Briefe
Übersetzung (Deutsch)
Übersetzung: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Anne Andenmatten)
1. Thomas Platter an Peter Owlig
Thomas Platter grüsst vielmals den Herrn Peter Owlig, Landeshauptmann des Wallis.
Ich hätte kaum gewagt, Deiner Erhabenheit einen Brief zu schreiben, überaus kluger Mann, und wenn ich nicht gewisse private Gründe dafür gehabt hätte, hätte ich mein Leben wie zuvor in Schweigen verbracht. Ich werde daher zunächst allgemein etwas über meine Angelegenheiten und die der Meinen schreiben, und dann Weniges, was mir einen Bezug zu Deiner Herrschaft haben scheint. Wir alle, die wir das Vaterland verlassen haben, sind also gesund und es geht uns gut; auch wenn uns zugestossen ist, was wir am wenigsten erwartet hatten (ist doch so gar nichts in der Welt dauerhaft oder stabil); als wir uns mitten im Studiengang befanden und unseren Betrieb schön eingerichtet hatten, da brach von allen Seiten her die Pest derart in die Stadt herein, dass es nicht sicher erschien, weiter dort zu bleiben. Ich hätte freilich für mich persönlich nicht gezögert, jeden Schicksalsschlag zu erwarten, wie er auch fallen mochte, aber ich fürchtete, dass meinen Schülern etwas zustossen könnte und ich mich dann gegenüber ihren Verwandten nicht ausreichend verteidigen oder entschuldigen könnte. Ich habe mich deshalb an einige Ratsmitglieder gewandt; ich sorge dafür, dass mir einen Platz zeigen, an dem ich bequem Zuflucht nehmen kann. Diese trefflichen Männer haben unter Beweis gestellt, dass die Sache ihnen nicht weniger am Herzen lag, als wenn es um ihre eigenen Angelegenheiten ginge.
Als man aus anderen Gründen Boten nach Liestal schickte, wurden sie auch damit beauftragt, sich um eine gastliche Stätte für mich und die Meinen zu kümmern, was sie aufs sorgfältigste getan haben. Daher bin ich mit meinem ganzen Hauswesen und den Kindern dorthin gereist; was ihre Studien betrifft, so haben sie hier keineswegs gelitten, sie erhalten ihre Lektionen und das übrige genau so wie in der Stadt; wenn es hier einen Nachteil gibt (und es gibt sehr viele Nachteile), dann muss ich es ertragen, und das hat mit den Ausgaben zu tun, aber ich hoffe, dass sie [die Ratsherren] dies billigerweise in Anschlag bringen werden. So viel über jene und mich selbst.
Ich komme zu Deiner Herrschaft. Es ist Johannes Im Garten zu mir gekommen, über den wir in Baden gesprochen haben, und er hat mir einen Empfehlungsbrief von Deiner Menschlichkeit mitgebracht. Seinen Inhalt muss ich hier nicht wiederholen. Ich erkundige mich daher detailliert in Basel und frage, ob er irgendwo eine Stelle zum Verweilen haben kann, aber ich finde nichts; vielleicht hätte ich Almosen erwirken können, aber danach schien es ihm gar nicht zu gelüsten, und um Deiner Herrschaft mit der Bitte um Frieden und Nachsicht frei heraus und ohne Missgunst zu sagen, was ich über ihn denke: «Er weri, wil mich bedunken, gern fer anhi, wen er es vermechti» [Er würde gerne weit hinaus, wenn er es könnte]. Er hat nicht gelernt, zu dienen oder Elend zu leiden. Es waren noch zehn Tage, bis ich zur Frankfurter Messe abreisen musste. Ich habe ihm geboten, in der Zwischenzeit bei mir zu verweilen, bis ich nach Strassburg ginge; er blieb, ich brachte ihn auf eigene Kosten nach Strassburg, ob sich dort ein Hoffnungsschimmer zeigen würde. Als wir dorthin kamen, empfehle ich ihn dem Simon Lithonius, meinem Bekannten, von dem Deine Menschlichkeit vielleicht gehört hat; er betreibt dort eine Schule. Ihm empfehle ich ihn für die Zeit, bis ich von der Messe zurückkehre. Er nahm ihn wegen Deiner Empfehlung auf, und das gerne. An dieser Stelle muss ich kurz auf den Zustand der Wissenschaften in Strassburg eingehen. Der Strassburger Magistrat hat verfügt, dass alle Schulen sich an einem Platz befinden sollen, und dafür das Predigerkloster bestimmt; sie haben alle Schüler in sieben Klassen aufgeteilt mit fünf Fussbodenheizungen und vier Öfen. Als ich also verreist bin, wendet sich mein Bekannter an die Schulherren und fragt sie, ob sich für Johannes Honter ein Lebensunterhalt finden lässt. Da erschien es ihnen nicht unnütz, ihn, wenn er sich nicht weigere, mit der Ofenbeheizung zu beauftragen; Lebensunterhalt, Wohnmöglichkeit und Bett werde er gleichberechtigt mit den übrigen teilen, die dort aus Städten von überall her kommend ernährt werden, und er könne hier mit hochgelehrten jungen Leuten zusammen sein und alle Lektionen hören und kurzgesagt sich in keiner schlechteren Lage befinden als [die dortigen] hochgelehrten, hochadeligen und schwerreichen [jungen Leute], wenn er sich nur um diese Ofen kümmere, damit sie nicht durch Nachlässigkeit seinerseits Schaden nehmen. Mein Freund Simon freut sich sehr, als er dieses Angebot gehört hat; er läuft gleich nachhause und berichtete etc. Inzwischen komme ich zu ihnen nach Strassburg zurück, und Simon berichtet, was er in seiner Angelegenheit ausgerichtet hat. Uns gefiel dieses Angebot. Möge ich nun oder niemals geistig gesund sein; wenn ich keine Frau hätte, würde ich mir solche Lebensbedingungen wünschen. Ich frage ihn [Johannes Hortensius]: «Was meinst du, gefällt es dir oder nicht?» Er antwortete endlich kaum vernehmbar: «Es gefällt mir.» Es missfiel mir da an ihm, dass er keine Zeichen sichtbarer Freude von sich gab, wo doch in einer einzigen Stunde etwas erreicht werden konnte, woraus sich ein äusserst sicherer täglicher Lebensunterhalt für ihn ergeben würde.
Mein Freund Simon verwaltet meine Bücher und das übrige. Schliesslich sagt er: «Ich hoffe, dass der Herr Landeshauptmann zum Sommer hin einige Knaben schicken wird, die mir meinen Lebensunterhalt sichern.» Er beschwor mich, an Dich zu schreiben; ich versprach es ihm. Ich begann ihn [Johannes] zu beschwören und zu unterrichten, wie er dieses Geschick, auch wenn es ihm nicht in jeder Hinsicht gefiele, dennoch schätzen solle, weil er ganz ohne Aussichten sei, dass er demütig sein solle; ich hätte dieses Geschäft fünf Jahre lang betrieben, Simon sechs, als dieses Metier kein Brot brachte. Aber was soll ich sagen, er war noch deprimierter. Ich bat ihn schliesslich, dass er sich demütig erzeigen und sich allen unterordnen und sich ihnen gegenüber gutwillig erzeigen solle. Aber ich fürchte mit Gewissheit, dass er nicht dienen kann, er versteht sich nicht darauf, er hat nichts dergleichen gelernt und ist von Natur aus zu arrogant; ich weiss schliessllich auch nicht, wen er etwas lehren könnte, da er doch selbst nur wenig gelernt hat und charakterlich gar nicht dazu geeignet ist. Und mein Freund Simon hat mir neulich geschrieben: «er wölle anfan stoltz sin.» An diesem Laster leidet er gewiss. Aber bei anderer Gelegenheit mehr über diese Sache; ich bitte Dich, diese Nachrichten von mir billig anzunehmen, und ich empfehle ihn Dir; denn je weniger er sein Elend anerkennt, desto mehr muss man ihn bedauern. Verzeihe mir meine Geschwätzigkeit.
Ich bitte Deine Herrschaft, Dich an das zu halten, was wir uns persönlich versprochen haben, dass, so wie ich im Ausland, Du daheim dafür sorgst, dass die Jugend in den trefflichen Wissenschaften unterrichtet wird, denn das ist eine Aufgabe von uns beiden, und es ist nicht nur eine Aufgabe für uns, sondern für alle, denen der Herr die Erkenntnis der Wahrheit geschenkt hat. Empfiehl mich bitte den Führern unseres Vaterlandes und lösche die schlechte Meinung über mich aus, soweit du es vermagst. Lasst die Verlängerung dieses Gesetzes nicht zu, nach dem fortan keine jungen Leute in die Städte geschickt werden, die sie die «lutherischen» nennen, ja, dass sie sogar, wenn sie sich nach ihrer Heimkehr verfehlen, mit dem Tode bestraft werden.
Grüsse in meinem Namen Deine höchst ehrenwerte Gattin und Deinen Sohn Peter; wäre er doch schon bei mir; Du glaubst gar nicht, was für Fortschritte sie [meine Schüler] machen. Aber wenn ich erst nach Basel zurückgekehrt bin, werde ich mich noch sorgfältiger als bisher um die Meinen kümmern können, da ich schon Schulmeister auf der höchsten Anhöhe von Basel geworden bin, der Schule, die man ůff Bůrg nennt. Der beste und grösste Gott bewahre Dich unserer Heimat unversehrt!
Gegeben zu Liestal, 26. Oktober [1538].
Der gehorsamste Diener Deiner Herrschaft.
Rückseite: An Herrn Peter Owlig, den Landvogt der Walliser Nation, seinen Patron, vor dem er ganz besonderen Respekt haben muss. Platter.
2. Thomas Platter an Georg Supersaxo
Gruss. Mein liebster Herr Gevatter, wenn es Dir mitsamt mit Deiner Familie gut geht, freue ich mich; ich bin jedenfalls unbeschadet zurückgekehrt und habe alles in gutem Zustand vorgefunden.
Die Pest hat in Basel und Strassburg, ja in ganz Deutschland völlig aufgehört, abgesehen davon, dass noch etwas davon in einigen Schweizer Städten zurückgeblieben ist; die Himmlischen mögen Euch unbeschadet erhalten und gegen diese Krankheit immunisieren.
Ganz Deutschland rüstet sich mit stärksten Kräften gegen den Türken; der beste und grösste Gott mache, dass alles so verlaufe, dass es ihm Ruhm bringt, und dass sie in seinem Namen triumphieren, und dass die ganze Christenheit ihr Leben in rechter Weise ordne. Was auf dem Reichstag in Speyer verhandelt worden ist, werde ich Dir schicken, sobald es im Druck vorliegt. Bezüglich eines bevorstehenden Konzils kursiert nur ein inhaltsloses Gerücht, und wir fürchten, dass es in dieser so chaotischen Zeit keinen Nutzen bringt, was die Religion angeht. Als ich bei Euch war, ging das Gerücht um, dass der französische König von den Strassburgern Geld geliehen habe, und dass die Berner den Baslern gegenüber eine Verpflichtung eingegangen sind; das ist nicht wahr, und um es kurz zu sagen, haben die Unseren davon rein nichts gehört. Sonst habe ich nichts, was ich schreiben kann.
Was ich Dir zuhause versprochen habe, werde ich auf die Zurzacher Messe schicken. Richte bitte in meinem Namen dem Herrn Johannes Huser aus, dass ich Augustinus schicken werde, damit er selbst etwas Geld schickt. Das Übrige, was Augustinus betrifft, werde ich Dir dann schreiben. Der Mutter des Johannes von Schalen richte aus, dass es ihrem Sohn bei Myconius gut geht. Grüsse ihren Bruder Nikolaus in meinem Namen, und alle anderen Freunde, bei denen Du das ohne Aufwand bewerkstelligen kannst. Dem Pfarrer, Herrn Jakob Allet gegenüber werde ich meine Zusage erfüllen. Meine Frau und ebenso auch ich danken Dir sehr für die Wohltaten, die Du mir erwiesen hast. Richte mit Deinem Sohn die Dinge so ein, wie es nützlich erscheint. An den Herrn Nikolaus Kalbermatter habe ich neulich geschrieben; grüsse seine Familie in meinem Namen und alle meine ehemaligen Schüler. Ich vertraue Dir viele Aufgaben an; bediene auch Du Dich meiner Hilfe, so wird alles gleichmässig vergolten werden, soweit es diese Mühewaltung angeht. Dass ich Deine übrigen Wohltaten mir gegenüber durch Gegendienst entgelte, ist unmöglich. Ich werde ein anderes Mal ausführlich an Deine Menschlichkeit schreiben. Grüsse bitte in meinem Namen auch den Herrn Johannes Kalbermatter und besonders auch den einstigen Protonotar und Gouverneur Eurer Stadt, Antonius Pontanus, und – was soll ich sagen? – alle guten Freunde. Lebe wohl und lebe glücklich, menschlich überaus vortrefflicher Gevatter und lass mich Dir empfohlen sein. Ich habe vergessen, auch noch dem Johannes Wiss und Mittler Lebewohl zu wünschen. Ich habe sie alle von Herzen lieb.
Basel, 1. Mai 1542.
Mit herzlichen Grüssen Dein Thomas Platter.
[Adresse auf der Rückseite]: An den edlen Herrn Georg Supersaxo, seinen allerliebsten Gevatter
In Sitten im Wallis
3. Thomas Platter an Johann von Schalen
Mit herzlichen Grüssen Dein Thomas Platter.
Ich wünsche Dir Wohlergehen. Fahre fort, mein liebster Johannes, zu tun, wovon ich immer gehofft habe, dass Du es tun würdest, nämlich mich und die Meinen zu lieben; Du bekundest dies durch Deine höchst angenehmen Schreiben, für die ich Dir nach Kräften sehr danke. Fahre also fort, sage ich, unsere Freundschaft zu bewahren. Dass ich im Übrigen nun gezwungen bin, mich eher kurz zu halten, das schreibe bitte keinen anderen Ursachen zu als der unerwarteten Abreise unsres Ratsherrn Irmus, den Du kennst, und den vielen Aufgaben, die sich für mich aus der Ausschmückung meines Landgutes ergeben; ich baue noch, aber meine Aufgaben sind schon fast erfüllt. Deshalb werde ich ein anderes Mal ausführlicher schreiben. Dein Bruder schickt mir nicht einmal einen Buchstaben. Ebenso tun es Dir gegenüber die anderen, die in Basel sind. Herr Hieronymus hat seinen Demosthenes fertiggestellt und reist mit den Seinen nun nach Paris.
Ich möchte, dass Du auf jeden Fall nach Frankreich reist, ausser wenn Du meinst, dass Dir diese Reise nichts bringen wird. Ich weiss, dass in der Zwischenzeit geradezu gar nichts geschehen ist. In Strassburg hatte man begonnen, die Messe zu zelebrieren, aber die Pfaffen liessen sich durch irgendein Gerücht erschrecken, dass Knaben aufgebracht hatten, und flohen, und nun sind sie dort wieder papistenfrei. Sonst kann ich Dir nichts schreiben. Du wirst in meinem Namen und in dem der Meinen auch Deine Mutter grüssen und Deinen Bruder und ebenso meine Freunde. Den Heinrich In Albon erinnere daran, dass er mich von der Bürgschaft befreit. Lebe wohl und habe mich lieb wie ich Dich.
Basel 1550, am Osterfest
Dein Platter
Wenn Du möchtest, dass ich etwas tue, trage es mir auf.
Důnt dem houptman Irmi gůtte gselschafft. (Halte gute Gesellschaft mit dem Hauptmann Irmi)
[Adresse auf der Rückseite]: An den vortrefflichen und gelehrten jungen Herrn Johannes von Schalen, seinen ihm sehr lieben Freund.