Lettre de Pierre Girod à Pierre Falck - Brief von Peter Girod an Peter Falck

Traduction (Allemand)

Traduction: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Kevin Bovier)


Peter Girod grüsst seinen Maecenas!

Man darf mich wirklich der Undankbarkeit zeihen, weil ich so lange Zeit stummer als die Fische gewesen bin (wie man so sagt), so dass ich Dir nicht einmal einen ganz kleinen Brief geschickt habe. Sicher muss man auch Dir daran Schuld geben, weil Du meinen Unsitten mehr willfährst als es recht und billig ist. So freundlich gehst Du mit mir um, so vertraulich verkehre ich mit Dir, dass ich fürchte, dass mein ganz unbedeutendes Geschick Deiner Autorität Abtrag tut, durch deren Glanz Du auf Deinem Platz an der Spitze des Staates mehr erstrahlst als die anderen, und dies geschieht gemäss jenem Wort Platons: Τοῖς ἀνίσοις τὰ ἴσα ἄνισα γίγνοιτ’ ἄν («Gleiches werde ungleich den Ungleichen»). Da aber ein griechisches Sprichwort inhaltlich zutreffend bezeugt: ἀναγκαιότερον πυρὸς καὶ ὓδατος ὁ φίλος («einen Freund zu haben tut mehr Not als Wasser und Feuer») müssen vor allem Notleidende Freunde haben, derer sie sich bedienen können, die sie stützen, wenn sie ins Wanken kommen, vor allem muss jener γυμνὸν ἄτερ κόρυθός τε καὶ ἀσπίδος οὐδ’ ἔχεν ἔγχος («jener, der seines Helmes und seines Schildes entblösst war und auch keinen Speer mehr hatte»), der dem wilden Ansturm des Unglücks und der Menschen nicht mehr standhalten kann, einen Freund haben; Du hast mir in dieser Hinsicht immer treu und sehr beständig Beistand geleistest, und um mir wieder Worte Homers zu eigen zu machen:

πρόσθε δ’ἐμοὶ δόρυ τ’ ἔσχε καὶ ἀσπίδα πάντοσ’ ἐίσην
Er schützte mich nach allen Seiten hin mit seiner Lanze und seinem Schild.

Du handelst entsprechend Deiner Menschenfreundlichkeit, Deiner raschen geistigen Auffassungsgabe und Deiner ungeschmälerten Liebe zu den Verehrern der Wissenschaften, mit der Du alle, die darin Deine Vertrauten sind, gleichmässig umfasst, keinen aber mehr als mich. Auch wenn ich unter ihnen gleichsam eine Eule bin, die ins Sonnenlicht geraten ist, treibst Du mich dennoch an, und Du treibst mich nicht nur an, sondern hilfst mir auch, damit sich mir ein leicht zu begehender Weg zu den innersten Bereichen der edlen Wissenschaften, besonders des Griechischen, eröffnet. Du, sage ich, hast mir eine handhabbare Möglichkeit dazu geboten, Gelehrsamkeit zu erlangen, indem Du mich zweifach zum Stipendiaten gemacht hast, da Du ohne Zweifel überlegtest, dass ein Stipendium nicht genug sei angesichts des Überreichtums der anzuschaffenden Bücher und der Preise für Griechischlehrer, die man anscheinend nicht einmal mit gewaltiger Grosszügigkeit zufriedenstellen kann. Dies alles hast Du mir zukommen lassen, Dir also muss ich danken, Dir alles berichten, was ich in Erfahrung gebracht habe. Wem soll ich darüber hinaus die Verbesserung meines schlimmen Geschicks mehr zuschreiben als Dir? Du warst die Ursache für meinen Weggang, durch den meiner Meinung nach der unstillbare Hass der Bürger gegen mich fast vollständig erlöschen wird, den ich in der Tat durch kindliches Krawallschlagen erregt hatte. Ich bin klug geworden und habe den Kinderkram hinter mir gelassen:

Συγγνώμη τῷ πρῶτον ἁμαρτάνοντι
Verzeihung wird dem zuteil, der sich zum ersten Mal verfehlt.

Δὶς πρὸς τὸν αὐτὸν αἰσχρὸν εἰσκρόυειν λίθον
Zum zweiten Male an den schändlichen Stein stossen.

Und damit genug davon.

Um Dich aber an den Ergebnissen meiner Nachtwachen teilhaben zu lassen, so liefert die Stelle, die ich bei Strabo über die Helvetier gefunden habe (siehe im vierte Buch nach), folgende Information:

φασὶ δὲ καὶ πολυχρύσους τοὺς Ἐλουητίους, μηδὲν μέντοι ἧττον ἐπί λῃστείαν τραπέσθαι τὰς τῶν Κίμβρων εὐπορίας ἰδόντας.
Man sagt, dass die Helvetier sehr viel Gold besitzen, sich aber dennoch dem Räuberwesen zugewandt haben, als sie die Reichtümer der Kimbern sahen.

Im Folgenden fügt er noch viele Informationen an, die meiner Meinung nach aus dem ersten Buch der Kommentare Caesars entliehen hat. Ich möchte, dass dieses Buch allen Helvetiern bekannt wäre; er beschreibt darin sehr treffend unsere Grenzen, den Krieg, den er gegen sie geführt hat, und, womit ich am allermeisten prahle, er erklärt, dass er in ihrem Lager Schrifttafeln gefunden hat, die auf Griechisch beschrieben waren. Am Ende des vierten Buchs [des Strabo] heisst es:

καὶ τὰ ἐπιστρέφοντα πρὸς νότον Ῥαιτοὶ καὶ Οὐινδελικοὶ κατέχουσι συνάπτοντες Ἐλουητίοις καὶ Βοίοις.
Und die Gebiete im Süden bewohnen die Räter und die Vindeliker, die neben den Helvetiern und den Boiern siedeln.

Und ein wenig später heisst es:

ἢ τὴν λίμνην τὴν Λημένναν εἰς τὰ Ἐλουητίων πεδία κἀντεῦθεν εἰς Σηκοανούς.
Oder den Genfer See bei den Feldern der Helvetier und von dort an zu den Sequanern.

Am Anfang des siebten Buchs heisst es:

Εἶτ’ ἐπὶ Ἐλουητίους πολυχρύσους μὲν ἄνδρας, εἰρηναίους δέ.
Danach bei den helvetischen Männern, die Überfluss an Gold haben, aber den Frieden lieben.

Er sagt noch viel anderes über die Alpen, die Tougener, die Tiguriner, den Rhein, das Jura, die Rhone und andere geographische Dinge, die ich meines Erachtens hier aufgrund meines Bemühens um Kürze beiseitelassen muss. Es beliebte mir, diese Passagen hier abzuschreiben, weil wir diesen griechischen Autor, den besten unter den Geographen, in unserer Privatlektüre durchgegangen sind. Wonach mir ausserdem der Sinn steht oder was für ein Lebensziel ich zu erlangen versuche, das kannst Du aus dem Brief erfahren, den ich an den Herrn Dekan Wilhelm von Praroman geschickt habe, und er wird Dir auf mein Geheiss hin alles erklären.

Lebe wohl wie ein König. Paris, den 27. Dezember 1518.

Thomas Schneuwly, Rudolf Praderwan und Jakob Ernst wünschen Dir ausserordentlich viel Wohlergehen.

Στράβων γεωγραφικῶν βιβλίῳ δεκἀτῳ:

Οἱ ἄνθρωποι μάλιστα μιμνοῦνται τοὺς Θεοὺς ὅταν εὐεργετοῦσιν.

Strabo im zehnten Buch seiner Geographie:

Die Sterbliche ahmen dann am meisten die Götter nach, wenn sie sich als Wohltäter betätigen.

An den herrlichen goldenen Ritter, Herrn Peter Falck, den höchst billig denkenden Aristokraten.