Brief an Jost Brunner
Traduction (Allemand)
Oswald Myconius aus Luzern grüsst seinen Freund Jost Brunner.
Du handelst recht daran, mein lieber Brunner, wenn Du um den Nachdruck eines Exemplars dieser Rede bittest, die im Vorjahr in Rom von dem hochwürdigsten Pater Johannes Augustanus Faber anlässlich der Exequien für Kaspar von Silenen, einen Ritter vom goldenen Sporn und den Anführer der Schweizer, welche die besondere Wache des Papste Leo X. bilden, gehalten worden ist; sie enthält nämlich ein Lob der Schweizer (denen wir beide alles verdanken, was in uns ist), das derart beschaffen ist, wie Du es bisher noch nie im Druck gesehen hast. Sie werden darin besonders wegen ihrer Klugheit, Tapferkeit und Gerechtigkeit gelobt. Das geschieht so elegant, wie es der Wahrheit entspricht. Das ist jedem klar, der sich anschaut, was die Helvetier in den letzten 150 Jahren bis heute tapfer vollbracht haben. Und dabei lässt sich bei so vielen und so schweren Schlachten nicht finden (ich halte das für besonders bemerkenswert), dass der Feind jemals von den Schweizern zum Krieg provoziert worden wäre. Es ist daher klar, dass sie nur höchst gerechte Kriege führen konnten, denn man zwang sie dazu, sich, die Ihren und die Heimat zu verteidigen. Ferner aber kann man sehen, mit einer wie kleinen Schar sie häufig sehr gewaltige Truppen geschlagen haben, denn niemand hat je etwas anderes gesehen oder gehört, als dass die gegnerischen Heere immer besser ausgerüstet als die Schweizer und ganz gewiss doppelt so gross waren. Man erfährt, dass es nicht nur einmal vorgekommen ist, dass jeder einzelne Schweizer mit je zehn Gegnern zu kämpfen hatte – wenn man die Zahlen beider Heere zutreffend miteinander verglich – und dennoch der Schweizer den Sieg davontrug. Ich denke, niemandem entgeht, was für eine Tapferkeit, Treue, Eintracht und Klugheit bei solchen Leistungen vorhanden sein mussten. Wenn aber jener Faber mit all seiner Gelehrsamkeit und Eloquenz noch die Tüchtigkeit dieses Volkes als Thema hinzugenommen hätte, seine Einfachheit, seine tiefchristliche Tugend, seine ihm eigentümliche Gastfreundschaft, ebenso seine Mässigkeit, seine Barmherzigkeit gegenüber Besiegten und tausend andere derartige Dinge, was, glaubst Du, würden die Schweizer ihm dann schulden? Wo sie ihm doch schon auf diese Weise sehr viel schulden. Es scheint nämlich kein unwichtiges Faktum zu sein, dass es ein Schwabe ist, der hier einen Schweizer so ausführlich preist. Sind doch zwischen diesen Völkern schon seit vielen Jahren so viele Streitereien, so viele Feindschaften, so viele äusserst schwere Kriege auf eine elende Weise ausgefochten worden. Ich pflege mich innerlich zu freuen, mein lieber Brunner, sooft mir in den Sinn kommt, dass diese Lobrede ein Schwabe und kein Schweizer gehalten hat. So kommt es nämlich, dass keiner aus diesem oder einem anderen Menschenschlag ohne weitere Überlegung aufspringen und schreien kann, dass hier eine unwürdige Handlung vorliege, dass hier ein Schweizer seine Landsleute über ihr Verdienst hinaus in den Himmel gehoben und ihnen Eigenschaften zugeschrieben habe, die von der Wahrheit so weit entfernt seien wie das Wasser des Mara von dem des Quells Siloah. Aus dieser Rede scheint mir klar hervorzugehen, was für einen Glanz und was für Kraft die Wahrheit bei den Redlichen und wahrhaft Gelehrten auch fernerhin besitzen soll. Man darf sie nicht deshalb unterdrücken (wie das sehr häufig geschieht), weil sie einem zuwider ist, sondern man muss derart denken: dass sie auf keine Weise zu etwas anderem werden kann als zu dem, was sie ist. Man hat bislang die Schweizer im Übermass geschmäht und verspottet, doch inwiefern hat das ihrem Ruhm und ihrer Ehre schmälern können? Es bringt nämlich nichts, jemanden zu schelten, dessen Tugend selbst Triefäugigen und Friseuren bekannt ist (wie man zu sagen pflegt), es führt nur dazu, dass man für einen Neidhammel gehalten wird. Doch die Leute, die bislang ihre Freude an solchem Unsinn hatten, haben zu sehr darauf geblickt, dass die Schweiz niemanden hatte, der ihnen Widerstand leistete; doch, beim Herkules, sie haben sich sehr geirrt, den damals wurden die guten Talente bei uns noch auf dem Amboss geschmiedet, heute werden sie bereits poliert, und nahe ist der Tag, da sie ans Licht treten werden. Wenn aber dann noch solche Schwätzer so weitermachen, wie sie angefangen haben, werden sie zweifellos in eine solche Lage gebracht werden, dass kein Gott ausser Harpokrates ihnen noch Hilfe leisten kann. Aber wohin versteige ich mich? Ich wollte das nämlich nicht ausschwatzen. Empfange, worum Du gebeten hast. Ich sende Dir ein Lebewohl aus Zürich, den 1. August 1518.