Mithridates
Traduction (Allemand)
Traduction: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Kevin Bovier)
Beobachtungen Conrad Gessners zu den Unterschieden zwischen den Sprachen (zunächst allgemeiner Natur)
Die Ursache und die Geschichte der Sprachenverwirrung sind in den heiligen Büchern überliefert, und so gibt es keinen Anlass, dass wir sie hier wiederholen. Wie aber die Sprachverwirrung zu einem grossen Teil zum Unglück der Menschen beigetragen hat, so müssen wir es in unseren Zeiten für ein wahrhaft göttliches Geschenk und für eine herrliche Glückseligkeit halten, dass fast der ganze Erdkreis durch jene drei am Kreuze geheiligten Sprachen, die die wissbegierigen Menschen allgemein studieren, von neuem verbunden wird, und ihre Kenntnis nicht nur das bekannt macht, was in Bezug zu den Handelsgeschäften der Menschen und was in Bezug zur Weisheit der Menschen steht, sondern auch die Frömmigkeit und Gott. Wer weiss nämlich nicht, dass man in ganz Europa Latein und Griechisch spricht, Hebräisch aber, oder vielmehr Arabisch, fast in ganz Afrika und Asien, Griechisch aber in einem Teil dieser Kontinente?
Europa freilich muss man noch beträchtlich glücklicher einschätzen als die übrigen Kontinente, weil – während anderswo die um Weisheit Bemühten nur je eine Sprache erlernen – in ihm die drei Sprachen, von denen ich gesprochen habe, gepflegt werden. Deshalb hat auch das Evangelium unseres gekreuzigten Herrn Jesus Christus in Europa in unseren Zeiten zusammen mit jenen in Wiedergeburt befindlichen Sprachen eine Erneuerung erfahren und wird sich dann mittels der gleichen Sprachen sowohl durch Bücher als auch in lebendiger Rede binnen kurzer Zeit auch (wie wir hoffen) in die übrigen Nationen hinein verbreiten, so dass man davon ausgehen muss, dass nach der Verkündigung Christi in der ganzen Welt (von der wir sehen, dass sie sich in unserer Zeit fast schon in ganz Europa mit grosser Schnelligkeit ereignet hat) der letzte Tag dieser Welt und die zweite Ankunft unseres Herrn unweigerlich bevorstehen.
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Wir haben die Beobachtung gemacht, dass mancherorts Dialekt einfach eine artikulierte Rede bedeutet oder eine aus mehreren Worten bestehende kommunikative Äusserung, andernorts aber (besonders bei den Grammatikern) bedeutet er die eigentümliche Ausprägung einer Sprache in einzelnen oder mehreren Worten, durch die sich von der Gemeinsprache bzw. anderen ähnlichen oder verwandten Sprachen unterscheidet.
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«Plato schrieb auch den Göttern einen Dialekt zu; er vermutete dies aufgrund von Träumen und Orakeln und darüber hinaus aufgrund der dämonisch Besessenen, weil sie nicht in ihrem Dialekt, sondern in dem der ihnen innewohnenden Dämonen sprechen. Ja, er meint sogar, dass die wilden Tiere ihren eigenen Dialekt besitzen, den die Tiere der gleichen Art verstehen können. Denn als ein Elefant, der in den Schmutz gefallen war, brüllte, ging ein anderer, der dabei war, weg, als er dies sah, und kehrte bald mit einer Elefantenherde zurück und rettete den Gefährdeten. Auch sagt man in Libyen, dass ein Skorpion, wenn er an einen Menschen nicht herankommen kann, um ihn zu stechen, weggeht und mit mehreren Skorpionen zurückkehrt, und so, indem sie nach Art einer Kette zusammenhängen und sich herabhängen lassen, den Menschen sticht, auf den es abgesehen ist. Daher vermuten wir, dass die wilden Tiere nicht in einer allzu schwerverständlichen Weise durch ein Nicken und auch nicht durch irgendeine körperliche Bewegung oder Haltung, sondern vielmehr in ihrem eigenen Dialekt einander mitzuteilen, was sie wollen. Man berichtet ferner von den Fischen, dass, wenn einer, der von einer Angelleine gefangen wurde und durch ihr Zerreissen zufällig entkommen konnte, hierauf an jenem Tag an jener Stelle kein Fisch der gleichen Sorte mehr erscheint» (Clemens von Alexandrien). Über die Kommunikation der unverständigen Tiere liefert Porphyrius in seinen Bücher «Über die Enthaltung von Tierfleisch» Informationen. Es scheint mir aber absurd zu sein, was Clemens über die unverständigen Tiere im Allgemeinen schreibt: Geradewegs als ob sie miteinander in einem Dialekt kommunizieren würden, sogar die Skorpione und Fische; da sie nicht einmal Laute von sich geben können, müssen wir noch entschiedener festhalten, dass ihnen versagt ist, einen eigenen Dialekt zu besitzen.
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Über das moderne Französisch
Heute gibt es drei Volkssprachen, die Abkömmlinge der lateinischen Sprache, aber durch den Lauf der Zeit und das Unwissen des Volkes sehr korrumpiert sind: das Italienische, das Spanische und das Französische. Die erste ist weniger, die zweite mehr, die dritte am meisten verdorben, das heisst ihre Endungen, Buchstaben und Silben haben sich verändert und verzerrt. Und darüber hinaus sind sie mit Fremdwörtern durchmischt, ganz besonders seit der Zeit, als die Goten begannen, nicht nur Reiche und Regionen zu vernichten, sondern auch die Sprachen durch ihre Herrschaft zu pervertieren. Die französische Sprache hat das meiste also vom Lateinischen, einiges vom Gotischen bzw. Germanischen (denn auch die Franzosen, die über die anderen herrschen, stammen von den germanischen Franken ab), manches aber von ihrer alten gallischen Sprache, jedenfalls meiner Ansicht nach. Die dialektalen Unterschiede sind beträchtlich. Reiner ist nämlich der Dialekt in der Region, die man eigentlich im eigentlichen Sinne Frankreich nennt; andere Dialekte sind grober, wie der der Provence, der von Lothringen, der von Burgund etc.; ganz grob ist der Dialekt, den man in Savoyen und im Grenzgebiet zu den italienischen Alpen spricht.
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Über die deutsche Sprache
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Ihr ist die schwäbische Sprache in vielen Stücken ähnlich, abgesehen davon, dass sie statt dem langen Vokal u den Laut au hervorbringt, und statt des langen i (das wir verdoppelt ij geschrieben haben, manche schreiben es y) sagt es ei, und für den Diphthong ei setzt es manchmal ai, für ü aber eu, für a setzt es bei verbalen Infinitiven ae, in manchen Fällen verhält es sich aber umgekehrt. Manche Worte bringt es in einer volleren Form hervor, wo wir irgendeinen Konsonanten oder eine Silbe weglassen und eine Synkope schaffen, besonders bei Pluralformen; und in den Fällen, wo die Schweizer d oder t hinzufügen, lassen sie es weg. Das Wort «ich habe» formen sie anders. Sie schaffen Aphäresen, wo wir das ganze Wort hervorbringen. Sie haben nur wenige Vokabeln, die ich völlig von den unseren unterscheiden, besonders ist das der Fall bei Substantiven, die Sachgegenstände bezeichnen, wie bei einigen Tier- und Pflanzennamen etc.; bei diesen pflegt auch zwischen anderen Sprachen, und seien sie noch so sehr miteinander verwandt, ein grosser Unterschied zu bestehen.
Unser einfaches Volk sagt oft ch, wo fast alle anderen k sagen, besonders am Wortanfang, wie chrank statt kranck, chrut statt krut; beim Schreiben verbessern wir das aber, wie auch die anderen Fehler unserer Sprache, wie das bei allen Sprachen der Fall zu sein pflegt. Gemeinsam haben die Deutschen die Angewohnheit, dass sie manchmal nur die End- oder Anfangsbuchstaben bestimmter Ausdrücke zum Ausdruck bringen, wie shansen, shuss, dfrow, immhuss, wo wir schreiben des hansen, das huss, die frow, in dem huss. Bei den Vergangenheitsformen, wo man das ge hinzufügt, begnügen sich unsere Landsleute recht oft nur mit dem Vokal e oder lassen den Zusatz ganz weg: sie sagen gessen, gangen statt geessen, gegangen. Wir pflegen auch gg zu schreiben und zu sagen, wo andere ck verwenden, wie mugg statt muck, egg statt eck, und das einfache Volk sagt mir statt wir, ebenso verwenden wir ch, wo andere qu sagen: chechsilber statt quecksilber.
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Über das Rätoromanische
Ein Teil der Räter, die als Zugewandte der Schweizer die zwischen der Schweiz und Italien gelegenen Alpen bzw. das cisalpinische Gallien bewohnen, verwenden eine ganz besonders verdorbene Art des Italienischen; es ist so verdorben, dass vor unserer Zeit keine Schriftzeugnisse in dieser Sprache vorliegen, sondern nur lateinische und aus jüngerer Zeit auch deutsche. Als erster hat in unserem Jahrhundert Jachiam Bifrun, ein hochgelehrter und sehr frommer Räter, sich daran gemacht, diese Sprache durch Schriftwerke bekannt zu machen und zu verbreiten; er hat auch einen Katechismus unserer hochheiligen Religion aus dem Deutschen in diese Sprache übersetzt, der im Jahre des Heils 1552 in Poschiavo gedruckt worden ist.
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Die Räter stammen nicht, wie man allgemein meint, von den Römern, sondern von den Etruskern ab. Über sie hat Livius geschrieben, dass sie aus ihrem Altertum nichts ausser dem Klang ihrer Sprache, und auch diesen nicht unverdorben, beibehalten haben.
Im Übrigen ist die rätische Sprache (wie wir Aegidius Tschudi entnehmen) innerhalb von 150 Jahren bei den Rätern sehr weit in Abgang geraten, während die deutsche Sprache von Tag zu Tag an Kraft gewinnt, so dass heute nicht nur die Churer, sondern auch die in grösser Abgeschiedenheit lebenden Leute Deutsch sprechen, die nicht lange vor unserer Zeit noch Italienisch sprachen; wenn man denn ihre grundverdorbene Sprache als Italienisch einordnen darf, die schon einst zur Zeit des Livius verdorben war und heute derart verdorben ist, dass die Etrusker, die heute in Italien leben, diese Leute fast gar nicht verstehen, wenn sie sprechen, obwohl sie doch einer Nation angehören und von einem Volke abstammen.