Traktat über Bad Pfäfers

Augustin Stöcklin

Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt). Version: 30.06.2025


Entstehungszeitraum: zwischen Oktober 1630 und Mai 1631 (vgl. Einführung).

Ausgabe: Nymphaeum Beatissimae Virg[inis] Mariae Fabariensis. Sive Tractatus de celeberrimis Fabarianis Thermis, vulgo Pfefers Bad, in Superiore Helvetia, medela, situ et natura plane admirandis. Deque earundem thermarum ex profundissima, periculosissimaque specu in apricum atque amoenum locum nupera, eaque felicissima derivatione. Auctore Reverendo P. F. Augustino Stöcklin Caenobita in Mure, SS. Theologiae Baccalaureo, Dillingen, Erhard Lochner, 1631, 24-36, 114-123, 123-143.

Übersetzung/volkssprachliche Adaptation: Johann Kolweck, Tractat von deß überauß heylsamen, weitberühmten, selbst warmen unser lieben Frawen Pfefers Bad, Dillingen, Erhard Lochner, 1631.

 

Der Autor: Augustin Stöcklin

Augustin Stöcklin wurde gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Muri als Johann Jacob Stöcklin und Sohn des Johannes Stöcklin, Stiftsammann des Klosters Muri und Gastwirt, geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters (1600) heiratete Stöcklins Mutter ein weiteres Mal, einen Mann, den Stöcklin offensichtlich nicht leiden konnte und später unumwunden als bestia (Tier) bezeichnete (ob zu Recht oder zu Unrecht, können wir hier nicht entscheiden). Wahrscheinlich mit Unterstützung des Murenser Abtes studierte Stöcklin ab 1606 an der Jesuitenschule in Luzern und ab 1610 an der Jesuitenhochschule in Dillingen, die von katholischen Schweizern (darunter gerade auch Benediktinern) damals häufig frequentiert wurde. Nach seinem dortigen Studienabschluss mit dem Magistergrad der Philosophischen Fakultät im Jahr 1613 trat er in das Kloster Muri ein, wo er 1614 unter dem Mönchsnamen Augustinus seine Klostergelübde ablegte. Der junge Mönch war in Muri zunächst als Lehrer der humanistischen Wissenschaften und der Theologie tätig. Aufgrund seiner offensichtlichen geistigen Begabung durfte er 1618 noch einmal für einen Studienaufenthalt nach Dillingen, wo er 1619 das Bakkalaureat in Theologie und Kirchenrecht erlangte. Anschliessend wirkte er wieder als Lehrer an der Murenser Klosterschule. 1623 wurde er mit einem Mitbruder von der Schweizer Benediktinerkongregation in das krisengeschüttelte Kloster Pfäfers geschickt, wo er zunächst einige Monate als Subprior und dann, nach dem Tode seines Murenser Mitbruders, als Dekan wirkte. Der bisherige Abt, Michael Saxer, blieb nominell noch bis 1626 im Amt und wurde dann durch einen verlässlichen Pfäferser Mönch ersetzt (Jodok Höslin), der zusammen mit Stöcklin die innere Reform des Klosters betrieb. Ein besonderes Anliegen waren Stöcklin die Liturgie und die Ausbildung des Klosternachwuchses; ausserdem beschäftigte er sich intensiv mit der Pfäferser Geschichte und sammelte viel diesbezügliches Urkundenmaterial, wofür er auch Forschungsreisen unternahm (Chur, St. Gallen, Glarus). Er entwickelte auch Interesse an der Geschichte des Klosters Disentis, in das einer seiner beiden (jüngeren) Brüder, Georg, 1617 eingetreten war, und sammelte entsprechendes Material. 1629 konnte er nach Pfäfers zurückkehren, wo er sich weiter mit seinen historischen Studien beschäftigte. Sein umfangreiches Werk zur Pfäferser Klostergeschichte (Antiquitates Liberi et Imperialis Monasterii Fabariensis, 1628) ist nur handschriftlich erhalten und gelangte nicht zum Druck, obwohl ein solcher sicher ursprünglich vorgesehen war. Stöcklin hat dieses Werk nicht in allen Details ausarbeiten können, und auch politische Rücksichten dürften einer Drucklegung im Wege gestanden haben. Das 21. Kapitel dieses Werkes, das sich mit dem Pfäferser Bad beschäftigt, konnte ihm später als Ausgangspunkt für sein hier vorzustellendes Werk dienen. Ausserdem sammelte er Material zur Geschichte seines eigenen Klosters Muri (Miscella hystorica Monasterii Murensis collecta, 1630). Auch nach seiner Rückkehr nach Muri hielt er engen Kontakt zu Pfäfers, was sich nicht zuletzt in der Veröffentlichung der Schrift Nymphaeum kundtat. Ausserdem erteilte er den Pfäfersern juristischen Rat und unterstützte sie beim Ausbau ihrer Bibliotheksbestände. Im gleichen Jahr, in dem das Nymphaeum erschien, wurde er zum Administrator des Klosters Disentis bestellt, in dem er mit zwei weiteren Murenser Mönchen daran ging, die tridentinische Reform durchzusetzen. 1634 ernannte ihn der päpstliche Nuntius Ranuccio Scotti zum Abt von Disentis, was bei der Gerichtsgemeinde der Cadi, die seit 1401 die Schirmvogtei über das Kloster ausübte, für Unmut sorgte, da Stöcklin damit der erste Abt war, der nicht von der lokalen weltlichen Gewalt in sein Amt eingesetzt worden war. Die Unstimmigkeiten konnten aber durch die Vermittlung der katholischen eidgenössischen Orte und des Grauen Bundes beigelegt werden. Neben seinen Verpflichtungen als Administrator und Abt und zahlreichen anderen Funktionen, die er in dem personenschwachen Kloster selbst ausüben musste (Novizenmeister, Bibliothekar, …), betrieb Stöcklin intensive historische, rechtsgeschichtliche und hagiographische Studien zur Disentiser Klostergeschichte, die teilweise auch das Ziel verfolgten, die Unabhängigkeit der Abtei von den lokalen weltlichen Gewalten (der schon erwähnten Cadi) sowie dem Bistum Chur zu stärken. Am 30. September 1641 verstarb er infolge eines Schlaganfalls.

 

Das Päferser Wildbad

Als Wildwasser (Akratotherme) bezeichnet man «eine schwach mineralisierte Quelle, welche sich von gewöhnlichem Leitungswasser dadurch unterscheidet, dass sie einen wesentlich geringeren Gehalt an gelösten Bestandteilen hat, die jedoch biologisch besonders wertvoll sind». Für das Pfäferser Thermalwasser lassen sich ausser der für Wildbäder typischen beruhigenden Wirkung und positiven Auswirkungen auf die Haut noch weitere Aspekte nachweisen, wie Blutdrucksenkung und Steigerung der Herzleistung; bei Trinkkur sind positive Auswirkungen auf Magenschleimhaut und Nierenleistung feststellbar.

Um die Entdeckung der Pfäferser Therme ranken sich Legenden. Nach einer Überlieferung soll die Thermalquelle in der Taminaschlucht um 1030 erstmals von einem Herrn aus der Familie Carl von Hohenbalken entdeckt worden sein. Der Glarner Historiker Aegidius Tschudi, der zeitweise nicht weit entfernt von der Quelle auf Schloss Sargans als Landvogt residierte, datierte in seiner Rhaetia ihre Entdeckung durch einen Murenser Klosterjäger namens Vogler auf die Zeit um 1240. Ein erster urkundlicher Beleg für den Badebetrieb datiert vom 25. Januar 1382. Die Quelle in der Schlucht war lange nur schwer zugänglich. Die Gäste gelangten ursprünglich an Hängeleitern oder in angeseilten Tragsesseln über die Felswände zu ihr hinab. Unter grossen Schwierigkeiten erweiterte man die Quellgrotte und errichtete in Quellnähe die erforderlichen Bade- und Bewirtungsgebäude. Das Baden erfolgte meist bei künstlicher Beleuchtung, da es in den Baderäumen kaum natürliches Tageslicht gab. Ab 1543 wurde zumindest die Anreise leichter, da der Pfäferser Abt einen am Felsen befestigten Holzsteg errichten liess, der zehn Meter über der Tamina vom vorderen Taminatal aus zum Bad führte. Die Benützung dieses Stegs war allerdings mit Gefahren verbunden. Auf einen regen Besuch ab dem 15. Jahrhundert folgte eine reformationsbedingte Krise, die erst ab Beginn des 17. Jahrhunderts durch kluge Massnahmen der Pfäferser Äbte überwunden werden konnte. Dazu gehörte auch die Errichtung einer neuen barocken Badeanlage ausserhalb der Schlucht, zu der das Wasser durch Holzkanäle umgeleitet wurde; wie weiter unten genauer erläutert wird, war diese Baumassnahme der Auslöser für Stöcklins Nymphaeum. Dieses barocke Bad Pfäfers erfuhr im 18. und im 19. Jahrhundert immer wieder bauliche Erweiterungen. 1838 fiel die Anlage durch die Säkularisierung der Abtei an den Kanton St. Gallen, der 1839/40 eine Wasserleitung (Holzteuchelleitungen, 1962 durch ein doppelwandiges Rohr ersetzt) nach Ragaz errichtete und somit das dortige Bad schuf, das bis heute existiert. Bad Pfäfers bestand daneben bis 1969, wurde dann aber nach Errichtung der neuen Bäderklinik Valens geschlossen, die wie Bad Ragaz ihr Wasser aus der Pfäferser Quelle bezieht. Die zum Museum gewordene barocke Badeanlage sowie die Taminaschlucht sind heute auch ohne Badebetrieb beliebte kulturtouristische Destinationen.

 

Das Nymphaeum Beatissimae Virg[inis] Mariae Fabariensis

Im Winter 1624/25 erlitt das obere Badehaus (das Herrenbad für gehobene Gäste) in der Taminaschlucht schwere Schäden durch Eis und Geröll. In der Folgezeit entschied man sich dafür, das Quellwasser mithilfe eines Holzkanals aus der Schlucht herauszuleiten und an deren Ausgang eine neue Badeanlage zu errichten; ein Brand, der im Dezember 1629 auch das untere Bad zerstörte, beschleunigte dieses Projekt. Durchgeführt wurde die Umleitung des Wassers von dem Allgäuer Zimmermeister Johannes Zeller. Stöcklin sah die im Januar 1630 begonnene und bis zum 19. Mai fertiggestellte Wasserleitung im Oktober des gleichen Jahres und entschied sich, das Bad einer literarischen Beschreibung zu würdigen. Diesen Entschluss setzte er bis zum 26. Mai 1631 um (Datierung seiner Dedicatio an Abt Jodokus). Während seiner Arbeit an dieser Schrift erklärte er mehrfach, er orientiere sich am Vorbild des Justus Lipsius, seines Lieblingsschriftstellers. Konkret nachweisen lässt sich in Aufbau und Systematik eine Beeinflussung durch dessen Werke Diva Virgo Hallensis (1605) sowie Diva Sichemiensis sive Aspricollis (1605). Dabei handelt es sich um zwei im katholischen Europa höchst erfolgreiche Schriften, die jeweils einem Marienwallfahrtsort (Absam bei Hall in Tirol bzw. Scherpenheuvel in Flandern) gewidmet sind und den Wundern, die sich dort ereignet haben; sie inspirierten sowohl in lateinischer Sprache wie in den Volkssprachen zahlreiche Nachfolger, zu denen man auch Stöcklin rechnen darf. Aus dem unterschiedlichen Sujet resultiert, dass Stöcklins Werk trotz seiner Orientierung an Lipsius inhaltlich andere Wege gehen muss. Auch stilistisch ist Stöcklin aber weniger von der forcierten, an Tacitus und Seneca orientierten Dunkelheit der damaligen Lipsius-Mode beeinflusst, als man aufgrund seiner erklärten Bewunderung für diesen Autor vermuten könnten, sondern bleibt klassischeren Mustern treu (wobei man nicht genug betonen kann, dass das Nymphaeum sich insgesamt nicht besonders durch stilistische Ambitionen auszeichnet). Vielleicht spielte dabei auch eine Rolle, dass er einen Grossteil seiner Ausbildung an jesuitischen Einrichtungen in Luzern und Dillingen erhalten hatte und die deutschsprachigen Jesuiten den lipsianischen Stil ablehnten und daher mit Sicherheit auch nicht lehrten; für Dillingen beweist ein Zeugnis aus dem Jahr 1609 (ein Jahr vor Stöcklins erstem Aufenthalt dort), dass man lipsianischen Tendenzen unter den Schülern scharf entgegentrat. Vielleicht besass aber auch einfach Stöcklin selbst die Einsicht, dass er nicht in der Lage wäre, dem in Wahrheit gar nicht so einfach nachzuahmenden Vorbild des Lipsius gerecht zu werden?

Stöcklin konnte bei seiner Arbeit neben diversen Vorgängerschriften (wie etwa die weiter unten erwähnte des Paracelsus) auf die ihm in Manuskriptform vorliegenden Ausführungen eines ihm persönlich bekannten zeitgenössischen ärztlichen Gewährsmannes zurückgreifen, die er unter Angabe der Quelle aus dessen Deutsch ins Lateinische übersetzt. Es handelte sich um den Tiroler Mediziner Hippolyt Guarinonius, einen entschiedenen und von gegenreformatorischer Gesinnung erfüllten Katholiken, dessen Eifer sogar den Tiroler Jesuiten bisweilen zu viel wurde. Guarinonius war ein Freund des Abtes Jodokus und hatte die Thermalquelle selbst besucht, um sich ein Bild von ihrer Wirkung und den äusseren Umständen zu machen. Ausserdem las und kommentierte er Stöcklins Nymphaeum-Entwürfe, der dann die Anmerkungen des Arztes in seinen Text einarbeitete. Guarinonius’ deutscher Stil bereitete dem Übersetzer Stöcklin grosse Schwierigkeiten, er fühlte sich von seiner Übersetzungsarbeit um Kraft und Gehirn gebracht. Stöcklins Mühsal teilt sich auch dem Leser seiner Übersetzung mit, denn die Unklarheiten und Ungeschicklichkeiten der deutschen Vorlage haben im lateinischen Text an einigen Stellen Spuren hinterlassen. Es ist zudem nicht immer einfach zu entscheiden, wo die Zitate aus Guarinonius genau enden (es gibt keine eindeutige Kennzeichnung, etwa durch Anführungszeichen). Der Text des Guarinonius enthielt auch Verse, von denen Stöcklin nur eine Prosaübersetzung anfertigte; die metrische Gestalt, in der sie im publizierten Nymphaeum vorliegen, verdanken sie Abt Jodok Höslin. Am Rande sei angemerkt, dass Guarinonius in seinem Hauptwerk Grewel der Verwüstung menschlichen Geschlechts (Ingolstadt, Angermayr, 1610), im 27. Kapitel des fünften Buches unter der Überschrift «Vom verfluchten Grewel, Abschewlichkeit unnd unleidenichen gemeinen Mißbrauch der Voll- und Wildtbäder» schädliche Verhaltensweisen an den Badeorten seiner Zeit rügt (p. 952-957). Man kann vor diesem Hintergrund besser verstehen, warum er das abgelegene Pfäferser Bad, wo die von ihm gerügten Exzesse teilweise gar nicht möglich waren, recht positiv beurteilte. Neben Guarinonius zitiert Stöcklin auch andere Autoren, die sich zu den Pfäferser Thermalquellen geäussert haben: Paracelsus ist unter ihnen der heute wohl noch bekannteste, doch es gibt etwa auch mehrere Lobgedichte auf das alte Pfäferser Bad, von denen das erste und längste von Charles Paschal stammt, dem Gesandten des französischen Königs bei den Drei Bünden. Stöcklin stellt an das Ende seines an die Leser gerichteten Proloquium eine Liste aller von ihm im Nymphaeum herangezogenen Autoren (fol. B 4r-v); es handelt sich zu einem grossen Teil um gedruckte Quellen.

Die Drucklegung der Schrift erfolgte im Sommer 1631 in der Jesuitenhochburg Dillingen, weil Stöcklin damit keinen protestantischen Druckerverleger beauftragen wollte und sich zudem in Dillingen Murenser Mönche studienhalber aufhielten, die ein Auge auf die Erledigung des Auftrags werfen konnten. Das Werk selbst gliedert sich in zwei grosse Teile: der erste widmet sich der Geschichte des alten Bades (Kapitel 1-12), der zweite der Entstehung des neuen Bades (Kapitel 12-21). Jedem von ihnen ist ein Stich vorangestellt; der erste zeigt die Beatissima Virgo Maria Fabariensis, Salus Infirmorum, Consolatrix Afflictorum (Seligste Jungfrau Maria von Pfäfers, Heil der Kranken, Trösterin der Niedergeschlagenen) inmitten von Felsen, mit dem eine aus dem Stein entspringende Quelle segnenden Jesusknaben auf dem Arm, der zweite Maria Magdalena als Büsserin in einer Grotte (man hatte eine 1628 entdeckte Höhle nach ihr benannt). Im ersten Teil folgen auf das Bild mehrere Paratexte. Zunächst die Druckerlaubnis (censura et approbatio) erteilte dementsprechend der Kanzler der Universität Dillingen, der Jesuit Christopher Streborius. Vorangestellt ist dem Buch ausserdem eine Laus Dei eucharistica et eiusdem invocatio, ein umfangreiches Gebet, in das zahlreiche Zitate aus der Bibel (primär dem Alten Testament) eingearbeitet sind. Es folgen als innerschweizerische und innerbenediktinische Sympathiebekundungen zwei kürzere Lobgedichte (Epigramme), das eine von dem Murenser Benediktiner Dominikus Tschudi auf die Pfäferser Quellen, das andere auf den Pfäferser Abt Jodok Höslin unterzeichnet der Disentiser Mönch Martin Stöcklin, Augustin Stöcklins jüngerem Bruder, der vor Ordenseintritt Georg geheissen hatte; eigentlich stammt das Gedicht von Augustin Stöcklin und Bonaventura Honegger, die es nach dem Vorbild eines Epigramms des Giovanni Antonio Campano auf die Erfindung des Alaun verfasst hatten. Der Glarner Priester Adrian Bachman steuert ein weitertes Epigramm auf Abt Höslin bei, der Pfäferser Benediktiner Wilhelm Jonas wiederum dankt in einer Ode dem Verfasser des Nymphaeum, Augustin Stöcklin, der sich dann mit seiner Widmungsvorrede (Dedicatio) an den Pfäferser Abt selbst zu Wort meldet. Im zweiten Teil steht zwischen dem Bild und dem Beginn des zwölften Kapitels ein Eligidion betiteltes Gedicht in elegischen Distichen des St. Galler Arztes Heinrich Schobingers auf Abt Jodok Höslin, als Ausdruck des Dankes für die von diesem befohlene Umleitung des Quellwassers. An das Ende des zweiten Teils hat Stöcklin ein Supplex auctoris suspirium gestellt (p. 287-290), ein Gebet an die Jungfrau Maria, in dem er sie bittet, sich weiter als Patronin des Pfäferser Bades zu erweisen. Zwei Indices und ein kurzes Errata-Verzeichnis beschliessen das Werk.

Stöcklin unterbreitete sein Manuskript noch vor Drucklegung auch dem kritischen Urteil des Bündner Staatsmannes Johannes Guler von Wyneck, was insofern besonders bemerkenswert ist, als dieser Protestant war (lateinische Verse von ihm auf das Pfäferser Bad werden übrigens im Nymphaeum ebenso zitiert wie ein Brief von ihm an Abt Höslin, in dem er seine Freude über die Umleitung der Quelle bekundete). Dieser bekundete Lesegenuss, kritisierte aber inhaltliche Wiederholungen und einen uneinheitlichen Stil. Stöcklin bedankte sich für Gulers Rückmeldung, entschuldigte die Uneinheitlichkeit und die Wiederholungen indes mit der grossen Anzahl von behandelten Themen und zitierten Autoren. Gulers Anregung, in Basel bei «Magister Lucius» (wohl der Basler Professor Ludwig Lucius) drucken zu lassen, hat Stöcklin freilich zugunsten des katholischen Dillingens ignoriert.

Noch im gleichen Jahr erschien ebenfalls in Dillingen der auf Deutsch verfasste Tractat von deß überauß heylsamen, weitberühmten, selbst warmen unser lieben Frawen Pfefers Bad von Johann Kolweck, dem Sekretär des Pfäferser Abtes, der damit nach eigenem Eingeständnis im Wesentlichen eine volkssprachliche Version von Stöcklins Nymphaeum vorlegte (wobei er die ihm vorliegende, in tirolischem Deutsch verfasste Abhandlung des Guarinonius sprachlich überarbeitete, um sie für das anvisierte Publikum verständlicher zu machen). Man kann also von einer bewusst ins Werk gesetzten publizistischen Kampagne sprechen, die durch Diversifizierung ihres gedruckten Angebots unterschiedliche Lesergruppen in den Blick nahm, wobei Stöcklins lateinisches Nymphaeum geeignet war, Gelehrte, Gebildete und ein internationales Publikum zu erreichen.

 

Unsere Auswahl

Die drei ausgewählten Ausschnitte entstammen sämtlich der pars prior des Nymphaeum, die sich den Badeverhältnissen vor den Baumassnahmen von 1630 widmet. Den ersten Text entnehmen wir dem dritten Kapitel. In ihm geht es zunächst um die äusseren Ausmasse der Badeschlucht. Stöcklin referiert auch in eigener Übersetzung aus dem Deutschen, was Guarinonius, den er «unseren Geometer» nennt, zu diesem Thema bemerkt hatte, wobei er gleich zu Beginn klar macht, dass er an manchen Ansichten des Arztes Zweifel hat. Dieser hatte gemäss eine Rechnung angestellt, in welchem Tempo das Wasser seit der Erschaffung der Welt (die seiner Ansicht nach im Jahr 3962 v. Chr. stattfand) die Schlucht ausgehöhlt hatte. Gemäss seiner extrem theologisch ausgerichteten Geisteshaltung kommt er zu dem Schluss, dass das Wasser sinnigerweise zu der Zeit, als Christus sich am Kreuz als Opfer darbrachte, die Stelle erreicht hatte, an der sich zu seiner Zeit die Kapelle befand, in der das Messopfer gefeiert wurde, das ja nach katholischer Lehre eine unblutige Erneuerung des Kreuzesopfers darstellt. Die zahlenverliebten Ausführungen Stöcklins und des Guarinonius zeugen von ihrem Bemühen, eine naturwissenschaftlich-geologische Beobachtung (die korrosive Wirkung des Wassers auf die Felsen) mit einer auf einem literalen Verständnis der Bibel beruhenden Weltchronologie in Einklang zu bringen. Guarinonius sieht in der Entstehung der Pfäferser Höhlenschlucht einen Beweis für die Erschaffung der Welt durch Gott und eine Widerlegung der von ihm empört zurückgewiesenen Theorie, die Welt sei nicht erschaffen worden, sondern bestehe schon seit Ewigkeit (eine Ansicht, die er mit einer von ihm perhorreszierten atheistischen Weltsicht gleichsetzt).

Im zweiten Ausschnitt, aus dem zehnten Kapitel, geht es um die Heilwirkung des Bades. Stöcklin referiert die Ansicht dreier Autoritäten, dass das Pfäferser Wasser den Geschlechtstrieb dämpft. Positiv hebt er zudem hervor, dass die Abgelegenheit der Pfäferser Therme gewisse Ausschweifungen, die man sich an anderen Badeorten gestattete, unmöglich mache.

Auf heutige Leser befremdlich wirkt sicher Stöcklins (auf einen Parallelfall bei Plinius d. Ä. sowie Zeugenaussagen und vermeintliche Autopsie gestützte) Behauptung, im Pfäferser Bad komme es zur Spontanzeugung von Fröschen und Enten aus dem Wasser heraus. Man muss sich aber entsinnen, dass gemäss den damaligen, immer noch weitgehend von Aristoteles bestimmten naturwissenschaftlichen Ansichten derartige Spontanzeugungen von belebter aus unbelebter Materie (bei Aristoteles: γένεσις αὐτόματος) als durchaus möglich galten (im Laufe des 17. Jahrhundert begannen sich aber begründete Zweifel daran Gehör zu verschaffen). Stöcklin geht auch auf die akustischen Halluzinationen ein, die sich für manche Badbesucher aus dem lauten Rauschen des Quellwassers ergeben und die entweder angenehmer oder unangenehmer Natur sein können. Besondere Aufmerksamkeit widmet er auch dem Phänomen, dass die Thermalquelle in den Wintermonaten versiegt und sucht unter Zuhilfenahme verschiedener Autoritäten (darunter auch Paracelsus) nach wissenschaftlichen Begründungen dafür. Eine eindeutige Erklärung kann er auf diesem Wege nicht finden, doch immerhin hat er die einem monastischen Autor wohlanstehende subjektive Gewissheit, dass auch dieses Naturrätsel dem Lobe Gottes dient, der ja in letzter Konsequenz dafür verantwortlich ist. Es darf hier vielleicht angemerkt werden, dass die Frage nach der Herkunft des Pfäferser Wassers bis heute nicht abschliessend geklärt ist.

Im dritten Ausschnitt, aus dem elften Kapitel, geht es um den konkreten Gebrauch, den man von der Pfäferser Quelle macht. Nach einem kurzen Blick auf einen folkloristischen Brauch der Anwohner (die sich jedes Jahr in der Walpurgisnacht dort baden und ihre Kleider mit dem Wasser tränken) kommt Stöcklin ausführlich auf die Pfäferser Badekur und ihren Ablauf zu sprechen, wobei er wieder extensiv auf Ausführungen des Guarinonius zurückgreift. Der Gedankengang ist nicht frei von einer gewissen Sprunghaftigkeit, doch auch diese trägt dazu bei, dass der Leser faszinierende und vielfältige Einblicke in die damaligen medizinischen Überzeugungen und die Verhältnisse im Pfäferser Bad gewinnt. Der Gedankengang ist nicht frei von einer gewissen Sprunghaftigkeit, doch auch diese trägt dazu bei, dass der Leser faszinierende und vielfältige Einblicke in die damaligen medizinischen Überzeugungen und die Verhältnisse im Pfäferser Bad gewinnt. Nennen wir hier nur einige Themen dieses Abschnitts: Exzessive Badaufenthalte und ihre Nebenwirkungen in Form des Badausschlags; Unverträglichkeit einer Badekur mit übermässigem Alkoholgenuss; Diskussion der therapeutischen Wirkung des Pfäferser Wassers bei Lepraerkrankung; Massregeln für Schwangere; Transport von Pfäferser Wasser an andere Orte zum Durchführen von Trinkkuren etc. Nebenbei erfährt man unter anderem, dass prominente Gäste des Pfäferser Bades mitunter von weit herkamen: hervorgehoben wird der Besuch des polnisch-litauischen Adeligen Janusz Radziwiłł. Am Ende des elften Kapitels (und unseres Ausschnitts) schafft Stöcklin einen zwanglosen Übergang zur Errichtung der Wasserleitung zum Schluchteingang, der er sich im zweiten Teil des Nymphaeum widmen wird.

 

Bibliographie

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