Beileidsbrief an Aegidius Tschudi
Übersetzung (Deutsch)
Übersetzung: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von David Amherdt)
Glarean grüsst den Herrn Landvogt von Baden, Aegidius Tschudi.
Dein Brief hat mich zum Weinen gebracht, mein allerliebster Herr Aegidius, in dem Du um Deine treue Ehefrau klagst, weil Du dadurch in mir die Erinnerung geweckt hast sowohl an Deine Frau als auch an meine, die mir einst nicht weniger teuer gewesen ist als Dir die Deine. Aber so verhält es sich mit den menschlichen Angelegenheiten: Eitelkeit der Eitelkeiten und alles ist Eitelkeit. Man muss sich dies aus dem Sinn schlagen und rufen: Dein Wille geschehe, Herr. Ob wir wollen oder nicht, es ist dennoch endlich notwendig; man muss also notwendig seinen Willen tun und an das zukünftige Leben denken, einmal an das nachgerade kurze Leben, das hier noch für uns übrig ist, dann an das ewige Leben, das uns nach diesen Tränen bevorstehen wird. Sooft ich mir die Tage in Erinnerung rufe, die ich bisher gelebt habe, das aber geschieht oft, und durch welche Mühen ich nun schon 50 Jahre hindurch bedrängt worden bin, und dass ich niemals eine Zeit gehabt habe, in der ich nicht eine Mischung von Bitterem und Süssem gespürt habe, dann pflege ich zu begreifen, dass die Begierde nach diesem Leben ein den Menschen angeborenes grosses Übel ist.
Unsere Jugend wird durch Unkenntnis bedrängt und von der Hoffnung im Ungewissen gelassen und hascht nach einem besseren Geschick, was gleichsam das Verderben aller ist. Das Mannesalter ist voll von Unruhe und Gefahren ausgesetzt und enthält weit mehr Bitterkeit als dauerhafte Freude. Schon bringt das matte Greisenalter, das an sich schon eine Krankheit ist, für uns noch andere Krankheiten mit sich, so dass es in diesem Leben überhaupt nichts gibt, das nicht zu jeder Zeit unseren Sinn beunruhigt. Nur die Hoffnung auf das Zukünftige und die Betrachtung des kommenden Lebens haben etwas Solides an sich. Hier gibt es nichts als Trennung, Scheidung von denen, mit denen wir am meisten befreundet sind, so dass wir nicht zusammenkommen werden, ohne dass wir bald getrennt werden und uns Schmerz entsteht aus der Erinnerung an eine vergangene Begegnung. Deshalb, mein lieber Aegidius, müssen wir über das künftige Leben nachdenken, das uns nicht mehr viele Jahre warten lassen kann. Dort wird es keine Trennung geben, sondern immerwährende Gemeinschaft.
Wenn ich dorthin zu Dir kommen werde, kann es nur mit einem grossen Aufwand und besonders mit Verdruss geschehen; ich kann nämlich weder gehen noch reiten. Mit einem Wagen dorthin zu fahren ist sehr kostspielig. Ferner: Auch wenn ich ankomme, wie viel Aufenthaltszeit wird mir dort zugestanden? Sehr wenig sicher, und ich werde sehr widerwillig von Dir weggehen, und die Erinnerung an Dich wird mich mehr ängstigen, als wenn ich nie bei Dir gewesen wäre. Dasselbe wird geschehen, wenn Du zunächst hierher kommst: Zuerst werde ich nicht verstehen, Dich grossartig zu bewirten, wie es sich schickt, und dann wird es Dir nicht erlaubt sein, lange hier zu sein. Es bleibt also als einzige Möglichkeit, dass wir uns manchmal wechselseitig mit Briefen erfreuen. Aber weit mehr wollen wir geistige Gemeinschaft pflegen. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht speziell für Dich zu Gott bete. Wenn Du das auch für mich tust, wird mir nichts angenehmer sein. Was Christus mir an restlicher Lebenszeit zugestehen wird, das werde ich ganz auf das textkritische Verbessern der Autoren und den Jugendunterricht verwenden, wie ich es auch bisher getan habe, und wofür ich bei meinem Schöpfer eine sichere Belohnung erwarte.
Hinsichtlich des Vaterlandes bin ich fast verzweifelt, wenn nicht der grösste und beste Gott darauf achtgibt. Denn dieser Konsul wird nichts Gutes tun, den ich kennenzulernen begann, als er Deinen, vielmehr auch meinen, Herkules, wegführte. Ich habe ihn nämlich mit Deiner kleinen Karte beschenkt, die schön gemalt ist und sich auf einem Stück Tuch ausgebreitet darbietet. Jener hat es niemals für angebracht gehalten, mich zu grüssen oder wenigstens anzuschauen, als ich in der Heimat ganz in seiner Nähe war, und so viel fehlt auch daran, dass er mir wenigstens gedankt hätte.
In Strassburg wird schon am nächsten Sonntag wieder eine Messe zelebriert werden. Gott gebe, dass es unter einem besseren Auspizium und einem glücklicheren Omen geschieht als es zuvor der Fall war. Der Kaiser schreibt den Fürsten streng vor, zum Reichstag in Augsburg zu kommen, damit keiner wegbleibt und alle in eigener Person anwesend sind oder ihre bevollmächtigten Legaten, damit die Dekrete keinen Aufschub erfahren, wie es dereinst geschah.
Der Husten hat mich verlassen und ein so heftiger Schnupfen mich befallen, dass ich die Hälfte meines Gehirns aus der Nase ausgetropft zu haben scheine. Aber ich hoffe, dass der Herrgott mir gnädig ist, der meine Gesundheit so reinigt ohne die Pillen der Ärzte und die Scheisse aus Kalikut. Lebe wohl und verzeihe mir mein Geschwätz. Gegeben zu Freiburg am 13. Mai 1550.