Kommen Heiden in den Himmel? Zwinglis Ansicht und einige Reaktionen darauf
Traduction (Allemand)
1. Zwingli
Aus Zwinglis Erklärung des christlichen Glaubens.
Christianae fidei a Huldrycho Zvinglio praedicatae, brevis et clara expositio, Zürich, Froschauer, 1536.
fol. 27 ro
Dann darfst du hoffen, dass du die Gemeinschaft, Versammlung und aller kameradschaftliches Beisammen aller heiligen, klugen, gläubigen, standhaften, tapferen, tugendhaften Menschen sehen wirst, die seit Erschaffung der Welt existiert haben. Hier wirst du die beiden Adams sehen, den Erlösten und den Erlöser; hier Abel, Enoch, Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Juda, Moses, Josua, Gideon, Samuel, Pinhas, Elias, Elisäus, Jesaia und die jungfräuliche Gottesgebärerin, die er vorausgesagt hat; David, Ezechia, Josias, den Täufer, Petrus und Paulus; hier wirst du Herkules sehen, Theseus, Sokrates, Aristides, Antigonos, Numa, Camillus, die Catonen und die Scipionen; hier wirst du deine Vorgänger sehen und alle deine Vorfahren, die im Glauben aus dieser Welt geschieden sind. Zusammenfassend gesagt: Es hat kein guter Mann gelebt und es wird keine heilige Gesinnung, und keine gläubige Seele geben – vom Anbeginn der Welt bis zu ihrem Untergang –, die du dort nicht in Gemeinschaft mit Gott sehen wirst. Was kann man sich Freudigeres denken als diesen Anblick, was Angenehmeres, was Ehrenhafteres? Oder auf welches Ziel richten wir alle unsere Geisteskräfte mit mehr Recht aus als darauf, dieses Leben zu gewinnen?
2. Erasmus
Aus dem Religiösen Gastmahl des Erasmus von Rotterdam in seinen Colloquia.
Erasmus, Convivium religiosum (ASD 1,3,231-266, hier: 254):
Uranius: Man muss diese Geisteshaltung in einem Mann bewundern, der Christus und die Heilige Schrift nicht kannte. Ja, wenn ich dergleichen über solche Männer lese, kann ich mich kaum zurückhalten, zu sagen: Heiliger Sokrates, bitte für uns.
Chrysoglottus: Ich aber kann mich oft nicht zurückhalten und sage der heiligen Seele des Vergil und der des Horaz ein gutes Geschick bevor.
3. Gwalther
Aus Gwalthers Apologie für Ulrich Zwingli und die Ausgabe der Werke Zwinglis.
Rodolphi Gvaltheri Tigurini ad Catholicam Ecclesiam omnemque fidelium posteritatem pro D. Huld. Zvinglio et operum eius aeditione Apologia, Zürich, Christoph Froschauer, 1545.
fol. 53 ro-vo
Schliesslich aber bitte ich euch, Brüder, dass ich euch einen Vortrag über Zwingli halten darf; ich hoffe nämlich, dass ihr auf diese Weise erkennt, dass er nichts auf unüberlegte oder blasphemische Weise gegen die Heilige Schrift gelehrt hat. Der Herr spricht bei Jesaia über die Kraft und Wirksamkeit seines Wortes in folgender Weise: «Wie der Regen oder der Schnee vom Himmel herabkommt und nicht dorthin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt und macht, dass sie gebiert und sprosst, so dass sie Sämann Samen spendet und Brot zum Essen: so wird es sich mit meinem Wort verhalten, das aus meinem Munde hervorgeht; es wird nicht ohne Erfolg zu mir zurückkehren; sondern es wird das bewirken, was ich will und in dem förderlich wirken, zu dem ich es geschickt habe». Hier müssen wir dies festhalten, dass an dieser Stelle nicht das mosaische Gesetz oder die Schriften der Propheten gemeint sind, sondern jene ganze Methode, alle Weisen und äusseren und inneren Einflüsterungen, die Menschen zur Gotteserkenntnis bringen können. Wenn also der Herr sagt, dass jenes Wort nicht ohne Erfolg zu ihm zurückkehrt und nicht ohne Frucht bleibt, dann wird meiner Ansicht nach niemand leugnen können, dass auch viele von den Heiden das Heil erlangt haben, wenn wir doch mehr als ausreichend belegt haben, dass sie durch Gottes Wort auf eine äusserliche oder innerliche Weise unterrichtet worden sind. Wir bekennen aber offenherzig, dass Gott aus allen Völkern einst Israel erwählt hat und ihm eine besondere und ausserordentliche Erkenntnis seiner selbst offenbarte; dennoch glauben wir keinesfalls, dass er sich in der Zwischenzeit um die anderen Völker überhaupt nicht gekümmert hat.
fol. 54 vo
Füge zu diesen Zeugnissen noch den Glauben Senecas hinzu, den er in seinem 34. Brief an Lucilius auf folgende Weise offenbart: «Man muss gewiss so leben, als ob man uns dabei zusähe; so denken, als ob uns jemand in unseres innerstes Herz blicken könnte, und er vermag es. Was hilft es schon, wenn etwas für den Menschen geheim ist? Gott ist nichts verborgen. Er nimmt Anteil an unseren Gedanken und tritt mitten in unsere Überlegungen ein. Ich betone, dass er nicht so in sie eintritt, als ob er sie jemals verliesse.» Was hätte man Frömmeres und Heiligeres sagen können als diese Worte?
fol. 56 ro
Inzwischen hat Zwingli dennoch nirgends gelehrt, dass jene Männer sich das Heil durch ihre Laster verdient haben, und auch nicht, dass jeder durch seine eigene Religion gerettet werden kann, mag sie auch noch so blasphemisch und weltlich sein; sondern er hoffte fromm, dass die Gnade jenen das Heil erwirkt hat, die diesen Männern eine über das gewöhnliche Mass hinausgehende Erkenntnis jener höchsten Gottheit offenbart hatte. Und es fehlt nicht an klaren und eindeutigen Beispielen, die uns befehlen, so etwas zu erhoffen. Denn ich werde nicht davor zurückscheuen, deutlich zu verkünden, dass die meisten von ihnen nur durch ein Privileg der göttlichen Kraft den Mut für ihre so herrlichen Taten besessen haben. Ich möchte glauben, dass Herkules und Theseus sich sicher nie so vielen und so erschreckenden Gefahren entgegengestellt hätten, wenn sie nicht den Glauben gehabt hätten, dass Gott ihren frommen Unternehmungen beistehen werde. Wie äusserst wenig ausschlaggebend für ihr Tun nämlich das Streben nach privatem Vorteil oder nach Ruhm war, steht anhand der Tatsache fest, dass sie nicht aufhörten, gute Taten zu vollbringen, obwohl sie von den Ihren höchste Undankbarkeit erfahren mussten. Dem Sokrates hat seine Erkenntnis über den einen und einzigen Gott und seine Verachtung des heidnischen Aberglaubens einen in den Augen dieser Welt schandbaren Tod eingebracht.
fol. 58 ro
[...] wenn er einige Heiden zur Gemeinschaft der Heiligen rechnet, dann stützt er sich auf keinen andere Logik als seinen Glauben daran, dass Gottes Erbarmen unendlich und noch herrlicher ist alle seine Werke. Es ist also Verleumdung, was man ihm in dieser Sache vorwirft, und diejenigen die so wagemutig sich die Autorität anmassen und für sich in Anspruch nehmen, über jeden Beliebigen zu urteilen, ja ihn sogar zu verdammen, zeigen dadurch, dass sie nicht viel von der mildtätigen Gesinnung besitzen, die sich für Christen schickt. Was verbietet denn, diejenigen namentlich aufzulisten, die sich unter den Heiden durch Gerechtigkeit und Frömmigkeit ausgezeichnet haben, wo doch feststeht, dass den Heiden auch vor der Zeit Christi die Wahrheit offenbart worden ist und mehrere von ihnen in der Gotteskenntnis unterrichtet gewesen sind? Letzteres belegen sowohl ihre Taten als auch ihre Schriften.
4. Jakob Gretser
Aus Jakob Gretsers Disputation über die verschiedenen Himmelsvorstellungen.
Disputatio de variis coelis, Lutheranis, Zwinglianis, Ubiquetariis, Calvinianis etc., Sanctorum vel veris vel fictitiis receptaculis et habitaculis, Ingolstadt, Wilhem Eder, 1621.
p. 94
Aber mag das auch so sein, gestehen wir Zwingli zu, dass er dies gemeint hat, denn wir wissen durchaus und leugnen es auch nicht, dass Heiden ausserhalb der Synagoge des Moses gerettet werden konnten; aber woher bezieht Zwingli seine definitive Überzeugung hinsichtlich des Herkules, Theseus, Numa, Aristides, Antigonos, Sokrates, Camillus, der Catonen und der Scipionen? Wer vor Zwingli hat diesen Männern einen Platz im Himmel zugewiesen? Wer hat gelehrt oder überliefert, dass sie die Seligkeit erlangt haben? Wer hat also Zwingli offenbart, dass sie zu den Seligen gehören? Etwa jener nächtliche Berater, der denselben Zwingli hinsichtlich des Eucharistieproblems instruiert hat, mit welcher Schriftstelle er seinen Einfall schminken soll? Welcher Mensch aus der untersten Gesellschaftsschicht, der den Namen Herkules vielleicht nur am Rande irgendwo gehört hat, würde nicht staunen, wenn er hörte, dass Herkules hoch oben im Himmel zusammen mit der allerheiligsten Gottesgebärerin, mit den Aposteln Petrus und Paulus und mit der Schar der übrigen Himmelsbewohner wohnt und das ewige Leben geniesst?
p. 95
Andere Lutheraner lachen die Zwinglianer offen aus und verhöhnen sie wegen eines Himmels, dessen Bevölkerung durch so grossartige Bewohner vermehrt wird, unter denen sich auch der jüngere Cato befindet, der sich selbst das Leben genommen hat und sich auf diesem Weg, den er sich selbst mit seinem Schwert gebahnt hatte, in Zwinglis Himmel begab.