Der Brief Oporins über Paracelsus
Traduction (Allemand)
Traduction: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Kevin Bovier)
Was ferner Theophrast Paracelsus angeht, der schon lange tot ist, so kritisiere ich seine Manen nicht gerne. Meine Erfahrung mit ihm war allerdings so beschaffen, dass ich nicht leicht jemals mit einem derartigen Mann so eng zusammenleben möchte, wie ich mit ihm zusammengelebt habe. In so ausgeprägtem Masse habe ich an ihm – abgesehen von seinem bewundernswerten Eifer und der Leichtigkeit, mit der er Medizin gegen jede Art von Krankheit herstellte – keinerlei Frömmigkeit und auch keine Gelehrsamkeit wahrnehmen können; und ich pflege mich nicht selten darüber zu wundern, wenn ich sehe, dass so vieles veröffentlicht wird, was er laut Behauptung der Herausgeber geschrieben und der Nachwelt hinterlassen hat; ich glaube, von diesen Dingen hat er nicht einmal geträumt. In den ungefähr zwei Jahren, in denen ich mit ihm eng zusammenlebte, war er die ganzen Tage und Nächte hindurch so betrunken oder litt unter einem solchen Kater, dass er kaum die eine oder andere Stunde Schlaf finden konnte, besonders nachdem er Basel verlassen hatte; im Elsass wurde er im Kreis der Landadeligen von allen als ein zweiter Äskulap bewundert; und wenn er dann als der Betrunkenste von allen nach Hause kam, pflegte er mir einen philosophischen Text zu diktieren, und was er mir diktierte, schien ihm so herrlich kohärent zu sein, dass selbst der Allernüchternste es nicht besser hätte mache können. Ich stand nach Massgabe meiner Möglichkeiten bereit, diese Texte in die lateinische Sprache zu übersetzen, und so wurden seine Bücher teilweise von mir, teilweise von anderen, ins Lateinische übersetzt und später herausgegeben.
In der ganzen Zeit, in der ich mit ihm zusammenlebte, hat er sich nachts niemals ausgekleidet, und ich schrieb das seiner Trunkenheit zu; meist kam er nämlich nur betrunken in tiefer Nacht nach Hause, um sich ins Bett zu legen; und er warf sich so, wie er angezogen war, aufs Lager, mit einem Schwert an seiner Seite (er prahlte, es sei das eines Scharfrichters gewesen); und oft erhob er sich mitten in der Nacht und raste mit gezücktem Schwert durch das Schlafzimmer, derart, dass er mit häufig wiederholten Schwertstreichen den Fussboden und die Wände attackierte, so dass ich mehr als einmal fürchtete, er werde mir den Kopf abschlagen. Wenn ich alles erwähnen sollte, was ich bei ihm zu erdulden hatte, könnte ich dafür einige Tage beantragen.
Er hatte immer seinen Kohlenofen vorbereitet, in dem beständig Feuer brannte, und kochte darüber bald irgendein Alkali, bald aus dem Sublimat gewonnenes Öl, bald Safranmars oder ein bewundernswertes Oppodeltorch und ich weiss nicht was für Brühen. Einmal hat er mir mit seiner Kocherei fast den Lebensatem ausgetrieben; er befahl mir, die Dämpfe zu betrachten, die in seinem Alembik aufstiegen, und als ich mit meiner Nase näher kam, zog er ein wenig das Glas beiseite, das über dem Alembik lag; er sorgte dafür, dass jene giftigen Dämpfe meinen Mund und meine Nase erfüllten und verzichtete nur auf den Versuch, mich auf diese Weise zu ersticken; es ging so weit, dass ich das Bewusstsein verlor und mit einer nicht geringen Menge kalten Wassers wieder aus meiner Ohnmacht geholt werden musste.
Manchmal tat er so, als könne er weissagen und rühmte sich geheimer Kenntnisse, so dass ich es kaum wagte, etwas zu unternehmen, mit Blick worauf ich ihn zu fürchten hatte. Um Frauen kümmerte er sich nicht, so dass ich glaube, dass er nie mit einer Geschlechtsverkehr gehabt hat. Zu Beginn war er Abstinenzler, etwa bis zum 25. Lebensjahr, danach lernte er das Weintrinken derart, dass er eine ganze Tafel von Bauern durch Zutrinken herauszufordern und im Saufen zu besiegen wagte; er befreite sich nur vom Kater, indem er den Finger in die Kehle steckte, und widmete sich dann wieder dem Trunk, so als ob er auch nicht einen Tropfen getrunken hätte.
Er war ein gewaltiger Geldverschwender und oft so ruiniert, dass ich wusste, dass er keinen Pfennig mehr hatte. Am nächsten Tag zeigte er, dass er sein Beutel wieder gut gefüllt war, so dass ich mich nicht selten gewundert habe, woher er dieses Geld bekommen hat. Fast jeden Monat liess er sich ein neues Gewand machen und schenkte das alte irgendeinem Mann, dem er auf der Strasse begegnete; es war aber so verunreinigt, dass ich ihn nie darum gebeten hätte, es mir zu geben, und ich hätte es auch nicht angenommen, wenn er es mir von sich aus zum Tragen angeboten hätte.
Beim Heilen von Geschwüren vollbrachte er Erstaunliches, sogar in den beklagenswertesten Fällen, und das, ohne eine Diät vorzuschreiben oder zu beachten; sondern er soff mit seinen Patienten Tage und Nächte hindurch; so heilte er sie dennoch (wie er zu sagen pflegte) mit vollem Bauch. Er bediente sich zur Austreibung jeder Art von Krankheit des Fällungspulvers, des Theriaks bzw. Mithridatikums, oder des in Pillenform gepressten Safts von Kirschen und Beeren. Sein Laudanum (so nannte er kleine Pillen, die aussahen wie Mäusekot und die er immer in ungerader Anzahl, aber nur bei äusserst weit fortgeschrittenen schwierigen Krankheiten wie eine heilige Medizin verabreichte) rühmte er so, dass er nicht zögerte, zu behaupten, dass er nur mit diesem Mittel Tote wieder zum Leben erwecken könne; das hat er in der Zeit, die ich bei ihm verbracht habe, tatsächlich mehrfach erklärt.
Ich habe ihn niemals beten gehört oder gesehen, und er scherte sich auch nicht um die kirchlichen Sakramente, aber auch um die evangelische Lehre, die man damals bei uns zu pflegen begann, und von unseren Predigern mit Nachdruck vorgebracht wurde, scherte er sich nicht viel; er drohte sogar manchmal, er werde einstmals Luther und den Papst nicht weniger als nun den Galen und den Hippokrates zurechtstutzen. Weder die alten noch die neuen Schriftsteller, die sich mit der Exegese der Heiligen Schrift beschäftigt hätten, hätten den Kern der Schrift richtig herausgearbeitet, sondern sie blieben an ihrer Rinde und gleichsam ihrer äusseren Haut stecken. Er brachte noch andere Scherze vor, an die mich ungerne erinnere. Ich habe mir gestattet, Dir diese Dinge nebenbei zu schreiben, wie sie mir in die Feder gekommen sind, um Dir überhaupt etwas zu schreiben.