in diesem Zusammenhang auch, dass Komponisten und Maler mit Dichtern gemeinsam haben, dass sie aus ihrem Geist heraus etwas schaffen, um dadurch für dauerhaftes Vergnügen zu sorgen oder den menschlichen Geist in wunderbarer Weise zu rühren. Mit den Schauspielern aber verhält es sich ganz anders; sie wecken möglichst dumme und vulgäre Affekte. Sie singen aber beim Tanz und zu Tisch jeweils laut etwas anderes. Ich denke aber, dass in diesen Dingen das natürliche Talent von grösster Bedeutung ist; wenn einer es nicht benutzt, kann er noch so viel Kunstfertigkeit an den Tag legen, er wird das Theater verlassen, ohne Dank geerntet zu haben. Eine relevante Sache wäre mir beinahe entfallen: es missfällt mir, dass viele sich kühn vermessen haben, alles Alte neu zu machen oder es ihren Neuheiten anzugleichen, so dass es bei den Alten nichts gibt, das sie heute nicht durch etwas Ähnliches zu ersetzen versuchen. Ich verlange den dorischen Modus, und du singst unseren ersten Modus, ich sehne mich nach Chromatik, und du lässt mit deinen Saiten irgendetwas unangenehm Klingendes ertönen; deshalb muss man diese Leute für Waghälse halten, die den Anschein erwecken wollen, dass sie alles wissen, obwohl sie nichts wissen.